Nestroy-Spiele 1992

Abentheuer in der Sclaverey

20. Nestroy-Spiele Schwechat 1992 im Schlosshof der Rothmühle
in Schwechat-Rannersdorf, 2320 Schwechat, Rothmühlstraße 5,
Premiere 26. Juni, Vorstellungen bis 25. Juli 1992
Ensemble

Der Wiener Volksdichter Johann N. Nestroy ist in Schwechat zur Institution geworden. Seit 1973 finden jährlich Aufführungen seiner Stücke statt.

Warum gerade hier? Hatte Nestroy einen besonderen Bezug zu der damaligen (und heutigen) Braustadt Schwechat? Gab es Bindungen an das damalige Dorf?

Ein Blick in das Reiche Werk des Dichters zeigt, dass dem nicht so war. Die Stücke spielen zwar fast immer „in einer kleinen Stadt nahe der Residenz“, mit den handelnden Personen ist aber immer die Wiener Gesellschaft zu Zeiten Nestroys gemeint. Wien war Stadt, Schwechat Dorf.

Immerhin aber brachte es Schwechat zur Nammensnennung bei Nestroy. In „Weder Lorbeerbaum und Bettelstab“ kann sich der reiselustige Chrysostomus Überall nicht sattsehen „an der herrlichen Gegend zwischen Simmering und Schwechat“ – aber das auch nur, weil er ständig auf dem Weg von und nach Fischamend ist; keineswegs will er in die Braustadt selber.

Der lokale Bezug des Dichters zu Schwechat fehlt also. Dass er trotzdem hier seinen Einzug hielt, verdankt er vor allem dem 1985 verstrobenen Gründer des Amateruensembles St. Jakob, Walter Mock.

Das im Jahre 1972 renovierte Schloss Rothmühle fand anlässlich einer „Jedermann“-Aufführung der Spielgruppe den Gefallen von Gottfried Heindl, dem Ex-Chef der Bundestheaterverwaltung. In ihm wurde eine alte Lieblingsidee wieder wach, nämlich im Sommer in der Nähe von Wien Nestroy-Spiele zu veranstalten.

In Begleitung von Burgschauspieler Bruno Dallansky und dem Schriftsteller György Sebestyén – denen ähnliche Ideen vorschwebten – suchte Heindl dann Walter Mock auf, um Pläne zu schmieden und zu realisieren.

Walter Mock erkannte die Chance für sein Ensemble und erklärte sich bereit, die Durchführung der Nestroy-Spiele vorerst zu übernehmen.

Der Start erfolgte im Sommer 1973. Auf Empfehlung von Bruno Dallansky verpflichtete Walter Mock den Regisseur Peter Gruber; die technische Beratung erfolgte durch den ehemaligen Technischen Direktor des Burgtheaters Sepp Nordegg. Von Beginn an förderten auch Bund, Land und Gemeinde die Aufführungen.

Mit den beiden Einaktern „Zeitvertreib“ und „Frühere Verhältnisse“ trat das Ensemble St. Jakob erstmals auf die Pawlatschenbühne in der Rothmühle.

Der Erfolg war so ermutigend, dass alle Pläne, Berufsschauspieler einsetzen zu wollen, fallengelassen wurden. Bis heute stehen Amateure auf der Bühne, aber auch bis heute ist das Ensemble seinem Regisseur Peter Gruber treu geblieben.

Regine Ban Korsos, Sylvia Nemec-Mele, Sabine Stacher

Der Beginn der Nestroy-Spiele in der Rothmühle fiel zusammen mit einer allgemeinen Nestroy-Renaissance. Wasvon Karl Kraus begonnen und durch die Naziherrschaft in Österreich unterbrochen wurde – eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Dichter, fernab jeder Biedermeierei – lebte Anfang der siebziger Jahre wieder auf. So etablierten sich 1975 die Internationalen Nestroy-Gespräche in Schwechat, Tagungsort ist seit Beginn die Rothmühle. Diese Gespräche sind wohl heute ein Muss für jeden ernsthaften Nestroy-Forscher.

Den Initiatoren, Fröderern und Aktiven der Nestroy-Spiele ist es also gelungen, Schwechat zu einem Nestroy-Zentrum ersten Ranges zu machen – ohne dass dabei das Publikum und die Mitwirkenden auf und hinter der Bühne den Spaß an der Sache verloren haben.

