Nestroy-Spiele 2009: Materialien

Heimliches Geld, heimliche Liebe

Das Stück

Geld is halt Geld!“

„S’ Geld können wir ihr nicht nehmen, aber den Genuss des Geldes müssen wir schauen, dass wir ihr schmälern.“

„Wir werden eine glückliche Familie, Geld und Liebe vereinigt sich.“

Die Zitate aus der Posse annoncieren, worum es geht: In ironischer Brechung und mit Verweis auf die gesellschaftliche Bedeutung des Geldes verweist das komödiantische Spiel auf die Kommerzialisierung der realen Lebenswelt, insbesondere von Liebe und Ehe. Von „heimlicher Liebe“ handeln als Nachfahren der Commedia dell‘ arte viele Nestroy-Possen; das „heimliche Geld“ und die vergleichsweise realistische Einbettung des Geschehens setzen neue Akzente.

Hier ließ Nestroy sich einerseits von seiner Vorlage anregen, dem erst vor wenigen Jahren von Klaus-Peter Walter identifizierten Roman „Au Jour le Jour” von Frédéric Soulié, andererseits konnte er auf zahlreiche Variationen des Geldmotivs und auf bereits erprobte Possen-Konstellationen zurückgreifen.

Das Spiel mit unantastbaren Werten und Gefühlen des Bürgertums, mit romantischen Klischees angesichts einer vom Kapitalismus regierten Realität, von der jede Figur, als Täter oder Opfer betroffen ist, die Entlarvung, ja „Veröffentlichung des Heimlichen“ wurde zum Misserfolg. Nach der Uraufführung am 16. März 1853 im Carl-Theater und zwei weiteren Aufführungen wurde das Stück abgesetzt und erst in unserer Zeit wieder aufgeführt. Die Gründe werden von der zeitgenössischen Kritik unmissverständlich benannt, unter anderem: Grenzüberschreitungen des Komischen und allzu „realistische Darstellung der Gemeinheit“.

Den Dialog würzen zahlreichen Anspielungen auf die zeitgenössische öffentliche Diskussion, die sich unter anderem um Materialismus, Sklaverei, Auswanderung, Schulbildung und Erziehung drehte. Das theatralische Spiel lebt von artistisch inszenierten Intrigen, Genrekomik und realistischen Details, von Kriminalität, Bosheit und Aufklärung in ihrem gesellschaftlichen Zusammen- und Widerspiel, wobei die Kontrahenten Casimir und Dickkopf auch als Außenseiter gegen die Gesellschaft gesehen werden können.

Casimir ist eine Art „Rächer der kleinen Leute“, – die ersten Entwürfe hatten Titel wie „Rache“ und „Rächer“-, entlarvt die gesellschaftliche Funktion des Geldes und den Missbrauch von Besitz im Namen von Recht, Tugend oder einfach Egoismus.

Possenwelt und Widerspiegelung der „wirklichen Wirklichkeit“ geraten für Publikum und Kritik in Widerspruch, deren Erwartungshorizont vom Klischee des „heiteren Wien“ und des „gemütlichen volkstümlichen Lebens“ geprägt scheint. In diesem Kontext regt die Posse, in der es um die „unheimlichen Heimlichkeiten“ geht, auch zur Diskussion um Künstlichkeit und Abbild, Spiel und Satire im Volkstheater an.

Die Wiederaufführung in unserer Zeit beweist ihre „Lebensfähigkeit“, z.B. als Ausdruck der „Wut über die geistlos totale Verwertungsgesellschaft ringsum“ (Volker Klotz).

Aus heutiger Perspektive kann „Heimliches Geld, heimliches Geld” vielleicht auch als – von den Zeitgenossen missverstandenes – Volksstück gesehen werden, voraus weisend auf Elias Canetti („Hochzeit”), Ödön von Horváth („Kasimir und Karoline”) oder Helmut Qualtinger („Der Herr Karl”). (Jürgen Hein)

 

 

Carltheater

Carl Carl erwarb 1838 das im Jahre 1781 von Karl Edler von Marinelli eröffnete Leopoldstädter Theater in der Praterstraße 31. Er ließ das Theater abreißen und von August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll neu errichten. 1847 wurde es als Carltheater wieder eröffnet. Viele Stücke von Nestroy wurden hier uraufgeführt – so auch „Heimliches Geld, heimliche Liebe“ im Jahr 1853. Aber es traten auch Zauberkünstler, Artisten und dressierte Tiere auf. Das Theater wurde 1929 geschlossen, 1944 zerbombt und 1951 abgerissen. Heute befindet sich an seiner Stelle das Galaxie21-Bürogebäude.

 

 

 

Die Zeit

„Der in niederer Hütte Gebor’ne und in hohem Bodenkammerl Auferzogene muss sich an das Billige halten, und auch das is meist schon unerschwinglich.“

Der Beginn des industriellen Zeitalters ging auch in Österreich mit der Auflösung der bestehenden Gesellschaftsstrukturen in den ländlichen Gebieten einher. Unzählige Menschen begannen, ihr Glück in der Stadt zu suchen. Wie in allen europäischen Städten stieg auch in Wien die Einwohnerzahl sprunghaft an. Zählte man 1800 in Stadt und Vorstädten 239.273 Einwohner, waren es 1850 bereits 448.688. Berücksichtigt man auch die Zuwanderung in die Vororte außerhalb des Linienwalls zu dieser Zeit, wird die Rasanz der Bevölkerungszunahme noch deutlicher. So vervielfachte sich z.B. die Einwohnerzahl der Gemeinde Fünfhaus zwischen 1830 und 1851 von 2.566 auf 10.676.

