Zu ebener Erde und erster Stock
Wohnungsnot, steigende Arbeitslosigkeit und immer krasser werdende soziale Gegensätze – das sind jene Probleme, die unsere Gesellschaft derzeit besonders beschäftigen. Auch das Theater – will es sich der Aufgabe nicht entziehen, Spiegel seiner Zeit zu sein – sollte sich nach Möglichkeit mit ihnen auseinandersetzen.
Was lag also näher, als für die Nestroy-Spiele 1993 eines jener Stück zu wählen, die dieses Thema behandeln; ein Stück, das überdies für den Schauplatz Rothmühle wie geschaffen ist: „Zu ebener Erde und erster Stock“.
Es ist wirklich erstaunlich, wie aktuell uns dieser Nestroysche Klassiker erscheint. Und es macht traurig und nachdenklich, feststellen zu müssen, wie gering die Unterschiede zum Jahre 1835 sind.
Diese Parabel von arm und reich ist offenbar noch immer/schon wieder gültig. Nestroy stellt zwar am Ende seines Stückes die bestehenden Verhältnisse, das „Oben und Unten“ auf den Kopf, doch mit diesem fiktiven „Happy-End“, das nur durch unglaublichen Zufall und unwahrscheinliche Schicksalsschläge möglich wird, macht er zugleich deutlich, dass der Rollentausch der handelnden Personen an der Grundstruktur gesellschaftlichen Ungleichgewichts nichts zu ändern vermag. Wieder logieren diejenigen, die es sich leisten können, oben, die anderen unten.
Das System bleibt wie es war. Repräsentiert von Zins, dem Hausherrn, wird es weiterbestehen in der Person des jungen, ehrgeizigen Aufsteigers Adolf. Er ist mit Zins nicht nur bluts-, sondern auch geistesverwandt und wird dessen Erbe antreten.
Nestroy, der große Skeptiker, hält also die Welt und die Menschen für unverbesserlich. Doch hinter seiner messerscharfen Analyse, die so unterhaltsam und witzig daherkommt, ist auch große Betroffenheit spürbar, ein ohnmächtigr Schmerz, der sich sarkastisch Luft macht und als Appell an Veränderung verstanden werden kann; an eine Veränderung, die angesichts der trost- und ausweglosen sozialen Situation einfach stattfinden muss – trotz allen Zweifels an ihrer Effizienz.
Es scheint zwar, als habe Nestroy die Hoffnung auf eine bessere Welt für immer begraben, aber ich meine, er hat sie lebendig begraben. Wer weiß, vielleicht meldet sie sich eines Tages zurück – mit Hilfe jener Glocke, die Nestroy an seinem Grab hat anbringen lassen – für den unwahrscheinlichen Fall des Falles. (Peter Gruber)
Das Stück
„Zu ebener Erde und erster Stock oder Die Launen des Glücks“, ein Stück mit einem noch barocken Doppeltitel, schrieb Johann Nestroy im Jahr 1835. Es wurde von der Kritik immer als Beginn der „Volksstück“-Phase im Werk des Dichters angesehen, welche ein Ende der Zauberspiele bedeutete. In der Mitte einer Entwicklung stehend, erinnert das Glücksmotiv – allerdings ohne „Fügung von oben“ – noch an den Zauberer Fortunas im „Lumpazivagabundus“, die Darstellung des Gegensatzes zwischen arm und reich weist schon auf die folgenden Stücke voraus.
Die Zwischenstellung im Werk Nestroys, die Thematisierung des sozialen Gegensatzes bei gleichzeitiger Betonung des Fiktiven und Spielhaften, hat die Interpreten zu unterschiedlichen Deutungen des Stücks angeregt. Einige erkennen nur das komische Spiel im Kontrast, die soziale Frage werde nicht gestellt; andere sehen in ihm das soziale Märchen vom Reichwerden der Armen, einen „wienerischen Sommernachtstraum“ (Alfred Polgar). Auch gibt es Stimmen, die entweder das Geschehen als zufällige, im barocken Fortuna-Begriff gründende Umkehrung und Relativierung der sozialen Unterschiede deuten – dies freilich zur Zeit der Entstehung des sozialen Dramas – oder die sozialkritische Dimension und politische Bedeutung hervorheben. Otto Basil spricht in Anlehnung an ein zeitgenössisches Urteil Emil Kuhs von der „politischen Allegorik“ der Posse; mit den „verluderten Herrenleuten“ des ersten Stocks habe Nestroy „das verrottete System und seine Nutznießer“ gemeint.
