Nestroy im Literaturunterricht

Von Jürgen Hein

Abgesehen davon, daß sich Dramendidaktik und Literaturunterricht mit dem komischen Drama schwer tun,1 gehört Johann Nestroy zu den Autoren, die für das Verständnis der Schüler als zu schwer oder zu leicht, für zu wenig ,bildungshaltig‘ oder ,tiefgründig‘ gehalten werden, und die Literaturdidaktik hat Probleme, sie in den Literaturkanon aufzunehmen.2 Daran hat auch die „Nestroy-Renais-sance“ nach 1945 im Prinzip wenig geändert, wenn auch vereinzelt in Richtlinien und Lehrplänen sowie in Unterrichtswerken einige Possen vorkommen, darunter – gestützt durch Unterrichtsempfehlungen in der didaktischen Literatur – Der böse Geist Lumpazivagabundus (1833), Der Talisman (1840), Das Mädl aus der Vorstadt (1841), Einen Jux will er sich machen (1842), Der Zerrissene (1844), Freiheit in Krähwinkel (1848). Es scheint überdies, als wirke das längst überholte Klischee von Raimund als dem „Vollender“ und Nestroy als dem „Zerstörer“ des Wiener Volkstheaters immer noch nach.

Für die Beschäftigung mit dem Werk Nestroy im Literaturunterrichts bieten sich folgende Themenkomplexe an:

  • Ästhetik der Posse und soziale Thematik (Dramaturgie und Motive, Formen der Unterhaltung und Kritik, PossenSchematik und „Realismus“, sprachliche Schichtung und Redeformen; Beispiele: Der Talisman, Liebesgeschichten und Heiratssachen);
  • Elementarische Formen des Dramatischen und Theatralischen am Beispiel von Der Talisman, Einen Jux will er sich machen, Der Zerrissene;
    Nestroy und die Tradition des „Besserungsstücks“ (Vergleich von Der böse Geist Lumpazivagabundus mit Ferdinand Raimunds Der Verschwender; Funktion der Geisterwelt, aufklärerische Intention, Sozial und Wirklichkeitsbezug, Besserung oder Veränderung, versöhnliche Komik und satirischaggressive Komik, Gattungszwang usw.);
    Veränderung der Gattung „Zauberspiel“ bei Nestroys (z.B. Entwicklung von Der böse Geist Lumpazivagabundus aus seinen Vorstufen, Veränderungen des Zauberrahmens bis zu dessen Fortfall bzw. Parodie in Die beiden Nachtwandler);
    Grundformen und Intentionen der literarischen und theatralischen Parodie (Hebbels Judith und Nestroys Judith und Holofernes);
  • Nestroy und der zeitgenössische Theaterbetrieb (Produktionsbedingungen der Vorstadttheater, Zensur, Theaterkritik, Publikum; Beispiel: Entstehung und Rezeption von Der Talisman mit Blick auf Nestroys Bearbeitungspraxis fremder Vorlagen);
  • Kommerzialisierung der Lebensbereiche, Spießbürgertum in Die beiden Nachtwandler, Eine Wohnung ist zu vermieten, Liebesgeschichten und Heiratssachen, Heimliches Geld, heimliche Liebe; ‚Ausbruchsversuch‘ in Einen Jux will er sich machen;
  • Soziale Hierarchie, Fronten, Außenseiter: Zu ebener Erde und erster Stock, Der Talisman, Frühere Verhältnisse (Dramaturgie des Einakters, einfaches Modell der Sozialbeziehungen), „Ehre“Thematik (Das Mädl aus der Vorstadt; Der Unbedeutende: Rettung von Ansehen und Ehre des Unterprivilegierten);
  • „Theaterwelt“, Spiel im Spiel, vor allem im Spätwerk Nestroys, z.B. Theaterg’schichten durch Liebe, Intrige, Geld und Dummheit; Umsonst;
  • Sprache und Politik: Freiheit in Krähwinkel (Schlagwortsprache der Revolution 1848, Posse und Zeitgeschichte, evtl. Vergleich mit August von Kotzebues Die deutschen Kleinstädter); Lady und Schneider, Der alte Mann mit der jungen Frau, Höllenangst (Haltungen nach der Revolution), Häuptling Abendwind (politisierte Operette),
  • Posse, Volksstück, Operette bei Nestroy, z.B. Der Talisman, Der Unbedeutende, Der Schützling, Kampl, Häuptling Abendwind (mit einem Blick auf Nestroys WagnerParodien, auf den Einfluß Offenbachs und den Wandel im Repertoire der Wiener Vorstadttheater nach 1850);
  • Bearbeitungen Nestroyscher Texte durch Autoren des 20. Jahrhunderts (z.B. Peter Henisch Lumpazimoribundus);
    Versuch einer Adaption der Posse für das Schul bzw. Kinder und Jugendtheater, z.B. Die schlimmen Buben in der Schule, Der Talisman, Die beiden Nachtwandler;
  • Vergleich einer Nestroy-Posse mit einem Schwank der Fernsehunterhaltung (Dramaturgie, Personal, Funktionen der Sprache, besonders des Dialekts; Funktion der szenischen Wirkungsmittel (Musik, Bühnenbild, Kostüm, Requisiten, Mimik, Gestik usw.); Wirklichkeitsbezug, Publikumsbezug usw.
    Vergleich mit Ausformungen des Volksstücks im späteren 19. Jahrhundert (z.B. Anzengruber) oder Formen des ’neuen‘ Volksstücks im 20. Jahrhundert (z.B. Ödön von Horváth, Jura Soyfer, Heinz R. Unger)

