Von X. Flok
(Internationale Ausstellung für Musik- und Theaterwesen, Wien 1892)
Mysterien
Die dramatische Kunst hielt in Deutschland ihren Einzug unter der Form von Darstellungen kirchlicher Festlichkeiten, welche stets ein theatralisches Gepräge trugen. Diese Darstellungen aus der Passionsgeschichte oder dem Legendenkreise, seit dem XI. Jahrhundert im Schwange, dienten den grossen Massen gegenüber als gewichtige Culturträger. Sie wurden anfänglich nur auf den Singchören der Kirchen von Priestern und in lateinischer Sprache gespielt. Schon im nächsten Jahrhunderte, in welchem Kunst und Poesie aufzublühen begannen, trat in der bisherigen Form, der „Mysterien“, wie diese gottgefälligen Schauspiele genannt wurden, insofern eine Reform ein, als dieselben nunmehr in deutscher Sprache, und wegen des allzugrossen Andranges der Zuschauer auch ausserhalb, zumeist aber doch vor dem Gotteshause oder auf Friedhöfen, gemimt wurden.
Da aber die klugen Arrangeure derlei scenische Darstellungen wach und rege zu erhalten bemüht waren und das Lockmittel der Menge – den aus vollem Halse lachenden, derben Humor – in richtiger Weise zu schätzen wussten, verwebten sie mit geschickter Hand in die tiefernsten, geheimnisvollen Vorgänge dieser Mysterien auch eine komische Figur ― den Satan. Sein Hochmuth und nicht selten eine gewisse Bornirtheit dieses Teufels, gaben dem versammelten Publikum willkommenen Anlass, seiner Schadenfreudigkeit gegenüber dem „Bösen“ durch ausgelassenen Spott und Hohn lärmenden Ausdruck zu leihen.
Als jedoch der „Gottseibeiuns“ allein dem allgemeinen Lachbedürfnisse nicht mehr genügte, wurden Markt und Prügelscenen in die Handlung eingeschoben und diese durch die Figur eines marktschreierischen Quaksalbers mit der seines verschmitzten Knechtes, „Rubin“ benamset, belebt.
Diese Dramen mit religiöser Grundlage erhielten sich noch bis in das vorige Jahrhundert. Eine Läuterung erfuhr deren Construction dadurch, dass sich Klöster und Schulen derselben bemächtigten und sie vor einem gewählteren Zuschauerkreis zur Darstellung brachten.
Fastnachtsspiele
Das Volk, derbere Kost suchend, erlustigte sich an den Mummereien, welche in den letzteren Tagen des Carnevals überall Sitte waren. Die fratzenhaft gekleideten Masken hielten vor einem improvisirten Zuhörerkreis derblustige Dialoge, welche oft mit den gröbsten Zoten gepfeffert waren. Hieraus entstanden die Fastnachtsspiele, die in Nürnberg und Augsburg eine besondere Pflegestätte gefunden hatten. Sie erfreuten sich einer solchen allgemeinen Beliebtheit, dass sie häufig in die Mysterien eingeschaltet, oder am Schluss derselben als Nachspiel gegeben wurden. Der Nürnberger, Hans Rosenplüt, welcher um die Mitte des XV. Jahrhunderts lebte und die Würde eines Turnier-Heroldes und Wappendichters bekleidete, gilt als der erste Verfasser geschriebener Fastnachtsspiele. Ihr innerer Bau war sehr einfach und bestand, jeder sogenannten Handlung entbehrend, ausschliesslich aus rohen, zumeist unflätigen Gesprächen, in welchen die Schwächen der Zeit oder einzelner Gesellschaftsschichten und Stände mit scharfer Zunge gegeisselt wurden.
Die Darstellung erfolgte ohne Decorationen und mit dem geringsten Aufwande von Costümen in Wirthshäusern, in Privatwohnungen, in Rathhaussälen oder – im Freien; die Darsteller waren Bürger und Handwerker.
Der Nürnberger Schuster Hans Sachs, geboren 1494, gestorben 1576, der lustigste Repräsentant dieser Gilde, verfasste neben Meistergesängen, Lehrgedichten, Fabeln, Erzählungen und Schwanken, noch eine stattliche Anzahl von Fastnachtsspielen, welche einen wesentlichen und wohlthuenden Fortschritt dieser dramatischen Productionen bedeuteten. Gervinus sagt über Hans Sachs: „Er war in der Poesie ebenso Reformator, wie Luther in der Religion und Hütten in der Politik“.
