WEDER Lorbeerbaum | NOCH Bettelstab
Über 80 Stücke hat er geschrieben, der große Johann Nestroy – 37 davon haben wir Ihnen hier bei uns in der Rothmühle schon zeigen können. Einige gelten als „Klassiker“ und stehen seit vielen, vielen Jahrzehnten immer wieder auf den Spielplänen großer, mittlerer oder kleinerer Theater: Lumpazivagabundus, Zu ebener Erde und Erster Stock, Der Talisman, Einen Jux will er sich machen, Das Mädl aus der Vorstadt, Liebesg’schichten und Heiratssachen oder auch Frühere Verhältnisse. Sie alle sind Garant für volle Kassen und werden deshalb – in mehr oder minder gelungenen Interpretationen –, mit schöner Regelmäßigkeit landauf, landab gespielt. Andere, personenreichere Werke werden da und dort alle paar Jahre hervorgekramt und „wiederentdeckt“: sprödere wie etwa Freiheit in Krähwinkel, Höllenangst, Mein Freund – oder auch scheinbar leichtere wie Nagerl und Handschuh, Umsonst oder Theaterg’schichten. Der Rest bleibt meist in den Schubladen – teils zu Recht, oft aber auch zu Unrecht.
Die Nestroy-Spiele, deren Intention es immer war, Nestroy vor museal oder kommerziell motivierter Vereinnahmung und falscher Verniedlichung zu schützen und ihm in der „Vorstadt von Wien“ eine Heimstatt zu geben, wo sich sein Witz, aber vor allem auch sein widerborstiger, gesellschafts- und menschen-kritischer Freigeist voll entfalten kann, haben in den 45 Jahren ihres Bestehens zahlreiche seiner als unspielbar geltenden Werke erfolgreich rehabilitiert – wie z.B. Abenteuer in der Sklaverei, Eine Wohnung ist zu vermieten, Das Geheimnis des Grauen Hauses, Adelheid oder die verfolgte Wittib, Robert der Teuxel, Die beiden Herren Söhne oder Der Mann an der Spitze. Sie alle haben unterschiedliche Färbungen und ihre Eigenheiten, aber – entgegen ihrem Ruf – auch genügend Qualität und Substanz, um in Aufführungen mehr als zu bestehen.
Dies gilt auch für das selten gespielte „Gustostückerl“, das wir Ihnen heuer präsentieren: das 1835 geschriebene Frühwerk Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab. Nirgends zeigt sich Nestroys ambivalentes, gespanntes Verhältnis, seine Hass-Liebe zum Bürgertum (jener sozialen Schicht, der er selbst entstammte) deutlicher als in dieser beinahe „autobiographischen“ Posse. Eigentlich als Parodie auf ein schrecklich papierenes, aber erstaunlich erfolgreiches Melodram des inzwischen zu Recht vergessenen deutschen Autors Karl von Holtei konzipiert, bot die Vorlage Nestroy willkommene Gelegenheit zu einem scharfzüngigen Rundumschlag gegen die Wiener Gesellschaft, von der er sich zeitlebens immer wieder beleidigt, missverstanden und schlecht behandelt fühlte.
„Getarnt“ in der Rolle des Possendichters Leicht, stellte Nestroy nicht nur Holteis verblasenes Machwerk auf den Boden der Realität, er nutzte es zu einer grundsätzlichen und sehr persönlichen Stellungnahme – zu einer unverblümten Abrechnung mit der dummen, anmaßenden Überheblichkeit seiner Kritiker und der spießigen Oberflächlichkeit seiner kulturell letztlich völlig desinteressierten bourgeoisen Zuschauer. Obwohl er dabei auch sich selbst als Mensch und Künstler mit Spott und herber Kritik nicht verschonte, verziehen ihm die „biedersinnigen, gutmütigen“ Wiener – so wie er es im Stück selbst prophezeite – den satirischen Frontalangriff nicht. Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab wurde – trotz seines hohen Unterhaltungswerts und seiner sprachlichen Brillanz – ein weiterer unverdienter Misserfolg unter vielen, die Nestroy bereits erlebt hatte und noch erleben sollte.
Als wir dieses wunderbare Stück 1974, in unserer erst zweiten Spielzeit, zum ersten Mal auf die Bühne brachten, tauchte zu unser aller Überraschung und Freude bei unseren damals noch völlig unbekannten Nestroy-Spielen plötzlich der legendäre Helmut Qualtinger auf – das „enfant terrible“ der Wiener Szene, unser aller Idol, quasi das lebende Pendant zu Nestroys schauspielerndem Theaterdichter Leicht! Er wollte die bissige, geistreiche Realsatire, die er selbst immer wieder in Lesungen vortrug, endlich einmal als richtige Theateraufführung auf der Bühne sehen, denn er liebte dieses Stück wie kaum ein zweites. Sein Kommen und sein Lob waren uns Ansporn, den eben begonnenen Weg weiter zu verfolgen.
Auch uns ist Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab seit jeher besonders ans Herz gewachsen, zeigt es doch – in köstlich-überspitzter Form, mit ungemein pointierten Sequenzen und Formulierungen – das leidige ökonomische und psychische Auf und Ab zwischen erhofftem „Lorbeer“ und zu befürchtendem „Bettelstab“, dem wir als Theatermacher auch heute noch tagtäglich ausgesetzt sind. Und: es hat durch die skurrile Figur des „Weltbürgers“ Herrn von Überall einen äußerst witzigen, ironischen Bezug zu Schwechat, wo wir dem großen Menschenkenner und genialen Sprachkünstler Johann Nestroy seit mehr als vier Jahrzehnten mit Spielen und Symposien lustvoll unsere Reverenz erweisen.
Gründe genug, denke ich, dieses literarische Juwel wieder einmal auf den Spielplan zu setzen.
Viel Vergnügen!