Die schlimmen Buben in der Schule / Häuptling Abendwind
5. Nestroy-Spiele Schwechat 1977 im Schlosshof der Rothmühle in Schwechat-Rannersdorf, 2320 Schwechat, Rothmühlstraße 5, im Juli 1977
- Besetzung
- Fünf Jahre Nestroy-Spiele
- Die schlimmen Buben in der Schule
- Häuptling Abendwind
- Zu „Die schlimmen Buben in der Schule“
- Zu „Häuptling Abendwind
Besetzung
Die schlimmen Buben in der Schule
- Musik von Herbert Ortmayr
- Herr von Wolkenfeld, Gutsbesitzer Karl Hamernik
- Sternau, Landrat Andreas Stonawski
- Wampl, Lehrer an der Schloßschule Horst Kummerfeld
- Nettchen, seine Tochter Silvia Smaha
- Herr von Wichtig, Gutsverwalter Rudolf Stonawski
- Stanislaus, dessen Sohn Michaela Mock
- Frau Schnabel, Beschließerin auf dem Schloß Gertrude Pfertner
- Willibald, ihr Sohn Robert Herret
- Franz Rottmann, Aufseher Franz Steiner
- Peter Petersil, Sohn des Schloßgärtners Kurt Kratky
- Anton Waldtuchs, Sohn des Försters Maria Seis
- Blasius Pichler, Sohn des Kellermeisters Christine Bleyer
- Sebastian Grob, Sohn des Inspektors Helene Meissl
- Christoph Ries, Sohn des Amtsschreibers Michael Rosner
- Hans Bummel, Sohn des Schloßdieners Bruno Reichert
- Babett, Wampls alte Magd Olga Weinlich
- Die Eltern sämtlicher Schüler (alternierend) Christa Liegl, Erika Stepan, Marietta Michielsen, Tiementje Chovanec, Irene-Maria Stern, Grete Seitl, Ingeborg Nowak, Dietmar Liegl, Horst Werner Gaigg, Peter Bolaffio, Andreas Stonawski
- Musikanten (alternierend) Franz Hafner, Ernst Rubik, Nikolaus König,
Wolfgang Herret, Robert Willig, Robert Berent, Harald Annerl (alle Stadtmusik Schwechat)
Häuptling Abendwind
- Musik von Jacques Offenbach (Bearbeitung Prof. Kurt Werner)
- Abendwind, der Sanfte, Häuptling der Groß-Lulu Walter Mock
- Atala, seine Tochter Michaela Mock
- Biberhahn, der Heftige, Häuptling der Papatutu Fritz Pfertner
- Arthur, ein Fremdling Horst Kummerfeld
- Ho-Gu, Koch bei Abendwind Rudolf Stonawski
- Weißer Bär Peter Müller-Uri
- Groß Luluerer Andreas Stonawski, Franz Steiner, Robert Herret
- Papatutuaner Michael Rosner, Bruno Reichert, Kurt Kratky, Karl Hamernik
- Regie Peter Gruber
- Bühnenbild Guido Salzen
- Kostüme Herta Mock
- Musikalische Leitung Herbert Ortmayr
- Masken und Frisuren Eveline Balaffio
- Requisiten Robert Herret
- Hüte Gertrude Pfertner
- Inspizientin Irene-Maria Stern
- Souffleuse Herta Mock
- Technische Leitung und Beleuchtung Alfred Stepan, Franz Schulcsik
- Kostüme vom österreichischen Bundestheaterverband bzw. aus eigenem Fundus
Fünf Jahre Nestroy-Spiele
Als Min. Rat. Dr. Gottfried Heindl, Ex-Chef der Bundestheaterverwaltung und einer der bekanntesten und erfolgreichsten „Kulturmanager“ Österreichs, im Juni 1972 (anläßlich des 50jährigen Jubiläums der Stadterhebung von Schwechat) eine „Jedermann“-Aufführung des Amateurtheaters St. Jakob im Schloß Rothmühle besucht, ist er begeistert. Eine alte, langgehegte Lieblingsidee wird wieder wach: In der unmittelbaren Nähe von Wien, im Sommer, wenn fast alle Theater geschlossen sind, Nestroy-Spiele zu veranstalten.