Unterhalb der allgemeinen Ebenen dieser thematischen Komplexe ist die Formulierung einer Vielzahl von Einzelthemen und Lernzielen möglich, dabei sollten durchaus auch Einzelinterpretationen oder vergleichende Analysen erarbeitet werden.

Beispielhaft kann dies für die Zeit des „Vormärz“ an drei Possen geschehen, deren Aufnahme ich in den Lektürekanon empfehlen möchte. Sie zeigen in repräsentativer und anschaulicher Weise die VolkstheaterDramaturgie zwischen Unterhaltung und Sozialkritik, mit harmonisierenden, aber auch ‚progressiven‘ Tendenzen in der Darstellung sozialer Verhältnisse so, daß sie ästhetisch und sozialgeschichtlich bis in unsere Zeit reichen: Zu ebener Erde und erster Stock (1835), Die beiden Nachtwandler (1836) und Der Unbedeutende (1846).3

Zu ebener Erde und erster Stock oder Die Launen des Glücks und Die beiden Nachtwandler oder Das Notwendige und das Überflüssige markieren eine wichtige Station auf dem Weg zur Ausbildung der satirischen Fosse, in der die komische Volksfigur die Funktion des satirischen Kommentators der fiktiven Spielhandlung erhält, durch deren Personal aber immer realitätsbezogene soziale Konstellationen durchscheinen. Beide Stücke machen Nestroys gleichermaßen am sozialen Alltag wie am Theaterbetrieb orientierte Auseinandersetzung mit VormärzStrömungen deutlicher als die ‚klassischen‘ Possen. Er experimentiert mit zwei verschiedenen dramaturgischen Modellen, die Spielhandlungen als soziale Handlungen zur Unterhaltung des Publikums und zugleich aus kritischer Perspektive vorführen. Einmal geht es um die Herausbildung eines spielbetontkomischen, zum anderen um eines mehr ‚realistischen‘, ‚ernsten‘ Typs der Posse: Der Unbedeutende wurde von den Zeitgenossen als ‚Volksstück‘ verstanden. Ein Vergleich zeigt, wie aus dem eher statischen ‚Übereinander‘ ein Gegeneinander der sozialen Gruppen wird, wie sich soziale und moralische Oppositionen verändern, welche Rolle dabei die komische Volksfigur spielt, wie sich im Zusammenhang von privaten und gesellschaftlichen Konflikten bürgerliches Selbstbewußtsein herausbildet und welche ästhetischdramaturgischen Konsequenzen sich für Posse und Volksstück ergeben (u.a. Zusammenspiel von Komik und ‚Ernst‘, Reduktion der PossenMotive, Sprachreflexion, Brüchigkeit der Happy Ends).