Haupt- und Staatsactionen
Das 17. Jahrhundert brachte die Haupt- und Staatsactionen auf die Bühne. Ihre Helden waren historische, mythische oder allegorische Figuren, die Handlung strotzte von reckenhaften Abenteuern, Kriegs-, Gift-, Dolch- und Blutscenen; der Dialog war schwulstiger Bombast, phrasenreicher Galimathias und blühender Unsinn, der jedoch pretentiös genug auftrat und ernst genommen sein wollte. Die massenhaften, oft unwillkürlich hochkomischen Anachronismen finden in dem Mangel an Bildung der damaligen Dichter und Darsteller ihre Entschuldigung.
Neben diesen seichten und innerlich hohlen Stelzen-Machwerken schoss die nach italienischem Muster vorgeführte extemporirte, einaktige Burleske empor, deren vielbelachter Mittelpunkt der Lustigmacher war. Dieser als gefrässiger Schmarotzer auftretende Kerl führte bei den verschiedenen Nationen stets den Namen einer populären „Leibspeise“. So bei den Engländern – Jack Pudding, bei den Holländern – Pickelhäring, bei den Franzosen – Jean Potage, bei den Italienern neben dem Harlekin, Maccaroni, und bei den Deutschen – Hanswurst.
Kampf gegen den Harlekin
Sonderbarer Weise eroberte sich die wälsche Burleske mit ihrem quecksilberartig agilen, in derbsten Spässen, Zoten und Unflätigkeiten sich ergehenden Harlekin das deutsche Theaterpublikum allenthalben in hohem Grade. Der Leipziger Literatur-Professor Gottsched wetterte gegen eine solche Geschmacksverirrung und wollte den Harlekin vom Erdboden vertilgt wissen. Fand er auch bei der grossen Menge, die sich überall und zu allen Zeiten um literarische Principien wenig kümmerte, kein Gehör, so wurde doch seinem ästhetischen Streben die Genugthuung zutheil, eine Theater-Principalin zu finden, welche, seine Autorität anerkennend, sich vor des Herrn Professors Machtgebot beugte – und das von Gottsched angestrebte Ziel, „den Harlekin zu vertilgen“, durch die That realisirte. Die bekannte Theaterleiterin Friederike Karoline Neuber, kurzweg, die Neuberin genannt, spielte 1737 in einer Theaterbude in Leipzig. Daselbst veranstaltete sie eine Vorstellung mit einem von ihr verfassten Vorspiel, in welchem der Harlekin, wenn auch nur in effigie, so doch feierlich verbrannt wurde. Dieses öffentliche Autodafe war, wie ein geistvoller und gründlicher Kenner der deutschen Literatur in seinem Werke bemerkt, selbst nichts anderes, als eine Harlekinade, denn ihr Harlekin hatte nur die äussere Form verändert und lebte in der Truppe der klugen Neuberin mit all seinen robusten Schwanken und Spässen, nunmehr angethan mit einem weissen Jäckchen, unter dem Namen „Hänschen“ oder „Peter“ wieder auf.
Das Theater in Wien
Mit geringen Abweichungen hatte sich das Theaterwesen auch in Wien in der geschilderten Weise entwickelt.
Die im übrigen Deutschland in grosser Beliebtheit stehenden, von Burg zu Burg, von Haus zu Haus ziehenden Singer und Reimsprecher konnten in Wien und den österreichischen Landen nicht zur vollen Geltung kommen, da Kaiser Ferdinand I. diese fragwürdigen Volkssänger sammt etwaigen anderen „Schalksnarren und Landfahrern“ durch seine „Ordnung und Reformation guter Polizey, – aufgericht und vernevert in den fünf n. ö. Landen und Grafschaft Görz, anno 1552“ ausdrücklich abschaffte. Diese Verordnung hatte zur Folge, dass die öffentliche, von Berufsschauspielern, sogenannten Zunftkomödianten, dargestellte Komödie in Wien durch eine Reihe von Decennien ein kaum beachtenswerthes Stillleben führte.
Trotzdem aber fehlte es in der lustigen Kaiserstadt an Komödienspiel und sonstigem Spectakel nicht. – Die Wiener Stadtprotokolle vom Jahre 1529 enthalten mehrfache Aufzeichnungen über Ausgaben zu diesem Zwecke. In der Rathsstube des Stadthauses in der Salvatorgasse wurde des Oefteren für geladene Gäste, darunter auch der Kaiser mit seiner Gemalin, gespielt. Da die „Stube“ bald die Menge der Zuschauer nicht mehr fassen konnte, benützte man die Räume des 1563 am Hof neuerbauten Bürger-Zeughauses. Die Darsteller waren Schüler und Sängerknaben von St. Stefan, und die Stipendiaten der Rosenburse.
