Zu ebener Erde und erster Stock
9. Nestroy-Spiele Schwechat 1981 im Schlosshof der Rothmühle in Schwechat-Rannersdorf, 2320 Schwechat, Rothmühlstraße 5, im Juli 1981
Besetzung
- Herr von Goldfuchs, Spekulant und Millionär Peter Bolaffio
- Emilie, seine Tochter Helene Meissl
- Monsieur Bonbon Eduard Maciejovsky
- Frau von Steinfels Victoria Posch
- Herr von Wachsweich Andreas Bauer
- Frau von Wachsweich Marietta Michielsen
- Wermuth, Buchhalter eines Großhandlungshauses Eduard Maciejovsky
- Johann, Bedienter bei Goldfuchs Robert Herret
- Fanny, Kammermädchen bei Goldfuchs Sylvia Smaha
- Anton, Diener bei Goldfuchs Leopold Selinger sen.
- Friedrich, Diener bei Goldfuchs Ernst Schüller
- Rudolf Christoph Stepan
- Alfred Kurt Muhr
- Meridon, Koch bei Goldfuchs Karl Krumpholz
- Wächter Andreas Bauer
- Schlucker, ein armer Tandler Willibald Mürwald
- Sepherl, sein Weib Gertude Pfertner
- Adolph, Tagschreiber bei einem Notar Walter Pober
- Christoph Reiner Charvath
- Nettel Barbara Woller
- Sepperl Herbert Woller
- Poldi Leopold Selinger jun.
- Damian Stutzel, Frau Sepherls Bruder Peter Wittberger
- Salerl, entfernte Anverwandte Schluckers Susanne Urban
- Georg Michael Zins, Hausherr Friedrich Pfertner
- Will Alfred Cicek
- Gerichtsbeamter Karl Krumpholz
- Grob, Tandler Walter Mock
- Trumpf, Tandler Alfred Cicek
- Plutzerkern, ein Greißler Karl Krumpholz
- Zuwag, ein Aufhackknecht Alfred Cicek
- Zech, ein Kellner Renate Abt
- Regie Peter Gruber
Pressestimmen
Niederösterreichische Nachrichten, 8. Juli 1981:
Premiere des Nestroy-Stückes: Zu ebener Erde und erster Stock
Peter Gruber, ein bereits von sehr vielen Inszenierungen her bekannter, junger Regisseur, ließ mit seiner quicklebendigen Inszenierung des Stückes „Zu ebener Erde und erster Stock“ von Johann Nestroy, mit der aus seiner Wahl getroffenen, sehr gut typisierten Besetzung einen wienerischen Kontrapunkt auf die schweizerische Konzeption folgen. Neben der sehr flott geführten Regie sind, wie bei der Premiere dieses Nestroystückes am vergangenen Freitag, dem 3. Juli, zu sehen war, auch Bühnenbild, Kostüme, Hüte und Requisiten zu akklamieren, und ist weiters dem Nestroy-Genre durch die in die Inszenierung eingebauten Pointen mit untermalender Werkelmusik bestens entsprochen worden.
Die schauspielerischen Leistungen der Akteure dieser Laienspielertruppe: Robert Herret als Bedienter Johann, Peter Wittberger als Damian Stutzel, Susanne Urban als Salerl, Sylvia Smaha als Kammermädchen Fanny, Peter Bolaffio als Herr von Goldfuchs, Friedrich Pfertner als Hausherr G. M. Zins, Georg Wertnik als Monsieur Bonbon und anderer sowie das große Engagement der mitagierenden Kinder: Walter Pober, Reinhard Charwath, Barbara und Herbert Woller, Leopold Selinger sind besonders zu erwähnen. Es ist deshalb der österreichische Kultursenat und das gesamt österreichische Volk zu beglückwünschen, daß dank der Initiative aller Nestroyaner der Geist des „philosophierenden“ Volksdichters und Schauspielers Johann Nestroy lebendig geblieben ist und weiter überliefert wird.
Kurier, 11. Juli 1981: Drehorgel, Spielautomat und Jets
Wenn blinde Zufallslaunen das Leben der Leut’ – meist zum Schlechteren – drehen und wenden, ertönen Beethovens Schicksalsschläge aus der „Fünften“.
Lacht ihnen jedoch das Glück und schüttet Fortunas Füllhorn über sie aus, blinklichtert, klingelt und rattert die ganze Bühne wie ein becherner Spielautomat.
Couplets begleitet leiernd die Drehorgel, und wenn dröhnend landende Jets vom nahen Flugplatz die Dialoge kreuzen, hebt einer die fatalistische Tafel: Pech.
Mit derlei fröhlicher Verfremdung und wurstelpraterischen Attraktionen spaßettelt sich Peter Grubers Inszenierung von Nestroys „Zu ebener Erde und erster Stock“ direkt in die Gemüter der Zuschauer. Alle Lustigkeit und alle Klugheit des sozialkritischen Wiener Possenreißergenies Nestroy werden damit heuer bei den Nestroy-Spielen im Schwechater Schloß Rothmühle mobil, wirksam und deutlich.