Die Vielfalt der Meinungen spiegelt zugleich ein grundsätzliches Problem der Nestroy-Interpretation wider: War Nestroy der realistische und satirische Schilderer seiner Zeit, spielt jedes Possenmotiv auf eine soziale Tatsache an, oder ist seine Komik zeitlos und daher auf heute übertragbar? Stellt sie sich erst nachträglich als gesellschaftskritische Satire heraus?
Nestroy wählt die Form der durchgängigen simultanen Verzahnung der Handlungsteile. Die Simultanbühne, die Gestaltung gleichzeitigen Geschehens in getrennten Handlungsräumen vermag neben der Erhöhung des Schauspielcharakters zugleich dem nur Fiktiven ein gewisses Maß an Realität verleihen. Oben und unten werden zu einer Spielwelt, in der es nur Arme und Reiche oder Emporgekommene und Heruntergekommene gibt. Die horizontale Teilung der Bühne bildet im Thematischen wie Dramaturgischen eine Struktur, die für das Geschehen des Stücks bestimmend ist und in der Gegensätze zunächst und primär keine sozialen sind, sondern theatralische Motive, die spielerisch-dramatisch entfaltet werden wobei sich durchaus – in Text und Spielweise intendierte – satirisch-gesellschaftskritische Momente ergeben können. Das zwischen oben und unten zur Entfaltung kommende Spiel der Gleichzeitigkeit, Aufeinanderbezogenheit und Verzahnung der komisch-dramatischen Handlungslinien wird zur Darstellung eines „Querschnitts des Lebens“. Über den Kontrast als Spielmöglichkeit hinaus rückt der soziale Kontrast selbst in den Vordergrund der Darstellung; seine Beurteilung freilich – und damit die gesellschaftskritische Dimension – wird dem Zuschauer überlassen, der die füreinander „offenen“ Handlungslinien als verschiedene Perspektiven auf ein und dieselbe Wirklichkeit beziehen muss.
Der Text hat Partiturcharakter, seine Strukturelemente – die sprachlichen, mimischen, szenisch-theatralischen und musikalischen – kommen erst durch die Spielweise und vor allem durch eine adäquate Einstellung, Sehweise des Publikums zur vollen Wirklichkeit. Darauf hin sind Dramaturgie und Thematik des Stücks angelegt. Der Zuschauer kann über die ohne Sentimentalität dargestellte Leichtigkeit der Umkehrung sozialer Verhältnisse lachen, seinen Spaß an Spielwitz und Situationskomik haben, er kann aber auch einen tieferen Sinn in dem Modell der Welt entdecken, wenn er auf die kritischen Randbemerkungen (z.B. Damians oder Johanns) achtet. (Jürgen Hein)
Das Glück mit dem überstauchten Fuß
Was muss geschehen, damit ein reicher Spekulant namens Goldfuchs samt Familie aus dem Obergeschoß ins Parterre ziehen muss und der arme Tandler namens Schlucker mit den Seinen von unten nach oben übersiedeln kann?
Der naiv-schlaue Damian Stutzel hat die Erklärung für den Umzug seiner Standesgenossen parat: „Die Fortuna muß sich den Fuß überstaucht haben, daß s’ nit in den ersten Stock auffisteigen kann, sonst kehret s’ gwiß nit zu ebener Erd ein.“ (III, 4) Damian konnte nicht mehr warten, bis das Glück kommt, es blieb ihm schon „z’ lang aus“ (I, 15). Der gerissene Johann weiß, so wie sein Gegenpol Damian, dass das Glück auf der Seite der Reichen steht.
Damian will Veränderung, Johann bestärkt seinen Herrn Goldfuchs in seiner Glücksideologie: „Ich sage: wenn sich ’s Unglück über ein’ Millionär trauen will, das kommt mir grad so vor, als wie wenn ein Stallpummerl auf ein’ Elefanten bellt.“ (II, 8) Das sind Weisheiten, die sich sehr wohl auf Erfahrungen stützen können. Dem steht aber das im ganzen Stück – im Dialog wie am Ende – beschworene Bild vom Glück entgegen: das Glück, sagt Salerl zu Damian, sei kugelrund, und der Schlusschor bestätigt diese „Einsicht“.
Dem schließt sich auch die symmetrische Glücksmechanik an, die dreimal oben das Schicksal hart zuschlagen lässt und unten dreimal das Füllhorn über die Familie des armen Schlucker in bühnengerechter Steigerung ausschüttet. Der Schiffbruch, der den arroganten Goldfuchs ruiniert, entzieht sich jeder Verfügung durch die Personen dieses Dramas. Weder Schuld noch Sühne sind rational erklärbar.