Mit Hilfe der für die Unterrichtsarbeit leicht zugänglichen Materialien zum Talisman und zum Lumpazivagabundus kann der literatur, theater und sozialgeschichtliche Kontext vergegenwärtigt werden.4

Trotz der sprachlichen, ästhetischen und geschichtlichen Distanz, die Schüler den Texten gegenüber haben, trotz der vereinzelten sprachlichen Schwierigkeiten oder der z.T. ‚unrealistischen‘ Elemente bieten die Possen evtl. nach kurzem ‚Einstieg‘ über Spielcharakter, Thematik oder historischen Kontext Motivation für vielfältige Formen des Umgangs, bei dem zwei Aspekte im Vordergrund stehen können:

  • die Erarbeitung der „Glückswechsel“ bzw. „Ehre“Thematik im sozial und literaturgeschichtlichen Kontext; hier wären neben den Bauformen und dramaturgischen Elementen die über die vordergründige Handlung hinausweisende ‚Bedeutung‘ der jeweiligen StückFabel zu entdecken und das Problem der Befriedigung von Bedürfnissen im privaten und sozialen Bereich zu diskutieren. Die Possen können auch als Parabeln für soziale und politische Verhaltensweisen gedeutet werden.
  • die szenische oder mediale Erarbeitung der Stücke in Form von auch aktualisierender Textbearbeitung oder ‚Übersetzung‘ in ein anderes Medium (Hörspiel, VideoFilm). Hier könnten rezeptive und produktive Möglichkeiten der Auseinandersetzung miteinander verbunden werden.

Wählt man keinen „antizipierenden“ Weg (s.u.), empfiehlt sich die Vorbereitung der im folgenden genannten Bearbeitungsaspekte. Gemeinsam sollte zuvor ein Szenarium erarbeitet werden, das ein Entdeken der verschiedenen Strukturelemente und Perspektiven ermöglicht und eine Grundlage zur Erstellung einer Spielvorlage bzw. eines Drehbuchs bietet.

1. Handlung und Thematik

Ausgehend von den Titeln der Possen (Antizipation der Handlung, des Konflikts usw.) und ihrer Dramaturgie (Exposition, Entwicklung, Höhepunkt, Lösung) Erarbeitung von Grundlinien: ‚Oben‘ und ‚Unten‘, die Beziehung zum Geld, die Abhängigkeit vom „Glück“ (in Die beiden Nachtwandler von der Wette), der die Funktion des „Ehre“Motivs; Intrigen und GegenIntrigen; Erkenntnis des Zusammenhangs zwischen unterhaltsamer Possenschematik und komischsatirischer Kritik (Schlüsselwörter: Geld, Besitz, Glück, Bescheidenheit, Zufriedenheit), u.a. an der Kommerzialisierung aller Lebensbereiche und der zur „Ware“ gewordenen Frau; bedeutende Ansichten des ‚Unbedeutenden‘; Erkenntnis, daß soziales Ansehen, Glück und Liebe zumeist vom Materiellen abhängig sind (‚Enttarntes Biedermeier‘; Kritik? Reflexion der Bedürfnisse? Lösung sozialer Konflikte?).

2. Figuren

Spielpersonal und soziale Repräsentanten (Hierarchie? Soziale und private Beziehungen? Kommentare zur ‚Realität‘?); Spektrum der ‚kleinen Leute‘; spielbestimmende Figuren, komische Konstellationen (Funktion der „sprechenden Namen“; positive und negative ‚Volkshelden‘ (z.B. Peter Span gegenüber Johann und Puffmann), mögliche Identifikation des Publikums mit Figuren.

Handlungsstränge und Figurenkonstellation können durch graphische Skizzen veranschaulicht werden.

3. Sprache und Komik

Analyse verschiedener Formen des Sprechens (zueinander, beiseite, zum Publikum; Formen des Dialogs; Funktion der Monologe und der Lieder (siehe auch Punkt 4); Sprachreflexion; ‚Rhetorik‘ des Volkstheaters). Sprachebenen und Bedeutung des Dialekts in Bezug auf Figuren, Handlung und Thematik. Formen und Funktionen der Komik (Wortspiel, Witz, Humor, Satire, Situations und Handlungskomik).

