Nestroy-Gespräche 2006: Referate (Exposés)

„Ah, das dalkete Dencken, is wircklich was Dumms“
Raimund und Nestroy im Kontext internationaler Lachkultur

 

 

 

Jürgen Hein
Raimund und Nestroy im Kontext internationaler Lachkultur
Einführung

„In einem Land leben, wo es keinen Humor gibt, ist unerträglich, aber noch unerträglicher ist es in einem Land, wo man Humor braucht.“ (Bertolt Brecht, Flüchtlingsgespräche, GW Bd. 6, Frankfurt a.M. 1967, S. 1459)

Lachkultur ist bekanntlich eine Begriffsprägung von Michail Bachtin, der den Universalismus des Lachens als soziales, das ganze Volk umfassendes Empfinden betrachtet. [1] Lachen ist eine anthropologische Konstante, ein Verhalten in der Welt, zur Welt und darüber hinaus, hat etwas mit Freisein, Freiheit (vgl. G. F. W. Hegel) und Identität zu tun (Ich lache, also bin ich) und auch mit dem menschlichen Wohlbefinden (Lachen ist gesund). Es gibt im westeuropäischen Raum seit der Antike unterschiedliche Theorien des Komischen und vielerlei Ansichten einer sich interdisziplinär orientierenden Lachforschung (Gelotologie). [2]

Das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens kennt vierundzwanzig Kategorien des Lachens mit unterschiedlichen Funktionen und interessanten Belegen, vom Ausdruck der Lebenslust bis zum ‚Todeslächeln‘ und über den Tod hinaus zum Lachen der Götter (Homerisches Gelächter). [3]

Damit ist auch die Nähe zur theologischen Diskussion gegeben: Was ist mit dem lachenden Christus? Oder kommt das Lachen vom Teufel (Höllengelächter); ist das Komische eines der satanischen Merkmale des Menschen? [4]

Adolf Holl weist darauf hin, dass in vor sechzig Jahren entdeckten frühchristlichen Texten von einem lachenden Christus die Rede [ist], der seine Kreuzigung komisch findet; allerdings sei das Christentum (auch heute) noch nicht reif für eine geistlich inspirierte Lachkultur. [5] Das ist eine provokante These. Warum wurde in der christlichen Tradition das Lachverbot propagiert und oft durchgesetzt (vgl. Umberto Ecos Roman Der Name der Rose)? [6]

Stefan Busch hat in Verlorenes Lachen das blasphemische Gelächter von Klopstock und Lessings, Tieck und Büchners bis zu Gerhart Hauptmann, Thomas Mann und zur Gegenwartsliteratur verfolgt; die Motivverwendung sei an die Thematik der Glaubenskrise gebunden und im Kontext der lachfeindlichen Tradition des Christentums und der Psychologie des verzweifelten Lachens zu sehen. [7] Blasphemisches Lachen fungiere als Provokation der aufgeklärten Gesellschaft. Für die Moderne kommt er zu dem Ergebnis, dass dieses Lachen im Wandel der Zeiten zum Zitat und zur literarischen Reminiszenz wird, vielleicht auch bei Nestroy, zum Beispiel in Höllenangst?

Und wie verhalten sich Raimunds Gestalten zum Metaphysischen? Welche Dimension erreicht ihr Lachen? Stehen beide Autoren im Kontext unterschiedlicher Lachkulturen: Raimunds Poetisierung’ (Lachen als Einverständnis), Nestroys Erneuerung des komödiantischen Theaters (Lachen als Kritik)? Auch bei früheren Nestroy-Gesprächen wurden bereits Formen und Funktionen des Komischen sowie unterschiedliche Lachtraditionen in den Blick genommen. [8]

Wie steht es um die Internationalität des Lachens und um den Kulturtransfer komischer Subjekte, Objekte und Strukturen, z.B. im Unterhaltungstheater und auch unter dem Einfluß der Medien? Das Leopoldstädter Theater galt im 19. Jahrhundert als Lachtheater Europas; wie war die weitere Entwicklung? Wie stellt sich das Unterhaltungstheater in anderen europäischen Metropolen dar?

Martin Stern sieht in Nestroy-Polemik und Raimund-Lob [ein] Vorspiel des poetischen Realismus; [9] was bedeutet das für das Verständnis von Spaß, Witz, Humor, Komik und Satire? Erinnert sei auch an entsprechende Großstadt-Stereotype. [10]

Walter Höllerer hat bereits 1958 den Blick auf Lachen und Weinen in der Dichtung einer Übergangszeit gelenkt, die Mehrperspektivität des Lächelns bei Raimund und das Spiel mit dem Lächeln bei Nestroy bis hin zum irrlichternden Lachen bemerkt. [11]

In der Diskussion werden lokale, regio- und nationalkulturelle Unterschiede, ethnische Besonderheiten und verschiedene Mentalitäten behauptet, zum Beispiel aus stammestümlichen Konstanten oder aus Gegensätzen zwischen Protestantismus und Katholizismus erklärt. Der verdienstvolle Nestroyforscher Otto Rommel hat in den 30er Jahren eine Aufwertung des Humors vorgenommen und ihn ein spezifisch nordisches Phänomen genannt; und in der 1940 erschienenen Studie Joachim Ritters Über das Lachen heißt es: [12]

Was Rassen, Völker, Individuen unterscheidet, ist je die eigentümliche welthafte Bezogenheit ihres Lachens und mit ihr seine eigentümliche Formung und Ausprägung, die durch zahllose unterscheidende physiognomische Marken und Zeichen bezeichnet wird. Das Lachen ist dünn, breit, laut, leise, kichernd, verhalten, frostig, stoßweise, offen, grell, schrill, sanft, warm, still, kalt, schneidend, gemein, müde, ausgelassen, spöttisch, traurig, unheimlich, gemütlich usw.

Unterschiede zwischen Wiener G’spaß und Berliner Witz gehören zu den Klischees des Feuilletons im 19. Jahrhundert. Braun von Braunthal lässt 1834 seinen Herrn Humor sagen: [13]

Der teutsche Character ist zu streng für die heitere Auffassung des Lebens; der Südteutsche, besonders der Oestreicher, hat hierin noch das glücklichere Temperament; er ist harmloser als der Nordteutsche, und, wenn nicht witziger als dieser, doch scherzhafter, oder, wie man hier sagt, spassiger.

Adolf Glassbrenner sieht den Unterschied so: [14]

Der Witz ist der Spaß des Geistes, der Spaß ist der Witz des Herzens; der Spaß ist breit wie das Wort selber, der Witz ist spitz. Jener ist eine Narrheit im ernsten gewande, dieser ein Ernst im närrischen Gewande. Anfang und Ende des Spaßes ist lachen, nur die Mitte ist ernsthaft; Anfang und Ende des Witzes ist ernsthaft, nur die Mitte ist lachend. Wien hatte seine ernsthafte Mitte unter Joseph den Zweiten, – Berlin ist die Hauptstadt des Witzes. In Wien ist Alles Spaß, die gemüthliche Harmlosigkeit hat dort so sehr den Thron aufgeschlagen, daß noch lange Jahre vergehen werden, ehe ein Witz vorfällt.

Willibald Alexis meinte: [15]

So ist vielleicht auch für Wien, nicht die Zei der Umwälzungen, aber die gekommen, wo die harmlose Lust, welche sonst das Leben füllte, nicht mehr ausreicht. Sie fangen an zu reflectiren bedenkliches Zeichen für die Volkslustigkeit. Auch merkt man schon in den neuern, unbedeutendern Productionen einen nordischen Anflug, der nicht ohne Bitterkeit und Gemeinheit sich kundgibt.

Heute spricht man wohl vom hochkomplexe(n), antinomisch strukturierte(n) Nord-Süd-Diskurs, der auch auf dem Gebiet des Ästhetischen zu anderen Wertungen geführt hat. [16]

Horizonte des Komischen ändern sich in Zeiten, Gesellschaften und Kulturen. Anlässe des Lachens sind soziokulturell bedingt und geschichtlich bestimmt. Was komisch ist, darüber entscheidet das historisch sich ändernde Normenbewußtsein der Gesellschaft. Inwieweit dabei Lokales, Regionales und Nationales eine Rolle spielen, ist noch kaum erforscht. Es gibt einen erheblichen Komik-Bestand, der allen Kulturen gemeinsam ist, aber auch einen Rest an Komischem, der Eigentum der jeweiligen Kultur bleibt. [17] Eine Ethnographie des Lachens fehlt allerdings bislang, und ebenso wissen wir noch nicht so genau, ob und wie sich Frauen im Lachen anders verhalten als Männer. [18]

Die Palette der das Lachen auslösenden und provozierenden Handlungen durch Körper und Sprache ist groß und reicht von vor- und subliterarischen Phänomenen bis zur differenzierten literarischen Hochkultur. Komisches (Sprach-)Handeln, Lachkultur, Vergnügungen, Spiel und Theater hängen eng zusammen.