Der mit jähem Reichtum beschenkte Adolf wird von Schlucker nicht so traktiert, dass er für die Familie seiner Zieheltern übermäßig große Dankgefühle hegen und diese am neugewonnenen Wohlstand für immer partizipieren lassen müsste.
So wie der Handlungsablauf es will, ist das Glück wirklich kugelrund. Einmal sind die einen oben, die anderen unten. Das Los des Goldfuchs müsste den Schlucker ereilen (Nestroy hat in einer Bühnenfassung auch Goldfuchs, Adolf und Emilie wieder oben einziehen lassen und so die soziale Ordnung wieder hergestellt. Selbst Johann findet zurück und bekommt, obwohl ein Bösewicht zuvor, seine Fanny!)
Das Glücksrad dreht sich in einem fort. Diese Weisheit beruhigt. Und sie scheint gemacht zur Beruhigung. Sie steht nur zu dem, was Damian und Johann wissen, im Widerspruch.
Und dieser Widerspruch in Nestroys Stück gibt uns heute zu einigen Fragen Anlass: Verschleiert der Glaube an die übliche Glücksvorstellung, die einen steten (beinahe gerechten) Wechsel suggeriert, nicht viel ernstere, in jedem Falle sehr konkrete Konflikte?
Wird durch diese Glücksvorstellung nicht eine bestehende Ordnung sanktioniert? MÜssen alle darauf warten, bis das launische Glück für die gerechte Verteilung sorgt und die Deklassierten bedenkt? Oder ist dafür zu sorgen, dass Fortuna hinkt und zu ebener Erde einkehrt? (Wendelin Schmidt-Dengler, 1981)
Alt und neu
Wir haben „Zu ebener Erde und erster Stock“ schon gespielt. Vor zwölf Jahren, 1981.
Damals wie heute zu sehen: Willibald Mürwald, Traude Selinger, Leopold Selinger, Leo Selinger, Susanne Urban, Robert Herret und Andreas Bauer. Susi Urban (als „entfernte Anverwandte“ Salerl) und Robert Herret (als „Bedienter“ Johann) spielen sogar dieselben Rollen in diesem Stück wie vor zwölf Jahren.
Aber auch sonst sind einige Positionen gleich geblieben: Regie führte damals wie heute Peter Gruber, die musikalische Bearbeitung und Einstudierung besorgte 1993 wie 1981 Herbert Ortmayr und ohne Souffleuse Herta Mock wollten die Schauspieler schon vor zwölf Jahren nicht auftreten.
Susanne Urban hat nach einigen Jahren Bühnenabstinenz wieder den Weg in die Rothmühle gefunden, was uns sehr freut. Für sie war es natürlich eine besondere Herausforderung, die Salerl wieder zu spielen. Und ganz besonders freut es uns, dass Franz Steiner wieder bei uns ist. Nach zwei Jahren aus der weiten Welt zurückgekehrt, übernahm er kurz vor der Premiere die Rolle des Monsieur Bonbon. Diese war nach einem kleinen Unfall eines Mitspielers (Helmut Holzdorfer) unbesetzt.
Zu den wohl treuesten Ensemblemitgliedern gehört die Familie Selinger. Sohn Poldi stand vor zwölf Jahren als sechsjähriger „Poldi“ auf der Bühne. Aus dem kleinen Poldi wurde mittlerweile ein Leo, der in der Rolle des Adolf zu den Hauptdarstellern der diesjährigen Produktion gehört.
Dass sich das Ensemble aber auch ständig erneuert und nicht nur aus „alten Hasen“ besteht, zeigt die Liste jener, die heuer erstmals dabei sind: Esther Potesil, 20, ist Kindergärtnerin und Hortnerin. Sie wurde von Sabine Stacher mitgebracht, die auch ihre Mutter Elisabeth auf die Bühne holte.
Michaela Wiesner, 24, verfolgte als Schwechaterin die Nestroy-Spiele zunächst als Zuschauerin, heuer wollte die kaufmännische Angestellte einmal selbst versuchen, wie sich die Bretter, die die Welt bedeuten, anfühlen. Der 19-jährige Student Markus Zarl wurde vom Langzeit-Ensemblemitglied Willibald Mürwald zur Theatergruppe gebracht.
Regisseur Peter Gruber hatte also auch dieses Jahr Gelegenheit, neben der Regietätigkeit den „Neuen“ Grundbegriffe der Schauspielerei beizubringen. Was für diese wiederum doppelt harte Arbeit auf der Bühne mit sich brachte. Arbeit, die von den Ensemblemitgliedern – alle lupenreine Amateure – gerne geleistet wird – mit dem Ziel, Sie zu unterhalten.