4. Audiovisuelle theatralische Wirkungsmittel

Bühnenbild (insbesondere Simultanbühne in Zu ebener Erde, Relikte des Zauberspiels in Die beiden Nachtwandler, „realistische“ Kulisse in Der Unbedeutende) und Bühnenorte (Zweckmäßigkeit, ’symbolische‘ Bedeutung); Requisiten; mimischszenisches Spiel; Funktion der Musik und der Lieder (Atmosphäre, Adressen an das Publikum, Kommentare zur ‚Wirklichkeit‘).

5. Gattungscharakter und (theater)historischer Kontext

Posse und Volksstück im Kontext des Wiener Volkstheaters; Zusammenhang von Spielcharakter und satirischkritischer ‚Anspielung‘ auf die Alltagswirklichkeit; Hinweis auf Produktions und Rezeptionsbedingungen (Nestroys ‚Weltanschauung‘, Zensur, Frühformen der „Unterhaltungsindustrie“).5

Unter Einbeziehung der Daten zu Nestroys Biographie Versuch, Abhängigkeiten der Posse von der geschichtlichen Situation zu entdecken. Beobachtungen zu Nestroy als ‚Mensch‘, Schauspieler, Theaterdichter, Theaterdirektor, Zeitgenosse usw.

Versuch einer Bestimmung der Funktion des Volkstheaters und der Posse in der sozialen Realität (Theater als Ventil, als Ort, wo Wünsche in Erfüllung gehen usw.). ‚Entwicklungslinien‘ zum ’neuen‘ Volksstück (z.B. Horváth, Soyfer, Kroetz, Turrini, Unger, Mitterer).6

6. Aktualität der Thematik

Welche Bezüge zu unserer Zeit bieten die Possen (z.B. Wunschthematik, Lotteriegewinn, ‚Oben und Unten‘)? Welche Konsequenzen lassen sich für eine Bearbeitung oder Inszenierung ziehen? Was macht die Possen heute noch lesens und sehenswert?

Die berechtigten sozialen und materiellen Bedürfnisse der ‚kleinen Leute‘ sind auf dem Wege über Arbeit und Leistung häufig nicht zu verwirklichen, also nehmen die Besitz und Machtlosen, UnmündigGehaltenen ihre Zuflucht oder Ausflucht zum Erwünschen des unwahrscheinlichen Glückszufalls ‚von oben‘.

Unter den genannten Aspekten befragt, bieten die vorgeschlagenen Possen eine Vielfalt von strukturalen, thematischen, motivischen, historischen, aktualisierbaren Anknüpfungspunkten, die man für Schüler je nach Alter, Vorkenntnissen, Interessenlage oder Stoffplan fruchtbar machen kann. Oberster Grundsatz sollte sein, die Stüke als szenischtheatralische Texte zu ‚realisieren‘, d.h. handlungs und produktionsorientierte Bearbeitungsweisen sollten dominieren.7 Die Possen dürfen, wiewohl sie auch literarische Kommentare zur Geschichte sind, nicht nur Vorwand für eine Problem oder Formdiskussion sein. Eine szenische und „antizipierende“ Erarbeitung könnte die kommunikativen Möglichkeiten im Umgang mit dem Text, dem Kontext und der heutigen Bedeutung erschließen.

Ein lebendiger, spannender Einstieg kann durch eine improvisierte, extreme Möglichkeiten durchspielende Lesung/Aufführung der jeweiligen Expositionen geschehen, wobei man die Rollen in ihrer komischen Typenhaftigkeit, die Turbulenz von Dialog und Handlung, wirksame Redewendungen, Wortspiele sowie die ‚kriminelle‘ Atmosphäre erörtert. So werden Lust und Neugier auf die Thematik und die Darbietungsform gleichermaßen geweckt. Man kann die dramatische Entwicklung vermuten bzw. mögliche Schlüsse oder ‚Lösungen‘ erfinden, andeutungsweise ausarbeiten und niederschreiben lassen.

