Nestroy-Spiele 1974

Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab

2. Nestroy-Spiele Schwechat 1974 im Schlosshof der Rothmühle in Schwechat-Rannersdorf, 2320 Schwechat, Rothmühlstraße 5, im Juli 1974
Horst Kummerfeld, Walter Mock, Walter Sailer

Zuerst war da ein „thränenreiches Drama“. Es hieß Lorbeerbaum und Bettelstab oder Die drei Winter eines deutschen Dichters und beschrieb das tragische Schicksal des genialen Poeten Heinrich (von Kleist), der von seinen Mitmenschen verkannt wird. Dieses sentimentale Rührstück stammte aus der Feder Karl von Holteis und wurde am 22. November 1834, mit dem Dichter in der Hauptrolle, in einer österreichischen Erstaufführung am Josefstädter Theater herausgebracht. Der Publikumserfolg war so groß, daß es, über die angesetzten 10 Abende hinaus, viele Monate lang gespielt werden konnte. Otto Rommel, der das Drama eingehend untersuchte, kennzeichnet es mit den folgenden Sätzen: „In der Tat lebt das Stück ausschließlich von der billigen Sentimentalität der unzähligen Künstlerdramen, die seit der Spätromantik einmal zum Repertoire der deutschen Bühnen gehörten. Kein Charakter ist gerade gewachsen oder auch nur richtig gestellt.“

Nestroy reagierte prompt: Am 13. Dezember 1835 hatte seine parodierende Posse mit Gesang Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab Premiere. Während die Kritik den literarischen und theatralischen Wert des Nestroy Stückes richtig einschätzte (Bäuerles Theaterzeitung schrieb: „Offen gesagt steht der unglückliche Poet Leicht fast erhebender da als sein tragischer Milchbruder Heinrich.“), blieb das Publikum zurückhaltend. Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab erlebte nur neun Vorstellungen.

Der Unterschied zwischen Original und Parodie ist offensichtlich: einer romantisierenden, verkitschten und idealistischen Auffassung vom „Künstlerleben“ steht eine wirklichkeitsnahe Satire gegenüber. Holteis Heinrich arbeitet „für einen höheren Zweck“ – Nestroys Leicht aus viel handfesteren Gründen: „Bis zum Lorbeer versteig’ ich mich nicht. G’fallen sollen meine Sachen, lachen sollen d’Leut, und mir soll die G’schicht a Geld tragen, daß ich auch lach, das is der ganze Zweck.“

Nicht Literatur als „erhebendes Fest“ (Holtei) für Auserwählte, sondern lustige, gescheite Stücke für alle! Das will Nestroys Leicht und sicherlich auch Nestroy selber, der Zeit seines Lebens eher dazu neigte, sein Dichtertum zu unterschätzen. Und obwohl ihn das damalige Publikum bei Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab im Stich gelassen hat (was Nestroy-Kennern bis heute unergründbar blieb), ist auch diese Posse ein Beweis für das Volkstümliche und Un-Elitäre in Nestroys Theaterkunst. In ihr setzt Nestroy – in gewissem Sinne autobiographisch – dem bescheidenen Stückeschreiber, der zwischen Lorbeerbaum und Bettelstab die „Mittelstraß’n“ wählt (?), ein lustiges, satirisches „Denkmal“.

Holtei und seine Stücke sind heute vergessen; wahrscheinlich zu Recht. Vergessen ist aber auch Nestroys Parodie; wie viele seiner Stücke sicherlich zu Unrecht. Denn Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab erschöpft sich nicht im Parodieren, es hat Eigenleben, das heute vielleicht stärker als damals zur Geltung kommen kann.

Mit Ausnahme einer Hörspiel-Bearbeitung (Regie: Gustav Manker) ist das Stück seit mindestens fünfzig Jahren nicht mehr aufgeführt worden. Es erlebt also in der Schwechater Rothmühle gewissermaßen eine ‚theatralische Wiedergeburt‘. Anlaß hiefür war nicht zuletzt die Tatsache, daß Chrysostomus Überall, jene Figur, die Nestroy für Wenzel Scholz geschrieben hat, sich auf seinen abenteuerlichen Reisen zwischen Wien und Fischamend „an der herrlichen Gegend zwischen Simmering und Schwechat nicht sattsehen kann“. Jetzt hat er wieder Gelegenheit dazu, und das wird sicher nicht ohne Kommentar abgehen.

Ensemble

Besetzung

  • Grundl, ein reicher Seifensieder Hans Robert Seitl
  • Blasius, sein Sohn Walter Sailer
  • Steinrötl, ein Fabrikant Peter Bolaffio
  • Agnes, seine Tochter Erika Stepan
  • Chrysostomus Überall Walter Mock, sen.
  • Ein Theaterdirektor Peter Dümpfel
  • Fräulein Putz Viktoria Seefried
  • Fräulein Migräne Tiementje Chovanec
  • Charlotte, Stubenmädchen im Steinrötlischen Haus Eveline Bolaffio
  • Leicht, ein Dichter Horst Kummerfeld
  • Therese, seine Frau Annemarie Sehnal
  • Buchhändler Druck Herbert Kovar
  • Cichori, Kaffeesieder Guido Salzer
  • Herr von Scharf Kurt Kratky
  • Herr von Billig Karl Chovanec
  • Erster Gast Wolfgang Mock
  • Zweiter Gast Walter Mock jun.
  • Ein Marqueur Franz Schulcsik
  • Gottfriedl, ein Lehrjunge Hannes Volek
  • Klopfer, ein Spengler Robert Herret
  • Ein Wächter Leopold Oswald
  • Johann Walter Mock jun.
  • Julie Michaela Mock
  • Mischer, Wirt in der Brühl Franz Steiner
  • Ferner wirken mit Brigitte Aberham, Renate Abt, Elisabeth Gabriel, Renate Gänser, Christa Mock, Grete Seitl, Silvia Smaha
  • Regie Peter Gruber
  • Bühnenbild Hans Robert Seitl
  • Kostüme Herta Mock
  • Einstudierung der Chöre, musikalische Bearbeitung und Klavierbegleitung Herbert Ortmayr
  • Beleuchtungstechnische Einrichtung Sepp Nordegg
  • Inspizienten Karl Chovanec, Peter Dümpfel, Josef Sehnal
  • Technische Einrichtung Alfred Stepan, Karl Gauster
  • Masken und Frisuren Hannelore Uhrmacher
  • Souffleuse Herta Mock
  • Kostüme und Bühneneinrichtung Österreichischer Bundestheaterverband bzw. eigener Fundus; Hüte Hutsalon Pfertner, Schwechat