Der Ernst hat eine feierliche Seite, eine schauerliche Seite, überhaupt sehr viele ernsthafte Seiten, aber ein elektrisches Fleckerl hat er doch immer, und da fahren bei der gehörigen Reibung die Funken der Heiterkeit heraus. (Die [lieben] Anverwandten, IV,4)

Ein G’spaß soll niemals witzig sein, sondern so gewiß sentimental gutmütig, daß man mit’n halbeten G’sicht lachen und mit der andern Hälfte weinen kann. (Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab, I,2)

Bis zum Lorbeer versteig’ ich mich nicht. G’fallen sollen meine Sachen, unterhalten, lachen sollen d’Leut’, und mir soll die G’schicht’ a Geld tragen, daß ich auch lach’, das is der ganze Zweck. G’spaßige Sachen schreiben und damit nach dem Lorbeer trachten wollen, das is eine Mischung aus Dummheit und Arroganz, das is grad so, als wie wenn einer Zwetschgenkrampus macht und gibt sich für einen Rivalen von Canova aus. (Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab, I,12)

Die Szene hat, nach meiner Meinung, gerade das Gute, daß sie die in der Jugend grassierenden üblen und verkehrten Grundsätze geißelt. Das Lächerlichmachen ist in solchen Dingen das wirksamste Mittel, den in der Menschennatur wurzelnden Reiz des Verbotes zu neutralisieren. Das Lächerlichmachen des Bösen und Schlechten ist die einzige moralische Wirksamkeit der Komik, ich glaube, man sollte sie darum am wenigstens beschränken. (Aus einer Eingabe Nestroys an den Zensor [1851] zu einer beanstandeten Szene in Mein Freund [I, 11])

 

 

1 Michail M. Bachtin: Rabelais und seine Welt, Volkskultur als Gegenkultur, Frankfurt a.M. 1995; ders.: Literatur und Karneval, Zur Romantheorie und Lachkultur. Frankfurt/M., Berlin, Wien 1985 (1. Aufl. 1969).
2 Vgl. Informationen auf: www.lachinstitut-berlin.de.
3 Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Bd. 5, Sp. 868–884.
4 Charles Baudelaire: Vom Wesen des Lachens [1855]. In: Sämtliche Werke, Bd. 1, München 1977, S. 286-301.
5 Adolf Holl: Der lachende Christus, Wien 2005, S. 9 u. 261.
6 Vgl. Texte zur Theorie der Komik, hg. von Helmut Bachmaier, Stuttgart 2005, Nachwort, S. 123.
7 Stefan Busch: Verlorenes Lachen, Blasphemisches Gelächter in der deutschen Literatur von der Aufklärung bis zur Gegenwart, Tübingen 2004.
8 Vgl. Jürgen Hein und Karl Zimmel: Drum i schau mir den Fortschritt ruhig an … 30 Jahre Internationale Nestroy-Gesellschaft, 30 Jahre Internationale Nestroy-Gespräche, Wien 2004.
9 Martin Stern: Die Nestroy-Polemik des deutschen Vormärz Vorspiel des Poetischen Realismus, in: Gabriella Rovagnati, (Hg.): Johann Nepomuk Nestroy. Tradizione e trasgressione. Milano 2002, S. 44.
10 Vgl. Wolfgang Häusler: Die Wiener in Berlin – Berliner in Wien. Großstadtbild und -stereotyp bei Karl von Holtei (1798–1880) und seinen Zeitgenossen. Jb. d. Vereins f. Gesch. d. Stadt Wien 52/53 (1996/97) S. 117–145.
11 Walter Höllerer: Zwischen Klassik und Moderne, Lachen und Weinen in der Dichtung einer Übergangszeit [1958], Neuausgabe Köln 2005, zu Raimund und Nestroy, S. 133–161.
12 Joachim Ritter: Über das Lachen, Blätter für Deutsche Philosophie 14 (1940/41), S. 1–21, Zitat S. 4.
13 Karl Johann Braun v. Braunthal: Antithesen oder Herrn Humors Wanderungen durch Wien und Berlin, Eine Sammlung von Skizzen aus dem Wiener und Berliner Volksleben, nach der Natur gezeichnet. Wien 1834.
14 Adolf Glassbrenner: Bilder und Träume aus Wien, Leipzig 1836, Bd. 2, S. 112 f.
15 Willibald Alexis: Wiener Bilder, Leipzig 1833, S. 222 f.
16 Vgl. Harald Schmidt: Die Reise in die Ungeniertheit, Adolf Glaßbrenners Bilder und Träume aus Wien (1836), in: Hubert Lengauer / Primus Heinz Kucher (Hg.): Bewegung im Reich der Immobilität. Revolutionen in der Habsburgermonarchie 1848-1849. Literarisch-Publizistische Auseinandersetzungen, Wien, Köln, Weimar 2001, S. 108–131.
17 Vgl. Walter Hinck (Hg.): Die deutsche Komödie. Düsseldorf 1977, S. 13.
18 Vgl. Beatrix Pfleiderer: Anlächeln und Auslachen. Zur Funktion des Lachens im kulturellen Vergleich. In: Dietmar Kamper / Christoph Wulf (Hg.): Lachen – Gelächter – Lächeln. Reflexionen in drei Spiegeln. Frankfurt/M. 1986, S. 338–349; Daniela Strigl (Hg.): Frauen verstehen keinen Spaß, Wien 2002.

 

Alice Bolterauer
Das, was weh tut, weglachen
Zu Funktionen des Lachens bei Raimund und Nestroy

Ausgehend von Lachtheorien von Helmut Plessner und Joachim Ritter soll der Frage nachgegangen werden, warum wir in Stücken Ferdinand Raimunds und Johann Nestroys eigentlich lachen bzw. welche Funktion dieses Lachen haben könnte.

Helmut Plessner hat in einem 1941 erschienenen Text mit dem Titel Lachen und Weinen u.a. die These vertreten, dass wir lachen, weil wir mit etwas nicht fertig werden. Das Lachen sei eine Möglichkeit der Distanz zu Situationen, in denen der Mensch weder ein noch aus mehr wisse und keine Antwort mehr finde.

Joachim Ritter wiederum meint in seinem Text Über das Lachen (1940), zum Lachen bringe uns das, was im offiziell Geltenden das Nichtige und was im offiziell Nichtigen das Geltende sichtbar werden lasse. Komische Wirkung stelle sich dann ein, wenn in den einen Bedeutungsbereich, der sich harmlos und einwandfrei zulässig gibt, der andere hineingespielt wird, der in jenem gerade ausgeschlossen und als nicht dazugehörig beiseite gebracht ist. Während der Ernst nur das zur jeweiligen Sache Gehörige gelten lasse und akzeptiere, moniere das Komische eine Zusammengehörigkeit von Geltendem und Nichtigem. Das Lachen könne dann, so Ritter, als Spiel verstanden werden, dessen einer Partner das Ausgegrenzte, dessen anderer Partner die ausgrenzende Lebensordnung selbst sei.

Liest man vor dem Hintergrund dieser Theorien die Lustspiele Raimunds und Nestroys, dann lässt sich gerade auch im Hinblick auf die beiden zentralen Themenkomplexe Liebe und Geld eine Ambivalenz von offiziell anerkannten, quasi öffentlich geltenden Idealvorstellungen und diesen zuwiderlaufenden, unerwünschten Strömungen und Tendenzen erkennen.

Natürlich erscheint die selbstlose Liebe als höchstes Ideal, aber dieses begibt sich bei Raimund und Nestroy in ein höchst vergnügliches Spiel mit Paar- und Familienkonstellationen, die alles andere als wünschenswert und gerade deswegen lachenswert sind, weil sie das Ausgegrenzte thematisieren. Ähnliches gilt für die finanziellen Belange, die sich im Idealfall als geradlinig und ständig sich vermehrend erweisen, de facto aber an der Wirklichkeit von Wirtschaft und Industrie sich brechen. Dem ruhig und sicher seinen Lebensunterhalt garantierenden Bemühen des Einzelnen steht als das potentiell immer mögliche Andere Absturz in Krida und Bankrott gegenüber.

Wenn für Odo Marquard das Lachen eine kleine Subversion darstellt, dann manifestiert sich in unserem Lachen auch so etwas wie eine kleine Freude am Nichtigen, Nicht-Geltenden und an der Verneinung.

 

Bernhard Doppler
Berliner Witz und Wiener G’spaß im Vormärz

Witz und Spaß sind zweierlei, meint Ignaz Franz Castelli in seinen Memoiren, und hält dabei den gutmütigen Gspaß für eine Charaktereigentümlichkeit der Wiener, der Norddeutsche bevorzuge hingegen den Witz. Witz setze nämlich immer eine Art von Geistesbildung voraus, die vom Wiener nicht gefordert werden müsse, da beim Spaß nur die Geschicklichkeit oder Ungeschicklichkeit Gelächter zu erzeugen verlangt werde. Ist diese Trennung von Witz und Spaß selbst ein Spaß?

Castellis Hypothese wird im Kontext internationaler Lachkultur ernst genommen . Zunächst sollen Spielarten der von ihm inszenierten und mitinszenierten Späße, bei denen etwa im Verein Ludlamshöhle weite Teile der Wiener Gesellschaft des Vormärz mitspielten, vorgeführt werden. Doch auch der Gegensatz zwischen österreichischem Spaß und norddeutschem Witz, auf den sich vor allem die Berliner viel zugute halten, soll am Beispiel Adolf Glaßbrenners überprüft werden. Schließlich wird gefragt, wieweit Witz und Spaß im Vormärz auch als Exportartikel vom Norden nach Süden und umgekehrt taugten.

 

Andreas Freinschlag
Aristophanes provokatorischer und poietologischer Vorfahre Nestroys?

