Nestroys Wohnung zu vermieten
Vom Graben und von der Wollzeil’ ist die Red’, von der Seilerstatt und vom Dommayerschen Garten, ja sogar von Hungelbrunn, einer kleinen Vorstadt, die längst im fünften Bezirk aufgegangen ist: Kein anderes Nestroy-Stück hat so viel explizites Lokalkolorit wie „Wohnung zu vermieten“; es hat seinen Charme, dass es in Schwechat gespielt wird, das heute gerade nicht mehr zum Wiener Stadtgebiet zählt. Dorthin, in den Hof des barocken Schlosses Rothmühle, kommen Wiener und Leider-nicht-Wiener, um eine Nestroy-Inszenierung zu sehen, die turbulent, aber nicht überdreht ist.
Die vor allem Nestroys Sprache mit Liebe und Respekt behandelt, indem diese, wo immer möglich, konserviert wird. Unter der Regie des Intendanten Peter Gruber darf Cajetan, der „ledigste Hausmeister bei der Stadt Wien“, von Robert Herret mit dezenter Schlagseite und Freude am Schmäh gespielt, der pikierten Madame Chaly „dalkete Kaprizen“ attestieren, die dramatischen Verwirrungen ein „Remissori“ und den geckenhaften Flint einen „G’schwufen“ nennen und das Stubenmädchen Lisette verwundert fragen: „Sie lest alle Nacht?“
Ja, das tut sie, und das glaubt man ihr, denn Rahel Kislinger gibt ein so resches wie schlaues, nie zu kokettes Stubenmädchen, das die Handlung gut durchschaut. Was nicht immer leicht fällt bei dieser ziemlich verwickelten Posse, die, bei der Uraufführung (1837) durchgefallen, erst 1924 von Karl Kraus wieder entdeckt wurde. Auch ihn hatte wohl das virtuose Spiel mit den Sprachebenen in Stadt (innerhalb des Rings), Vorstadt (innerhalb des Gürtels) und Vorort begeistert. Die klassische Vorstadt Neubau wird bei Nestroy übrigens noch als „auf’m Neubau“ angesprochen, Gruber belässt es auch dabei, statt aufs heute übliche „in Neubau“ zu schwenken. Dagegen macht er aus dem Corraschen Kaffeehaus das Sperl, und wenn die Kaffeehausfreunde sich verabschieden, sagen sie nicht nur „Adieu!“, sondern, wie man’s heute tut, „Servus“, „Grüß dich“ und „Baba“, auch das passt.
Eine kleine, stimmige Transformation: Der Madame Chaly ist nicht ein Monsieur Dumont versprochen, sondern ein russischer Galerist namens Wladimir, und die beiden sollen nicht nach Straßburg reisen, sondern nach Ibiza. Die Extempores bei den Couplets passen, wie seit Nestroys Zeiten üblich, nicht immer perfekt zur Handlung, sind aber unpeinlich; dass sich Gundlhuber (so sympathisch wie nötig: Bruno Reichert) nun als gewesener Sektionschef beim BVT vorstellen darf, liegt nahe. Und den Heiligen Sebastian will man auch in Schwechat nicht auslassen. Soll halt sein. (Thomas Kramar)
- Quelle Die Presse