Nur Ruhe!
14. Nestroy-Spiele Schwechat 1986 im Schlosshof der Rothmühle in Schwechat-Rannersdorf, 2320 Schwechat, Rothmühlstraße 5, im Juli 1986
Besetzung
- Anton von Schafgeist, Lederfabrikant Walter Sailer
- Heinrich von Splittinger, sein Neffe Christoph Stepan
- Syndikus Werthner, Justizbeamter Georg Wertnik
- Frau von Groning, Forstmeisterswitwe Erika Stepan
- Herr Hornissl, Spekulant Willibald Mürwald
- Barbara, seine Frau Gertrude Pfertner
- Peppi, beider Tochter Isabella Böhm
- Laffberger, Neffe des Hornissl Andreas Bauer
- Frau Schiegl, Haushälterin Schafgeists Traude Selinger
- Klecks, Amtsschreiber Karl Krumpholz
- Patzmann, Dorfchirurg Ernst Schüller
- Schopf, Wachter Leopold Selinger
- Leokadia, Ziehtochter des Rochus Heidi Lerner
- Franz Walkauer, Geschäftsführer Franz Steiner
- Sanfthuber, Altgeselle Leopold Selinger
- Rochus Dickfell, Lederergeselle Robert Herret
- Steffl, Lehrbub Leopold Selinger jun.
- Lederergesellen und Wächter Karin Achernigg, Jimmy Deix, Hagen Lerner, Ernst Schüller, Werner Stefansich, Gerhard Vock
- Regie Peter Gruber
- Ausstattung Andrea Bernd
- Musik Herbert Ortmayr
Pressestimmen
Die Presse, 4. Juli 1986: Keine Sommer-Schonkost
Wie berechtigt Johann Hüttners – bei den Nestroy-Gesprächen 1984 in Schwechat geäußerte – Vermutung ist, die eigentliche Auseinandersetzung mit Nestroys Werk verlege sich auf kleinere Unternehmen wie Sommertheater, zeigt die Aufführung von „Nur Ruhe!“ im Schloßhof Rothmühle. Hier ist nichts von der „sterilen Routine“, von der „Perfektion ohne inneren Zugang“ zu bemerken, die Nestroy damals den „großen Theatern“ ankreidete.
In Schwechat spielt das Volk Theater: Amateure, die in monatelanger Arbeit von Regisseur Peter Gruber zu einem geschlossenen Ensemble geformt wurden, ohne dabei Spielwitz und Spielfreude zu verlieren. Altbekannte Klischees werden zu Karikaturen überzeichnet, unaufdringlich sind in den Text treffende aktuelle Anspielungen eingeflochten, und auch das Bühnenbild mit seiner Teilung zwischen Fabrikantendomizil und Lederfabrik bietet – geschickt genutzte – Möglichkeiten für zusätzliche komödiantische Wirkungen.
Das alles sind zweifellos dringend notwendige Aufbesserungen, denn „Nur Ruhe!“, 1843 entstanden, läßt keinen Augenblick Staunen darüber aufkommen, daß es bereits kurz nach der Uraufführung abgesetzt werden mußte. Auch die Tatsache, daß bis heute seine Vorlage unbekannt ist, verwundert nicht allzusehr: ein Werk, dem Johann Nestroy eine so verworrene, an den Haaren herbeigezogene Handlung entnommen hat, mußte zwangsläufig rascher Vergessenheit anheimfallen.
Gewiß, es werden die Spannungen zwischen den um ihre Existenz kämpfenden Arbeitern und Fabrikanten Anton von Schafgeist, der eigentlich „Nur Ruhe!“ will und dabei immer tiefer in einen Strudel gezogen wird, eindrucksvoll aufgezeigt. Der Zuschauer sieht sich mit einer Welt voller Hinterhältigkeit, Neid, Raffgier konfrontiert, wie sie für die Zeit des Vormärz – und nicht nur für diese – charakteristisch sein mag, und selbst der „Held“ Rochus Dickfell, von selbstangemaßter Redlichkeit, tritt vorwiegend als opportunistischer, geldgieriger Schmarotzer auf.