1. Zum Kontext internationaler Lachkultur, in den Nestroy und Raimund zu stellen sind, gehört auch der bedeutendste Dichter der Alten Griechischen Komödie, jener Meister der Antilaben und Stichomythien, der satirischen Bisse und kuriosen Anspielungen, der schon in jungen Jahren Furore machte und wie Platus, Shakespeare, Moliere, Goethe und Nestroy zu jenen Dichtern zählt, der die Bühne auch als Schauspieler kennt: Aristophanes.

Dass Nestroy und Aristophanes mit ähnlichen poietischen Methoden humoristische, teils provokante Effekte erzielen, ist bekannt. Was ich (im Sinne meiner in statu nascendi befindlichen Dissertation Theorie literarischer Provokation) nun versuchen möchte, ist eine kleine komparatistische Skizze der poietischen Provokationsformen, die wir bei Aristophanes und Nestroy finden.

2. Mindestens ebenso interessant ist der methodologische Blick auf den Vergleich zwischen Aristophanes und Nestroy: Die im Titel unter Apostrophe gesetzte Frage soll demnach paradigmatisch für eine Reflexion über Vergleichbarkeiten stehen. Das Dissertationsprojekt Theorie literarischer Provokation war ursprünglich komparatistisch angelegt. Nach dem Muster der Bioi paralleloi Plutarchs sollten jeweils zwei provokante literarische Texte zweier unterschiedlicher Welten verglichen werden, z.B. Texte von Wieland und Lukian, Epigonus und Martial, Hieronymus und Martin Luther, Nestroy und Aristophanes. Dieses Konzept wurde aus Gründen der arbeitsökonomischen Beschränkung mittlerweile verändert und zurechtgehobelt. Ein Werkstattbericht wird über geflogene Späne sprechen.

 

Wolfgang Häusler
Adalbert Stifter – Poet, Maler, Naturwissenschaftler
Ein Besuch der Stifter-Gedenkräume im Geburtshaus Franz Schuberts (Nußdorfer Str. 54, 1090 Wien)

Zur Stifter-Führung: Adalbert Stifter soll angesichts seines in den Gedenkräumen in Franz Schuberts Geburtshaus präsentierten malerischen Lebenswerks nicht „als“ Maler oder „als“ Naturwissenschafter vorgestellt werden, sondern in der von ihm angestrebten Einheit von Poesie, Malerei und Wissenschaft. Insbesonders ist zu zeigen, wie intensiv das Konzept der „Bunten Steine“ in Stifters Einbindung in den naturwissenschaftlich innovativen Kreisen des Vormärz verankert ist. Ebenso ist die lebenslange Nachwirkung der Bildungssituation des Benediktinerstiftes Kremsmünster zu zeigen, doch auch das drohende Scheitern dieses Lebensentwurfes („Der Waldgänger“) und  das  tragische Streben nach einer Ganzheit, die Stifter in seinen späten Symbolbildern – vergeblich? – einzuholen versuchte. Die Problematik menschlicher Beziehungen in diesem Konzept von Kunst, Wissenschaft und Leben legt Vergleiche mit dem – scheinbar ganz andersartigen – Nestroy nahe.

 

Peter Haida
Medienwechsel – Film- und Fernsehadaptionen von Nestroy-Stücken.
Ein Vergleich

Überlegungen zu verschiedenen Arten der Umsetzung von Nestroy-Stücken müssen sich mit folgenden Fragen beschäftigen: Was passiert bei der Übertragung von einem Medium ins andere? Inwieweit verändern sich durch den Wechsel in ein anderes Medium Inhalte und Strukturen der Vorlage? Welche Möglichkeiten bieten sich in dem und durch das andere Medium?

Diese Fragen und auch die Veränderung des Zuschauerverhaltens sollen im Mittelpunkt des Referats stehen.

Ein für das Theater geschriebener Text verlangt durch die Inszenierung bereits eine Art Medienwechsel von der Sprache zur Aufführung (wenn auch nicht wirklich, denn das Stück ist ja für die Aufführung geschrieben). Die Realisation konkretisiert die Vorlage und stellt in allen Fällen eine Interpretation dar. Die weitere Übertragung in ein anderes Medium bedeutet wiederum eine Veränderung. Hier ist zu überlegen, welche stofflich-inhaltlichen oder strukturellen Elemente aufgrund der Möglichkeiten des neuen Mediums hervorgehoben oder vernachlässigt werden.

Ein grundsätzlicher Unterschied ist zunächst zu machen zwischen der Adaption eines Theaterstücks für das Fernsehen und seiner Verfilmung. Erstere bleibt ihrem Grundcharakter nach die Dokumentation einer Inszenierung (Ausnahmen ich sehe allerdings bisher keine könnten die Regel bestätigen!), wird sich also inhaltlich und strukturell nicht grundsätzlich von ihr entfernen. Gleichwohl stehen ihr andere Möglichkeiten zur Verfügung. Mit Hilfe von filmischen Mitteln wie Kamerafahrten und verschiedenen Einstellungsgrößen kann die Bildregie bestimmte Akzente setzen.

Eine Verfilmung löst in der Regel die theatrale Struktur auf und entfernt sich vom Vorbild. Sie weist dadurch eine geringere Werktreue auf, vor allem, wenn sie nur den Stoff benutzt. Für den Film ist außerdem oft ausschlaggebend, dass er nach dem Willen der Produzenten Erwartungen des Publikums bedienen soll.

Diese grundsätzlichen Erwägungen sollen im Referat weiter ausgebaut werden. Weiterhin werden einige Realisationen in Theater und Film im Hinblick auf Aspekte wie Konzeption, Schauspieler und Rolle, Bühnenbild/Raum und Stellung des Zuschauers verglichen.

 

Herbert Herzmann
Spieler oder Spielball des Zufalls?
Anmerkungen zu Nestroys Dramatik im Lichte der Spieltheorie

Der Vortrag bietet einige Glossen zur Relevanz von Spiel- und Chaostheorie zum Verständnis des Lachtheaters im Allgemeinen und zu Nestroys Possen im Besonderen:

1. Die mathematische Spieltheorie scheint die in Nestroys Possen implizierte Auffassung, derzufolge das Leben ein Spiel ist, zu bestätigen.

2. Die Zufallsdramatik des Lachtheaters antizipiert das Diktum der Spieltheorie, dass der Zufall seine eigene Rationalität habe. Die Spielerfiguren des Lachtheaters fordern im Gegensatz zu den Helden der Tragödie nicht das Schicksal, sondern den Zufall heraus und beziehen aus dem Spiel mit dem Zufall Lust.

3. Die Unterschiede zwischen Tragödie und Komödie (womit hier alle Formen des Lachtheaters gemeint sind)werden mit Hilfe der reinen und gemischten Strategien und Zustände, mit denen die Spieltheorie arbeitet, deutlicher sichtbar. Auch der von der Chaostheorie in den naturwissenschaftlichen Diskurs eingeführte Zeitpfeil erweist sich für die Bestimmung von Tragik und Komik als fruchtbar.

4. Für eine genauere Beschreibung dessen, was komisches und tragisches Theater unterscheidet und was es mit den Schlüssen vieler Komödien auf sich hat, ist es notwendig, einen Blick auf Intermittenzen und Attraktoren zu werfen. Einige diesbezügliche Anmerkungen zu „Lumpazivagabundus“ schließen den Vortrag ab.

 

Carola Hilmes
Zur öffentlichen Belustigung freigegeben: Judith und Holofernes

Judith, die fromme Witwe der Bibel, die durch ihre mutige Tat zur Retterin ihres Volkes wird, diese Figur konnte Hebbel für sein Drama nicht gebrauchen (vgl. den Eintrag in seinem Tagebuch vom 3. Januar 1840). Bekanntlich psychologisierte er die Handlung und machte so aus der Heldin eine zweifelhafte Heroine, denn die der Hauptfigur unterlegte sexuelle Motivation wirft einen Schatten auf ihre Tat. [1] Judith verwandelt sich zur Femme fatale, einer Figur, die vor allem im Fin de siècle an Bedeutung gewinnt, da die erotische Attraktivität einer Frau diese stark erscheinen läßt gegenüber ihren männlichen Gegenspielern, die sich unterlegen fühlen. Wenn sie buchstäblich ihren Kopf verlieren, wie das in den berühmten Dekapitationsmythen von Judith oder auch von Salome erzählt und immer wieder bearbeitet wird, haben sich die kriegerische Heldentat und die verhängnisvollen Folgen der Liebe zu einem neuen Mythos verschmolzen.

Indem Nestroy Hebbels Judith-Tragödie parodiert, verspottet er die unzulängliche Motivation der Titelheldin und wirkt auf diese Weise erfolgreich einer Mythenbildung entgegen. Die erkenntniskritischen Implikationen seiner Travestie gehen aber noch viel weiter. Nestroy läßt Judith gar nicht auftreten, sondern ihre Rolle wird von ihrem Bruder Joab übernommen. Aus dieser Spiel-im-Spiel-Situation entsteht nicht nur eine besondere Komik. Holofernes beobachtet seine eigene Enthauptung und eine fürs Publikum deutlich erkennbare Metareflexion (vgl. Mergenthaler, 1997), sondern es wird auch klar, daß die für den männlichen Helden verhängnisvolle Frau ein verkleideter Mann ist. Im Mythos von der Femme fatale spielt die Frau also gar keine Rolle. Diese in der kollektiven Phantasie so mächtige Figur ist vor allem eine männliche Wunsch-Angstprojektion. Daß auch die Maskerade die gewünschte Wirkung erzielt so wie auch der kaschierte Kopf die Belagerer in die Flucht schlägt, verweist zurück auf die Macht der Parodie und den besonderen Stellenwert von Nestroys Travestie.

