Einen Jux will er sich machen
Ladendiener und Commis
Eine nagelneue Variation über das Thema: Einst, Jetzt und Künftig
(Verwendbar zu Nachtmusiken nach dem Gewölbeschließen)
Von J. C. Stern (Die Warte an der Donau, 26. April 1843)
In der guten alten Zeit, als dem Commis, wie allen anderen ehrlichen Leuten, der Zopf nach hinten über den Rockkragen baumelte, als er nach überstandenen Lehrjahren in denen die dürrgezählte Hand des Principals, des ehrbaren Kauf- und Handelsherrn, mituner seine Wangen gar arg gestreichelt hatte, hoch oben logirte in einem weißangestrichenen Kämmerlein, neben dem Süßholzboden, da waren noch andere Zeiten; als heute; da hieß der Commis noch „Ladendiener oder Kaufmannsdiener“, und stand früh um halb 5 Uhr auf, klopfte mit dem Haselstocke den Gewölbrock aus, reinigte Stiefel und Physiognomie, band ein weißes Halstuch um, und – stürzte die Treppe hinunter, um den Laden zu öffnen und zu ordnen. Er speiste des Mittags im Hinterstübchen des Gewölbes, alwo er durch ein kleines Fensterlein in der Stubenthür die herrlichste Aussicht auf den Laden genoß, und bevor er einen Bissen in den Mund schob, hatte er schon zwei Mal seine Blicke in den Laden geschoben; so wie die Klingelthüre draußen geöffnet wurde, stürzte er hinaus, ohne erst hinunterzukauen, um den angekommenen Kunden eiligst und freundlichst zu bedienen, sich mit ihm zu unterhalten, ob auch das Rindfleisch mit dem echten Kremser-Senf hinten in der Schreibstube eiskalt wurde. Des Abends, wenn die Käufer sparsamer kamen, fabricirte der Commerz-Zögling Düten, vulgo Scarnitzel, und es geschah wohl machmal, daß bei dieser Beschäftigung das müde Haupt des Ladendieners schlaftrunken in den Topf mit Kleister nickte, der dem edlen Haupt zur Pomade wurde. Ja, der Ladendiener von Ehemals konnte wohl müde sein nach des Tages Last und Hitze; er konnte mit Ehren hineinnicken mit dem Kopfe in die Kleisterschüssel; denn er war ja auf den Beinen von Früh bis in die späte Nacht hinein; er konnte mit Recht des Abends um 10 Uhr ein schiefes Maul ziehen, hatte er doch den lieben Tag ein freundliches Gesicht gezeigt. Am Sonntage erschien unser Freund im blauen Frack mit blanken Knöpfen und in frischgewaschenen Nankinhosen, wenn es Sommer war; der Frack war von feinem Tuche gefertigt, wie man sehr deutlich an den Fäden erkennen konnte, die offenkundig dalagen zur Ansicht Jedermanns. Er hatte aber diesen seinen, ihm eigenthümlich zugehörenden und bezahlten blauen Frack mit blanken Knöpfen nicht nur deßwegen an, weil es Sonntag war, sondern weil er Sonntags fein sittsam und ehrbar, mit dem goldschnittigen Gesangsbuche unter dem Arm, zur Kirche ging, und nach der Kirche jeden Sonntag an der Tafel des Principals unter quervor speiste.