Dennoch, in Anbetracht der vielen dramaturgischen Schwächen kann diese tief pessimistische Weltsicht nicht allein für den Mißerfolg der Posse verantwortlich gemacht werden. Die Aufführung von „Nur Ruhe!“ bei den Nestroy-Spielen Schwechat befriedigt allerdings dank des Einfallsreichtums von Peter Gruber und seinem Ensemble mehr als rein museale Interessen. Hier wird nichts verniedlicht, nichts geschönt, der Satire gegeben, was der Satire ist: keine sommerliche Schonkost. (Wolfgang Freitag)
Wiener Zeitung, 4. Juli 1986: Wirbelsturm vor der Ruhe
Lederfabrik in der Lederfabrik. So hätte man das Referat über die Premiere von Johann Nestroys Posse „Nur Ruhe“ bei den 14. Schwechater Nestroy-Spielen auch übertiteln können. Denn das mit einer Fülle verwirrender Handlungselemente angereicherte Stück spielt in einer Lederfabrik und Schloß Rothmühle – wo die Laienspielgruppe St. Jakob ja bekanntlich im Sommer beheimatet ist – war lange Zeit an einen Lederfabrikanten vermietet. Erst 1935 schloß die Lederfabrik seine Pforten.
„Nur Ruhe“ entstand 1843 und wurde damals nur viermal aufgeführt. Weshalb dieser Mißerfolg? Darüber diskutieren die Experten. Einer der Gründe könnte die sehr umständliche Geschichte gewesen sein, die hier erzählt wird, ein zweiter das Fehlen einer Identifikationsperson. Was interessieren die Zuschauer schon die Schwierigkeiten von Leuten, mit denen sie nicht einmal flüchtig bekannt sein möchten. Doch, vielleicht war’s auch die Realitätsnähe des chaotischen Stücks, die betroffen machte. Die erschreckte, von der man nichts hören, nichts wissen wollte.
Eine der Hauptfiguren des Stückes ist ein Lederfabrikant, der immer „nur Ruhe“ haben möchte und um den herum ein Wirbelsturm von Geschehnissen ausbricht, ehe – nach Verlobung von Neffen und wiedergefundener Tochter – eine (trügerisch?) friedliche Zeit anbricht.
Peter Gruber führte auch heuer wieder in Schwechat Regie und er führte – wie immer – die Laiendarsteller mit fester, sicherer Hand. In seiner Inszenierung versuchte er ein wenig das Gespenstische der Situation herauszuarbeiten. Weißgeschminkte Gesichter, überdrehte Reaktionen. Auch meint man manch versteckten Witz bei den sehr gut geschminkten Masken (Elisabeth Müller, Susanne Urban) zu erkennen. Die Mitglieder des Ensembles taten sich mit dem spröden Stück teilweise etwas schwer. Denn es ist ein Werk, das zweifellos auch von Profis nicht leicht bewältigt werden kann. Wie ein solcher allerdings wirkt Franz Steiner, der den zwielichtigen, getretenen und tretenden Geschäftsführer spielt. Er wäre auf jeder Bühne denkbar.
