Nestroy-Spiele 2000

Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab

28. Nestroy-Spiele Schwechat 2000 im Schlosshof der Rothmühle in Schwechat-Rannersdorf, 2320 Schwechat, Rothmühlstraße 5, Premiere 30. Juni 2000
Michael Scheidl und Ensemble

Es ist sicher kein Zufall, dass dieses kaum gespielte Meisterwerk Nestroyscher Sprachkunst zu Helmut Qualtingers Lieblingsstücken zählte. Denn Johann Nestroys 1835 geschriebene Lokalposse, eine köstliche, hintergründige Parodie auf Karl von Holteis 1833 im Theater in der Josefstadt gezeigtes gleichnamiges Rührstück, erzählt vom selbstgefälligen, lieblosen Umgang der Wiener Gesellschaft mit ihren Künstlern und deren Hass-Liebe zu diesem Land.

Ein sprachliches Feuerwerk und eine gnadenlose Abrechnung mit dem damaligen Wiener Kulturleben, die keiner Bearbeitung bedarf, um an heutige Verhältnisse zu erinnern. Zeitlos, beißend kritisch und zugleich höchst amüsant.

Den Bezug zum Spielort im zauberhaften Ambiente des Schlosses Rothmühle garantiert die Figur des „Weltmannes und Adabeis“ Herrn von Überall, der sich, ausschließlich zwischen Fischamend und Wien hin- und herpendelnd, an der „herrlichen Gegend zwischen Simmering und Schwöchat nicht sattsehen kann“.

Für eine aktuelle und zugleich authentische Nestroy-Interpretation sorgt wie immer das bewährte Nestroy-Ensemble rund um Regisseur Peter Gruber. Den Dichter und Musiker Leicht, der sich mit den Wienern so schwer tut, gibt Michael Scheidl.

Besetzung

  • Leicht, ein Dichter Michael Scheidl
  • Therese, seine Frau Bella Rössler
  • Grundl, ein reicher Seifensieder Hermut Müller
  • May Ling, seine Gespielin Sabine Stacher
  • Blasius, sein Sohn Bruno Reichert
  • Steinröthl, ein Fabrikant Willibald Mürwald
  • Agnes, seine Tochter Susanne Urban
  • Charlotte, Stubenmädchen Regine Rieger
  • Julie, eine naive Tochter Dagmar Jedletzberger
  • Johann, ihr Bruder Christian Graf
  • Chrisostomos Überall Markus Heller
  • Frau von Klatsch Christine Zimmermann
  • Frau von Billig Renate Bachtrod
  • Theater-Direktor Konrad Kostmann
  • Miss Vienna Esther Potesil
  • Soubrette Veronika Hegler
  • Komponistenwitwe Elisabeth Strache
  • Plattenproduzent Harald Schuh
  • Verleger Andreas Herbsthofer-Grecht
  • Intellektuelle Gabi Kozich
  • Mann Gottes Peter Kuno Plöchl
  • Zwei politische Herren Christian Graf, Peter Marsch
  • Automobilist Stefan Pestl
  • Photograph Florian Haslinger
  • Inbeislwirt Peter Mitsch-Caruso
  • Heurigenwirt Poldi Selinger
  • Heurigenwirtin Traude Selinger
  • Kellnerinnen Alexandra Draxler, Maria Schrittwieser, Maria Sedlaczek, Sissy Stacher
  • Brautjungfern Alena Koliander, Marlene Mürwald, Sabine Ruprechter
  • Sängerknaben-Gang Aljoscha Ambrosch, Lukas Hausner, Florian Rössler
  • Kolporteur Peter Koliander
  • Polizisten Edi Gnadlinger, Peter Kuno Plöchl
  • Regie Peter Gruber
  • Ausstattung Nora Scheidl
  • Musik Kurt Adametz
  • Licht Robby Vamos

Pressestimmen

Der Standard, 4. Juli 2000: Dichterlorbeer als Gewürzkrämerblatt

„Ich beleidige die ganze Welt, weil die ganze Welt mich beleidigt“, donnert der Dichterfürst in die schicke Tischgesellschaft und verlässt wutentbrannt das Dinner, das ihm zu Ehren angerichtet wurde. Grund des Eklats: Er hat gerade mit der Lesung seines neuesten Stückes Perlen vor die Säue geworfen und nur Grunzen geerntet.