Besetzung

  • Sulphurelectrimagneticophosphoratus Leo Selinger
  • Walpurgiblocksbergi-septemtrionalis Alexander Müller
  • Herr von Pastetenberg, Gutsbesitzer Bruno Reichert
  • Constantio, seine Gemahlin Traude Selinger
  • Robert, beider Sohn Robert Herret
  • Schloßverwalter Leopold Selinger
  • Plumpsack, Portier Andreas Bauer
  • Lisette, Stubenmädchen Isabella Rössler
  • Bediente Sonja Scherhaufer, Regine Ban Korsos, Anita Koliander
  • Chevalier de Millefleurs Alexander Müller
  • Ballgäste Willibald Mürwald, Renate Bachtrod, Andreas Herbsthofer, Peter Koliander, Heidi Gauster, Sabine Stacher, Sylvia Daniel, Angela Koliander
  • Roberts Freunde Gunnar Seelke, Alexander Nikodym
  • Brumm, Dorfrichter Willibald Mürwald
  • Bauern Andreas Herbsthofer, Gunnar Seelke, Alexander Nikodym,
  • Peter Koliander, Robert Zahm, Sabine Gerger, Sylvia Nemec-Mele,
  • Sonja Scherhaufer, Regine Ban Korsos
  • Feengeister Alexandra Kratzwald, Kerstin Kratzwald, Thomas Kratzwald
  • Alib-Memeck, ein reicher Orientale Bruno Reichert
  • Indigo, reicher Plantagenbesitzer Willibald Mürwald
  • Emma, seine Tochter Heidi Gauster
  • Hassan, Sclavenaufseher Leopold Selinger
  • Zaide, erste Haremsdame Traude Selinger
  • Fatime, zweite Haremsdame Isabella Rössler
  • Weitere Haremsdamen Sonja Scherhaufer, Renate Bachtrod, Sabine Stacher, Sabine Gerger, Regine Ban Korsos, Sylvia Daniel, Sylvia Janousek,
  • Sylvia Nemec-Mele, Angela Koliander, Anita Koliander, Erika Hegler
  • Eunuchen Peter Koliander, Gunnar Seelke
  • Colonisten Peter Koliander, Alexander Nikodym, Andreas Herbsthofer,
  • Gunnar Seelke
  • Nelli, eine Negersclavin Regine Ban Korsos
  • Araber Leo Selinger
  • Sclavenhändler Sylvia Janousek, Leo Selinger, Alexander Müller
  • Sclaven Alexander Nikodym, Andreas Herbsthofer, Robert Zahm
  • Löwe Leo Selinger
  • Regie Peter Gruber
  • Mitarbeit Christine Bauer
  • Bühne Peter Giljum, Günther Lickel, Roman Lebersorger, Hubert Fössler, Gunnar Seelke
  • Kostüme Herta Mock, Andrea Bernd, Christine Bauer, Olga Weinlich, Gertrude Pfertner, Isabella Rössler, Heidi Gauster
  • Licht Charly Apfelbeck, Fritz Gmoser
  • Effekte Chrstian Sturtzel
  • Choreographie Bilge Jeschim
  • Musik Otmar Binder
  • Einstudierung Herbert Ortmayr
  • Klavier Otmar Binder
  • Schlagzeug Angela Adebiyi-Berann
  • Maske und Haariges Patrizia Grecht, Katharina Grecht, Alexander Müller
  • Souffleuse Herta Mock

Pressestimmen

Niederösterreichische Rundschau, 1. Juli 1992: „Robert, der Teuxel“ als rotziger Punker

Keine Angst, das anfängliche Gähnen des „Herrn von Pastetenberg“ ist durchaus nicht ansteckend. Auch die 20. Auflage der „Nestroy-Spiele“ garantiert einen kurzweiligen Abend und viel Beschäftigung für die Lachmuskel. Von einigem Mut zeugt die Auswahl des Stücks: „Die Abenteuer In der Sclaverey“ fielen nämlich bei der Uraufführung 1834 mit Bomben und Granaten durch. Daraufhin geriet die Posse schließlich in Vergessenheit.

Zu Unrecht, wie der Premierenabend in der Rothmühle bewies. Die Satire wirkt in ihrer Gesellschaftskritik äußerst scharfzüngig und auch aktuelle Bezüge lassen sich leicht herstellen. Eine Möglichkeit, von der Regisseur Peter Gruber ausgiebig Gebrauch macht, ohne dabei schablonenhaft zu wirken. Das nestroysche Wien lebt eben nicht nur in Fossilien weiter.