Schwungvoll und diszipliniert auch die anderen: etwa Heidi Lerner, Erika Stephan, Gertrude Pfertner, Isabella Böhm, Traude Selinger, Robert Herret, Walter Sailer, Christoph Stephan, Willi Mürwald, Andreas Bauer. Dank dem ganzen Ensemble, das auch das reizvolle Bühnenbild erstellte (Ausführung Zimmerei Schneider) und Herta Mock und Olga Weinlich für die hübschen Kostüme. Der im November 1985 verstorbene Prof. Walter Mock, geistiger Vater und Initiator der Schwechater Nestroy-Spiele und Nestroy-Gespräche, kann auf seine Freunde stolz sein. (Lona Chernel)
Salzburger Nachrichten, 15. Juli 1986: Die Bühne lebt zu jeder Jahreszeit
„Nur Ruhe!“ heißt es zur Zeit in Schwechat, wo man bereits zum 14. Mal im Schloßhof Rothmühle die Schwechater Nestroy-Spiele abhält. Das selten gespielte Nestroy-Stück um einen Lederfabrikanten, der in absoluter Ruhe seinen Lebensabend verbringen möchte und dann natürlich prompt in alle nur möglichen Verwicklungen gerät, steht in einer besonderen Beziehung zum Ort der Aufführung. Bis 1935 diente nämlich das Schloß Rothmühle als Lederfabrik, was auch durch eine kleine Ausstellung im Schloß dokumentiert wird.
Der Regisseur der zwar an Wortwitz reichen, aber sonst ein wenig spröden Posse, Peter Gruber, hat vor allem die sozialen Aspekte herausgearbeitet. Die Fabrik, in der die Arbeiter nach dem Prinzip „wer verlangt am wenigsten?“ aufgenommen werden, ist im Keller, während oben der Herr Unternehmer sich vergebens nach Ruhe sehnt. Kostüme und Bühnenbild sind historisch, aber in einigen Couplets hat man mit Gespür Zeitkritik zu verpacken gewußt. Als grober, versoffener Ledergeselle Rochus Dickfell kann Robert Herret brillieren. Der Lederfabrikant ist Walter Sailer, dessen Neffe Christof Stephan. Schauspielerischer Schwachpunkt des Abends sind leider sämtliche weibliche Besetzungen, worunter die flüssige Aufführung aber nicht allzusehr leidet.
Arbeiterzeitung, 4. Juli 1986: Utopische Ruhe vor dem Sturm
„Nur Ruhe“ will der Lederfabrikant Schafgeist haben, was nach Komödiengesetz einen Trubel von Wirrnissen hervorruft. Das im Vormärz durchgefallene Nestroy-Stück hat inzwischen Fürsprecher gefunden. Und Interpreten, von denen sich Peter Gruber in seiner Inszenierung in der Schwechater Rothmühle anregen, aber keineswegs vergewaltigen ließ.
Es ist, ich zitiere Gruber, ein sprödes und verworrenes Stück, aber mit köstlichen Formulierungen, thematischem Neuland und einer aggressiven Menschenkritik, die gelegentlich in die Sozialkritik vorstößt. Die Wiener des Jahres 1843 hatten sicherlich mehrere Gründe, die Posse auszupfeifen: die konfuse Handlungsführung und die Spießersatire, die wahrlich nicht zur Identifikation eingeladen hat, weder mit dem Bürger, der nur sei Ruah haben will, und seinem leichtsinnigen Dummkopf von Neffen, dem er die Firma übergeben will, noch mit dem zudringlichen Spekulanten Hornissl oder gar seinem indolenten Verwandten, geschweige mit dem intriganten Verleumder und kriecherischen Aufschneider Rochus, mit dem sich Nestroy eine Rolle geschrieben hat, die nicht die geringste Sympathie erregen kann. Noch die liebliche Naivität der Peppi, die keinen Willen hat, aber jedermann zu Willen ist, überdreht die bürgerliche Tugend, sich jeder Verantwortung zu entziehen, zur Karikatur. Es gemahnt schon an das absurde Theater, wie Nestroy diese satirische Verhöhnung Wiener Typen mit einer ins Extrem gehenden reflektorischen Spitzfindigkeit an Sprachwitz und einer in seiner hingeworfenen Unwahrscheinlichkeit kaum noch zu überblickenden Handlung locker verbindet. Das verleitet zu Analysen, die das Stück nur zum Teil einlöst.