Er trifft sich – in Begleitung von Burgschauspieler Bruno Dallansky und dem Schriftsteller György Sebestyen, denen ähnliche Projekte vorschweben – mit jenem Mann, der sich schon seit Jahrzehnten um die kulturellen Belange Schwechats bemüht – dem Leiter der Spielgruppe St. Jakob, Walter Mock.
Man spricht über die Möglichkeiten, in der Rothmühle Nestroy zu spielen. Da eine rein professionelle Durchführung einstweilen nicht zur Debatte stehen kann, und auch der Plan, ein gemischtes Ensemble aus Berufs- und Amateurschauspielern zusammenzustellen, nicht realisierbar erscheint, beschließt man, für den Anfang die bewährten Amateurspieler von St. Jakob einzusetzen – allerdings unter professioneller Leitung und Betreuung. Als technischer Berater wird hiefür der ehemalige Burgtheater-Beleuchtungschef und Technische Direktor des Burgtheaters i. P. Prof. Sepp Nordegg gewonnen. Die künstlerische Gesamtleitung wird – auf Empfehlung von Bruno Dallansky – dem Regisseur Peter Gruber übertragen. Da Stadt, Land, Bund und Industrie ihre Unterstützung zusichern, steht einem ersten Versuch nichts mehr im Wege.
Im Juli 1973 ist es dann soweit. Nach einer erfolgreichen Vorpremiere in Belgien werden die 1. Nestroy-Spiele im Hof der Schwechater Rothmühle mit den beiden Einaktern „Zeitvertreib“ und „Frühere Verhältnisse“ eröffnet.
Trotz teilweisem Werbeverbot wegen der Maul- und Klauenseuche kommen 1650 Besucher, sie sind von dem intimen, gemütlichen Rahmen, von der Pawlatschen-Atmosphäre und von dem frischen, uneitlen Spiel der Akteure begeistert. Die Pläne, Berufsschauspieler zu beschäftigen, werden fallengelassen. Man kommt einstimmig zu dem Schluß, daß hier eine in ihrer Art wohl einmalige und besonders reizvolle Mischung gelungen ist, die in genau dieser Form beibehalten werden sollte. Die Idee, Nestroy Stücke dort zu spielen, wo sie einst entstanden sind, nämlich in der Vorstadt, hat voll eingeschlagen.
Für 1974 wird ein selten gespieltes Stück ausgewählt, das durch seine Bezüge zur näheren Umgebung Schwechats besonders gut hierher paßt: die Lokalposse „Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab“. Erstmals gibt es auch eine Kostümausstellung der Bundestheater zu sehen.
1975 folgt der Schwank „Eulenspiegel oder Schabernack über Schabernack“, der durch seine Schauplätze (Schloß und Mühle) für das Schloß Rothmühle wie geschaffen scheint. Die Zuschauerzahl ist bereits auf über 5000 gestiegen, die Platzausnutzung über 90%.
Erstmals werden „Nestroy-Gespräche“ abgehalten.
1976 – zu Nestroys 175. Geburtstag – steht schließlich, in einer ungewöhnlichen, historisch-kritischen Konzeption, „Lumpazivagabundus“ auf dem Programm. Die Aufführung wird zum bisherigen Höhepunkt der Spiele, was sich in den begeisterten Reaktionen von Publikum und Presse gleichermaßen niederschlägt.
Auch das Internationale Nestroy-Symposium wird ein großer Erfolg. Das Thema „Nestroy ein Europäer“ führt Experten aus 9 europäischen Ländern zu einem regen Gedankenaustausch zusammen, der heuer mit einer Analyse des geschichtlichen Hintergrundes fortgesetzt werden wird.
Auf der Bühne stellen wir 1977 (mit einem zum Teil stark verjüngten Ensemble) zwei der bekanntesten und beliebtesten Einakter vor, deren satirische Tiefe und politische Brisanz in vielen Aufführungen kaum zur Geltung kommt, weil sie von überflüssigem Klamauk und oberflächlichem Geblödel erdrückt wird: Die Burleske „Die schlimmen Buben in der Schule“ und Nestroys letztes Stück „Häuptling Abendwind“.