(Der Rathsherr „Niclas unter’m Himmel“ errichtete 1551 ein Stipendium für arme strebsame Studenten. Das Stadtärar vermehrte später die Stiftplätze, so dass es 1552 bereits „50 gemeine Stadtstipendiaten“ gab. Niclas kaufte für seine Schützlinge von Paul Wagendrüssel ein Haus, welches den Namen „zur rothen Rose“ führte. Da „Burse“ soviel wie gemeinschaftliches Kosthaus bedeutete – ist der Name „Rosenburse“ leicht erklärt.)
So wurde beispielsweise am 24. Februar 1563 die Komödie „die sechs Kämpfer“ von Hans Sachs im Zeughause vor mehreren 100 Personen mit dem grössten Beifalle aufgeführt. 1604 fand die letzte Theatervorstellung im Rathhause statt.
An die Stelle dieser Zeughausdarstellungen traten die von den Jesuiten favorisirten Schulkomödien. Ihre Vorführung war eine Tendenz-Action, denn sie hatten, nach dem Plane ihrer Schöpfer, die Mission, der Reformation entgegenzuwirken, die katholische Moral zu verallgemeinern und endlich den Schülern als Uebungsmittel für das Studium der Geschichte, der lateinischen Sprache, sowie der Rhetorik zu dienen. Ihre Darstellung fand im Schottengymnasium, auf der Aula universitatis und im Jesuitencollegium Am Hof statt.
Nebst den göttlichen Personen, Heiligen, Märtyrern und Fürsten wurden in den Schulkomödien auch abstracte Begriffe, als: Tugenden und Laster, sodann Flüsse, Länder etc. personificirt und handelnd eingeführt.
Theaterlokalitäten Wiens
Wien besass von der allgemach abgekommenen spanischen Sitte des Ballspieles her fünf stehende Ballhäuser.
1. Das kaiserliche Hofballhaus auf dem Burgplatze. (Dasselbe brannte 1525 ab.) Auf demselben Platze wurde 1741 ein Schauspielhaus (unser vor einigen Jahren demolirtes k. k. Hofburgtheater) durch die Kaiserin Maria Theresia errichtet. Eine deutsche Komödianten-Gesellschaft unter Director Sellier spielte, der damaligen Gewohnheit gemäss, zumeist extemporirte, triviale Burlesken bis 1747, als, angeregt durch die von Professor Gottsched in Deutschland verursachte Bewegung gegen die Harlekinaden und Hanswurstiaden, zuerst daselbst ein regelmässiges, studirtes metrisches Schauspiel von Krüger „Die allemanischen Brüder“ zur Aufführung kam. Dei rauschende Erfolg desselben war von solcher Wirkung, dass Sellier eine neue, „nur für studierte Stücke“ engagirte Gesellschaft brachte und auf der betretenen Bahn mit Beifall vorwärts schritt, freilich nur kurze Zeit, denn die dem Volke und auch den höheren Ständen so lieb gewordene extemporirte Burleske war nicht so leichter Weise zu verdrängen, zumal populäre Lieblinge, wie der Hanswurst Prehauser, die Komiker Kurz und Weisskern mit allen Mitteln derber Satyre und unflätigen Spottes den Krieg bis aufs Messer gegen die Neuerungen der „studierten Stücke“ führten. Im Laufe der späteren Jahre währte der Kampf zwischen diesen beiden Faktoren fort und wurde mit abwechselndem Glücke bald für die eine, bald für die andere Richtung geführt, bis 1752 die Einführung der Theatercensur das Extemporiren einstellte und den cynischen Charakter der Farce doch einigermassen milderte.
Im Jahre 1776 nahm Kaiser Josef II. dieses Theater unter seinen Schutz; das Ballet, die französische Komödie und die italienische Oper, welche bisher in demselben dominirten, wurden entlassen und das Burgtheater unter der Bezeichnung „Hof- und Nationaltheater“ als deutsches Schauspielhaus auf Rechnung des Hofes fortgeführt.