Getragen wird die Aufführung vor allem durch die männlichen Hauptdarsteller. Während „Robert, der Teuxl“ vom – ansonsten gewohnt souveränen – Robert Herret fast ein wenig überzeichnet wirkt, glänzen Bruno Reichert (Herr v. Pastetenberg bzw. Alib-Memeck) und Andi Bauer (Plumpsack) eher durch köstliches Understatement. Allen dreien scheinen die Rollen aber auf den Leib geschneidert zu sein. Wohldosiert und mit viel Feingefühl verteilten sie die Pointen bei der Premiere an ein amüsiertes Publikum von Nestroy-Feinschmeckern.

Zum Inhalt: Robert, der verzogene Gutsherren-Sprößling, treibt’s bei seinen tyrannisch-exzessiven Eskapaden zu weit. Die hilflosen Eltern ziehen eine Biedermeierfee zu Rate, von der „Robert, der Teuxel“ samt Adlatus „Plumpsack“ zur Strafe in die orientalische „Sklaverey“ gezaubert werden. Dort haben die beiden so manches Abenteuer zu bestehen. Daß Roberts Exzesse in der Rothmühle die Form zeitgemaßer Punk-Rotzigkeit – die zudem nicht ganz unsympathisch wirken soll – annehmen, übt einen eigenen Reiz aus. Mehr soll aber nicht verraten sein, denn es kann nur empfohlen werden, daß sich der geneigte Leser durch den Besuch der 20. Nestroy-Spiele selbst einen äußerst unterhaltsamen und kurzweiligen Abend bereitet. (Michael Wengraf)

Kurier, 6. Juli 1992: Früchterl im Orient

Im Schlußcouplet singt Robert Herret, der gebesserte Held in der Nestroy-Adaption „Die Abentheuer in der Sclaverey“, daß man, um die Hauptwerke Johann Nestroys zu sehen, nicht ins Schloß Rothmühle kommen müsse. Diese Stücke kann man auch anderswo erleben. In Schwechat sieht man die entlegenen, die ausgefallenen, die durchgefallenen Possen Nestroys.

Das Amateurensemble St. Jakob flankiert seit zwanzig Jahren die im Schloß stattfindenden Nestroy-Gespräche mit der Aufführung von Nestroy-Raritäten. Das Stück, das heuer im Schloßhof gespielt wird, wird man in den Nestroy-Ausgaben vergeblich suchen, zumindest unter dem jetzigen Titel. Zwar hat Nestroy „Die Abentheuer in der Sclaverey“ in Erwägung gezogen, entschieden hat er sich dann aber für einen barockisierenden Bandwurmtitel: „Der Zauberer Sulphurelektrimagnetikophosphoratus und die Fee Walburgiblocksbergiseptemtrionalis oder Asiatische Strafe für europäische Vergehn oder Des ungerathenen Herrn Sohns Leben, Thaten und Meinungen, wie auch dessen Bestrafung in der Sclaverey und was sich alldort Ferneres mit ihm begab.“

Die Zauberposse mit dem schier endlosen Titel war, als sie 1834 uraufgeführt wurde, bereits überholt. Sie war als Parodie auf Raupachs Stück „Robert der Teufel“ gedacht, doch war dieses im Jahr davor nach drei Aufführungen wieder aus dem Spielplan des Hofburgtheaters verschwunden. Nestroys Posse war als Parodie nicht mehr zu erkennen, sie galt als eigenständiges Stück. Und sie wurde „unter heftigem Pochen und Zischen zu Grabe getragen“.

Jetzt, fast hundertsechzig Jahre später, feiert sie in Schwechat fröhliche Urständ. Die Geschichte vom Wiener Früchterl, das nach allerlei Missetaten nach Ostindien verzaubert, als Sklave verkauft und schließlich gebessert wird, wirkt heutzutage recht harmlos. Daß Nestroy wienerische Zustände anprangert, ist kaum noch wahrzunehmen, und was die Aufführung Aktualisierungen versucht, etwa wenn auf dem Sklavenmarkt Serben feil geboten werden, ist sie nicht immer geschmackvoll.