Der Beleidigungsvirtuose, rappelköpfig gespielt von Michael Scheidl, heißt Leicht, ein Vorfahr von Bernhards Beschimpfungsmeistern, der da in Nestroys Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab die Gesellschaft verflucht.

Bevor der arme Musensohn aber das Weite sucht, hat er noch eine verhängnisvolle Affäre mit der Fabrikantentochter Agnes (Susanne Urban), die vom „Dichterfabrikanten“ in die Geheimnisse der Liebe eingeweiht werden möchte. „Kost’t die Lieb’ denn nicht das Herz, was man dabei verschenkt?“, flötet sie mit großen Augen.

Nestroy-Veteran Peter Gruber hat die „parodierende Posse mit Gesang“ im Rahmen der „28. Nestroy Spiele Schwechat 2000“ inszeniert und dabei wieder mit seinem in Hochform befindlichen Amateurensemble keinen Witz und keine Bosheit gescheut, im Hof von Schloss Rothmühle den Zeitgenossen im Possenklassiker zu entdecken: ein grelles Spektakel über „Schickis und Mickis, Flippis und Fipsis“, Lemuren und Adabeis, die den Ton angeben, während die Künstler vertrieben werden.

Und alle bekommen sie da in den Couplets ihr Fett ab, vom Staatsekretär Morak, „den keiner will“, vom „Westentaschl“ bis zu Hilmar „Hump-Dump“ Kabas. Anders als im Original, wo der Dichter vor dem Triumph der Mittelmäßigkeit kapituliert, erfasst ihn in Grubers Version ein großes Grausen: Er erschießt sich, um höhnisch nachgerufen zu bekommen: „Musste er denn sterben, um zu leben?“

Beim Verlassen des Rothmühle-Parks wünscht man sich, dass dieser fröhlich-anarchische Umgang mit Nestroy auch auf Wien übergreifen möge. (Lothar Lohs)

Wiener Zeitung, 3. Juli 2000: Satire gegen die Schickeria

Die Nestroy-Spiele Schwechat im Schlosshof Rothmühle haben sich heuer wieder einen selten gespielten Nestroy ausgesucht. Die Spießersatire „Weder Lorbeer noch Bettelstab“ hat Regisseur Peter Gruber mit seinem auf Nestroy’sche Zwischentöne spezialisierten Laienensemble als Angriff auf die Kulturschickeria inszeniert. Das Ensemble wird verstärkt durch den stilsicheren Michael Scheidl in der Nestroy-Partie des Dichters Leicht.

„Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab“ nimmt sich die Auseinandersetzung eines Künstlers mit der Gesellschaft zum Hauptthema. Im Gegensatz zu den bisherigen Nestroy-Interpretationen, bei denen Gruber lustvoll und gagreich aktualisierte und schwadronierte, arbeitet er diesmal mehr die bitteren und leisen Zwischentöne heraus.

Die typisch österreichische Geschichte des Leichts, dessen Werke zu Lebzeiten verschmäht werden und erst nach dessen vermeintlichem Tod zum „Verkaufshit“ werden, gestaltet Gruber zum resignativen Kammerspiel. Angesichts der erschreckenden Aktualität bleibt einem das Lachen nicht im Halse stecken, sondern wird geradezu im Keim erstickt. Nestroy-Interpretation vom Feinsten. (Brigitte Suchan)

Kurier, 2. Juli 2000: Dichter Leicht beglückt mit Gram

Nach Schwechat fahren lohnt sich: „Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab“.