Keine Frage, daß bei den Nestroy-Gesprächen in der Rothmühle darüber noch viel Kluges gesagt werden wird. Die Aufführung hat, ohne einige Leerstrecken verhindern zu können, dem Stück zum Lacherfolg verholfen. Bemerkenswert, was Gruber aus dem Laienensemble herausholt. Was an Technik fehlt, wird durch Einsatz, Temperament und Spielwitz wettgemacht. Dazu das Ambiente: der zauberhafte Hof des Jagdschlössels.
Eine Pointe muß man im Programmheft nachlesen. Nestroys Stück spielt in einer Lederfabrik am Stadtrand. Die Rothmühle beherbergte in der Zwischenkriegszeit eine Lederfabrik, von der sich die in dem Nestroy-Stück nur durch einige Maschinen unterschieden haben dürfte. (Hans Heinz Hahnl)
Die Furche, 11. Juli 1986: Trügerische Ruhe
Es gibt unter den weniger gespielten Nestroy-Stücken nicht nur die schwächeren, schnell hingeschrieben, sondern auch Werke, die eine Wiederentdeckung wert sind. Mit der Ausgrabung von „Nur Ruhe!“ wurde das Schwechater Nestroy-Amateurtheater seiner selbstgestellten Aufgabe gerecht. Das Stück übermittelt die Atmosphäre im späten vormärzlichen Wien geradezu unheimlich echt, Nestroy sagt darin auch dem kleinen Mann böse Wahrheiten hinein, indem er auch den kleinen Mann als Faulpelz und miesen Intriganten zeigt, selbst die dramaturgischen Schwächen, das Zerflattern und Zerfallen der Handlung gegen Ende, spiegelt gesellschaftlichen Zerfallsprozeß. In „Nur Ruhe!“ hätten die Wiener schon die Fronten erkennen können, die 1848 zwischen Bürgern und Proletariern aufbrechen sollten. Kein Wunder, daß sie das Stück nicht mochten.
Peter Grubers Inszenierung repräsentiert bestes „Schwechater Nestroyspiel“. Beruhigend, zu sehen, daß es auch nach dem Tod des Schwechater spiritus rector Walter Mock weitergeht. Diese Spiele würden uns wirklich fehlen! (Hellmut Butterweck)
Kurier, 4. Juli 1986: Eine Ruhestörung wird zum Gaudium
Johann Nestroys Durchfälle sind oft interessanter als seine Triumphe. Die Posse mit Gesang „Nur Ruhe!“, die jetzt bei den Schwechater Nestroy-Spielen wieder auftaucht, ist 1843 nach vier Vorstellungen vom Spielplan verschwunden.
Das Stück, gegen das bei der Premiere protestiert wurde, ist eine schneidende Satire auf eine satte, nur auf ihren Vorteil bedachte Gesellschaft: eine Ruhestörung. Im Moment, da der sowieso untätige Lederfabrikant Schafgeist sich zur Ruhe setzen will, wird er von ungebetenen Gästen und Schmarotzern von einer Aufregung in die andere gestürzt. Die Bloßstellung betrifft alle sozialen Schichten, denn auch der Räsoneur der Posse, ein fauler, versoffener und kupplerischer Geselle, die Nestroy-Rolle, taugt nicht zum vorweggenommenen Revolutionär von 1848.
In der Rothmühle, die bis in die dreißiger Jahre als Lederfabrik gedient hat, inszeniert Peter Gruber das Unsittenbild des sozialen Gefälles. Oben logiert der aufgescheuchte Fabrikant, zu ebener Erde tummelt sich das gewöhnliche Volk, wird auch gearbeitet. Dekoration und Kostüm beschwören Vergangenheit, ein Zuviel der Schminke verstärkt die Puppenhaftigkeit.
Was lebendig geblieben ist, ist Nestroys Sprache, seine ins Philosophische hinüberspielende Pointierungswut, die sich aber auf konkrete Sachverhalte bezieht. Erstaunlich, wieviel davon die Amateure effektvoll vermitteln, wie markant einzelne Figuren aus dem vormärzlichen Panoptikum gestaltet sind: Robert Herret, Willi Mürwald, Walter Sailer, Isabella Böhm, Andreas Bauer und Heidi Lerner stehen fürs ganze Ensemble.