In meinem Vortrag möchte ich diesen Zusammenhang genauer untersuchen; dabei sollen die Differenzen von End- und Urfassung berücksichtigt und die unterschiedlichen Mittel der Parodie und Satire herausgearbeitet werden. Entlarvung und Befreiung durch Komik bezieht sich auf beide Titelfiguren: der Maskerade einer Femme fatale wird der Kriegsheld als Hanswurst zugeordnet (vgl. HKA 26/II, S. 308). [2] Auch in Nestroys Travestie bleiben die Konstruktionen des Weiblichen und Männlichen genau aufeinander bezogen. Ein besonderer Reiz liegt darin, daß Nestroy selbst die Rolle Judith (Joab) bei der ersten Aufführung des Stücks 1849 im Carltheater in Wien übernahm. Diese Rolle ist seine ureigene Erfindung, in der die Depotenzierung des Mythos durch Verspottung und Verkleidung ihren sinnfälligen Ausdruck findet.

 

 

1 Vgl. hierzu eine zweite zeitgenössische Parodie auf Hebbels Judith, in: Nestroy, HKA 26/II, S. 313ff.
2 Zur Akzentuierung des Komischen bietet sich auch ein Seitenblick auf Georg Kaisers Drama Die Jüdische Witwe (1904) an.

 

Adolf Holl
Ohne Angst und ohne Andacht auf die Welt schauen

In einem ersten Schritt wird die Konzeption eines lachenden Erlösers in der Koptischen Petrus-Apokalypse, aufgefunden in Nag Hammadi 1945, im Umfeld der so genannten Gnosis dargestellt. Zweitens wird auf Michail Bachtins Lachkultur eingegangen, mit einem Rückblick auf Rabelais und dessen Vorliebe für das Ordinäre. Zuletzt wird in der frühen syrischen Theologie nach Spuren einer theologischen Nobilitierung des Komischen gesucht, wobei das Programm der Narrenheiligkeit skizziert und diskutiert wird.

 

Marc Lacheny
Von einer Lachkultur zur anderen (und retour): Eine Übersetzung von Nestroys Talisman ins Französische

Vor einigen Jahren referierte Gerald Stieg über Nestroys Aneignung einer französischen Vorlage in Der Zerrissene. Nun wird hier, genau umgekehrt, von einer Rückübersetzung, genauer: von zwei Rückübersetzungen des Nestroy’schen Talisman ins Französische die Rede sein.

Nach einem kurzen Überblick über die dürftige Situation Nestroys in französischer Übersetzung, die mit Karl Kraus’ Diktat über die Unmöglichkeit oder wenigstens die höchst schwierige Aufgabe, Nestroys Sprache befriedigend zu übersetzen, vielleicht etwas zu tun hat, wird vor allem auf Stéphane Verrues oft freie Bearbeitung des Nestroy’schen Stückes nach einer Übersetzung von Catherine Creux näher eingegangen werden. Verrue wirkte auch als (erfolgreicher) Regisseur bei den etwa 25-maligen Aufführungen des Talisman auf den französischen Brettern im Jahre 2002.

Der Vortrag wird von allgemeinen, v.a. spezifisch sprachlichen, Problemen der Nestroyübersetzung am Beispiel des Talisman ausgehen: Namen der Personen; Wiedergabe der verschiedenen Sprachregister bei Nestroy; Nachdichten des Nestroy’schen Sprachwitzes und Wiedergabe der Wortspiele.

Dann sollen besondere Fragen der beiden gegenübergestellten Talisman-Übertragungen dargestellt werden:

– Erstens dubiose Entscheidungen, vor allem bei Verrue, der sich hier immer mehr als Bearbeiter entpuppt (auffällige Auslassungen und fast systematische drastische Kürzung der Regieanweisungen; Verharmlosungen und Ungenauigkeiten; radikalere Modifizierungen wie Neuschöpfungen oder unberechtigte Hinzufügungen; unerklärliche Übertragungen);

– Zweitens – und trotz der formulierten Einwände – die Qualitäten der Übersetzungen (Wiedergabe des Tonfalls des Nestroy’schen Textes; Übertragung der musikalischen Einlagen – vor allem bei Creux; Bedeutung des (Lach)kulturtransfers).

Zum Schluss werde ich als französischer Germanist an einen intensiveren Umgang mit Nestroy appellieren, der ohne solche Übersetzungen, die zum Teil natürlich auch anfechtbar sind, und ohne die daraus resultierenden Aufführungen nicht möglich wäre.

 

Marion Linhardt
Heiter, lustig, komisch. Konzepte für ein nicht-ernstes Wort- und Körpertheater im Wien der 1830er Jahre

Eduard von Bauernfeld etablierte sich in den 1830er Jahren, jenem Jahrzehnt, in dem Johann Nepomuk Nestroy mit seinen frühen Parodien, Zauberspielen und Lokalpossen zu einem der produktivsten Stückeschreiber Carl Carls am Theater an der Wien avancierte, als ebenso erfolgreicher Dramatiker am Burgtheater. Bauernfelds heitere Konversations- und Salonstücke wie Das Liebesprotokoll (1831), Das letzte Abenteuer (1832), Bekenntnisse (1834), Bürgerlich und Romantisch (1835) und Das Tagebuch (1836) fanden sich in der Aufführungsstatistik des Burgtheaters bis ins letzte Drittel des 19. Jahrhunderts auf vorderen Plätzen, bevor sie aufgrund eines veränderten Publikumsgeschmacks und neuer Spielplanmodelle aus dem Blick gerieten. Die Stücke Bauernfelds repräsentierten, so könnte man annehmen, eine abgegrenzte Epoche der Lustspiel-Ästhetik und des Lustspiel-Verständnisses. Daß Bauernfelds Ästhetik des Heiteren auch für einen bestimmten Raum stand, legt ein Vergleich mit den in jenen Jahren uraufgeführten Stücken Nestroys nahe, die einer anderen theatertopographischen Sphäre angehörten und sowohl in ihren Stoffen wie in ihrem Publikum einen anderen sozialen Schwerpunkt besaßen. Zu fragen wäre, ob sich mit diesen topographischen und sozialen Sphären differierende Konzepte des Heiteren und/oder Komischen verbanden, ob sich also das nicht-ernste Theater der Stadt und dasjenige der Vorstadt unterschiedlicher dramaturgischer Strategien bedienten, um Lachen zu erzeugen.

 

Matthias Mansky
Hätte Molière den gleichen Stoff behandelt, es wäre ihm nicht besser gelungen (Friedrich II.) Cornelius von Ayrenhoffs Komödien zwischen Lustspiel- und Possendramaturgie

Cornelius Hermann von Ayrenhoff (1733–1819), einer der wichtigsten Dramatiker des Wiener Burgtheaters im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, ist heute beinahe gänzlich aus dem Bewusstsein der Fachöffentlichkeit verschwunden. Die einzige monographische Arbeit von Walter Montag liegt heute beinahe 100 Jahre zurück. Kommt es innerhalb der gängigen Literatur- und Theatergeschichten zu einer Erwähnung des Wiener Dramatikers, dann zumeist nur als Verfasser und Apologet der klassizistischen Tragödie französischer Theaterprovenienz. Weitaus erfolgreicher als seine Trauerspiele erwiesen sich zu Lebzeiten seine qualitativ weit höher einzuschätzenden Komödien. Ayrenhoffs Lustspielproduktion fällt in eine Krisenzeit der Komödie. Die rege theatertheoretische Diskussion um ein regelmäßiges Lustspiel, die in Wien bekanntlich im Hanswurststreit bzw. der Wiener Theaterdebatte kulminiert, evoziert eine Kassierung der Komik zugunsten der schönen Inbilder der Rührstücke, in denen sich das aufstiegswillige Bürgertum wieder erkennen konnte. Auf der Bühne soll der innerhalb der Typenkomödie noch verlachte Bürger zur Positivfigur mutieren. Die komische Distanz weicht somit der Empathie. Die ständig wechselnden Direktionen der Theater nächst der Burg und nächst dem Kärntnerthor veranschaulichen hingegen die Schwierigkeit, das Repertoire auf Stücke mit didaktisch- empfindsamen Anspruch zu beschränken und gleichzeitig dem Publikumsgeschmack weiter entgegenzukommen. Ein Promemoria des italienischen Pächters D’Afflisio verweist 1769 auf den eklatanten Mangel deutschsprachiger Stücke, die das Publikum zufrieden stellen können. Unter den hier aufgezählten Dramen, die er mit dem Zusatz gefällt versieht, befindet sich auch Ayrenhoffs erste Komödie Der Postzug oder die noblen Passionen, die ihren Verfasser 1780 durch das Lob Friedrich des Großen zum viel beneideten Helden avancieren lässt. Ayrenhoffs Komödien, die sich vordergründig den Postulaten der Wiener Kritiker unterwerfen, sind als Gegenstücke zum rührenden Lustspiel anzusehen. Anstatt sich der Funktionalisierung und Didaktisierung des Genres zu unterwerfen, bedienen sie sich der Satire. Sie sind somit Zugeständnisse an die Komik innerhalb der Komödie. Gebräuchliche Themen und Sujets des bürgerlichen Dramas werden gezielt konterkariert. Anhand seiner beiden Stücke Der Postzug oder die noblen Passionen und Erziehung macht den Menschen soll eine Mittelstellung der Ayrenhoffschen Komödien zwischen Possen- und Lustspieldramaturgie erläutert werden.