Manchmal ist es schon ein Glück, wenn man keine böse Kritik schreiben muss. Über solche regt sich Nestroys temperamentvoller „Dichter Leicht“ nämlich immer furchtbar auf. Also – gänzlich unbeeinflusst von Leichts schweren Melancholie-Anfällen ist zu sagen: Ein wirkliches Vergnügen ist Peter Grubers Inszenierung von Johann Nestroys Posse „Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab“ bei den Schwechater Nestroy-Spielen. Mit Witz und viel Liebe zum Detail hat Gruber die 1835 verfasste Abrechnung mit der sogenannten kunstinteressierten Gesellschaft zeitgeistig aufgespritzt und ins freundliche Ambiente des Schlosshofs Rothmühle von Rannersdorf eingepasst. Dichter Leicht hat es schwer: Keiner weiß seine Stücke zu schätzen. Eine Liebesplänkelei mit dem demnächst ebenfalls verheirateten „Fräul’n Agnes“ geht auch daneben. Michael Scheidl ist ein köstlicher Leicht, der sich in Kreativitätsschüben bzw. in Verzweiflung windet – zwischen lauter verständnislosen „ordinären Dutzendseelen, die der Herrgott packelweis‘ erschafft“. Echtes Vergnügen bereiten Nestroys farbkräftige Sprachbilder. Kein Wunder, dass Helmut Qualtinger dieses Stück besonders mochte. Engagiert und überzeugend ist das ganze Ensemble bei der Sache. Hervorzuheben sind vielleicht Bella Rössler, Susanne Urban, Bruno Reichert. Dass der Gesang nicht immer astrein ausfällt, stört bei so viel Schwung nur wenig. Mittendrin findet sich eine messerscharf gereimte Persiflage auf die „Seitenblicke“-Gesellschaft, bei der auch Hump und Dump nicht fehlen dürfen. Ein amüsanter Abend in stimmungsvollem Ambiente. Warm anziehen! (Veronika Trubel)

Die Furche, 6. Juli 2000: Beißende Parodie

Ein besonderes Juwel bieten heuer die Nestroy-Spiele Schwechat: Johann Nestroys Posse „Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab“. 1835 als Parodie auf ein schwülstilstiges Melodram um einen verkannten Dichter des längst vergessenen Autors Karl von Holtei entstanden, verarbeitete Nestroy in ihr auch seine Wut über das Theaterpublikum, das ihn im Vorjahr ausgebuht hatte. Mit seinem Dichter Leicht treibt er das verkitscht Bild des Künstlergenies auf die Spitze. Dieser verlässt aus Gram über seinen Misserfolg die Stadt, fristet als Straßenmusiker sein Dasein. Als er nach Jahren zurückkommt, muss er feststellen, die Wiener strömen in sein einst verspottetes Stück, weil sie glauben, er sei längst tot.

Peter Grubers turbulente Inszenierung nützt Nestroys ungezügelten Ingrimm, witzig aktualisiert, für eine Diagnose heutiger Verhältnisse. Michael Scheidl zeichnet den Dichter Leicht als rauhen zynischen Charakter, der sich der komischen Tragik seiner Situation bewusst ist. Insgesamt beeindruckt das sehr spielfreudige, gut typisierte Ensemble. Unter anderem mit Bruno Reichert, Markus Heller in den Rollen selbstgefälliger Biedermänner und Susanne Urban als des Dichters unerfüllte Liebe. (Annemarie Klinger)

Der neue Merker, August/September 2000: Komödiendienspiele in Niederösterreich „Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab“

Wo vorne war, ist jetzt hinten. Natürlich bezogen auf den Spielplatz. Ansonsten blieb alles beim Alten. Nestroy verstieg sich nicht bis zum Lorbeer, was er dem Dichter Leicht als Eigenbekenntnis in den Mund legte, dem Michael Scheidl alles Kümmerliche nahm, sondern brachte ihn als dampfenden Berserker zur Explosion.

Wozu sich allerdings Peter Grubers Inszenierung verstieg, kam schon einer veritablen Abmurksung in nächste Nähe. Da werden Figuren dazugeschrieben oder abgeändert. Anstelle des zum Wanderharfenisten herabgekommenen Poeten, der ja einen kulturgeschichtlichen Bezug zu dem Ganzen abgibt, erlebt man einen Keyboarder in der Art des Dröhnblondins names „Toni aus Tirol“. Die Biedermeiergesellschaft wird zu den linsengeilen Monstern, bekannt aus den „Seitenblicken“, umfunktioniert, anstelle eines Quodlibets gibt es zu Rossinis Figaro-Arie ein Bongotrommeln malträtierendes Insiderungeheuer.

Diese Stilistik ist ein abendfüllendes Ärgernis. Noch dazu, wo die hier tagende „Internationale Nestroy-Gesellschaft“ zu all diesem Unfug amikal ihren wohlwollenden Sanctus beisteuert. Dabei – und das ist das kaum Glaubliche – langweilt man sich in keinem Moment, alles hat Tempo, Verve und Witz, wenngleich die Sexualkomplexe Grubers bereits Anzeichen des Manischen aufweisen. Wo immer es unpassend ist – bei Nestroy permanent – wird mit Feuereifer ein Verfremdungsszenario, zwecks Ausübung des Koitierens im kleinen Kreis wie auch als Gruppensexevent konstruiert.