Zu ebener Erde und im ersten Stock trennen ein paar Stufen Welten: Armut der Schlucker, Reichtum der Goldfüchs’. Die Örtlichkeit im Schloßhof scheint für das nämliche Stück wie geschaffen: Der einstöckige Holzbau bietet die zwei sozialen Spielebenen von sich aus an, die Bühnenbildner (Gruber, Herret) brauchten nur zuzugreifen.
Im Stil greller Jahrmarktskomödiantik – vielleicht Savarys Grand Magic Circus lustig abgeschaut – ereignet sich Nestroys vormärzenes Stück ganz famos, satirisch, ironisch. Allerdings:
Die Charaktere sind zu ebener Erde derb, volksnah, im ersten Stock als Karikaturen und Zerrbilder angelegt. Das paßt manchmal nicht recht zusammen. Etwa wenn der auf Dracula und Brunnenvergifter geschminkte Diener Johann in mehreren Gstanzeln soziales Gewissen Zeigt (imponierend: Robert Herret).
Durch den Verzicht auf feinere Nuancierung werden die Darsteller nie überfordert, dürfen hergeben, was sie haben: das ist nicht wenig. Peter Wittberger als handfester, stimmiger Damian hat ebenso die Sympathien des freiluftig im Hof wie auf einem Marktplatz sitzenden Publikums wie der mutig in häßlicher Stutzerlarve scharwenzelnde Georg Wertnik die (gewollte) ungeteilte Abneigung.
Übel stößt einem kein einziger auf im gut geführten Ensemble: herzhafter Nestroy von herzhaften Leuten. Herz, was willst du mehr! (Rudolf John)
Die Furche, 8. Juli 1981: Gutes Jahr in Schwechat
Was der Berufsregisseur Peter Gruber mit den Laiendarstellern von Schwechat seit vielen Jahren mal besser, mal weniger gut zustandebringt, hat manchen durchwegs mit Vollprofis besetzten Produktionen der Sommerzeit immerhin eines voraus: Jeder Darsteller gibt sein Bestes.
Die Schwechater Laien machen in ihren besten Jahren echtes, volkstümliches Vorstadt-Theater – wobei ihnen ihr Teamgeist, ihre Zuammengehörigkeit übers ganze Jahr, zugute kommt.
Mit der „Freiheit in Krähwinkel“ im Vorjahr konnte ich mich nicht anfreunden: Es hat keinen Sinn, Nestroy falsche Zähne einzusetzen, wenn er dabei seinen Biß verliert.
Die Produktion 1981 ist anspruchsloser, ohne interpretatorischen Ehrgeiz und gerade darum besser. Die sozialkritische Schärfe kommt schon, bei aller Lustigkeit, von selber zum Tragen.
Es wäre ungerecht, einzelne Ensemblemitglieder hervorzuheben. Es können nicht alle gleich viel, aber niemand macht es sich leicht. (H. B.)
Arbeiterzeitung, 7. Juli 1981: Vorbildliches Sommertheater in Schwechat
Seit der ausgezeichnete junge Regisseur Peter Gruber allsommerlich in Schwechat am Werk ist, haben sich die Nestroy-Spiele vom amüsanten Laientheater zum Modellunternehmen entwickelt. Fern von ältlichem Kurtheater leistet die Amateurtheatergruppe St. Jakob Bemerkenswertes für die kulturelle Infrastruktur der Gemeinde. Nestroys „Zu ebener Erde und erster Stock“ ist noch besser gelungen als im Vorjahr die „Freiheit in Krähwinkel“.
Vom Szenario ist dieses kuriose Stück beinahe eine Brechtsche Parabel: Oben und unten, reich und arm, Druck ausübend und den Druck irgendwie ertragend, diese dialektischen Gegensätze sind auf der Bühne in verfremdeter Form sichtbar gemacht.
Andererseits ist „Zu ebener Erde und erster Stock“ noch ein typisches Exemplar vormärzlicher Resignationsliteratur, ein Stück Vertröstung auf das ausgleichende Schicksal, das der Mensch besser nicht selbst in die Hand nimmt. Etwas wie Aufbegehren und Rebellion zeigt sich lediglich in der Gestalt des scheinbar schurkischen Dieners Johann, der das üble Spiel durchschaut und gelernt hat.
Gruber inszeniert diesen Zwiespalt des Stücks mit einem simplen Meistertick. Die Bühne ist von bunten Glühbirnen eingesäumt,, und die sorgen für die erforderliche Distanz, indem sie – wie bei Savary – aufleuchten, wenn die vormärzliche Moral oder das unberechenbare Fatum zuschlagen.