 

Burkhard Meyer-Sickendiek
Nestroy und der jüdische Witz

Man kann in den nach Heinrich Heine entstandenen humoristischen Witzblättern des Nachmärz, im liberalen Feuilleton der Gründerzeit sowie im Kabarett der Jahrhundertwende, also in der Zeit zwischen 48er-Revolution und erstem Weltkrieg eine überaus bunte Entwicklung des jüdischen Witzes in Deutschland und Österreich beobachten. Zugleich ist in der Zeit zwischen Heinrich Heine und Karl Kraus eine Entwicklung erkennbar, die sich nicht allein als Popularisierung, sondern auch als Krise des jüdischen Witzes begreifen lässt. Jene scharfe Kritik, wie sie Karl Kraus im Essay Heine und die Folgen formulierte, ist Bilanz dieser Popularisierung, aber auch der damit verbundenen Krise. Kraus kritisierte vor allem die krisenhafte Zuspitzung der von Heine geprägten Polemik in der Publizistik Maximilian Hardens und Alfred Kerrs. Zudem diagnostiziert Kraus eine sehr unterschiedliche Entwicklung des jüdischen Witzes in den beiden Metropolen Wien und Berlin. Denn die Krise des jüdischen Witzes findet ausschließlich in Berlin statt. Für diese Krise steht die Publizistik Maximilian Hardens und Alfred Kerrs, deren doppelte Erledigung durch Karl Kraus verdeutlicht, wie wenig man in Wien mit diesen Auswüchsen der Polemik zu tun haben wollte.

Während der von Heine geprägte jüdische Witz in der Berliner Moderne seinen krisenhaften Höhepunkt erreicht, ist in der Wiener Moderne hingegen dessen durchaus erfolgreiche Etablierung als eine in den Wiener Schmäh’ eingehende Geisteshaltung zu beobachten. Diese unterschiedliche Entwicklung hat ihre Gründe. Und die Kraussche Gegenüberstellung von Heine einerseits, Johann Nestroy andererseits – Heine wird als Vater des geistlos-ornamentalen Feuilletons diskreditiert, Nestroy dagegen als Vorläufer der Sprachsatire gefeiert – lässt erahnen, warum sich in Wien keine derart krisenhafte Zuspitzung vollzogen hat. Offenkundig ist die intensive Rezeption der Nestroyschen Volksstücke durch Wiener Juden wie Roda Roda, Friedell, Polgar, Kraus, Soyfer oder Canetti ein wichtiger Grund für diese weit weniger krisenhafte Entwicklung. Das von Nestroy geprägte Wiener Volksstück hat sich als eine Formvorlage für Satiriker erwiesen, deren integrative Leistung höher steht als die von Heine geprägte publizistische Polemik, in deren Tradition Maximilian Harden und Alfred Kerr standen. Der Vortrag stellt die Frage, warum dem so gewesen ist.

 

Otmar Nestroy
Familiäres, oder: A generatione et progenie aus dem Hause Nestroy

Anlässlich eines Besuches bei meinem Cousin hatte ich die Gelegenheit, in eine Reihe von Dokumenten, die Familie Nestroy betreffend, Einblick zu nehmen. Diese umspannen einen Zeitraum von 1828 bis 1939 und bestehen aus Taufscheinen, Trauungsscheinen, Totenscheinen, ferner auch aus Briefen, die Personen aus der Familie Nestroy betreffen.

Ich bin der Meinung, von diesen Dokumente, die bisher nicht oder nur kaum bekannt waren, sollten 22 vorgestellt werden und damit zur Familiengeschichte Nestroy interessante Beiträge liefern.

 

Gunhild Oberzaucher-Schüller
Materialien und Strategien der Unterhaltungskultur der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts

Eine undatierte Münchner Lithographie zeigt den Gründer und Direktor des Isarvorstadtthaters Schweiger, dazu die Herrn Christ und Preis in dem Nestroy-Stück Nagerl und Handschuh. Die Herren treten dabei en travestie (also als Frauen) auf. Die Stellung beziehungsweise Figuration, in der sie sich präsentieren, ist eben dieselbe wie sie oftmals auf Wiener Lithographien von Aufführungen der Zeit zu sehen ist. Gibt es also so könnte man folgern international verbindliche Darstellungsmaterialien, darüber hinaus auch eigene inszenatorische Verfahrensweisen der Unterhaltungskultur? Wenn dem so ist, kann man weiter fragen: wodurch unterscheiden sich Materialien, Spielstil und inszenatorische Verfahrensweisen des Theaters der Vorstadt von jenen der Stadt?

An Hand des Pantomimenmeisters Paolo Rainoldi, der seine Wiener Karriere als Grotesktänzer am Kärntnertortheater begann und später am Theater in der Leopoldstadt tätig war, sollen Fragen solcher Art zur Sprache kommen.

 

Nikola Roßbach
Theatrale Parodie im Wiener Fin de Siècle

Die literarische Moderne hat viele Gesichter. Eines davon, ein komisch-humorvoll-witziges, nicht eben das bekannteste, ist die Parodie. Der Vortrag leistet einen Beitrag zur Beschreibung des Funktionszusammenhangs von Parodie und früher Moderne um 1900: Parodie hier speziell die theatrale Parodie der Wiener Jahrhundertwende erscheint als ebenso integraler wie subversiver Bestandteil der frühen literarischen Moderne.

Um die Jahrhundertwende nimmt die deutschsprachige Produktion von Parodien auffallend zu, zumal im Bereich Drama und Theater. Dieser Parodienboom fand auf Kleinkunstbühnen, in Zeitschriften und Büchern statt, insbesondere den großen Metropolen auch in Wien, obwohl dort die Voraussetzungen für Parodien wesentlich ungünstiger waren als in Berlin und München. In Wien konnten sich Kabarett und Brettl bekanntlich nicht in ähnlicher Weise durchsetzen; der Markt literarischer und humoristischer Zeitschriften war kleiner, die Verlagslandschaft karger. In der österreichischen Hauptstadt gab es keine Bühnen wie Schall und Rauch, Berliner Parodie-Theater und Elf Scharfrichter (allerdings hielten all diese Gastspiele dort ab), es gab keine Zeitschriften wie Kladderadatsch, Jugend, Lustige Blätter und Ulk, keine humoristischen Heftreihen wie die Fastnachts- oder die Ulk-Bühne des Eduard Bloch Verlags. Auf den ersten Blick scheint die Parodie im Land Raimunds und Nestroys, im Land des Wiener Volkstheaters, als dessen Ferment (Otto Rommel) man die Parodie bezeichnet hat, um 1900 ausgedient zu haben.

Ein zweiter Blick lohnt jedoch. Entgegen pauschalen Behauptungen lässt sich ein vielfältiges Spektrum parodistischer Aktivität im Wiener Fin de Siècle ausmachen. Bekannte Namen wie Arthur Schnitzler, Karl Kraus und Oskar Kokoschka stehen ebenso dafür wie Carl Costa, Egon Friedell, Julius Hopp, Karl Lindau, Richard von Muth, Alfred Polgar, Alexander Roda Roda, Theodor von Sosnosky, Kory Towska und andere. Neben Personen lassen sich Bühnen und Druckmedien anführen, die die Produktion, Distribution und Rezeption theatraler Parodien verantworten.

Einerseits soll eine Typologie der theatralen Parodie des Wiener Fin de Siècle skizziert werden, andererseits durch exemplarische Einzelanalysen Einblick in die Art und Vielfalt der parodistischen Impulse der zeitgenössischen Wiener Theaterkultur gegeben werden.

 

Matthias Schleifer
Die Tücken des Couplets – noch einmal Adorno und Nestroy, Hochkultur und Lachkultur

Am 2. Juli 2002 referierte Johann Dvorak in Schwechat über „Die Nestroy-Rezeption in der Frankfurter Schule (insbesondere bei Theodor W. Adorno) und ihre Bedeutung für ästhetische Theorien“. Mir geht es am 2. Juli 2006 nicht um Fakten und Information, sondern um Interpretation und Spekulation – deren Berechtigung reflektiert wird –: darüber, ob Adorno, unbeschadet seines Respekts für Karl Kraus, nicht zu einem ganz anderen Urteil über Nestroy hätte kommen können oder müssen, wenn er das „Volkstheater“ in der Nachbarschaft des Jazz angesiedelt hätte, wie er ihn 1936/1937 verdammt – was ihm ja freigestanden hätte. Insbesondere soll gefragt werden, ob Sätze wie die folgenden

„Der intendierte, vom Publikum wohl auch geleistete unbewußte Vorgang ist demnach zunächst der der Identifizierung. Das Individuum im Publikum erlebt sich primär als Couplet-Ich, fühlt dann im Refrain sich aufgehoben, identifiziert sich mit dem Refrainkollektiv, geht tanzend in dieses ein und findet damit die sexuelle Erfüllung“

irgendetwas zur Beschreibung und Wertung von Nestroys Couplets, einem wesentlichen Bestandteil seiner Stücke, beitragen können, und, allgemeiner, inwieweit Nestroy pointiert formulierten Anforderungen Adornos an „große Kunst“ gerecht werden kann und will. Ob sich schließlich solide Ergebnisse verdinglichen lassen oder ob das „dalckete Denken“ seinen Wert (nur) in sich selbst hat, ist beim gegenwärtigen Stand der Vorbereitung (7. Juni 2006) nicht recht abzusehen.