Allerdings ist gerade diese Posse reich an unverwüstlichen Typen und Charakteren. Daß sie ebenso zur Geltung kommen wie die Couplets, daß auch einige Aktualisierungen sich gut einfügen, macht froh. (Kurt Kahl)
Neue Kronenzeitung, 4. Juli 1986: Auf wilder Pointenjagd
Nestroy auf Sommerfrische. Wie jedes Jahr läutet der Sommerbeginn auf Niederösterreichs Bühnen die mehr oder weniger liebgewonnene „Nestroy-Hitparade“ ein. Doch während unser „Wiener Klassiker“ oft mit sommerlicher Grobheit über die Bühne gejagt wird, hebt sich Schloß Rothmühle mit seinen 14. Nestroy-Spielen auch heuer angenehm vom „Potpourri“ der Sommertheater ab.
Regisseur Peter Gruber versucht sich an einer ehemaligen „Theaterpleite“. Kein Wunder. „Nur Ruhe“ schlägt im gewohnten Rahmen einer intrigenreichen Verwirrung fast ungewohnt sozialkritische Töne an. Der Antiheld Rochus Dickfell ist auch alles andere als eine liebenswert-naive Figur. Berechnend, versoffen und stets auf seinem Vorteil bedacht.
Rund um den Lederfabrikanten Schafgeist, der nach langen Jahren des Nichtstuns sich endlich der verdienten Ruhe widmen will, pflanzen sich mit schrecklicher Gewißheit Unheil und Pointen auf. Weder der eitle Großstadtbohemien noch der gutmütige Provinzbürger bleiben von ihrer eigenen Lächerlichkeit verschont. In einem gelungenen Kompromiß zwischen bühnenwirksamer Pointe und beißender Gesellschaftskritik präsentiert die Inszenierung einen ätzenden Nestroy im sommerlich-heiteren Rahmen. Aus dem ausgezeichneten Ensemble St. Jakob spielt sich vor allem Robert Herret als mit allen Wässerchen gewaschenen Rochus in den Vordergrund. Willi Mürwald erspielt sich brillant die schneidige Schamlosigkeit des Spekulanten Hornissl. Auch Franz Steiner setzt mit seinem blassem, ordnungsliebenden Geschäftsführer gelungene Pointen. Nestroy mit Fingerspitzengefühl. (Konrad Kramar)
Neue Freie Zeitung, 24. Juli 1986: Start mit Klassikern
Nestroys „Nur Ruhe“ hat neben seiner beim Autor fast obligaten Sozialkritik eine ungewöhnlich große Ansammlung unangenehmer Menschen zu bieten. Angenehm ist hingegen die sympathische Ausstrahlung, die das Amateurensemble im Schloß Rothmühle bei Schwechat seit Jahren ihr eigen nennt. Unter Peter Grubers Regie wird mit Liebe und Animo gespielt. Kritische Einwände wären hier Beckmesserei, doch der Gedanke, hier Vollprofis wie Lohner oder Schenk am Werk sehen zu können, drängte sich dennoch auf, obwohl er fehl am Platz sein muß. (G. M.)
Extrablatt, Juli / August 1986: Can Be!
(…) „Nur Ruhe“ steht auf dem Programm, das im Gegensatz zu den im Vorjahr aufgeführten „Talisman“ eher ein wenig unbekannt ist. Doch Regisseur Peter Gruber, der schon von Anfang an die Bilder in Szenario setzte, liebt die Herausforderung. Wir wissen, daß es die feinen Parallelen zur Jetztzeit ausmachen, daß Nestroy auch heute noch so beliebt ist. Da ist zumal die immer wiederkehrende Problematik zwischen Unter- und Oberschicht in den Stücken. Weiters herrscht in Österreich eigentlich noch immer das Biedermeier vor, auch wenn es nicht so gesehen wird. Nicht mit Stock und Zylinder auf einem Spaziergang durch die Alleen, dafür mit einer Flasche Bier vor dem Farbfernsehgerät.