Des Abends packte er den Sonntagsfrack wieder säuberlich zusammen, hing ihn in den Kleiderschrank oder legte ihn theilweise in die Eichenholzkommode bis über acht Tage, und es sollen derlei blaue Fracks von besonderer Dauerhaftigkeit gewesen sein, so zwar, daß dergleichen Confirmations-, Hochzeits- und Sterbefracke bei stets gleicher Schönheit waren. Wenn nun der Ladendiener seinem Herrn treu und redlich gedient hatte, länger und besser als Jacob um Rahel, dann gab ihm dieser die älteste Tochter zur Frau, und er wurde Compagnon, und überkam später die ganze Handlung mit allen Activen und Passiven. Man wende hier nicht ein, es könnte ja der Fall vorgekommen sein, daß gar keine älteste Tochter vorhanden war; jeder Principal hatte damals eine Tochter, und er hob sie auf für seinen redlichen Diener, bis derselbe anfing grau zu werden, und die Tochter auch, und dann ging die Ringwechslung vor sich. Und wenn die Firma erst geheißen hatte: „Habakuk Bokshörndl“, so hieß sie nachher vielleicht: „Bokshörndl und Syrup“, und später: „Benjamin Syrup, weiland Bokshörndl“; dann kamen „Bokshörndl’s und Syrup’s sel. Erben“, und auf diese Weise entstanden die alten, bemoosten Firmen; denn die Handlung bokshörndlte und syrupte sich oft durch mehrere Jahrhundert hindurch. – Ja, die Principalstochterseite war eine von den schönsten Sachen der guten alten Zeit. –––
Es ist alle anders geworden. Jetzt giebt es Banquiers, Mode-, Manufactur-, Eisen-, Kurze-, Nürnberger-, Farben-, Italiener-, Droguerie-, Galanterie-, Mode- und Material-Handlungen, Weinhandlungen, Commissions-Handlungen u.s.w., und eben so verschiedene „Commis“. Die „Ladendiener“ sind gänzlich verschwunden, und in zehn Jahren wird man in irgend einem Naturalien-Cabinet einen ausgestopften Ladendiener als Rarität zeigen. Das stille, bescheidene Schreibstübchen kennt man kaum dem Namen nach, es hat weichen müssen vor dem stolzen „Comptoir“ der Gegenwart. Die Commis werden schon in den Lahrjahren „Practikanten“ genannt, und dulden es auch in dieser Zeit nicht mehr, daß der Principal ihre Wangen streichle, wie ehemals. Der Commis wohnt nicht bei dem Prinzipal, sondern in eigener Wohnung; er bezieht keinen Liedlohn mehr, sondern „Gage“. Er steht auch nicht mehr früh um halb fünf auf, – denn er kömmt erst um vier Uhr nach Hause. – Die Welt ist fortgeschritten. – Der Commis trägt keinen blauen Frack mehr mit blanken Knöpfen, kein weißes Halstuch, das eine ganze Woche reichen muß. Ein moderner Quäcker deckt den hageren Leichnam; ein zierliches Lorgnon an einem dünen, elastischen Schnürchen baumelt um den Hals, und mächtige Sporen zieren den eleganten, lakirten Stiefel. Statt der qualmenden Pfeife des Ladendieners, gestopft mit unverfälschtem Limito-Tabak, raucht der Commis die feinsten Havannah-Cigarren, und bläst lächelnd die Ringelwolken hinaus in die gemeine Luft, die allein noch so unverändert ordinär geblieben ist, und sich keiner Mode beugt. Die Kirche kennt der Commis von Außen, weil er, daselbst postirt, um 12 Uhr die herauskommenden Damen beaugapfelt. Sein Principal zieht ihn zwar auch noch manchmal zur Mittagstafel, aber er läßt sich wirklich dazu ziehen, denn er liebt dergleichen Feten mit dem Alten zusammen nicht sehr, sie sind ihm zu ennuyant. Wie kann man erwarten, daß der Commis, welcher Sonntags auf dem steifen Miethgaul im Prater courbettirt, das Haselstöckchen eigenhändig führe, um seinen Rock zu säubern; dies besorgt jetzt der Hausknecht. –
In hundert Jahren tritt der Käufer in eine Handlung, es ist grausig still; nachdem er seine Wünsche laut werden ließ, rauschen ihm mit Locomotiv-Schnelligkeit einige dunkle Gestalten entgegen, die ganz aussehen, wie Menschen; nur ihr Gesicht ist etwas angeräuchert, das aus den Nasen ein fortwährender Steinkohlendampf hervorqualmt. Ein jetzt lebender Käufer würde bei diesen Anblicke zusammenbeben, und ausrufen:
„Menschen scheinen sie durchaus,
Von gewohnten Fleisch und Beine
Nur am Hinterkopf bemerkt man
Eine Röhre, klein von Eisen.“
Es sind Commis-Dampfmaschinen! – Sie bringen alles herbei, was der Käufer verlangt, wenn es im Laden ist, bedienen ihn auf’s Beste, machen sogar freundliche Gesichter, schreiben Rechnungen, streichen Geld ein, und wenn er sich entfernt, sausen sie mit einem Pfiff wieder zurück an ihre Pulte, wo sie die Bücher führen. Des Abends dreht der Principal eine Schraube an ihrem linken kleinen Finger auf, läßt sie ausdampfen, und lehnt sie in einen Winkel des Gewölbes, aus dem er dann hinausgeht, und dasselbe durch den bloßen Druck an einem kleinen Stiftchen vollkommen schließt.