Die schlimmen Buben in der Schule
Das Stück wurde im Dezember 1847, wenige Monate vor Ausbruch der Revolution, uraufgeführt. Vorlage Nestroys war auch in diesem Fall ein französiches Vaudeville. „Le Maitre d’Ecole“ (Der Schulmeister) von Lockroy und Anicet-Bourgeois, das die Protektionswirtschaft im französichen Schulwesen kritisierte. In der Zeit der aufsteigenden revolutionären Welle 1847 nützte Nestroy dieses Motiv zu einer Kritik des vormärzlichen Schulwesens in Osterreich aus. Er mußte dabei im Hinblick auf die Zensur vorsichtig sein: die Schule, um die es geht, ist keine öffentliche, sondern eine gutsbesitzerliche Privatschule. Der Erfolg beweist jedoch, daB Nestroys Stück vom Publikum richtig als Kritik des gesamten vormärzlichen Schulwesens verstanden wurde. Selbständig gegenüber der französichen Vorlage war in Nestroys Stück die ausgezeichnete Gestalt des Schülers Willibald, der von Nestroy selbst gespielt wurde; in seinen Couplets und monologischen Betrachtungen über das Schulwesen, die begeisterte Aufnahme fanden, wird mit den für Nestroy kennzeichnenden Mitteln der Satire die Frage des Werts einer Schule gestellt, die vom Leben losgelöst ist und die Schüler auf alles vorbereitet, nur nicht auf das Leben. Ideell ging Nestroy durch diese Fragestellung über das französische Stück hinaus, das – ähnlich wie in anderen Fällen – nur die Anregung für seine Posse bot, die auch in ihrem Kolorit einen ausgeprägt österreichischen Charakter trägt.
Häuptling Abendwind oder Das greuliche Festmahl
In Nestroys letztem Stück, dem Einakter „Häuptling Abendwind oder Das greuliche Festmahl“, ist die Aktualität der Satire bis heute bewahrt. 1862 fand es keine günstige Aufnahme. Das Publikum wollte lieber die anspruchslosen und gefälligen französischen Vaudevilles (Singspiele) und Operetten sehen, wie sie von französischen Ensembles in Wien gebracht wurden.
Während eines Gastspiels des Offenbach-Ensembles im Juni 1861 wurde die Operette Offenbachs „Vent du Soir ou L’horrible festin“ mit großem Erfolg aufgeführt. Nestroy übernimmt daraus die Szenenfolge, ja sogar die Lieder, da er die beliebte Operettenform nicht ändern wollte. Auch die Figuren werden weitgehend aus der Quelle entnommen. Nestroys Eigenwerk ist die sprachlich-satirische Akzentuierung der entlehnten Spielschablone. Der harmlose französische Schwank wird durch originelle charakterisierende Sprachgebung, Dialogführung und Akzentuierung der Thematik zur satirischen Komödie. Die beiden wienerisch sprechenden Häuptlinge Abendwind und Biberhahn enthüllen im Dialog die Fragwürdigkeit der Schlagworte Fortschritt, Kultur, Zivilisation und Nationalismus. Nestroys Kritik zielt auf die Ideologie, die sich von den Ideen entfernt hat, zielt auf die Perversion der an sich guten Ideen. Wienerische Gemütlichkeit, Menschenfressertum (auch im übertragenen Sinn!) und aktuelle politische Tageswirklichkeit werden in ihrem Kontrast wechselseitig satirisch enthüllt. Nicht mehr der „edle Wilde“, wie in der Komödie der Aufklärung, übt Kritik an den Auswüchsen der Zivilisation in Europa, sondern in verschärfter Form der nationalistische und politisierende Wilde, der längst seine Natürlichkeit und Naivität verloren hat. Der „gemütlich“ wirkende Wiener Dialekt läßt die Menschenfresser gemütlich und heimisch erscheinen. Nestroy macht hier den Dialekt zum Werkzeug der Satire, welche die europäischen Großmächte als „Menschenfresser“ entlarvt und ihre politische Schlagwortsprache karikiert, zugleich aber die „Menschenfreundschaft“ der Menschenfresser attackiert, die sich auch jener Sprache bedienen und am Ende, dem Vorbild der Großen nacheifernd, einen Friedensbund (!) schließen. Vor dem Hintergrund der Zeit und am Vorabend der großen Kriege wirkt Nestroys Stück als Parodie auf die Konferenzen und diplomatischen Gespräche, die den Krieg doch nicht verhindern können.