Theaterg’schichten
Lust, Zufall und Notwendigkeit
Bemerkungen zur Inszenierung
Die vergangenen Jahre
Wer unsere Aufführungen der letzten Jahre mitverfolgt hat, weiß, dass wir großen Respekt haben vor Nestroys herrlich präzisen Texten und deshalb bei Bearbeitungen möglichst behutsam vorgehen.
Aber literarischer Purismus sollte nicht Selbstzweck sein – vor allem dort nicht, wo Nestroys zeitkritische Intention, der aktuelle Bezug seiner Texte sich dem Publikum von heute nicht mehr in seiner ganzen Schärfe vermitteln lässt.
Um Nestroy so „lebendig“ werden zu lassen, wie er war, bedarf es in manchen seiner Stücke da und dort der „Blasphemie“ eines überlegten bearbeitenden Eingriffs, aber auch des Mutes zur spontanen, lustvollen Reaktion auf aktuelle, mitunter „zufällige“ Ereignisse oder Gegebenheiten.
Veränderte Sichtweise
In „Theaterg’schichten“ geht es unter anderem um das gestörte Verhältnis zwischen dem „normalen“ Bürgertum und der „verrückten“ Theaterwelt, personifiziert im Konflikt zwischen dem Politiker Stössl und dem Theaterunternehmer Schofel.
Dieser Konflikt zwischen Kunst und Politik ist an sich zeitlos, aber Zensurversuche, politisch-ökonomischer Druck, behördliche Auflagen etc. sehen heute anders aus als früher. Sie sind raffinierter, subtiler geworden. Großangelegte Freilicht-Aufführungen (wie etwa die des damals delogierten Theaters in der Josefstadt, die Nestroy zu „Theaterg’schichten“ inspiriert haben soll) waren seinerzeit vielleicht eine skurrile Sensation und Rarität. Heute sind sie im Theatersommer gang und gäbe und technisch kein Problem. Die Skurrilität zeigt sich anders.
Auch das Irrenhaus ist nicht mehr jener unbekannte, mysteriöse Ort, von dem Nestroy und seine Zeitgenossen offenkundig nicht sehr viel wussten. Die Psychoanalyse und ihre Ableger sind ins gesellschaftliche Bewusstsein, ihre Schlagworte in den allgemeinen Sprachgebrauch eingedrungen. All das verändert unsere Sichtweise. Hinzu kommt das Spezifikum unserer Situation in Schwechat.
Persiflage und Selbstpersiflage
Bei „Theaterg’schichten durch Liebe, Intrige, Geld und Dummheit“ konnten wir einfach nicht widerstehen. Zu verlockend schien uns die Thematik, um nicht die eigene Situation als semiprofessionelles Unternehmen, die des Theaters von heute im allgemeinen und des Freilicht- und Sommertheaters im besonderen in die Interpretation miteinzubeziehen.
Lokal-Posse
Das, was bei Nestroy in einem „anonymen Nest“ am Rande einer „größeren Stadt“ angesiedelt ist, spielt bei uns an Ort und Stelle – in Rannersdorf bei Wien. Schofels Truppe, in dieser Fassung ein Tournee- und Sommertheater-Unternehmen, gastiert in der Rothmühle; die „Sappho“-Vorstellung findet tatsächlich im Freien statt; der Mann, der dies zu verhindern sucht, der Apotheker Stössl, ist nicht irgendein Ratsherr, sondern Stadtrat der hiesigen Gemeinde.
Als Prototyp jener häufigen Spezies von Provinz-Politikern und Wirtschaftstreibenden, deren kultureller Horizont bei volkstümlicher Musik endet, hat unser Stössl zwar – und das sei ausdrücklich betont – kein direktes Pendant in der Rannersdorfer Realität, repräsentiert jedoch eine durchaus typische Politiker-Gesinnung, mit der sich Theaterschaffende immer wieder konfrontiert sehen.
Das Stück wird so zur „Lokal-Posse“, bleibt aber zugleich Spiegelbild einer allgemeingültigen Situation. Dies erfordert natürlich an manchen Stellen eine ort- und zeitgerechte Adaption des Textes.
Aktualisierungen, Erweiterungen
So wurde etwa aus dem Diskurs zwischen Schofel und Konrad über Sinn und Unsinn der „Arena“, in welcher man auf Sand und bei Tageslicht gespielt hat, eine Auseinandersetzung über das Freilicht- und Sommertheater von heute. Das „Sappho“-Bild haben wir – auch aus umbautechnischen und dramaturgischen Gründen – um eine Szenenfolge ergänzt, die sich Nestroy sicher nicht hätte entgehen lassen, die zu schreiben ihm aber aus Zensurgründen unmöglich war: eine Behörden-Abnahme vor der Premiere – aus dem Bühnenalltag nicht wegzudenkender Albtraum aller Theatermacher.
Weiters gibt es eine kurze zusätzliche Sequenz über die ökonomisch günstige und daher zunehmende Beschäftigung von Ostblock-Künstlern in österreichischen Theatern, vor allem bei Orchestern, Ballett, Chor und Statisterie.
Auch das Quodlibet (welches hauptsächlich Damischs „Verrücktheit“ und Schofels Versuch, den Gläubigern zu entwischen, zum Inhalt hat) wurde dort, wo Nestroy ein „Tanzl à la Pepita“ als wortloses Finale vorsieht, textlich erweitert, um die Grenzen zwischen „normal“ und „verrückt“ noch deutlicher verschwimmen zu lassen. Die Intention dabei: das Irrenhaus seinem heutigen Erscheinungsbild anzunähern und als „Sinnbild für die Verrücktheit der Welt“ zu zeigen. Patienten und Ärzte, brave Bürger und Theaterleute tanzen gemeinsam ins Chaos hinein.
Ausgrabungen
Darüber hinaus bietet „Theaterg’schichten“ aber auch Gelegenheit, aus seit ihrer Uraufführung nicht mehr gespielten Stücken Nestroys kleine Kostbarkeiten auszugraben und auf der Bühne zum Leben zu erwecken.
So geht zum Beispiel aus der Erstfassung des Stückes hervor, dass im 3. Bild ursprünglich ein Lied für Damisch geplant war, das dann entweder gestrichen wurde oder verloren ging. Dramaturgisch verlangt diese Stelle nach einer musikalischen Einlage. Der szenischen Situation entsprechend haben wir uns für das Couplet des verzogenen Muttersöhnchens Vinzenz („Das sind die Geheimnis’ von Wien“) aus „Die beiden Herrn Söhne“ (1845) entschieden.
Im 4. Bild ergänzen wir die Szene zwischen dem Doktor der Irrenanstalt und Theaterdirektor Schofel um ein köstliches Duett („Ja, da kann kein Theater bestehn“) aus „Zwei ewige Juden für einen“ (1846), das im Original von dem Millionär Wandlung und dem Schmierendirektor Mummler gesungen wird.
Am Ende des 1. Bildes hält Damisch den berühmten „Weltapotheken-Monolog“ des Zuckerbäckergehilfen Vinzenz aus „Sie sollen ihn nicht haben oder Der holländische Bauer“ (1850). (Peter Gruber)