 

Hans-Jürgen Schrader
Tannhäuser schmafu: Heine, Wagner, Wollheim und Nestroy

Richard Wagners romantische Oper Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg, die mit ihrer neutönenden Zukunftsmusik kurz nach der Wiener Erstaufführung 1857 den Zielpunkt des vergnüglichen Spottes der Nestroy-Binderschen Parodie abgab, ist bereits ihrerseits eine Rekonversion vorgängiger Verulkung in pathetischen Ernst. Heinrich Heine nämlich als der seit den gemeinsamen Pariser Jahren wichtigste Stoff- und Motivanreger des Wagnerschen Opernschaffens, auf dessen Vorgabe der Musikdramatiker sich nebst fernerer Quellenrecherche auch in diesem Fall maßgeblich gegründet hat, hatte sich in seinem Gedicht Der Tannhäuser. Eine Legende und überdies in Elementargeister und Les Dieux en exil bereits weidlich lustig gemacht über den ihm aus Kornmanns Mons Veneris, Praetorius’ Blockes= Berges=Verrichtung und Des Knaben Wunderhorn zugelieferten Stoff vom unerlösten Venus-Sänger. Im Vortrag möchte ich weniger stoffgeschichtliche Quellenvergleiche vorführen als die Frage stellen, was mit Sujet und Textstruktur jeweils passiert in den wiederholten Wechseln vom Ernsten ins Komische und wieder zurück. Besonders freilich möchte ich herausstellen, wie es Nestroy mit recht geringen Retuschen an seinem Vorlagetext, der in ihrem komischen Potential keinesfalls als Bieroper zu unterschätzenden Wagner-Parodie des Breslauer Arztes Hermann Wollheim, gelingt, eine wirksame Wiener Posse von durchaus eigener Handschrift entstehen zu lassen und das, obwohl die parodistisch reizvollsten Vorgaben seines Stoffes, das Thematisieren sexueller Hörigkeit und freizügig-illegitimer Liebeslust sowie die Ansatzpunkte einer expliziten Herrschafts- und Kirchenkritik in Rücksicht auf eine noch immer engherzige Zensurbehörde fast vollends zu umgehen waren.

 

Hans Schreiber
Nestroy beim Photographen

Der Vortrag wird Auskunft geben

a) über die Begegnungen Johann Nestroys mit dem seinerzeit neuen Bildmedium der Photographie und

b) über die bislang bekannt gewordenen photographischen Nestroy-Bildnisse und deren Aussagekraft bzw. deren Informationswert.

 

Mathias Spohr
Häuptling Abendwind – Hat Nestroy den Kaiser karikiert?

Nestroy wusste, daß der Kaiser Franz Joseph I. zur Premiere von Häuptling Abendwind kommen würde. War es das, was ihn zu seiner späten Operettenbearbeitung motivierte?

Hat er den Kaiser in seiner Gegenwart als Kannibalenhäuptling hingestellt, nach Solferino und vor Königgrätz?

Ist er da an die Grenzen dessen gegangen, was er sich leisten konnte?

Konnte es sein, daß niemand davon sprach oder schrieb, weil die Peinlichkeit zu groß war?

Hat ein Kritiker aus diesem Grund angemerkt, daß Nestroy nicht besonders witzig gewesen sei?

Ist das Stück deshalb gleich in der Versenkung verschwunden?

Das kann man nicht beweisen, aber Indizien dafür sammeln

 

Željko Uvanović
Der slawonische Volksstückshumor in Ilija Okrugičs Das Brotkörbchen und die Pelzkappe und Ferdo Becičs Die Deputation der Leutnantinnen im Vergleich mit der Raimund-Kaiser-Nestroy-Lachkultur

Die weniger bekannten kroatischen Schriftsteller Ilija Okrugič-Srijemac (1827–1897) und Ferdo Becič (1844–1916) könnten nur bedingt zum Vergleich mit den international berühmten, sehr produktiven Vertretern des Wiener Volkstheaters Raimund und Nestroy herangezogen werden. Ihr Opus ist kleiner, die Rezeption der Werke fast unbedeutend. Einige Ähnlichkeiten in der Konzeption der Volksdramatik, wobei auch Friedrich Kaisers Poetik zum Vergleich herangezogen wird, sollten jedoch nicht ignoriert werden.

Der Ostslawonier Ilija Okrugič-Srijemac präsentiert in seinem Werk ein östliches Randgebiet des kroatischen Kulturkreises, und zwar in multikultureller Mischung mit den Serben, Deutschen und Magyaren, so dass an manchen Stellen einige Soldatenfiguren in einem Satz zwei oder drei Sprachen mischen (Kroatisch, Deutsch und Ungarisch). Er bedient sich in seinem „originellen, fröhlichen Spiel mit Gesang in vier Akten“ eines tatsächlich stattgefundenen Lebensdetails (Ähnlichkeit mit Kaiser) aus Syrmium (heute Teil der serbischen Provinz Vojvodina). Die Handlung spielt im Jahr 1827 und beruht auf Ereignissen in der ehemaligen ‚Akademie‘ für blinde Bettler in der Stadt Irig. Als katholischer, volksnaher Priester ökumenischer Orientierung schildert er humorvolle Szenen unter serbisch-orthodoxen Dorfbevölkerung, die sich von der Macht der Wahrsagerei verführen lässt. Unter dem Titel Das Brotkörbchen und die Pelzkappe (1862) werden gleichsam Geldkassetten zweier blinden Bettler verstanden, die sich als ziemlich reich erweisen. In ihnen ist der Schatz (Dukaten, Taler) der 40-jährigen Bettlerkarriere gesammelt. Teilweise ähnelt der eine von ihnen dem Geizigen Molières, teilweise ähneln alle drei Bettler den geizigen Greisen aus mittelalterliche Farcen. In diesem Volksstück sind nur zwei aus dem Kleeblatt das Opfer des Diebstahls, der in einer drastisch realisierten, farcischen Szene mit derben Posseneffekten stattfindet. Im Untertitel des Volksstücks steht: Hundert für einen, was auf die im Evangelium verkündeten Belohnung der großzügigen Spender (hundert mal mehr) anspielt. Okrugicˇ bedient sich der fast naturalistisch anmutenden Drastik und des bitteren Witzes in Raimunds Manier. Aber da fehlt auch keine Nestroysche ironische Zeitsatire: Okrugicˇ lässt das Gerichtwesen kritisieren in der Gesangseinlage (die Stadt Irig sei bekannt für sein „gerechtes Gericht,/ das schon manchen Kopf machte verrückt“) wie auch in einer Verhörsszene. In seinem Werk werden primitive Auswüchse und Missstände in der Gesellschaft mit derb-komischen Mitteln dem Spott preisgegeben. Ein Rittmeister wird z. B. verballhornt als Vritmajster (etwa Arschbohrer-Meister!). Okrugicˇs moralisch-pädagogische Botschaft ist jedoch nicht biedermeierlicher Natur, wie bei Raimund, sondern noch immer mit aufklärerischer Tendenz der Bekämpfung des Aberglaubens aber zugleich auch satirisch in Manier Nestroys, denn es gibt keine explizite Versöhnung. Die Hexe, deren Wahrsagerei Geiz und folglich Diebstahl provoziert hat, beeinflusst am Ende souverän sowohl zwei Liebespaare, denen sie ihre Pflanzen-Talismane verschenkt, wie auch das Schicksal des Brotkörbchens und der Pelzkappe (es bleibt offen, ob sie die ‚Geldkassetten‘ ihren Besitzern zurückgibt). Raimunds und Nestroys Zauberapparat ist hier reduziert auf die Erwähnung einer bösen Fee in einer Gesangseinlage sowie auf die Gestalt der Hexe Oma Roksa, die bei den Dorfbewohnern ein Feen-Image verbreitet.

Ferdo Becičs „fröhliches Spiel in vier Akten mit Gesang“ unter dem Titel Die Deputation der Leutnantinnen (1911) – erschienen zuerst 1881 als Erzählung – zeichnet sich durch urwüchsige Soldaten- und Bauernkomik sowie lustige Volksheiterkeit aus. Es handelt sich um ein Militärstück, in dem aber primitive bäuerliche Soldatenfrauen, die nach Beförderung ihrer Männer von Ehrgeiz und Habsucht besessen werden, der Gegenstand des Spottes werden. Sie wollen, geführt von der burschikosen Ehebrecherin Manda, als „kaiserlich-königliche Leutnantinnen“ vom Stab anerkannt werden. Aber sie würden nur Verdienste nehmen, nicht auch die damit verbundenen Pflichten. Die Stoffwahl war wiederum a la Kaiser, denn die Anekdote hat sich tatsächlich ereignet. Es handelt sich um ein humorvolles Bild aus dem wirklichen Leben. Ausserdem mischt sich etwas von Molière (George Dandine, Preziosen) in die Motivik. Die ‚Deputation‘ nennt sich selbst Popotation (auf Kroatisch: „dupetucija“). Die widerspenstigen Frauen werden am Ende gezähmt von einem taktvollen, lustigen Oberst, der mit seinem Adjutanten ein Nestroy-Scholz-Duo abzubilden scheint. Der Oberst belehrt Manda von der Gefährlichkeit des Soldatenlebens an der Front. Angesichts der großen Opfer der Männer erscheint ihre Aktion als grobe Verspottung des militärischen Ehrenideals. Die Hauptschuldige Manda bekennt die Schuld und verabschiedet sich vom Oberst mit Händekuss und Weinen. Ihre letzten Worte sind: „Ich gehe jetzt, und so lange ich lebe, werde ich Gott für Sie und die Ihrigen beten! Leben Sie wohl!“ Eine Besserung und Abfindung mit dem Glück im Kleinen, die sowohl für den biedermeierlichen wie auch obrigkeitstreuen Menschen von 1849 charakteristisch ist. Systemstabilisierend wirken außerdem die abschließenden Beteuerungen der kroatischen – sprichwörtlich schädlichen, fatalen – Loyalität der habsburgischen Krone gegenüber, was Becicˇs Werk mit Karl Friedrich Henslers Volksstück Die getreuen Oesterreicher, oder das Aufgeboth (1797) verbindet.