2. Das Hofballhaus – 1741 errichtet.
3. Das alte „Ballhaus“, auch das „bayerische“ genannt, stand in der Himmelpfortgasse. Es war Privateigenthum. Da es sehr gross gewesen, wurde es zu Theaterzwecken verwendet und mehrere Male, so: 1664 und 1665 von der Stadt Wien hierzu in Pacht genommen. Im Jahre 1671 erscheint, der Wiener haussätzige Bürger, Reichshofkanzlist Hüttler, als Eigenthümer desselben. Der unternehmende Mann hatte das löbliche Bestreben, seiner Vaterstadt ein deutsches Nationaltheater zu geben. In seiner Vorankündigung verspricht er, „sich mit solchen Capablen Lewthen versehen zu wollen, dass er alle tag ein andere Historie auf das Theatrum bringen, wie auch mit säubern Romanischen Khlaidern und andere Veränderung dergleichen noch keine hier gewessene Commödianten gehabt, auf das beste befleissen wolle“. Trotz der lockenden Versprechungen scheint Hüttler, der mit Vorliebe bombastische Römerstücke zur Darstellung brachte, dh Neugierde der Wiener wenig angeregt zu haben, denn schon nach kurzer Zeit tummeln sich wieder „Pollizinel-Spüller“ und wälische Kgmödianten m diesem „Pallhausse“ umher. Zu Anfang de? XVIII, Jahrhunderts verschwindet es vom Schauplatz.
4. Das Ballhaus beim Franziskaner platz, in welchem fast nur italienische Vorstellungen gegeben wurden.
5. Das kleine Ballhaus in der Teinfaltstrasse, in dem ausser wälischen noch sächsische und die „Innsprucker Komödianten“ mimten, die mit ihrer „hochdeutschen Compagnia schöne stuckh“ agirten. Dasselbe verschwindet, wie das bei den Franziskanern, um dasjahr 1716.
Kaiser Leopold I. erbaute 1659 (auf dem jetzigen Josefsplatze) für die italienischen Operisten ein Theater, welches bei der Türkenbelagerung aber wegen Feuersgefahr wieder demolirt wurde.
Ausser dem bestanden zu Beginn des XVIII. Jahrhunderts noch eine Menge hölzerne Hütten auf dem Neuen Markte, auf der Freyung und am Judenplatz, in denen sich deutsche und wälische Komödianten, Marionettenspieler, Seiltänzer, dressirte Hunde, Affen und Pferde und dergleichen producirten. – Da der Andrang zu den Vorstellungen in den Ballhäusern der Teinfaltstrasse und bei den Franziskanern sehr stark, die Communication in diesen engen Gassen aber beängstigend schlecht und ausserdem die Feuersgefahr für die vielen Holzdächer der unmittelbaren Umgebung in hohem Grade beunruhigend gewesen, machte 1704 Bürgermeister und Rath im Interesse der öffentlichen Sicherheit den Vorschlag, ein Stadttheater auf Kosten der Stadt Wien zu erbauen. Der Plan gelangte zur Ausführung und schon 1708 stand auf dem ehemaligen Steinmetzplatze das Stadttheater beim Kärnthnerthore für die Vorführung wälischer Komödien.
Der Stern der Italiener aber war im Sinken; schon 1713 bezog das „Kärnthnerthortheater“ der Wienerische Hanswurst Stranitzky mit seiner Banda und behielt es in Pacht bis zu seinem 1727 erfolgten Ableben. Nach ihm übernahm es dessen Witwe Monika und nach dieser kam es an die beiden Hofmusici Borosini und Sellier, unter deren Leitung die extemporirte Burleske durch das Zusammenwirken des Hanswurstes Prehauser, sowie der Komiker Leinhaas als Pantalon, Kurz als Bernadon, Weisskern als Odoardo, Schrötter als Bramarbas, Huber als Leander und Madame Nuth als Colombine, geradezu ihren Höhepunkt erreichte.
Mit dem 1747 aufgeführten regelmässigen studirten Schauspiel Krüger’s „Die allemanischen Brüder“ begann der Kampf, mit scharfer Klinge geführt von dem gewaltigen Staatsmanne Sonnenfels gegen die extemporirte Farce, welcher insoferne mit der Niederlage der letzteren endete, als 1752 von Maria Theresia die Theatercensur eingeführt wurde.
