Posse mit Gesang 3 Acten
- Entstehung 1844 (Erstdruck 1845)
- Uraufführung 9. April 1844, Theater an der Wien (Großer Erfolg; 107 Aufführungen bis 1859)
- Nestroy-Rolle Herr von Lips (Rollenverzeichnis 692)
- Musik Adolf Müller; Nachweise: Hilmar S. 85; HKA Stücke 21, S. 247–250.
- Vorlage Duvert et Lauzanne: L’Homme blasé (Comédie-Vaudeville, Paris 1843)
- Überlieferung Gladt S. 91 f., Hadamowsky 1934, S. 169; SW Bd. 12, S. 603–634; GW Bd. 4, S. 722f.; HKA Stücke 21, S. 117–199
- Werkausgaben (Stücktext) Chiavacci Bd. 3, S. 109-154; SW Bd. 12, S. 229–324; GW Bd. 4, S. 363–438; HKA Stücke 21 (Herausgeber: Jürgen Hein) S. 25–93
- Musik (erhältlich) Wienbibliothek | Klavierauszug
- Literatur HKA Stücke 21, S. 23 f.; Braun; Brill; Bukvic; Cersowsky; Corriher; Coulson; Kuhn; May; Olles; Reese; Hein, Jürgen: Johann Nestroy: Der Zerrissene. In: Helmut Arntzen (Hg.), Komödien-Sprache. Beiträge zum deutschen Lustspiel zwischen dem 17. und 20. Jahrhundert. Münster 1988, S. 83–97; In, Seongki: Nestroys Theater als Abbild und Sinnbild der Welt. Der Zerrissene im Vergleich zu L’homme blasé. Nestroyana 19 (1999), S. 138–149; Katann, Oskar: Nestroys Posse Der Zerrissene. In: O. K.: Gesetz im Wandel. Innsbruck, Wien, München 1932, S. 92–100; Seeba, Hinrich C.: Grillparzer und die Selbstentfremdung des Zerrissenen im 19. Jahrhundert. Grillparzer-Forum Forchtenstein 1973. Eisenstadt 1974, S. 24–43; Scheichl, Sigurd Paul: Der Zerrissene. In: „Die Welt ist die wahre Schule …“. Beiträge und Materialien zu Nestroy im Deutschunterricht. Hg. von Ulrike Tanzer. Wien 1998 (Quodlibet 1), S. 25–38; Schneilin, Gérard: De L’homme blasé (Duvert et Lauzanne) à Der Zerrissene (Nestroy). In: Stieg/Valentin (Hg.) 1991, S. 143–156; Stroszeck, Hauke: Der Millionist und die Milich. Zur Motivik in Johann Nestroys Der Zerrissene. Nestroyana 8 (1988), S. 74–85; Yates, W. E.: Nestroys Komödie der Freundschaft: Der Zerrissene. Österreich in Geschichte und Literatur 23 (1970) 1, S. 43–48
- Aufführungen Nestroy-Spiele 1982
Personen
- Herr von Lips, ein Kapitalist
- Stifler,
- Sporner,
- Wixer, seine Freunde
- Madame Schleyer
- Gluthammer, ein Schlosser
- Krautkopf, Pächter auf den Besitzungen des Herrn von Lips
- Kathi, seine Anverwandte
- Staubmann, Justiziär
- Anton,
- Joseph,
- Christian, alle Bediente bei Herrn von Lips
- 1.–4. Knecht bei Krautkopf
- Die Handlung geht im ersten Akt auf dem Landhaus des Herrn von Lips vor. Der zweite und dritte Akt spielt auf Krautkopfs Pachthofe, um acht Tage später
Inhalt
1. Akt
Gluthammer hat den Auftrag, bei Herrn von Lips ein Balkongeländer zu installieren. Um die Tafel nicht zu stören, wird das Geländer nur provisorisch aufgestellt. Bei dieser Gelegenheit trifft Gluthammer auf Kathi, die gekommen ist, um ihrem Paten Lips 100 Gulden zu bringen, die sie sich vor Jahren geliehen hatte. Zwar wollte Lips das Geld gar nicht zurückhaben, doch mußte es Kathi ihrer sterbenden Mutter versprechen. Gluthammer erzählt Kathi seine Geschichte: Vor fast zwei Jahren verliebte er sich in eine Frau namens Mathilde, der er eine Putzmacherlehre bezahlte und einen Laden kaufte. Doch einen Tag vor der Hochzeit verschwand sie auf Nimmerwiedersehn. Gluthammer blieben nur die Schulden aus dem Ladenkauf. Er verkaufte seine Schlosserei, doch mit dem Modeladen war er nach kurzer Zeitruiniert. Seit fünf Monaten arbeitet er wieder als Schlossergeselle. Dies alles hat ihn jedoch nicht von dem Glauben abbringen können, Mathilde sei verschleppt worden und würde irgendwo gefangengehalten. – Auftrittslied Lips I, 5 (R: „Meiner Seel, ’s is a fürchterlich’s G’ fühl, / wenn man selber nicht weiß, was man will.