Statt der effektvollen Gesangseinlagen des Wiener Volkstheaters neigen die Inszenierungen der hier besprochenen kroatischen Volksstücke zur reichen Verwendung der Folklore-Elemente (die Tamburizza, Volkstanz, Volkstrachten, Volkslied), die die eigentliche dramatische Handlung in den Hintergrund drängen können. In beiden Volksstücken fehlen Schlusstableaus. Beide kroatischen Autoren verwenden den Volksliedschatz und Werke anderer Autoren als Material der Gesangseinlagen. Während aber Okrugič sogar ein spöttisches lokalpatriotischen Lied über drei Städte in Syrmium wagt, bleibt Becič obrigkeitstreu, indem er zwei patriotische Kampfgedichte der kroatischen Illyristen zur Motivierung der kroatischen Teilnahme am österreichischen Krieg gegen Italiener verwendet.

 

Friedrich Walla
Eine Vorlage zu Ferdinand Raimunds „Der Verschwender“

Zum Unterschied zu den meisten Autoren des Wiener Volkstheaters nannte Ferdinand Raimund in den späteren Quellen nie eine Quelle und gab immer wieder kund, dass seine Werke seiner eigenen freien Phantasie entstammten, indem er sie stolz in der Genrebezeichnung als Original-Zauberspiele deklarierte, eine Bezeichnung die Johann Nestroy nur ein einziges Mal gewählt hatte.

Bei der zufälligen Lektüre eines zeitgenössischen Almanachs stieß ich auf die Erzählung Der junge Verschwender, die mit Ausnahme der Rahmenhandlung im Zauberreich die wichtigsten Momente des Raimundschen Spätwerkes enthielt.

Sie wird im Rahmen dieses Vortrags hier vorgestellt.

 

W. Edgar Yates
HKA: Nachtragsband

Inhaltsverzeichnis:
Prinz Friedrich von Corsica, hg. von Friedrich Walla
Addenda und Corrigenda, koordiniert von Peter Haida und W. E. Yates
Briefe, hg. von Jürgen Hein
Dramatische Fragmente: Drey starke Geister, Praktisch und Unpraktisch,
hg. von W. E. Yates
Bearbeitungen: Zwölf Mädchen in Uniform, hg. von Peter Haida; Die Ballnacht, hg. von Johann Hüttner; Ein gebildeter Hausknecht, hg. von Urs Helmensdorfer
Texte (Monologe, Lieder, Coupletstrophen) zu Stücken anderer Dramatiker,
hg. von von W. E. Yates und Walter Obermaier
Ideen, Refrains, Entwürfe zu Couplets, hg. von W. E. Yates
Gedichte, Stammbuch- und Albumblätter, hg. von von W. E. Yates und Walter Obermaier
Varia: Texte zu Anton Zampis’ Karikaturen: Kleine Episoden aus dem großen Drama: Wien im Belagerungs-Zustand, hg. von John R. P. McKenzie; Varia aus der Münchner ‚Nestroy-Mappe‘, hg. von W. E. Yates; [Brief aus dem Jenseits], hg. von W. E. Yates

Textbeispiele

Addenda und Corrigenda

Zu: Der Affe und der Bräutigam (Stücke 11) 330 zu 77/1: nach Kap. Aufnahme ist zu ergänzen:

Nach Recherchen von Fred Walla wurde die Posse seit der fünfzigsten Aufführung im Herbst 1836 bis 1881 nur mehr als Affe und Bräutigam bezeichnet. Dann ist das Stück von der Bühne auf achtzig Jahre verschwunden; vgl. dazu Walla, Affen, Bräutigame, Buben, der fliegende Holländer, zwei Juden oder (k)einer, Lumpen und liebe Anverwandte, Nestroyana 23 (2003), S. 124–139, insbes. 135 f. und 139. Dafür, daß Affe und Bräutigam tatsächlich auch der ursprüngliche Titel war, spricht nach Walla besonders die Tatsache, daß Schoellers Bleistiftzeichnung und Farbskizze (Johann Nestroy im Bild, S. 110 f., Nr. 201) diesen Titel trägt, das danach ausgeführte Kostümbild der Theaterzeitung (ebda, Nr. 200) aber den längeren.

Zu: Liebesgeschichten und Heurathssachen (Stücke 19)
Aufnahme:

Insbesondere Nestroys Berliner Gastspiele, bei denen Liebesgeschichten und Heurathssachen (1844 und 1847), Hinüber Herüber (1847) und Der Zerrissene (1844, 1845 und 1853) gegeben wurden, ergäben bei näherer Betrachtung interessante Aufschlüsse über die unterschiedliche Rezeption in Wien und im Norden. In der Königlich privilegirten Berlinischen Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen (Vossischen Zeitung, Nr. 170, 24. Juli 1853, S. 3) wird ein Gesammturtheil gefällt, wobei der Kritiker an Nestroys Gastspiel 1847, nicht aber an die der Jahre 1844 und 1845 erinnert. Der Kritiker der Vossischen Zeitung (19. August 1844) weist darauf hin, daß die Posse nach einem englischen Original gearbeitet ist, das in einer andern Übertragung den Titel Lord, Krämer und Vagabund trage.

Zu: Der Zerrissene (Stücke 21)
Überlieferung
[S. 117 f.] Vorarbeiten
Entwurf zum Monolog in I, 5 (WSLB, H.I.N. 94.401)

Armuth is ohne Zweifel das Schrecklichste. Mir dürft einer 10 Millionen herlegen, und sagen ich soll arm seyn dafür, ich nähmet’s nicht. Und was schaut andrerseits [vom rechten Rand oben senkrecht eingefügt:] (+ beym Reichthum heraus? auch wieder ein ödes abg’schmacktes Leb’n. +) Langeweile heißt die enorme, horrible Göttin die {gerade die} Reichen zu ihrem Priesterthum verdammt[,] Palais heißt ihr Tempel Salon ihr Opferaltar (x das {…} x), das laute (+ Gamezen +) und unterdrückte Gähnen ganzer Gesellschaften ist der ·Choral· und die stille Andacht mit der man sie verehrt. Wenn ein klein’ Bub’n nix fehlt und er is grantig, so giebt man ihm a Paar Bracker, und ’s is gut. Vielleicht helfet das bey mir auch, aber bey ein Bub’n in meinem Alter müßt’n die Schläg vom Schicksal ausgehn, von da hab ich aber nichts zu {fürchten} {…..} (x {drei Wörter} x) meine Gelder liegen sicher meine Häuser sind ·assecurirt·, {….} der Einzige in meiner Famili folglich kann mir kein Angehöriger {sterben}, ausser ich selber und um mich werd ich mir auch die Haar nicht ausreissen, wenn ich einmahl weg bin, für mich is keine Hoffnung auf Aufrieglung auf Impuls.

Jetzt hab’ ich a Tafel g’habt, wenn ich nur wüßt wie ich bis zu der nächsten Tafel die Zeit {verthu}. Mit Liebesabentheuer, mit Spielen

Spielen is nix für einen Reichen, wem ’s (x {….} x) Verlieren nicht (x mehr x) mehr weh thut, dem macht’s G’winnen ka Freud. Liebesabentheuer da muß ich lachen. Für einen Reichen ·existiren· keine Abentheuer. {…..} geworffen werden {…..} auf mich werden keine {Sulteln} gehetzt, auf mich wird nix herabgeschütt {…..}

(+ Wo sollen da +) Abentheuer (x {zwei Wörter} x) herkommen? Man is und bleibt schon auf {fade} Alletagsgenüsse ·reducirt· die man mit Hilfe der Freundschaft hinunter{bringt}. Mangel an Freunden darf ich mich wenigstens nicht beklagen, und was für Freunde[.] Den warmen Antheil, den sie nehmen wenn’s mit mir z’gleich einen Punschdusel kriegen, und diese {romantische Freund …..} ich bringet s’ nicht los {….} Ich bin wirklich ein beneidenswerther Kerl, nur Schad’ daß ich mich selber gar nicht beneid.

Texte (Monologe, Lieder, Coupletstrophen) zu Stücken anderer Dramatiker

1. Zu Friedrich Kaiser, Ein Lump. Original-Posse mit Gesang in drei Akten (Musik: Karl Binder; Uraufführung: 7. Juni 1852, Carltheater, mit Nestroy in der Rolle des Hubert Ledermann): Strophen zu drei Liedern.