Daraus wird deutlich, dass die Wohnungsnot eines der größten sozialen Probleme der Biedermeierzeit war. Der Kaiser, der die Konzentration großer Menschenmassen fürchtete, glaubte den Bevölkerungszuwachs durch die Aufhebung der Steuerfreiheit für Neubauten zu bremsen. Die Bautätigkeit kam so fast gänzlich zum Stillstand, die Mietpreise schnellten in die Höhe, der Zustrom von Landflüchtigen hielt unvermindert an. Nach einer Statistik von 1869 waren in Wien über 55 % aller Arbeiter ohne eigene Wohnung, dies gilt auch für die Biedermeierzeit.

Tatsächlich fand eine hohe Zahl von Zuwanderern als Dienstboten Beschäftigung. „Gesinde“ beiderlei Geschlechts gab es ja nicht nur in adeligen und großbürgerlichen Häusern, auch kleine Gewerbeleute beschäftigten häufig mehrere Dienstboten. In den Zwanziger Jahren machte das Hauspersonal 46 % der Bevölkerung der Innenstadt aus. Je weiter die Industrialisierung Wiens fortschritt, umso geringer wurde die Zahl der Dienstboten. Auch ungelernte Zuwanderer fanden nun zunehmend in Fabriken Beschäftigung.

Die Arbeitsbedingungen waren alles andere als biedermeierlich-idyllisch. Die Arbeitszeit der in der Textilindustrie Beschäftigten überstieg meist 12 Stunden pro Tag. Mit zunehmender Mechanisierung wurde die Arbeitszeit noch ausgedehnt – auf 14 bis 16 Stunden, von 4 oder 5 morgens bis 8 oder 9 abends. Das in den neuen Maschinen angelegte Kapital, sollte sich rasch rentieren. Der Maschineneinsatz machte qualifizierte Fachleute überflüssig, die Arbeit wurde zunehmend von Frauen und Kindern verrichtet. Als ein Gesetzesentwurf 1839 Kinderarbeit erst nach dem neunten Lebensjahr und drei Schuljahren erlaubte und zudem den Arbeitstag von Neun- bis Zwölfjährigen auf zehn, den von Zwölf- bis Sechzehnjährigen auf zwölf Stunden täglich beschränken wollte, erhob sich ein Proteststurm der Unternehmer. Erst 1859 konnten ähnliche Bestimmungen durchgesetzt werden – Anlaß war, dass nur noch die Hälfte der ausgehobenen Rekruten militärdiensttauglich war.

Der geringe Lohn wurde zur Gänze zur Deckung lebenswichtiger Bedürfnisse verbraucht, weit über die Hälfte musste allein für die notwendigen Lebensmittel ausgegeben werden. Die zunehmende Verarmung der Unterschichten zeigt sich in der Statistik auch in einem deutlichen Absinken des Fleischverbrauchs während der ersten Jahrhunderthälfte.

Getrunken wurde vor allem Kaffee, er half durch künstliche Verlängerung der Wachzeit, die langen Arbeitszeiten durchzustehen. Branntwein wurde zum täglichen Getränk.

Die Gründung einer Familie – die „ärmeren Classen“ konnten die „Eheerlaubnis“ ohnehin erst nach einem komplizierten Verfahren erlangen – scheiterte fast immer am Fehlen der für einen Hausstand notwendigen Mittel. Dementsprechend groß war die Zahl der Findel- und Waisenkinder.

An eine Selbsthilfe der Betroffenen war angesichts des Konkurrenzkampfes, den sich die Arbeiter untereinander ums Überleben liefern mussten, kaum zu denken. Zudem wurden Versuche der Arbeiterschaft, sich zu organisieren, von den Behörden schärfstens unterdrückt.

Das Fehlen jeglicher sozialer Absicherung war für die Betroffenen um so gravierender, als das Wirtschaftsleben jener Jahre extrem krisengeschüttelt verlief. „Moderne“ Handelskrisen infolge des industriellen Konjunkturzyklus und „vormoderne“ Landwirtschaftskrisen infolge des Zyklus von guten und schlechten Erntejahren überlagerten einander und schaukelten sich gegenseitig auf. 1845 und 46 forderten Missernten in Österreich Hungertote. Die Preise für Lebensmittel stiegen in unerschwingliche Höhen.

Trotz polizeilicher Unterdrückungsmaßnahmen kam es immer wieder zu Aufläufen und Tumulten und 1848 zum Ausbruch der Revolution.

Mit der Einnahme Wiens Ende Oktober 1848 durch die kaiserlichen Soldaten war das Schicksal der Revolution besiegelt – die Reaktion siegte. Für Wien wurde der Belagerungszustand erklärt, die Zivilbehörden der Militärgewalt untergeordnet und das Standrecht für alle Personen, die seine Gesetze übertraten, verkündet.

Die nun einsetzende Rachejustiz lag in den Händen der Militärbehörden, zahlreiche „prominente“ Revolutionäre aber auch zahlreiche „namenlose“ Menschen fielen ihr zum Opfer. Das Spitzel- und Denunziantenwesen blühte.

Die meisten Errungenschaften der Revolution wurden wieder liquidiert. Am 31. Dezember 1851 wurde die Verfassung vom März 1849 durch das sogenannte „Silvesterpatent“ ausser Kraft gesetzt. Man kehrte nun ganz offiziell zur absolutistischen Regierungsform zurück.

(Zitiert aus „Wien im Aufbruch zur Moderne – Geschichte Wiens“ von Walter Öhlinger)