Für Die beiden Nachtwandler kann der nächste Schritt die Beantwortung der Frage sein: Wie hat Nestroy sein Stück aus der Exposition weitergeplant? Lesung und SpielEntwurf bis zur 20. Szene lassen die beiden Spielparteien und ihre sozialen Bedingungen im Gegensatz erscheinen und daraus die Wette und ihre Ausführung möglich werden. An diesem Punkt, an dem sich eine Diskussion darüber entzünden könnte, ob hier Wohltätigkeit oder bloßes Spiel mit den ‚kleinen Leuten‘ gezeigt wird, konservative oder sozialkritische Intention des Autors durchscheint, können Informationen über den Autor und seine Zeit eingeschoben werden.

Die „Inszenierung“ wird von I,22 bis II,20 fortgesetzt. Thematisch dominiert das Märchenmotiv des Wünschens (Wer wünscht was und warum?) und seine Eskalation (Motivkreise: Geld, Aussteuer, Besitz, Prestige) sowie die Dialektik des Notwendigen und Überflüssigen. Vergleichstexte (z.B. Märchen vom Wünschen) können zur Differenzierung und Abgrenzung, aber auch zur eigenen Standortbestimmung herangezogen werden, sowohl im Hinblick auf Wunschweise, Wünschbarkeit und Wunschlosigkeit als auch auf die bei dieser Thematik angewandte Stufen, Steigerungs oder Häufungsform.

Das „Lied vom Umstand“ (II,9), der das wunschlose Glück nicht (oder historisch noch nicht) zustandekommen läßt, als chansonartige Einlage, die das Komödienthema facettiert, kann hier in seiner dramaturgischen Schlüsselfunktion erklärt werden (Unterbrechung der Handlung, Kommentarebene zwischen Komödie und Realität; (vgl. andere Funktion der beiden anderen Lieder). Schülereigene Zusatzstrophen oder auch andere Formen bieten sich als Beispiel für die Aktualisierbarkeit des Stoffs an.

Das Ende der Posse, der Ausgang der Wette, die Aufklärung aller, die Harmonisierung der verschiedenen Liebesbeziehungen, das „Ende vom Lied“: die Schüler lernen einen ‚richtigen‘ Komödienschluß mit versöhnlicher DreierHochzeit kennen. Über dem Ende mag die Frage stehen: Ist das alles ‚gut‘, gerecht, nach Wunsch gegangen, oder bleibt noch etwas zu wünschen übrig? Es ergeben sich weitere Themen, wenn man nicht nur der Handlung entlang interpretieren möchte:

  • Was bedeutet „Nachtwandeln“ im übertragenen Sinn? (“Übrigens, die Nachtwandlerei is auch ohne Mondsucht viel häufiger auf der Welt, als man glaubt.“)
  • Ist Nestroys Posse ein aufklärerisches, moralisches Besserungsstück oder ein politisches Lehrstück (Parabel)?
  • In welcher Relation stehen die Frauen und das Geld zueinander?
  • Welche Parallelen und Unterschiede gibt es zu unserem Wünschen heute?

Über die eben skizzierte Möglichkeit der Verbindung analysierendinterpretierender und produktivinszenierender Arbeitsweisen hinaus sollen abschließend noch weitere Aspekte genannt werden. Es ist reizvoll, das Stück zu einer Spielvorlage für die Bühne (auch ‚Lesebühne‘) oder ein Hörspiel bzw. als Drehbuch für einen Film umzuarbeiten. Dabei ergeben sich einige grundsätzliche Fragen, die mit den Schülern diskutiert werden:

  • Was muß verändert werden (Weglassen, Umarbeiten, Hinzufügen: z.B. Erzähler, Prolog, anderer ‚Rahmen‘, Aktualisierung usw.)?
  • Verändert sich dadurch etwas an der Stückaussage? Was wollen wir mit unserem Spiel erreichen, haben wir dafür die ‚richtigen‘ dramaturgischen Mittel gewählt, ’stimmt‘ die Bearbeitung?
  • Was verändert sich durch das jeweilige Medium (Szenisches Spiel, Hörspiel, Film)? Welche besonderen Möglichkeiten ergeben sich in Hörspiel oder Film (z.B. Montage oder Collage mit MärchenSzenen, Ausschnitten aus der Realität)?
  • Was geschieht mit Musik und Liedern (entsprechender ‚Ersatz‘)?
  • Wie können die eigenen Intentionen mit den Intentionen der Spielvorlage verbunden werden? Wie geschieht die Umsetzung im Sprachlichen, wie im mimischgestischen Spiel?
  • Welche SpielRäume, Kulissen, Kostüme, Requisiten usw. werden gewählt?
  • Wie sieht eine ‚optimale‘ Besetzung aus?

Mit relativ einfachen Mitteln (CassettenRecorder, VideoKamera) können Hörspiele und Filme produziert werden. Die dramendidaktische Literatur gibt hierzu vielfältige methodische Hinweise.

Sowohl bei der Erarbeitung einer Inszenierung als einer Vorlage für die ‚Übersetzung‘ in ein Hörspiel oder der Erarbeitung eines FilmDrehbuchs können die Schüler parallel ein „Programmheft“ zusammenstellen, in das Ergebnisse der Auseinandersetzung mit dem Stück, den zusätzlichen Texten sowie der Thematik und ihrer Aktualität eingehen sollten.

Über die Produktivität hinaus wird Verständnis für die Ökonomie des dramatischen Vorgangs und Nestroys Schreibprozeß gewonnen und kann Komödie im Unterricht zu einer Denk und Handlungschule werden.

 

Anmerkungen

1. Vgl. Wolf-Dietmar Stein: Die Komödie im Deutschunterricht. Didaktische Bedeutung und Möglichkeiten der Vermittlung. Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1993; Günter Waldmann: Produktiver Umgang mit dem Drama. Eine systematische Einführung in das produktive Verstehen traditioneller und moderner Dramenformen und das Schreiben in ihnen. Für Schule (Sekundarstufe I und II) und Hochschule. Baltmannsweiler 1996.
2. Beiträge in Nestroyana 3 (1981) H. 4; Johann Holzner: Kanon-Diskussion und Kanon-Destruktion in Österreich. In: Literaturdidaktik Lektürekanon Literaturunterricht. Hrsg. von Detlef C. Kochan. Amsterdam Atlanta, GA 1990, S. 113–135; Josef Donnenberg: Kanon? Zeichen setzen! Kanon-Problem und Kanon-Revision in Österreich. In: Kochan (Hrsg.), S. 137–162; Sigurd Paul Scheichl: Der literarische Kanon in Österreich – Ein österreichischer literarischer Kanon. In: Text & Kontext, Bd. 30: Deutsch Eine Sprache? Wie viele Kulturen?, 1990, S. 101–126; Klassiker „Österreich“ Miniaturen, Informationen zur Deutschdidaktik 19 (1995) Heft 2. Vgl. auch Stein (Anm. 1), S. 170: „Nestroys Possen eignen sich für die Sekundarstufe I“.
3. Textausgaben: Zu ebener Erde (Reclam UB 3109); Die beiden Nachtwandler (SW Bd. 6, S. 289379; GW Bd. 2, S. 551–624; s. Bibliographie); Der Unbedeutende (Reclam UB 7698).
4. Jürgen Hein (Hrsg.): Johann Nestroy, Der Talisman, Erläuterungen und Dokumente (Reclam 8128); ders. (Hrsg.): Johann Nestroy, Der böse Geist Lumpazivagabundus oder das liederliche Kleeblatt, Erläuterungen und Dokumente (Reclam 8148); überdies bieten die Bände der Historisch-Kritischen Ausgabe (HKA) reichhaltiges Material (s. Bibliographie).
5. Vgl. Jürgen Hein: Das Wiener Volkstheater. Raimund und Nestroy. Darmstadt 3-1997; ders.: Johann Nestroy. Stuttgart 1990. 6. Zum ’neuen‘ Volksstück‘ vgl. Jürgen Hein (Hrsg.): Volksstück. Vom Hanswurstspiel zum sozialen Drama der Gegenwart. München 1989.
7. Vgl. Waldmann (Anm. 1).