Frühmorgens werden die Leiber der Commis wieder durch Steinkohlen erhitzt, und sie arbeiten dann den ganzen Tag so fleißig, wie gestern, wie alle Tage. – Eine solche englische Commis-Maschine kostet 50 Dukaten, verbraucht jährlich um 30 fl. Steinkohlen, und thut 75 Jahre ihren Dienst, ehe sie ausrangirt werden muß. O, es wird angenehm sein in hundert Jahren für die Principale, wenn sie ihre Commis mit Steinkohlen füttern können; wenn sie ihre ganze Lebenszeit die Commis nicht wechseln brauchen; wenn sie dieselben des Abends so hübsch in eine Ecke lehnen können; wenn sie nicht mehr den syrupdicken Schweiß zu schwitzen brauchen, bei dem Gedanken, ihr Commis verspiele der Monatsgagen in einer Nacht! – Welche Lust, dann Principal zu sein, wenn das Wort „Gage“ nicht mehr in den Büchern zu finden ist! –
In hundert Jahren giebt es im Kaufmannsstande nur Principale und Maschinen-Commis; in hundert Jahren kommen die Kaufleute gleich als Chefs auf die Welt. In hundert Jahren wird man in den öffentlichen Blättern lesen: „Der Unterzeichnete läßt am 1. des nächsten Monats hundert provisionsreisende Dampfmaschinen in alle Theile der Welt abgehen, und bitte um geneigte Aufträge.“ Vederemo! –
Geld und Lohn unter Metternich
Ein Rückblick auf das österreichische Geldwesen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ergibt, dass dieses zu Beginn der Epche infolge der Kriege mit Frankreich vollkommen zerrüttet war.
Der Staatsbankrott („Februarpatent“, 1811), hohe Militärausgaben und eine verfehlte Steuerpolitik (Banken und Unternehmer waren fast steuerfrei) brachten eine hohe Inflation und enorme Teuerung mit sich. Erst als 1816 die „Privilegirte Oesterreichische Nationalbank“ gegründet wurde, trat eine Phase der relativen Stabilisierung der Währung ein, doch blieb die Finanzlage des Staates während der ganzen Metternich-Zeit kritisch.
Wie andere Städter auch, beklagten die Wiener in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Preissteigerungen des Fleisches, der Butter, des Gemüses, des Obstes, des Brennholzes und der Mieten. Trotz des einsetzenden wirtschaftlichen Aufschwungs gab es nur ungenügende Lohnerhöhungen (die Löhne blieben in der Metternich-Zeit praktisch gleich) und hohe Arbeitslosenraten.
Die Währung dieser Zeit war der Gulden (fl), der in 60 Kreuzer (kr) geteilt wurde. Dieses sogenannte „Konventionsgeld“ (C.M.) war hauptsächlich in Silber- und Kupfermünzen im Umlauf, gegen Banknoten hatte die Bevölkerung nach den Ereignissen von 1811 großes Misstrauen.
Ein Druckereiarbeiter verdiente täglich 16 bis 28 Kreuzer, ein Seidenzeugmacher 16 bis 30 Kreuzer, ein Spezialarbeiter 50 Kreuzer bis 1 Gulden 10 Kreuzer, ein Schneidergeselle 48 Kreuzer bis 1 Gulden. Ein gut verdienender Arbeiter brachte es in den vierziger Jahren auf ein Jahreseinkommen von 500 Gulden, untere Beamte bezogen 400 bis 700 Gulden jährlich, höhere Beamte bekamen 2000 bis 3000 Gulden im Jahr.
Die Löhne der Frauen waren zumeist niedriger als die der Männer und lagen zwischen 10 (Heimarbeiterin und Seidenweberin) und höchsten 50 Kreuzern (Handschuhmacherin) täglich.
In der zweiten Hälfte der vierziger Jahre wurden neben den Mieten vor allem Brot, Butter, Fleisch und Kartoffeln teurer. So kosteten 47 Kilogramm (=1 niederösterreichischer Metzen) Erdäpfel im Jahre 1840 noch 43 Kreuzer, im Jahre 1847 waren es schon 2 Gulden und 8 Kreuzer. Es kam übrigens im Zeitalter Metternichs zu einer Verminderung des Rindfleisch-, Eier-, Mehl- und Hülsenfrüchtekonsums. Der Verbrauch von Butter, Schmalz und Kartoffeln stieg an.
Für den interessierten Theaterbesucher sollen zuletzt noch die Eintrittspreise für das „k.k. Hoftheater nächst der Burg“ genannt sein: Eine Loge: 5 Gulden; 1. Parterre: 1 Gulden; 3. Stock: 36 Kreuzer; 2. Parterre: 30 Kreuzer; 4. Stock: 20 Kreuzer.