Und die Würdevollen, aus den Weiten des Globus harangereisten „Nestroyaner“ sind davon noch entzückt. Da Gruber andererseits sein Handwerk beherrscht und hier niemand anderer regiemäßig zum Zuge kommt, so gelang es im Laufe der Zeit, aus den Amateurschauspielern teilweise Leistungen herauszuholen, welche sich durchaus mit dotationsmäßig bessergestellten Profibühnen messen lassen.

Einzig Markus Heller, als in der einen hochgradigen Komödianten erforderlichen „Schnittling auf allen Suppen“-Rolle des Überall versickerte beständig in den Tiefen der ihm gestellten Aufgabe. Wie man andauernd Stereotypes zu variieren vermag, zeigte unnachahmlich Qualtingers Habakuk. Und das hinreißende Couplet von der Reisesucht in das „herrliche Fischamend“, hier beinahe unbeachtet zerbröselt, wurde bei Meinrad zum unvergeßlichen Pointierungsschrappnell.

Die umfangreiche Musikbeigabe Adolf Müllers ist hierorts ein Problem der eigenen Art. Abgesehen von dem Dazugekochten, paßt die, trotz kenntnisreicher Betreuung durch Kurt Adametz, schaltgepultete Elektronisierung ungefähr so wie die Pathetique zu dem Blues aus Kaisermühlen. (Gerhard Magenheim)

Neue Kronenzeitung, 9. Juli 2000: >Nestroys Schickimickis

Künstlerschicksal einst und jetzt: Was Nestroy als Parodie auf romantische Künstlerbilder und als Kritik an Wiens Kulturszene dachte, mag auch heute als Ab- und Zerrbild der Schickimicki-Gesellschaft durchgehen. Nachprüfen kann man’s bei „Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab“ bei den Nestroy-Spielen Schwechat.

Das Werk, ein Lieblingsstück Helmut Qualtingers, ist zwar nicht aus der ersten Reihe der Nestroy-Erfolge; und das Thema Kultur-Society und Seitenblicke-Gesellschaft ist humoristisch auch schon ziemlich abgegrast. Die Darsteller lassen sich von diesen Schwierigkeiten dennoch nicht entmutigen; aber es braucht eine Weile, bis das Stück anläuft. Mehr bissige Karikatur hätte der Abend vertragen. Doch dann kippt die Situation: Als der zuerst gescheiterte Künstler boomt und seine Schöpfung als Folk-Schunkelnummer im Touristen-Heurigen wiederfindet, bekommt der Abend Drive und Dynamik.

Solide führt Regisseur Peter Gruber das Ensemble – mit Michael Scheidl als zerrissenem Dichter Leicht im Mittelpunkt! Pointierte Leistungen rundum! (OL)

Niederösterreichische Nachrichten, 20. Juli 2000: Großer Erfolg für Schwechats schrill-schräges Theater

Die Seitenblicke haben sich nicht hierher verirrt, und Viktor Klima ist heuer auch nicht gekommen. Man ist bei der Premiere unter sich. Besser so.

Denn auf dem Programm steht mit Nestroys überaus selten gespielter Posse „Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab“ eine gnadenlose Abrechnung der geist- und charakterlosen Schicki-Micki-Gesellschaft.

Der Leicht ist ein Dichter; ein bisserl darf er von den Tellern der Reichen und Mächtigen – die seine Werke bestenfalls einschläfernd finden – mitnaschen, er wird von einer Dame sogar sexuell begehrt, doch als er Anerkennung für seine Arbeit fordert, wird er gnadenlos verjagt.

Längst für tot gehalten, kehrt er Jahrzehnte später zurück, nur um festzustellen, dass seine Stücke zu echten Rennern geworden sind. Leicht zieht die Konsequenz – und erschießt sich.

Regisseur Peter Gruber treibt das Geschehen in Nora Scheidls köstlich pointierten Bühnenbildern unbarmherzig voran; die für Schwechat so typisch schrill-schrägen Szenen verdecken nie die menschlich tief berührenden Momente. Eine überaus gelungene Produktion, die mit Michael Scheidl einen wunderbaren Hauptdarsteller und insgesamt ein hervorragendes, exzellent besetztes Ensemble gefunden hat.(Thomas Jorda)