Rollenheft mit Zuweisung Hr: Nestroi (WSLB-Musiksammlung, MH 9041/c)

c Zum Couplett mit dem Refrain No das, das gehört auf ein anderes Blatt (III, 8) hat Nestroy mit schwarzer Tinte fünf neue Strophen (25) eintragen (Bl. 17r21r), von denen eine teilweise gestrichen ist und die im Rollenheft von fremder Hand mit Bleistift umnumeriert sind.

[4.] (x [mit Bleistift gestrichen] ’s Hat g’heißen schon immer Gott geb’s
daß wir kriegen die ·Cab’s· oder ·Cebs·;
dann krieg’n die Fiaker ein’n Klaps x)
wenn wir fahr’n mit die ·Cebs· oder ·Cab’s·.
jetzt hab’n wir s’ die ·Cebs· oder ·Cab’s·,
die fahren gewöhnlichen Trab’s
doch bis d’ auffindst ein’n ·Cebs· oder ·Cabs·
so {renn’} erst drey Stund {und} erschnapp’s!
Jetzt rumpelt von Weit’n einer her
doch, o weh! ’s Fahndl liegt über queer;
und kann man es dennoch erleb’n
(x [mit Bleistift gestrichen] zu erwisch’n so ein ·Cab’n· oder ·Cäb’n·
ob’s nach’r nicht so hoch kommt, wie ·per· Fiaker ·acc’rat·
na jetzt wissen S’ das g’hört auf ein anderes Blatt,
na jetzt wissen S’ das g’hört auf ein anderes Blatt. x)

Erläuterung: Cab’s oder Cebs: engl. [taxi]cab, ,Droschke‘. Am 4. März 1852 hatte die Stadt die Bewilligung zur Aufstellung von 100 einspännigen, zweirädrigen Lohnwagen nach dem Muster der in London bestehenden safety cabs gegeben (Programm und Instruktion der Unternehmung des Cab-Fuhrwerkes, Wien 1852, S. 3 f.); diese waren für 2 Personen zugelassen und sollten hauptsächlich dem Verkehr zwischen Stadt und Vorstädten dienen. Die Cabs verfügten über eine Uhr, um den Tarif entsprechend der Fahrzeit messen zu können. Mit der Uhr war ein Fähnlein verbunden, dessen aufrechte Stellung anzeigte, daß der Wagen frei sei; es mußte, sobald ein Fahrgast den Wagen bestieg, vom Cabführer umgelegt werden.

2. Couplet-Strophen zu Theodor Flamm, Die Hetzjagd nach einem Menschen (Posse mit Gesang in drei Akten, vom 7. Juli 1856 bis zum 13. September 1858 im Carltheater 19mal)

Dem Rollenheft mit Zuweisung Hr: Director (WSLB-Musiksammlung, MH 9045/c) liegt ein eigenhändiges Couplet bei: ·Couplet· / Quäle nie ein Thier zum Scherz. 4 Blätter (8 Seiten Text), 16,5 x 21,0 cm. Auf der ersten Seite findet sich unter dem Titel der folgende gestrichene Entwurf von Nestroys Hand:

[…] es sind auch schon a Paar Naturforscher übereinander gekommen deßtwegen. Der sagt zu dem,: Es is besser, ein klein’n Kopf z’hab’n als wie d’Azteken, als gar keinen und ein Gelehrter seyn woll’n; drauf sagt der dem ·retour·: Seyn S’ froh, wenn Ihnen kein Gelehrter untersucht, sonst kommt’s auch noch auf, daß Sie in’s Thierreich g’hören. Da bin ich versöhnend dazwischen getreten, und sag’: Meine Herrn Gelehrten statt sich gegenseitig zu maltraitiern, würde es für beyde Theile am zwekmäßigsten seyn, Sie beherzigen den weisen Spruch. […]

Der Couplettext ist auch im Rollenheft MH 9045/c in Kopie vorhanden. Nestroys eigenhändiger Text (sieben Strophen mit dem Refrain Quäle nie ein Thier zum Scherz / denn es fühlt wie du den Schmerz) lautet:
5 [die ganze Strophe mit senkrechter Linie gestrichen]
Die Ausland-Gelehrten, ’s is fast zum Erschrecken,
Was die Alles z’sammg’schrieb’n hab’n über d’Azteken; [1]
Statt einfach zu sagen,: Wir wiss’n nicht, was s’ sind[],
Sagt Ein’r: Es sind Gött’r aus Iximaja [2] dort hin[t],
Ein And’rer dageg’n sagt: ’s sind Aff’n unverhohl’n,
Die beym ·Casanova· was lernen erst soll’n;
Ein Dritter sagt wieder: Von Affen ka Spur,
G’rad ihr patschet’s Benehmen zeigt Menschennatur.

Erläuterungen: Diese Strophe bezieht sich wohl auf die von dem Besuch zweier aztekischen Liliputaner im Jahre 1853 in London, wo eine Ausstellung in den Hanover Square Rooms stattfand, […] ausgelöste Debatte unter Anthropologen und Historikern; die Anspielung war 1856 in Wien aktuell, weil die beiden Azteken Maximo und Bartola vom 2. Mai 1856 an im Saal der Gesellschaft der Musikfreunde (Tuchlauben), dann vom 24. Juni bis Mitte Juli 1856 im Sperl-Garten erschienen. Diese Attraktion wurde regelmäßig im Inseratenteil der Wiener Theaterzeitung abgekündigt; Abb.: 27. Mai 1856 (Nr. 120), S. 480.

2 Iximaja: Eine fiktive ummauerte, allen Fremden bislang unbekannte Götzenstadt im mexikanischen Gebirge, die in einer erstmals 1850 in englischer Sprache in New York erschienenen, auf teilweise betrügerischen Quellen beruhenden Broschüre beschrieben wurde. […] Diese Broschüre beschreibt die Einwohner von Iximaya als ein primitives, von der Außenwelt abgeschnittenes Volk; sie enthält Abbildungen von einer Aussicht auf die Stadt und einem großen Tempel. Sie erschien in den fünfziger Jahren auch in französischer und deutscher Übersetzung (1857 in Wien bei Klopf und Eurich unter dem Titel Illustrirte Denkschrift einer wichtigen Expedition im Central-Amerika, aus der die Entdeckung der Götzenstadt Iximaya hervorgeht und der Besitz von 2 merkwürdigen Azteken-Kindern. Uebersetzt aus dem Spanischen von Pedro Valesquez von San Salvator).

Gedichte, Stammbuch- und Widmungsblätter

5. Dedikationsgedicht an einen Schauspieler, nach Mai 1845:
Das Bild, das ich Dir hier spendire,
Häng’ hoch auf über Deine Thüre,
Auf daß es Dein Kämmerlein ziere,
Tapferster der bairischen Ex-Kanoniere.

Carl Haffner, Scholz und Nestroy: Roman aus dem Künstlerleben (Wien: H. Markgraf 1864), Bd. III, S. 93: Nestroy habe diese Zeilen unter sein eigenes Bild, das er dem Schauspieler Kläglich sendete, geschrieben. Der Adressat ließ sich nicht näher identifizieren.

Varia
[Brief aus dem Jenseits]

Liebe Freunde!
Da heute die himmlische Ordinari, aus unserem Jenseits nach eurem Disseits hinunterfährt, kann ich nicht umhin, euch eine Nachricht mitzutheilen, die mich mit himmlischer Freude erfüllt, und die gewiß euer Irdisches Intresse sehr in Anspruch nehmen wird. Ich befinde mich hir recht seelig, so wie es sich für einen ordentlichen Seeligen gehört, nur hat es mich manchmahl gewundert, daß mir einige meiner seeligen Collegen, zwar himmlische aber doch dabey etwas schiefe Gesichter schnitten, ich konnte mir das nicht erklären, und befragte eine[n] aetherischen Rathprotocollisten, der hir beym Departement des Auswärtigen angestellt, und mein sehr guter Freund ist, was wohl der Grund seyn könne. „Das wissen Sie nicht“? sagte mein Freund, der ätherische Rathprotocollist, „die Herren ärgern sich, daß Sie auf der Welt unten bey den Thaten eines Menschen, aus zu großer Güte und Nachsicht, manchmahl ein Auge zugedrückt.“ Ich sehe nicht recht worauf Ihre Rede zielt, erwiderte ich. „Das kommt vom zugedrückten Auge“ erwiderte mein Freund Protokollist; „ich will es Ihnen öffnen“, und somit führte er mich in sein Buro, nahm von einer Bureaustellage einen Folianten herab, und warf ihn auf einen Wolckentisch. Ihr habt in eurer Haimath einen Alttestamentarischen, einen Kerl von dem man bloß deßwegen weil er beschnitten ist, nicht sagen kann er ist ein ganzer Filou. Hir ist er eingetragen im InfernalVormerkungsprotocoll, Litera S. Serie Schuft, Nr 1. Aha Sie meinen Salomon Winter sagte ich. „So nennt ihr ihn entgegnete mein Freund aus einer Art Galanterie, die wir hir nicht kennen, […] denn erstens hat der, dessen Weisheit nur in raffinierten Betrügereyen besteht bey uns nicht Anspruch auf den Nahmen Salamon, und zweytens hat sich der Winter dieser eisgraue alte Herr schon eingemahle darüber beschwert, daß man seinen Nahmen so einem Individuum beylegt […]. Wier haben auch bereits ein Negous an das Höllenpraesidium erlassen daß es die romantische Zips von diesem unromantischen häbreischen Ungethüm welches durch seinen Hauch beynahe deren reine Gebirgsluft verpestet, befreye.“ […]