Den Gestalten erlaubt er einen komödiantischen Realismus ohne jede Verzuckerung. Wo die degenerierte bessere Gesellschaft ihre Feste feiert, tauchen unversehens gespenstische Fellini-Fratzen auf. Was Gruber mit dem Amateurensemble gelungen ist, grenzt an eine Sensation. (Heinz Sichrovsky)
Volksstimme, 7. Juli 1981: Zugang zu Nestroys Vitalität
Wer lebendigen, unverfälschten Nestroy sehen will, sollte nach Schwechat in den Schloßhof der Rothmühle kommen. Dort zeigt seit nunmehr neun Jahren die Amateurspielgruppe St. Jakob unter der verdienstvollen Regie von Peter Gruber, was Nestroy sein kann – und soll. Und stellt sich damit bewußt gegen jeglichen Burgtheaterplüsch-Nestroy in synthetischer Sprache.
Nestroys „Zu ebener Erde und erster Stock“ gehört zu den vorrevolutionären Stücken des großen Wiener Volksdichters. Wiewohl es noch in der Tradition des Biedermeier-Unterhaltungstheaters steht, sind erste sozialkritische Züge unverkennbar: die Familie Schlucker zu ebener Erd und er Spekulant Goldfuchs im ersten Stock.
Auch dramaturgisch ist das Stück reizvoll: Die kontrapunktische Handlung, das simultane Spiel auf zwei Ebene, für das dieser Schloßhof geradezu geschaffen ist, zeigen die Möglichkeiten, den Inhalt durch die richtige Umsetzung noch zu betonen.
Das stellt sowohl an Regie wie an Schauspieler große Anforderungen, in Schwechat werden sie gemeistert.
Peter Gruber gibt dieser Posse in drei Aufzügen den Rahmen einer Prater-Illusionsbühne, wo drumherum die Automatenlichter aufflackern, wann immer das „Glück“ zu den Schluckers kommt. Gruber erreicht dadurch eine Zurücknahme der Illusion beim Publikum bei gleichzeitigem Ablauf der Illusion auf der Bühne.
Und geht so weit, daß das Automatenglück am Ende in knatterndem Feuer zerstiebt.
Das Amateurensemble bietet einen geschlossenen Eindruck, von gelegentlichen Unsicherheiten im dritten Aufzug abgesehen. Besonders imponierend die schauspielerischen Leistungen von Peter Bolaffio (Goldfuchs), Willibald Mürwald (Schlucker), Peter Wittberger (Damian) und Robert Herret (Johann).
Vortrefflich besetzt wurden auch die Frauenrollen: Susanne Urban schafft in ihren Couplets sowohl die ironische Distanz wie auch die Identifikation. Gertrude Pfertner gestaltet Schluckers Frau Sepherl ganz groß, und auch Sylvia Smaha als Kammermädchen Fanny gibt einen ganz ausgezeichneten Part, ebenso wie Edeltraud Selinger (Werkelfrau). Zu diesem Gesamteindruck trägt gewiß auch die musikalische Einstudierung von Herbert Ortmayr bei, dessen „Leierkastenmotive“ den Eindruck der Illusion noch vielfach verstärken.
Was auf dem Schloßhof der Rothmühle geschaffen wurde, ist nichts anderes als die Satire auf die bestehende Gesellschaftsordnung: das Vorzeigen zwischen dem, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Da „Fortunas Glücksbude“ am Ende zerstiebt, ist die logische Konsequenz. Und die wird zu ebener Erd und im ersten Stock herausgearbeitet. Dafür gilt allen Mitwirkenden in Schwechat Dank. (Günther Stockinger)
Neue Kronenzeitung, 5. Juli 1981: Das Glück der Automaten
„Fortunas Glücksmühle – Die Launen des Glücks“, prangt über der Pawlatschen, die im Hof des Schlosses Rothmühle aufgebaut ist. Im Stil Altwiener Volkstheaters hat Regisseur Peter Gruber Nestroys tragische Posse „Zu ebener Erde und erster Stock“ in Schwechat aufgezogen.
So werden weder Zuschauer noch die Schauspieler der Laienbühne St. Jakob überfordert. Und wer aufmerksamer hinsieht, wird manch sorgfältiges Detail an diesem Glücksspielautomaten des Lebens entdecken, den Peter Gruber mit viel Liebe gebastelt hat.
Sein Glück geht über die pessimistische Ironie Nestroys hinaus. Es ist Glück der Spielhallen. Letzen Endes gewinnt der Automat, oder vielmehr der, der ihn aufgestellt hat. Sein Unglück wird sich so lange nicht „über einen Millionär traun“, bis wir dafür sorgen, daß „Fortuna hinkt“. Denn sonst hält Goldfuchs wie bei Gruber immer wieder den Geldsack in der Hand.
Und das sind die tapferen Protagonisten: Goldfuchs Peter Bolaffio, seine Emilie Helene Meissl, Damian Peter Wittberger, Salerl Susanne Urban, der Böse Johann Robert Herret. (A. W.)