Am 3. November 1761 wurde dieses Theater bei Aufführung des Ausstattungsstückes „Don Jüan“ ein Raub der Flammen. Dass das Schauspielhaus anfänglich recht unansehnlich war, erzählt uns in einem Berichte aus dem Jahre 1717 die vielgereiste Lady Montague. Sie spricht zuerst über eine von ihr in der Favorita (kaiserliches Lustschloss, erbaut von Kaiser Leopold I. an der Stelle des heutigen Theresianums) gesehene Oper und bemerkt sodann:
„So reizend die Opern der Wiener sind, in ebenso hohem Grade lächerlich sind ihre Lustspiele. Sie haben nur eine Schaubühne. Aus Neugier, eine deutsche Komödie zu sehen, ging ich dahin, und freute mich, dass es die Geschichte Amphitrion’s war. Da diese bereits von einem lateinischen, französischen und englischen Dichter behandelt worden ist, so erweckte es meine Neugier, zu sehen, was ein österreichischer Schriftsteller daraus inachen würde. Ich bin dieser Sprache mächtig genug, um den grössten Theil zu verstehen; ausserdem hatte ich eine Dame mit mir genommen, die die Güte hatte, mir jedes Wort zu erklären. Man nimmt gewöhnlich eine Loge, die Platz für vier Personen enthält; der festgesetzte Preis ist ein Dukat. Mir schien das Gebäude sehr niedrig und dunkel, doch die Komödie, ich gestehe es, ersetzte diesen Fehler ganz bewunderungswürdig. In meinem Leben habe ich noch nicht so viel gelacht. Sie fing damit an, dass Jupiter aus einem Guckloch, das in den Wolken angebracht war, sich in die Alkmena verliebte, und endete mit der Geburt des Herkules. Doch das Lustigste war der Gebrauch, den Jupiter von seiner Verwandlung machte; denn sobald er unter Amphitrion’s Gestalt erschien, schickt er, anstatt mit der Entzückung zu Alkmenen zu eilen, die ihm Drydent in den Mund legt, nach Amphitrion’s Schneider, betrügt ihn um ein besetztes Kleid, seinen Wechsler um einen Beutel mit Geld, einen Juden um einen diamentenen Ring und bestellt ein grosses Nachtessen in seinem Namen! Der meiste übrige Theil besteht in der Verlegenheit des armen Amphitrion, da ihn seine Gläubiger wegen der gemachten Schulden quälen. Mercur behandelt den Sotia auf gleiche Art. Uibrigens fällt es mir schwer, dem Dichter die Freyheit zu verzeihen, sein Stück nicht allein mit unanständigen Ausdrücken, sondern auch mit groben Worten auszuspicken, die unser Pöbel keinem Marktschreyer zugute halten würde. Uiber das Hessen die beyden Sofias ihre Hosen grade den Logen gegenüber, die voll von Leuten vom ersten Range waren, ohne Umstände nieder und diese schienen mit der ganzen Unterhaltung so zufrieden, dass sie mich versicherten, es wäre ein berühmtes Stück.“
Auf dem Platze des eingeäscherten Wiener Stadttheaters Hess der Hof ein neues Schauspielhaus, das der Oper gewidmete „Kärnthnerthor-Theater“, erbauen, welches vor einer Reihe von Jahren unserem heutigen grandiosen Prachtbau, der Hofoper weichen musste.
Der Wienerische Hanswurst
Wie bereits erwähnt, besass die Stadt Wien zu Beginn des XVIII. Jahrhunderts eine grosse Anzahl von hölzernen Komödiantenbuden für die „darstellende Kunst“. Eine Specialität unter diesen bildeten die Kreuzer-Theater, deren Leiter Kreuzer-Principal hiess. In den Nachmittagsstunden von vier bis sechs Uhr wurden in diesen Hütten – gegen Entree von einem Kreuzer (Parterre noble vier Kreuzer) – rührende Trauerspiele, als: „Genovefa und Schmerzensreich“, „Agnes Bernauerin“ u.s.w. herabgebrüllt. Am tollsten ging es in der Kreuzer-Komödie in Margarethen (in der Nähe des Sonnenhofes) zu. Hier ereignete es sich einmal zum Entsetzen des Directors, eines Herrn Semmelbauer, dass die Heldin, Demoiselle Zittrich, als Agnes Bernauerin knapp vor Schluss der Komödie strikte und nur unter der Bedingung erklärte, sich ins Wasser werfen zu lassen, wenn jeder Zuseher noch zwei Kreuzer darauf bezahle. Mit süss – saurer Miene annoncirte der geplagte Thespis den unerschütterlichen Entschluss seiner Heroine dem P. T. Publikum und appellirte, glücklicherweise nicht vergebens, an dessen Grossnmt. Semmelbauer ging mit einem Teller „abfamen“ und ― nachdem er den schnöden Mammon seiner Tragödin in den Schooss geworfen, konnte zum Gaudium der Zuschauer die übliche Wasserprocedur an der Bernauerin vorgenommen werden. Das Publikum aber, welches für sein Geld auch etwas Rares haben wollte, polterte, klopfte, schrie und applaudirte, bis die schwergeprüfte Agnes noch einmal ins Wasser geworfen worden war.
In anderen Hütten wurden wieder von wälischen Komödianten Pantomimen und Possen niedrigster Sorte aufgeführt und die zu diesen Schaustellungen herzu strömenden Wiener konnten sich nicht genug an den Sprüngen und Spässen des Harlekin und Riepel satt lachen.