Was bleibt, ist Nestroys Sprachwitz, seine Meisterschaft, durch die Sprache Menschen und Verhaltensweisen zu charakterisieren. Die Nestroy-Rolle des Alib-Memeck, eines reichen Orientalen, ist da am ergiebigsten, und Bruno Reichert bemüht sich redlich, Robert Herret, seit zwanzig Jahren in Schwechat dabei, macht aus dem ungeratenen Sohn eine Figur von greller Schärfe, als Hausmeister, der sich im Orient wiederfindet, steuert Andreas Bauer urwüchsige Behäbigkeit bei.

Peter Grubers Regie läuft manchmal Gefahr, sich ins Musikalische zu verlaufen, sie spielt die Dialoge wirkungsvoll aus und bewältigt die szenischen Umbauten bravourös. Die Akteure sind mit viel Liebe bei der Sache: Amateure eben. Ein Abend für Raritätensammler. (Kurt Kahl)

Die Presse, 29. Juni 1992: Nestroy als Schwechater Sommerspektakel

Die Nestroy-Spiele in der Rothmühle in Schwechat haben heuer ein kaum bekanntes Stück ans Licht gezerrt: „Die Abentheuer in der Sklaverey“ aus 1834 ist eine Parodie Nestroys auf ein romantisches Schauspiel. Peter Gruber hat es als ironisch-effektvolles Zauber- und Feenspektakel inszeniert.

Ein mißratener Sohn – Robert Herret als verwöhnter Rocker-Fratz – wird von der Fee in die Sklaverei verbannt und kehrt geläutert zurück. In der Zwischenzeit muß er bei Ali Memeck (als behäbiger Pykniker: Bruno Reichert) den Boden schrubben, sich von seinem Knecht – von Andreas Bauer als opportunistisches Wiener Schlitzohr treffend dargestellt – karnifeln lassen und einen brüllenden Löwen erschlagen.

In dem von Laien gespielten Stück gibt es eine Menge Feuer und Rauch, einen Teppichklopfer als Zauberstab, phantastische Kostüme, einen debilen Zauberer und einen farbenfrohen, sangesfreudigen Harem.

Peter Gruber hat sich einen derben, groben Nestroy ausgesucht, ihn ironisiert und Pointen und Effekte ohne falsche Scham in den Vordergrund gestellt. Das Ergebnis ist ein rechtes Sommerspektakel: Komisch, ohne platt zu sein, engagiert gespielt, ohne bemüht zu wirken, und unterhaltend. (best)

Der Standard, 29. Juni 1992: Nestroys „Sclaverey“-Possen in Schwechat

„Unter heftigem Pochen und Zischen zu Grabe getragen“ wurde laut Theaterzeitung eine Zauberposse Johann Nestroys, die im Jänner 1834 das Bühnenlicht des Theaters an der Wien zum ersten Mal erblickte und die nun bei den Nestroy-Spielen im Schloßhof der Rothmühle wieder ausgegraben wurde.

Diese Zauberposse, jetzt mit dem griffigen Titel „Die Abentheuer in der Sclaverey“ auf dem Spielplan, erregte die Aufmerksamkeit der Literaturgeschichte bisher weniger durch ihre sprachlichen und inhaltlichen Qualitäten, als durch ihren überlangen und zungenbrecherischen Originaltitel „Der Zauberer Sulphurelectrimagneticophosphoratus und die Fee Walpurgiblocksbergiseptemtrionalis“.

Die beiden Figuren aus dem Inventar des Altwiener Zauberspiels bringen den garstigen, gegen den langweiligen, biedermeierlichen Haushalt seiner Eltern aufmuckenden Robert zur Räson, indem sie ihn als Sklaven in ein natürlich bei Nestroy Wienerisches Morgenland versetzen.

Und in der Schilderung dieses Simmeringer Orients schwelgt denn auch die Inszenierung Peter Grubers, wenn der verblödete Potentat Alib-Memeck genüßlichst „Hundert mit dem Bambusröhrl“ androht, während die Haremsdamen trällernd ihre feisten Bäuche schwingen. „Wien und Asien, ist wie a Faust auf ein Aug“, heißt es scheinheilig im Couplet.