“). – Das Leben des Herrn von Lips bietet weder große Freuden noch Leiden. Wegen seines Geldes braucht er auch keine Liebesabenteuer zu bestehen, weshalb er sich entsetzlich langweilt. Lediglich über einen Mangel an Freunden kann er sich nicht beklagen, so daß er von sich selbst sagt: „Ich bin wirklich ein beneidenswerther Kerl, nur Schad daß ich mich selber gar nicht beneid.“ Lediglich Stifler, Sporner und Wixer hält Lips für richtige Freunde. Alle drei geben ihm Ratschläge, wie er Farbe in sein Leben bringen könnte. Doch weder Pferdeliebhaberei, noch eine Reise, noch Narrenstreiche erscheinen Lips als der richtige Weg. Schließlich rät Stifler zu einer Hochzeit. Dies bringt Lips auf die Idee, die erste fremde Frau zu heiraten, die ihm begegnet. In diesem Moment wird eine Dame gemeldet. Lips betrachtet die Witwe sogleich als seine Zukünftige. Sie hat nach dem Tod ihres Mannes finanzielle Probleme und lädt deshalb Herrn von Lips zu einem Wohltätigkeitsball. Über den Tod ihres Mannes zeigt sie sich ansonsten sehr erfreut. Als arme Putzmacherin hatte sie sich seinerzeit von seinem angeblichen Reichtum blenden lassen. Großzügig gibt Herr von Lips ihr 100 Gulden und macht ihr einen Heiratsantrag. Die verblüffte Madame, der diese reiche Heirat sehr willkommen ist, erbittet sich eine Bedenkzeit. Lips gewährt ihr eine Viertelstunde. Unterdessen wartet Kathi noch immer auf eine Gelegenheit, um ihre Schulden zu begleichen. So hört sie von der geplanten Hochzeit. Sie wird auch Zeugin eines Gesprächs mit Stifler, der in der Unbekannten seine alte Freundin Mathilde erkennt. Da es Mathilde einzig um Lips’ Vermögen geht, verabredet sie mit Stifler, so zu tun, als kennten sie sich nicht. Auch Mathildes ehemalige Verehrer sollen in den Plan eingeweiht werden. Wenig später trifft Kathi den aufgeregten Gluthammer, der ihr versichert, er habe von Ferne seine verlorengeglaubte Braut gesehen. Kathi weiß zu berichten, es handle sich um Lips’ Braut, die Mathilde genannt werde. Außer sich vor Wut faßt Gluthammer den Entschluß, den angeblichen Brauträuber Lips umzubringen. Dieser ist in der Zwischenzeit, sehr zu Mathildes Ärger, eingeschlafen. Sie weckt ihn und verlangt die Verlobung noch amselben Abend. Anschließend feilschen beide umeinen Hochzeitstermin, wobei beide so bald wie möglich heiraten wollen, so daß letztendlich der folgende Tag bestimmt wird. Im Hintergrund muß Gluthammer das Gespräch anhören. Rasend vor Wut stürmt er auf den erstaunten Lips zu, während Mathilde erschrocken ihren ehemaligen Geliebten erkennt. Auf Lips wirkt dieses „schmutzige Verhältnis“ seiner Braut keineswegs abschreckend, und zudem verspürt er Lust, sich zu prügeln, so daß es zu einer wilden Rauferei kommt. In deren Verlauf kommen beide auf den Balkon, fallen gegen das unbefestigte Brückengeländer und stürzen in den See. Es entsteht eine allgemeine Aufregung, weil beide Männer für tot gehalten werden. Niemand bemerkt den durchnäßten Lips, der unerkannt flieht, um nicht als Mörder verhaftet zu werden.