Eine solche Holzbude hatte auch Josef Anton Stranitzky, 1706 oder 1708, am Neuen Markte inne, in welcher er derblustige, zotenreiche Burlesken gab. Um etwas Neues, etwas Apartes zu bieten und vielleicht auch aus tieferer Neigung zu seiner deutschen Muttersprache, rückte er der allgemein beliebten italienischen Farce hart zu Leibe, indem er den Juwel derselben, den Harlekin, ausbrach und an seine Stelle den deutschen Hanswurst setzte.
Dass dieser erste Wienerische Hanswurst ein Mann von besseren Charakter-Eigenschaften, als die gewöhnlichen Komödianten der damaligen Zeit gewesen, geht aus der strengen Auflassung seiner Standespflich[t]en hervor, die in seinem zum geflügelten Worte gewordene Ausspruche: „Das Theater ist so heilig als der Altar, und die Probe ist die Sakristei“ ihre Illustration findet.
Von Stranitzky’s Jugend und Lebensgang wissen wir, bis zu seinem Erscheinen in Wien, sehr wenig, denn das bisher in dieser Richtung Mitgetheilte, was von dem bekannten deutschen Literaten des vorigen Jahrhunderts, Nicolai, stammt, hat sich, neueren Forschungen gegenüber, als unrichtig und falsch erwiesen. Die einzige dieser Quelle entstammende Thatsache, dass er im Jahre 1776 das Licht der Welt erblickte, dürfte vielleicht stimmen.
Stranitzky hatte sich seinen Lustigmacher, den Hanswurst, ganz originell zurecht gelegt. Seine Kleidung: rothe Jacke, gelbe Pumphose, blauer Brustlatz mit einem aufgenähten, grünledernen Herz und den zwei Buchstaben H. W., der spitze, grüne Filzhut, Bundschuhe und der Ledergurt mit der Holzpritsche waren in jedem Stücke ebenso gleichförmig, wie seine Frisur, ― zurückgekämmtes Haupthaar, mit einem am Scheitel emporstarrendem kronenartigen Büschel, wie sein kurzer, schwarzer Vollbart und der schüttere Schnurbart. Seine derben Spässe und Zoten, die er nach momentaner Eingebung, zuweilen überwältigend drastisch extemporirte, sprach er im breiten salzburgischen Bauerndialekte, wie er denn überhaupt mit seiner Hanswurstrolle den Charakter eines salzburgischen Sau- und Krautschneiders darstellen wollte.
Sonnenfels sagt in einem seiner „Briefe über die Wienerische Schaubühne“ von Stranitzky: „… sein Hut seine Jacke und Pritsche waren immer das Loszeichen, wenn die Zuschauer lachen sollten“.
Seine Stücke entwarf er, häufig italienischen und französischen Vorbildern folgend, fast alle selbst’und über die Entwürfe hinaus benöthigte man damals nichts weiter, denn jeder Schauspieler der extemporirten Komödie war auch insoweit Dichter, als er sich seinen Dialog selbst und ohne alle Vorbereitung vor den Ohren des Publikums, erfinden musste. Es wäre auch, schon wegen des übermüthig-lustigen Störenfriedes Hanswurst, kaum anders möglich gewesen, denn dieser kam, ging und sprach so oft und wann er wollte, und redete was ihm just in den Sinn kam. Stranitzky liebte, wahrscheinlich wegen der Wirkung des Contrastes, am meisten die tiefernsten, bombastischen Haupt- und Staatsactionen in Verbindung mit der Figur des Allerwelts-Spassmachers Hanswurst. Der Schluss eines Actes enthält bei den wenigen vorhandenen Stranitzky’schen Scenarien zumeist die Anmerkung: „sodann wird a la govalo geprügelt“, oder „jetzt wird gehauen“.
Der Schwierigkeit, effectvolle Actschlüsse zu erfinden, war hiedurch glücklich begegnet.
Die auf den Theaterzetteln prangenden Titel der Stücke dehnten sich mit ihren vielen, durch „und“ tind „oder“ verbundenen Nebentiteln in so beängstigender Weise aus, dass man sich hüten musste, sie „in einem Athem“ aussprechen, weil man dabei Gefahr lief, daran zu ersticken.