Regisseur Peter Gruber sieht im Stück „Nur Ruhe“ aber viel mehr die Widerspiegelung der augenblicklichen Weltsituation. Die durch die politischen Dilemmas, der Umweltbedrohung usw. hervorgerufene Unruhe unter den Menschen, war damals genau so vorhanden wie heute.
Als „Nur Ruhe“ 1843 uraufgeführt wurde, steuerte schon alles auf die Revolution zu. Das Stück kam damals auch nicht besonders gut an und mußte nach dem dritten Mal abgesetzt werden. Wahrscheinlich hatte das Volk damals nicht nur Situationskomik erwartet, sondern auch einen lustigen Inhalt und war von der beunruhigenden Ähnlichkeit eines Theaterstücks zur Wirklichkeit vor den Kopf gestoßen. Es muß auch zugegeben werden, daß „Nur Ruhe“ ein paar kleine Mängel auszuweisen hat, doch soll das noch lange nicht heißen, daß man daraus keine gute Inszenierung machen kann. Auch die Mozart-Oper „Die Zauberflöte“ beruht auf einem furchtbar miserablen Libretto und zählt dennoch – Fremdenverkehr hin, Fremdenverkehr her – zur Créme de la créme aller Opern.
Jedenfalls hat „Nur Ruhe“, so wie alle Nestroy-Possen, ein gutes Ende. Und obwohl das Ensemble nur aus Laiendarsteller besteht, darf man auch von diesen einiges erwarten. Wenn sie auf der Bühne stehen, fällt es schwer zu glauben, daß sie eigentlich Bankangestellte, Schlosser, Studenten, Lehrer oder Journalisten von Beruf sind. (Jimmy Deix)
Niederösterreichische Rundschau, 9. Juli 1986: Wider die Kirchhofsruhe
Zum 14. mal präsentiert die Amateurtheatergruppe Sankt Jakob und Regisseur Peter Gruber Nestroy auf Schloß Rothmühle: Die Stückwahl – „Nur Ruhe“ entstand 1843 und wurde nach nur vier Aufführungen wegen mangelnden Erfolgs abgesetzt – hat nicht nur mit der Vergangenheit der Rothmühle als Lederfabrik zu tun. „Nur Ruhe“ zeigt die gesellschaftlichen Verhältnisse im „Hause Österreichs“ vor der bürgerlichen Revolution 1848, jedoch aus einem zutiefst pessimistischen Blickwinkel Nestroys.
Die Herrschenden wollen nur Ruhe, Ordnung und Autorität werden sich von selbst einstellen, wenn notwendig, wird durch staatlich legitimierte Gewalt nachgeholfen. Der Zuschauer trifft auf bekannte, konventionelle Motive: Entführung, Erbschaftsbetrug, Kindesvertauschung und Gerichtsszene. An manchen Stellen der zeitweilig verworrenen Geschichte um den 55. Geburtstag des Lederfabrikanten Schafgeist griff Regisseur Peter Gruber, dem das Publikum die wohl originellsten Nestroy-Inszenierungen im Land verdankt, ordnend ein und legte auch szenisch die Gewichtung anders: Was im Originaltext im Garten spielt, wird jetzt im (vom 34köpfigen Ensemble) gemeinsam erstellten zweigeschossigen Bühnenbild abgehandelt. Geht im „ersten Stock“ der Erbschaftsstreit der herrschenden Kapitalisten vor sich, ist im Erdgeschoß die Sphäre der Produktion sichtbar und damit jene Gewißheit, daß die Genußsucht derer da oben auf den Schultern von denen da unten lastet. Zweifellos notwendige Ergänzungen und Herbert Ortmayers akzentuierende Musik trägt das Ihre bei, dieses merkwürdige spröde und widersprüchliche Stück zu heutigem Nestroy zu formen.
