Die Papiere des Teufels
Das Stück „Die Papiere des Teufels“
Der Teufel als Rechtsbeistand
Nestroys Posse „Die Papiere des Teufels“ gehört trotz ihres zündenden Titels zu seinen über lange Zeit verschollenen Stücken. Die „Posse mit Gesang“ von 1842 ist vordergründig das Ergebnis eines „Wettlaufs“ verschiedener Autoren, eine sehr erfolgreiche Vaudeville-Novität aus Paris auf andere europäische Bühnen zu verpflanzen.
Am 2. März des Jahres 1842 wurde im Pariser Théatre de Vaudeville das Stück „Les Mémoires du Diable“ uraufgeführt. Es handelte sich um ein Kriminalstück über eine Erbschaft, die den rechtmäßigen Erben streitig gemacht werden soll. Hinzu kamen gewisse romantische Motive: geheime Dokumente, die durch Gebrauch von Schlüsselworten zugänglich wurden, ein geheimnisvoller Fremder, der sich für die Entrechteten einsetzt, und das zu dieser Zeit sozusagen modische Teufelsmotiv.
Das pathetische und sentimentale Stück wurde in Paris zu einem solchen Bühennreißer, dass es noch im gleichen Jahr in vielen europäischen Städten nachgespielt wurde, so in London, Rotterdam, Berlin, Frankfurt und auch in Wien. Dort gab es gleich zwei Bearbeitungen, die im selben Monat Premiere hatten: Josef Kupelwieser brachte seine Version am 5. November 1842 im Theater in der Josefstadt heraus, Nestroy folgte am 17. November im Theater an der Wien.
Veränderungen der Vorlage
„Die Papiere des Teufels oder Der Zufall“, wie Nestroys Stück heißt, folgt zwar in der Handlung teilweise dem französischen Vorbild, setzt aber die Akzente wesentlich anders. Nestroy beschleunigt den Handlungsablauf, wendet die Motive ins Possenhafte, u.a. durch Verdoppelung (zweifacher Tod, zweifache Erbschaft, beide Male gehen die rechtmäßigen Erben zunächst leer aus); er fügt ein Vorspiel hinzu, das die Handlung wesentlich komischer macht, und belebt sie durch seinen Sprachwitz.
Die eigentliche Umgestaltung besteht im Wechsel des Milieus, der Lokalisierung der Handlung in Wien und der plastischen Ausgestaltung einiger Charaktere. Sie werden stärker individualisiert und in ihren sozialen Hintergrund eingebettet.
Arago und Vermond, die Autoren der französischen Vorlage, siedeln die Handlung in bürgerlich-adligem Milieu an, Spiel-Orte sind Schloss, Salon, Ballsaal; die Erbschleicher nennen sich Marquis, Chevalier und Graf, die Opfer sind eine Baronin und ihre Tochter.
Nestroys Stück handelt vorwiegend von und unter Kleinbürgern: Gastwirt, Krämer, Müllerin. Orte der Handlung sind Zimmer im Herrenhaus, Advokatenstube und Vorstadtwirtshaus. Es geht nicht um ein Schloss, sondern um eine Gastwirtschaft und um eine verpachtete Mühle.
Plastische Charaktere – Volksfiguren
Der geheimnisvolle Fremde wird bei Nestroy zu dem armen Schreiber Federl, der für einen schuftigen, Erpressungsmaterial sammelnden Advokaten arbeitet. Zufällig ist er nach dessen Tod in den Besitz von Papieren gekommen, die es ihm erlauben, auf die Erbschleicher Druck auszuüben. Er tut dies u.a. durch ein Spiel im Spiel, in dem der Betrug an den Erben nochmals gespielt wird, und zwar in der Form eines Ritterdramas, in dem er als Teufel auftritt.
Er ist aber nicht nur – wie in der Vorlage – im wörtlichen Sinn der „Rächer der Enterbten“, sondern auch die bei Nestroy typische Volksfigur. Individuelles Profil gewinnt er, indem er in verschiedenen Situationen gezeigt wird: als hungriger Schreiber, als Zukurzgekommener, als Liebes-Objekt der alten Köchin, als hoffnungslos Liebender, als witziger Kopf, als volksverbundener Charakter, mit dem sich der Zuschauer identifizieren kann. In einer kritischen Situation benutzt er nicht Pistolen, um sich und andere zu verteidigen, sodern ein abgebrochenes Stuhlbein. Er wird nicht zum Duell gefordert, sondern verprügelt.
Während Federl als vormärzliche Hungergestalt gezeichnet wird, dient die zweite, stärker individualisierte Figur hauptsächlich der komischen Akzentuierung des Geschehens. Die Teufelsangst des Maurers Dominik und seine Neigung zum Wein werden als gegenläufige Motive herausgearbeitet, die beinahe gleich stark sind, einander aber ausschließen: Der Maurer darf seinem Durst nicht nachgeben, weil er sonst das Geheimnis verrät und vom Teufel geholt wird.
Aufnahme bei der Kritik
Bei der Uraufführung war dem Stück, im Gegensatz zu seinem Vorbild, kein großer Erfolg beschieden. Von der Kritik gelobt wurde das Vorspiel. Im übrigen sah sie einen Gegensatz zwischen der Ernsthaftigkeit des Stoffes (möglicherweise im Blick auf die ziemlich ernsthafte Vorlage) und der possenhaften, witzigen Behandlung; zwischen den guten Taten Federls und der dabei gezeigten Komik – Einwände, die heute wohl nicht mehr gelten.
Es fehlt auch nicht der gegen Nestroy häufig gebrauchte Vorwurf, er habe den Stoff in die „Niederungen des gewöhnlichen Lebens“ hinabgezogen, der aber inzwischen eher ein Kriterium für satirisch-realistische Darstellung geworden ist. (Peter Haida)