Nebst seiner Stellung als Director, oder wie diese Würde damals hiess, „Pritsclienmeister“ des Wienerischen Stadttheaters, die Stranitzkv seit 1713 bekleidete, betrieb er auch noch durch einige Jahre ein Marionetten-Theater auf der Freiung und brachte endlich seinen leidenden Mitmenschen sogar auch Linderung und Heilung von Mund- und Zahnübeln, zu welcher Beschäftigung er laut Stadtgewährbuch von 1717 behördlich autorisirt war. Da seine Geschäfte, frei von jeder nennenswerthen Concurrenz, bis an sein 1727 erfolgtes Lebensende florirten, darf es nicht Wunder nehmen, dass er als vermögender Mann, mit Hinterlassung zweier grosser Häuser in Wien, von Allen, die ihn kannten, wohlgelitten und geachtet, aus dem Leben schied. Die Würdigung Stranitzky’s als humoristischen Schriftsteller steht ausserhalb des Rahmens dieser Blätter. Kurz erwähnt sei hier nur eines unter dem Titel: „Ollapotrida des durchtriebenen Fuchsmundi“ erschienenen Werkes von Stranitzky. Das Buch „Ol!a potrida“ („Olla potrida“ ist die spanische Bezeichnung einer aus verschiedenen Fleischsorten compilirten, sehr beliebten Nationalspeise) enthält eine grosse Anzahl von humoristischen, scenischen Gesprächen nach französischen und italienischen Mustern sowie nach den Schriften des berühmten Predigers Abraham a Sancta Clara. In seiner „Kritischen Dichtkunst“ vom Jahre 1742 behauptet Professor Gottsched, dass diese Sammlung wiederholt von deutschen Schauspielern, zu Einlagen einzelner Auftritte in ihren Rollen, geplündert worden sei. Eine kleine Legion bildet die Zahl der Auflagen, welche die Olla potrida erfuhr, ein Beweis ihrer ungeheueren Beliebtheit und Verbreitung infolge der Anpassung ihres Inhaltes an die dam a l i g en Ansprüche von Humor und Satyre.
Alle die angeführten Momente liefern die Versicherung, dass Stranitzky trotz seiner producirten Derbheit und Zoten kein ungebildeter Mann war, was auch Sonnenfels durch den folgenden, allerdings allgemein ausgesprochenen Satz in seinen Briefen über die Wienerische Schaubühne bestätigt: „Das Lustigmachen ist schwerer, als es wohl das erste Ansehen hat. Dichter, welche das Publikum auf diese Art unterhalten wollen, möchten immer, ehe sie sich hinsetzen, mit dem Narren bei Shakespeare die Anrufung thun: O Verstand! sei so gut und hilf mir den Narren machen!“
Als die Last der Jahre den Lustigmacher pär excellence bereits empfindlich zu drücken begann und er seine körperliche sowie geistige Agilität allmälig schwinden fühlte, hielt er als vorsichtiger Geschäftsmann, 1725, Umschau nach einem Ersatz für seine Person. In dem ihm persönlich bekannten Komiker Gottfried Prehauser glaubte er ihn gefunden zu haben und sein richtiger Blick täuschte ihn nicht. Obwohl Prehauser, von Stranitzky 1725 nach Wien berufen, zuerst kleinere, dann aber auch grössere Episodenrollen spielte, so schenkte ihm doch das Publikum, welches von einem Ersatz für den alten, tief in der Gunst desselben sesshaften Sorgenbrecher „Hanswurst“ absolut nichts wissen wollte, keine Aufmerksamkeit, ― Zwei Jahre später begegnen wir dem vorzeitig gealterten Stranitzky bereits recht leidend. Er hatte nur mehr eine Sehnsucht ― Rübe! Eines Abends, es war am 26. August 1727, trat er nach beendeter Vorstellung auf die Bühne und richtete folgende Worte an die Zuseher: „Wollen Sie, Hochverehrte, einem alten Manne, der Ihnen manchen vergnügten Abend gemacht, wohl eine Bitte gewähren?“