2. Akt
Über den vermeintlichen Tod ihres Paten ist Kathi tief betrübt. Umso erfreuter ist sie jedoch, den als Bauern verkleideten Lips vor sich zu sehen. Da er seine Freunde erst in einigen Wochen um Geld für eine Flucht ins Ausland bitten kann, braucht er dringend Hilfe. Er bittet Kathi, ihm bei Krautkopf eine Stellung zu verschaffen. Obwohl der neue Knecht in der Landwirtschaft nicht sehr beschlagen scheint, läßt Krautkopf sich darauf ein. Auch Gluthammer flüchtet sich zu seinem Freund Krautkopf, weil er seinerseits fürchtet, als Mörder des Herrn von Lips verhaftet zu werden. Krautkopf versteckt den unter Verfolgungswahn Leidenden in der Backstube. Mühsam gewöhnt Lips sich an das ländliche Leben. Zu Kathi, die sich rührend um ihn kümmert, wächst allmählich eine tiefe Zuneigung. Eines Tages erfährt er, daß Krautkopf die Erben des Herrn von Lips in Begleitung des Justiziärs erwartet. – Lied Lips II, 11 (R: „Sich so zu verstell’n, na, da g’hört was dazur.“). – Tatsächlich erscheinen Stifler, Wixer und Sporner, um ihren neuen Besitz in Augenschein zu nehmen. Enttäuscht muß Lips die abfälligen Bemerkungen seiner vermeintlichen Freunde über sich anhören, die über seinen Tod keineswegs traurig sind. In einem unbeobachteten Moment ändert Lips sein Testament durch einen Zusatz zu Kathis Gunsten. Umihn während der Besichtigung vor einer Entdeckung zu bewahren, versteckt Krautkopf Gluthammer im Keller unter dem Getreidespeicher. Währenddessen ist unter den Erben ein heftiger Streit entbrannt, wie mit dem Gut zu verfahren sei. Der Justiziär empfiehlt, noch einmal das Testament zu lesen. Erschrocken erfahren alle Lips’ „allerletzten“ Willen.
3. Akt
Da ein Widerspruch gegen das Testament sinnlos erscheint, richten sich die Interessen von Sporner, Wixer und Stifler völligauf Kathi. Als diese von ihrem unerwarteten Reichtum erfährt, verlangt sie sogleich, demneuen Knecht davon zu berichten, was die Eifersucht aller Herren weckt. Sie beginnen, schlecht von ihm zu reden. Um Lips zu schützen, bestreitet Kathi, eine Zuneigung zu ihm zu haben. Um sich der anderen Verehrer zu entledigen, macht sie Krautkopf Hoffnungen. Zudem kündigt sie an, noch am selben Tag ihren Zukünftigen zu wählen. Lips ist enttäuscht von Kathis Verhalten und beschließt für sich, sein Testament das nächste Mal zugunsten von Taubstummen zu machen, weil diese ihm nichts Schlechtes nachsagen können. – Lied Lips III, 4 (R: „So gibt es halt allerhand Leut auf der Welt“). – Kathi hat sich in den Getreidespeicher geflüchtet, wo sie auf Lips trifft. Es gelingt ihr, ihn davon zu überzeugen, daß sie weder einen alten noch einen jungen Bräutigam habe. Statt dessen will sie als seine Erbin alle seine Güter verkaufen und ihm das Geld ins Ausland nachschicken. Allerdings traut sie sich nicht, ihm ihre Liebe zu gestehen. Als Lips ihr gerade seine Gefühle bekennen will, werden sie von Stifler, Sporner und Wixer gestört, die sich an ihrem Nebenbuhler vergreifen wollen. Erstaunt erkennen sie in dem Knecht ihren Freund Lips. Der Justiziär verhaftet ihn auf der Stelle als Mörder von Gluthammer. Verzweifelt bleibt Lips im Getreidespeicher zurück. Bei genauerer Erkundung seines Gefängnisses entdeckt er die Falltür zu Gluthammers Versteck. Ein Blick durch die Luke läßt beide Seiten glauben, sie hätten ein Gespenst gesehen. Erst durch Krautkopfs Erscheinen treten sich Lips und Gluthammer gegenüber. Überglücklich stellen beide fest, daß das angebliche Mordopfer noch lebt. Zunächst weist Lips nun seine falschen Freunde aus dem Haus und versichert Gluthammer, keinerlei Interessen mehr an Mathilde zu haben. Doch dem Schlosser ist „die ganze Mathildelieb’“ vergangen. Zuguterletzt erklärt Lips Kathi zu seiner Braut.
Aus dem „Nestroy-Schauspielführer“ von Jürgen Hein und Claudia Meyer, Verlag Lehner