Da läßt sich natürlich auch viel Tagesaktuelles einbringen: moderner Sklavenmarkt am „Polenstrich“, Asylpolitik, etc. Dennoch geraten die Abentheuer in der Sclaverey auf der Bühne etwas breiig. Dieser ursprünglich auf Ernst Raupachs romantisches Schauspiel Robert der Teuxel gemünzten Parodie fehlt der scharfe Sprachwitz, die Figuren bleiben letztlich Schablonen. (Gernot W. Zimmermann)

Wiener Zeitung, 28. Juni 1992: Teuxel Robert als Sklave

Bereits zum 20. Mal finden heuer im wunderschönen Hof von Schloß Rothmühle die Schwechater Nestroy-Spiele statt. Wieder hat sich das ambitionierte und disziplinierte Laienensemble unter Führung des Profis Peter Gruber zusammengefunden um ein selten gezeigtes Werk Johann Nestroys zu präsentieren: „Die Abenteuer in der Sklaverei“, eine Posse um Robert den Teuxel, die bei ihrer Uraufführung im Theater an der Wien (1834), damals noch mit einem sehr umständlichen Titel versehen, eindeutig durchfiel. Möglicherweise lag das an den allzu großen Strichen der gestrengen Zensur; freilich, eines der besten Werke Nestroys ist es sicherlich nicht.

Für Schloß Rothmühle wurde es jetzt mit vielen (allzu vielen) modernen Elementen und mit (plakativ vordergründigen) Zeitbezügen „aufgemotzt“. Das hat ihm zweifellos erst recht nicht gut getan. Denn die Gesellschaftskritik ist so eindeutig und so stark, bereits vom Grundthema her (das verwöhnte Herrensöhnchen Robert, das alle schikaniert, wird von einer Fee zur Strafe in die Sklaverei versetzt und lernt nun was es heißt, erniedrigt, ausgebeutet, geschunden und verachtet zu werden), daß es einer Verdeutlichung wahrlich nicht bedurfte. Und ob Rock ’n’ Roll im Biedermeier so besonders witzig ist, sei dahingestellt.

Vor allem aber läßt es Peter Grubers Inszenierung sehr an Schärfe fehlen, Präzision und Treffsicherheit scheinen stark eingeschränkt, manche „Scherze“ sind peinlich banal und primitiv. In diesem Rahmen Bezüge zum Elend von Menschen unserer Tage herzustellen, erweist sich eher als Taktlosigkeit.

Schuld an der sehr zwiespältigen Wirkung der heurigen Aufführung ist freilich auch, daß sich in dem personenreichen Ensemble kaum darstellerische Talente finden lassen. Zu überzeugen verstehen einzig Alexander Müller und Bruno Reichert. Begabung zeigt Andreas Bauer.

Alle anderen, einschließlich des tapfer mit einer schweren Heiserkeit kämpfenden Robert Herret als Teuxel Robert, sollten sich wohl ein anderes Hobby suchen. (Lona Chernel)

Die Furche, 2. Juli 1992: Nestroys Exotika

Die Internationalen Nestroy-Gespräche in Schwechat mit dem Motto „Wien und Asien“ hatten die biedermeierliche Vorliebe für orientalische Exotik, und Johann Nestroys Sicht des Ausländischen und Außernatürlichen zum Inhalt. Wenn der Künstler reiste, war dies nicht selten auch durch Fluchttendenzen motiviert. Wenn er aber fremde Länder zum Schauplatz wählte, dann demonstrierte er damit meist eine ironisch überspitzte Version der Wiener Verhältnisse.

In der romantischen Mode der Zaubermärchen könnte auch eine verspätete örtliche Reaktion auf die Aufklärung gesehen werden, und auf das Auftreten Cagliostros wie Napoleons, deren dämonische Wirkungen es den Menschen damals angetan hatten. Nestroy setzt ihnen planmäßig immer ohnmächtigere Zauberer und jämmerliche Teufelsfiguren entgegen, deren Requisiten versagen.

In seinen sprachanalytischen Wortspielen zerlegte der Dichter oft die blumenreiche Metaphorik einer Zeit, die menschliche Emotionen in Naturphänomene zu übersetzen pflegte. Lore Toman

Zwei Nestroy-StiIe

Die 20. Nestroy-Spiele im Hof von Schloß Rothmühle bestätigen: Regisseur Peter Gruber entwickelte mit den hochprofessionellen Schwechater Laienspielern zwei Nestroy-Stile: Einen messerscharfen, präzisen, für die bekannten Stücke mit dem starken Wortwitz – und einen mit dem Text frei umspringenden, nach Lust und Laune aktualisierenden, Adaptionen nicht scheuenden, kabarettistisch und musikalisch angereicherten für die als undankbar geltenden, selten oder nie mehr gespielten „B-Nestroys“.