Freilich sind – kein Wunder nach 13 Jahren – Abnützungserscheinungen nicht zu übersehen. Robert Herret, ohne Zweifel einer der besten Nestroy-Darsteller ringsum, spielt den vielschichtigen Lederergesellen Rochus Dickfell, der zusammen mit der kleinen Vorstadthure Leokadia am Ende nicht in die Gesellschaft der trügerischen Friedhofsruhe integriert wird, etwas unter seinen Möglichkeiten.
Daß schließlich das Finale die wichtige szenische Umsetzung des Funktionswandels des Bürgertums von der fortschrittlichen zur unterdrückenden Klasse weitgehend schuldig bleibt, kann dem Gesamterfolg keinen Abbruch tun: Auch dort, wo die „Jakobiner“ schwächer sind, sind sie dem üblichen sommerlichen Theaterschwachsinn weit überlegen.
Niederösterreichische Rundschau, 10. Juli 1986: Posse „Nur Ruhe!“ wiederentdeckt
Die Schwechater Laienspielgruppe Sankt Jakob hat sich unter der Leitung des Profis Peter Gruber zu einem Nestroy-Ensemble Entwickelt, das Internationalen Amateurtheatermaßstäben gerecht wird.
Auf der Freiluftbühne im Hof des ehemaligen Jagdschlosses in Rannersdorf spielt man heuer eine Nestroy-Rarität, die 1843 entstandene Posse mit Gesang „Nur Ruhe!“. Es ist ein echter Nestroy, in dem gesellschaftskritische Aspekte des Vormärz (Besitzbürgertum und Proletarier) zum Tragen kommen. Die Posse wurde seinerzeit wegen allzu deftiger Aussprüche und derber „klassenkämpferischer“ Gebärden der Hauptfigur von der Wiener Theaterkritik abgelehnt.
Nestroy-Regisseur Peter Gruber über die Gründe der Auswahl dieses Stückes: „Nach der erfolgreichen Aufführung des ,Talisman´ im Vorjahr war es einfach wieder an der Zeit, ein weniger bekanntes Stück zu präsentieren. Ein Stück, das zu jenen Werken Nestroys zählt, die von Nestroy-Experten sehr geschätzt werde.“
Die an bissig-witzigen und turbulenten Situationen reiche Handlung – der frühkapitalistische Tagesablauf in einer Lederfabrik und überraschende Ereignisse am Geburtstag des Lederfabrikanten ist von der Aggressivität des Nestroyschen Frühstils gekennzeichnet. Angriffslust zeichnet auch den schlitzohrigen Rochus Dickfell aus, der als Störenfried dem Werkführer (glaubhaft gespielt von Franz Steiner) viel aufzulösen gibt. Robert Herret, in der Schlüsselrolle dieses aufsässigen Lederergesellen, erweist sich, wie von ihm gewohnt, als coupletgewandter und beherzter Komödiant. Als eine Art Biedermeier-Playboy macht Andreas Bauer in der Rolle der „Hansee“ Laffberger dem Publikum viel Spaß.
Neben den drei bereits Genannten unterhält man sich fast pausenlos über den „ruhebedürftigen“ Fabrikanten Schafgeist und seinen quicklebendigen Neffen Splittinger (Walter Sailer und Christof Stephan), über das temperamentvolle Ehepaar Hornissl und ihre höchst komische Tochter Peppi (Willi Mürwald, Gertrude Pfertner, Isabella Böhm). Köstliche Typen stellen auch Georg Wertnik, Karl Krumpholz, Leopold Selinger senior und junior und Ernst Schüller dar. Von den Weibspersonen fügen sich Erika Stephan, Traude Selinger und nicht zuletzt Heidi Lerner als attraktive Ziehtochter des Rochus nahtlos ins Spiel, das „zu ebener Erd und im ersten Stock“ gleichzeitig und dadurch recht flüssig abrollt.