Alles rief „Ja ja!“ Stranitzky holte nun den bereitstehenden Ersatzmann herbei, führte ihn vor die Lampen und rief: „Nun, so nehmen Sie diesen jungen Mann als meinen Nachfolger an, ich finde keinen Fähigeren, meinen Platz zu besetzen“. Athemlose Stille trat ein. Als aber Prehauser auf die Kniee gefallen war und mit gefalteten Händen und weinerlicher Miene in die Worte ausbrach: „Meine Herren! ich bitte Sie um Gotteswillen! lachen Sie doch über mich!“ – da dröhnte ein himdertstimmiges herzliches Lachen dem Flehenden entgegen ― und Prehauser’s Glück war gemacht. Unbestritten und, wie sich’s bald zeigte, mit fast noch mehr drastischem Witz und wirkungsreicher Schlagfertigkeit trat der neue Hanswurst einige Monate später, nachdem Stranitzky 1727 die müden Augen für immer geschlossen, sein Erbe an. Gottfried Prehauser war 1699 als der Sohn eines herrschaftlichen Hausmeisters in Wien, im Dreilauferhause am Kohlmarkt geboren, kämpfte 1716 als Feldpage unter Prinz Eugen in Ungarn, wurde hierauf, nach Wien zurückgekehrt, Marionettenspieler-Gehilfe und begann endlich in diversen österreichischen Provinzstädten seine schauspielerische Garriere, zulezt als nicht unbekannter zweiter Hanswurst. Prehausern lächelte die Sonne des Erfolges nicht so ungetrübt und wolkenlos, wie seinem Vorgänger. Der bereits erwähnte Kampf gegen die extemporirte Farce, die seine Stärke bildete, der Sieg des Genres der studirten, regelmässigen Stücke, die Einführung der Theatercensur und endlich das Emportauchen des neuen Gestirnes „Bernardon“, oder wie er mit seinem Familiennamen hiess, Joseph Kurz, waren Factoren, deren Anstürmung Prehauser’s Kraft nicht gewachsen war. Wohl machte er die Noth zur Tugend, indem er mit dem Komiker Kurz-Bernardon, der sowohl durch seine selbst fabrizirten, hochkomisch-unsinnigen Stücke, sogenannte Bernardoniaden, wie durch seine Darstellungsgabe zum ausgesprochensten Theaterliebling der Wiener geworden war, gemeinsame Sache machte und, sich demselben fast unterordnend, mit ihm Rollen und Beifall theilte.
Am 29. Jänner 1796 starb Prehauser, nachdem er sich bereits längere Zeit von der Bühne zurückgezogen hatte, beinahe vergessen und unbeachtet ― als verarmter Greis.
Sonnenfels, der für die Darstellung der regelmässigen Stücke sein Auge auch auf Prehauser geworfen, bemerkt in seinem Briefe (vom 14. Juli 1768):
„Ich rufe das Publikum zum Zeugen auf, das ihn in verschiedenen Stücken mit Entzücken die Rolle der Alten spielen sah. Dieser Schauspieler verkennt sich selbst und thut seiner Fähigkeit das grösste Unrecht an, wenn er den Beifall, den er ganz für sich zu fordern berechtigt ist, mit seiner Jacke theilt.
Mit ihm hatte die Herrschaft der stereotypen Figur des Wienerischen Hanswurst, des zotenreichen Pritschenschwingers in der Narrenjacke, – repräsentirt von Stranitzky und Prehauser, welche den Zeitraum von 1708 bis 1769 eingenommen, ihr Ende erreicht.
Hanswursts Erben
Die directen Erben Hanswurst’s, die stereotypen, komischen Bühnenfiguren Bernardon, Käsperl, Thaddädl und Staberl, waren, wenn auch nicht mehr von derselben fessellosen Ursprünglichkeit, immerhin aber doch noch lustig und beliebt genug, um den weitverbreiteten Ruf des unverwüstlichen Wiener Humors in seiner Ungetrübtheit erhalten zu können.
Unter den Genannten war, ausser Bernardon-Kurz, wohl Kasperl La Roche der hervorstechendste. Er spielte gegen Finde des vorigen Jahrhunderts die Rolle des Lustigmachers des Marinelli-Theaters in der Leopoldstadt und Director Marinelli dankte diesem Volkslieblinge seinen Reichthum mit Hilfe dessen er sein elendes Schauspielhaus im Czernin’schen Garten aufgeben und ein hübsches Theaterhaus in der Jägerzeile (auf dem Platze des heutigen Carl-Theaters) auf eigene Kosten erbauen konnte. La Roche extemporirte wohl auch, jedoch innerhalb der Grenzen eines gewissen Anstandes und war ein besonderer Virtuose im – Gesichterschneiden. Die von den Dichtern Hensler, Eberl, Perinet und Anderen gelieferten, zumeist urdummen Possen füllten täglich das Haus bis zur Decke und gaben, was die Hauptsache war, dem allabendlich aufs Neue bejubelten Kasperl volle Gelegenheit, seine tollen Narrenpossen zu treiben.
Nicht minder wirksam waren die Komiker Hasenhut als Thaddädl, Schuster und Carl als Staberl.
Der Hanswurst ist todt! und dennoch lebt er in Tausenden von Exemplaren heute noch, und wird fortleben, ― stets ein Zeitgenosse, mitten unter uns, in allen möglichen Formen und Kleidern, wenn er es auch selbst oft nicht weiss oder wissen will, dass er ein echter und rechter Hanswurst ist.