Letzteres Verfahren bewährt sich heuer trefflich bei „Der Zauberer Sulphurelectrimagneticophosphoratus und die Fee Walpurgiblocksbergiseptemtrionalis“ („Abentheuer in der Sclaverey“). Die Gschicht vom strafweise in den Orient gezauberten Luftikus und den mit dem Rohrstaberl aufrechterhaltenen asiatischen Zuständen ist voll Anspielungen, Persiflagen und Parodien und eine große Hetz ohne Tiefflüge ins Flachland. Robert Herret und Bruno Reichert gerieten mancher Kellerbühne zur Ehre, Regine Ban Korsos spielt eine köstliche „Negersclavin“. (H. B.)

Neue Kronenzeitung, 28. Juni 1992: In der Polit-„Sclaverey“

Auch aus originellen Ideen und Pointen werden eines Tages alte Witze! Regisseur Peter Gruber hat eine vergessene Nestroy-Posse ausgegraben. Und biegt sich die verhatschte Komödie „Abenteuer in der Sclaverey“ in der Schwechater Rothmühle nach Belieben zurecht.

Nestroy auch politisch zu verstehen, ist ehrenvolles Anliegen vieler Theatermacher; Nestroy die eigene Moral unterzuschieben, ist plumpe Anmaßung. Nestroys gesellschaftskritischer Scharfsinn war in vielen Schwechater Jahren Mittelpunkt mutiger Theaterarbeit. Jetzt sind es Grubers moralinsaure Ansichten zum Thema Ausländer.

Seine kuriosen Einfälle, die er sich ohnehin in keiner Theaterminute verkneifen kann, sorgen immer für eine furiose Kasperliade; sein Brecheisen-Einsatz von politischen Tagesthemen aber sorgt für schulmeisterliche Verkrampfungen. Gibt es denn immer noch selbstgerechte Weltverbesserer, die ihre Ideologie dem Publikum mit rosa Mascherl und „Dudu nix gut“ verkaufen wollen? Ideologen waren nie gute Komödianten. Wer Nestroy aus seiner zutiefst menschlichen Zwiespältigkeit in politische Einseitigkeit abschieben will, stellt sich selbst ins Winkerl der gealterten Moralprediger. (Konrad Kramar)

Ganze Woche, 28. Juni 1992: Mit Nestroy in den Harem

20 Jahre Nestroy-Spiele auf Schloß Rothmühle! Regisseur Peter Gruber hat hier durch zwei Jahrzehnte gute Arbeit geleistet. Erstens: Johann Nestroys Possen bereiten immer ein Vergnügen. Und zweitens: Die Laiendarsteller des Ensembles spielen mit beachtlichem Können, vermitteln Spaß.

Peter Gruber hat sich heuer für die Freilichtaufführungen im Schwechater Rothmühle-Schloß eine sonst nie gespielte Zauberposse ausgewählt: „Die Abentheuer in der Sclaverey“. Eine Parodie auf das 1833 im Burgtheater aufgeführte romantische Schauspiel „Robert der Teufel“ von Ernst Raupach. Ein kränkender Mißerfolg war’s für den sonst so umjubelten Nestroy, drei Aufführungen nur!

Dies soll uns nicht bekümmern. Der Nestroysche Wortwitz bereitet immer Vergnügen. Und Gruber läßt seine Nestroy-Komödianten so agieren, als würden sie auf einer großen Bühne stehen. Einige von ihnen, wie Bruno Reichert in der Doppelrolle als verblödeter Herr von Pastetenberg und Türkenpopanz Alib-Memeck oder Alexander Müller als Hexe Walpurgiblocksbergiseptemtrionalis, beherrschen ihr Metier, spielen einige Trümpfe aus.

Es geht jedenfalls rund, wenn der Biedermeier-Halbstarke Robert (Robert Herret) von den Hexen in türkische Sklaverei getrieben wird und dort bis zur Besserung einiges durchstehen muß. Grubers Inszenierung setzt auf Action, Ironie, sucht aktuelle Bezüge und Sozialkritisches, fordert von seinen Laien viele schauspielerische Nuancen. Manches gelingt überzeugend, manches weniger gut. Auf in den Harem! Die Schwechater-Mädels dort sind schon adrett.

Sabine Stacher, Robert Herret