Wieviel Arbeit und persönlicher Einsatz der einzelnen Ensemblemitglieder hinter einer solchen durchaus professionell wirkenden Aufführung steckt, kann man nur ahnen. (Leo Willner)
Niederösterreichische Nachrichten, 9. Juli 1986: „Nur Ruhe“ darf nicht Zukunft sein
Nestroy ist nicht gleich Nestroy. Die Posse „Nur Ruhe“ gehört nicht unbedingt zu seinen dramaturgischen Glanzstücken. Die Vormärz-Kritik ist in diesem Stück stark spürbar; sicherlich ist dies nicht der einzige Grund, weshalb es im Jahre 1843 zu einem Mißerfolg wurde und man es nach vier Vorstellungen vom Spielplan absetzte.
Peter Gruber schreibt im Programmheft: „Die Zuschauer von 1843 konnten über „Nur Ruhe“ nicht lachen. Ob wir 1986 mehr Grund dazu haben?“
Die Antwort darauf ist ein klares NEIN! Oder wenn wir lachen, dann dank der Inszenierung und den Wortwitzen, die sich auf die heutigen politischen Zustände beziehen.
Wie schon der Titel sagt: „Nur Ruhe“ ist eine Satire auf die damalige Gesellschaft, die vor dem Zerfall und Umbruch steht. Keine soziale Schicht bleibt vor der ätzenden, oft zu dick aufgetragenen Kritik von Nestroy verschont.
Der Angriff auf das Bürgertum ist offensichtlich. Der Lederfabrikant, eine der Schlüsselfiguren, heißt nicht zufällig Schafgeist. Anton von Schafgeist repräsentiert den satten, faulen Bürger, der nichts als seine heilige Ruhe haben will. Als er sich zur Ruhe setzen will, besuchen ihn ungeladene Gäste, die ein heilloses Durcheinander in sein Haus bringen. Rochus, ein Lederergesell, ist zwiespältig, er philosophiert, räsoniert, erkennt die Schwächen seiner Mitmenschen, nur bei sich selbst setzt sein Verstand aus.
Besonders schlecht in diesem Stück kommt das weibliche Geschlecht weg. Peppi ist das willenlose Geschöpf, das zu allem ja sagt. Vielleicht ist sie auch nur ein durchtriebenes Ding? Welche Interpretation besser ist, sei dahingestellt. Barbara, die keifende Weibsperson. Leokadia, eine Materialistin.
Der Rahmen für die Aufführung ist ideal, immerhin stand früher im Schloß Rothmühle eine Lederfabrik. Das Bühnenbild ist bezaubernd, oben residiert der aufgeschreckte Bourgeois, indessen unten das Volk werkt.
Robert Herret zeigt gekonnt die Vielschichtigkeit des Charakters von Rochus. Geschickt bewegt sich Herret auf allen Ebenen, er spielt den versoffenen, verkommenen Lumpen, der sich der Hinterhältigkeit, Raffgier und der Neider um ihn herum bewußt ist, und sie für sein Unterfangen einsetzt. Seine Bonmots und Pointen lockern das Stück auf.
Der Werkführer (Franz Steiner) besticht durch seine klare Sprache. Bei ihm verschwinden die Grenzen vom Amateur zum Profi.
Christof Stephan, als Neffe von Schafgeist, wirkt noch zu wenig profiliert. Die Figur der Peppi soll zwar überzeichnet präsentiert werden, ihre Darstellung durch Isabella Böhm ist aber eher eine Persiflage.
Walter Sailer, Georg Wertnik und Willi Mürwald sind glaubhaft.
Peter Gruber macht das Bestmögliche mit seiner Inszenierung. Vielleicht könnte man „Nur Ruhe“ als surrealistisches Stück aufführen! Allerdings würde das den Rahmen der Nestroyspiele sprengen. (Claudia Rismondo)