Posse mit Gesang in 3 Acten
- Entwurf-Titel Zwey Töchter, zwey Bälle
- Uraufführung 29. März 1852, Carl-Theater (82 Aufführungen)
- Nestroy-Rolle Kampl, Chirurgus vor der Linie (Rollenverzeichnis 776)
- Musik Carl Binder; Nachweise: Hilmar S. 70; HKA Stücke 31, S. 521–525
- Vorlage Eugène Sue: L’Orgueil (Roman, 1848)
- Druck 1852 [Kampl oder das Mädchen mit Millionen und die Nätherin, Posse mit Gesang in 4 Acten]
- Überlieferung Gladt S. 52 f.; Hadamowsky 1934, S. 265; SW Bd. 8, S. 446–519; GW Bd. 5, S. 716; HKA Stücke 31, S. 137–423 und 493–511
- Werkausgaben (Stücktext) CG Bd. 2, S. 209–283; SW Bd. 7, S. 379–557; GW Bd. 5, S. 549–696; HKA Stücke 31 (Hg.: Aust), S. 1–333 und 424–492 (Druckfassung)
- Musik (erhältlich) Klavierauszug
- Literatur HKA Stücke 31, S. XVIII; Aust, Hugo: Nestroys Kampl. Aspekte der klassischen Form. Wirkendes Wort 37 (1987), S. 181–192; Walla, Fred: Johann Nestroys dramatischer Plan Zweifel. Österreich in Geschichte und Literatur 23 (1979), S. 49–55
Personen
- Gabriel Brunner, vormals Kanzleidiener,
- Bernhard Brunner, Schlosser, Brüder
- Wilhelm, Gabriels Sohn
- Netti, Bernhards Tochter
- Hippolit Schwamm Edler von Waschhausen
- Sidonia, seine Gemahlin, vorher verwitwete Baronin von Auenheim
- Ludwig Baron von Auenheim, Sidonias Sohn aus erster Ehe
- Cecilie, Waschhausens Schwester, unvermählt
- Pauline, Baronesse von Kellburg
- Madame Müller, ihre Kammerfrau
- Baron Felsbach
- Herr von Gerbrand
- Herr von Zackenburg
- Herr von Habmann
- Baronin von Hochberg, Witwe
- Herr von Blankenforst
- Herr von Halbing
- Herr von Brachfeld
- Bedienter bei Waschhausen
- Bedienter bei Baronin Hochberg
- Frau von Siebling
- Ida, ihre Tochter
- Frau Schulzmann, Witwe
- Henriette,
- Amalie,
- Euphrosine, ihre Töchter
- Kampl, Chirurg vor der Linie
- Damian, sein Gehilfe
- Doktor Muschl
- Pichtl, Praktikant
- Zwinger, Hausherr
- Strunk, Fleischhauersohn
- Malzer, ein Bräumeistersohn
- Herr Zeppler
- Ein alter Wirt
- Fakler, Kommis
- Frau Wilker, eine arme Handwerkerswitwe
- Eine alte Bürgersfrau
- Eine Greislerin
- 1. u. 2. Bauer
- Bäuerin
- Hannerl, Magd bei Frau Schulzmann
- [Küchenmagd bei Frau Schulzmann]
- Ein Notar
- Herren und Damen
- Kleine Lehrmädchen
- Landleute
- [Bediente
- Portier
- Kutscher
- Stallknechte
- Koch bei Waschhausen]
- Die Handlung spielt in den ersten Szenen in einem an der Linie einer großen Stadt gelegenen Landorte, dann in der Stadt selbst
Inhalt
1. Akt
Als etwas nachlässiger und vor allem eigensinniger Arzt, der nie um eine Ausrede verlegen ist, praktiziert Kampl vor den Toren der Stadt. In einer wichtigen Angelegenheit bittet Felsbach ihn um Hilfe: Einst glaubte er, seine zweite Tochter wäre das Kind eines Geliebten seiner Frau. Während einer Kur seiner Frau brachte er das Mädchen zu Kampl und verschwand selbst. Der Mutter erzählte man, das Kind sei gestorben. Da seine Frau noch auf dem Sterbebett ihre Unschuld beteuerte, ist sich Felsbach nun sicher, daß er im Unrecht war. Doktor Muschl, der am Totenbett seiner Frau war, hat Felsbach alle seine Töchter betreffenden Papiere übergeben, auch eines, in dem Muschl eine entscheidende Stimme bei der Verheiratung der ältesten Tochter eingeräumt wird. Zwar ist Kampl sehr erfreut über das Wiedersehen mit seinem Freund Felsbach, doch leider weiß er nichts über den Verbleib des Kindes. Er hatte seinerzeit das Kind mit Felsbachs Geld in die Obhut seiner Frau gegeben, die daraufhin mit beidem verschwand. Jahre später erfuhr Kampl aus der Zeitung von ihrem Tod. Felsbach und Kampl beschließen, an dem in der Zeitung genannten Ort ihre Suche zu beginnen. Schwierig könnte nach Kampls Meinung auch die Situation von Felsbachs älterer Tochter sein, die ihren Vater kaum kannte. Nach der Trennung hatte ihre Mutter wieder ihren Mädchennamen angenommen. Unter der Bedingung, diesen Namen beizubehalten, hat das Mädchen das riesige Vermögen eines Onkels geerbt. Kampl glaubt, das Mädchen könnte inmitten einer habsüchtigen Verwandtschaft in großer Gefahr schweben. – Lied Kampl I, 11 („Wie s’ ehmahls hab’n betrieb’n d’ Medizin“). – Sidonia, Waschhausen und Cecilie erwarten die Ankunft ihres Mündels Pauline. Durch deren Reichtum hoffen sie selbst zu großem Ansehen zu gelangen. Sie bedauern es sehr, daß Doktor Muschl ein entscheidendes Mitspracherecht bei der Wahl des Bräutigams hat. Doch sie verabreden zumindest, sich über Heiratskandidaten abzusprechen und keine geheimen Verhandlungen zu führen. Trotzdem haben alle drei nichts Eiligeres zu tun, als jeweils ihren Favoriten für diese Hochzeit zu protegieren. Sidonia verlangt von ihrem Sohn Ludwig, der sich zu ihrem Bedauern mit der Arbeiterklasse abgibt, Pauline zu heiraten und zu lieben. Von seinen Einwendungen will sie nichts hören. Cecilie dagegen macht Gerbrand Hoffnungen auf eine Hochzeit mit Pauline. Zackmann schuldet Habmann Geld und spekuliert deshalb auf eine Hochzeit mit Pauline, obwohl er zur Zeit gerade in Netti verliebt ist. Da er den Vormund auf seiner Seite weiß, rechnet er sich sehr gute Chancen aus. Auch Halbing hat ein Auge auf die reiche Erbin geworfen. Allerdings interessiert es ihn, daß Zackmann behauptet, Paulines Mutter habe einen schlechten Ruf mit ins Grab genommen. Sich als Doktor Muschl ausgebend, hat Kampl sich unter die Gesellschaft gemischt und dabei das Gespräch zwischen Halbing und Zackmann belauscht. Als der Arzt, der beim Tode von Paulines Mutter anwesend war und der ihre Verfügung ihre Tochter betreffend kennt, bittet Ludwig Kampl, dafür zu sorgen, daß er nicht Pauline heiraten muß, sondern sein geliebtes Nettchen bekommt. Den Namen Nettchen hörend, glaubt Kampl sofort, eine Spur der Verschollenen gefunden zu haben. Allein mit Kampl, versucht Waschhausen sich seiner Sympathien zu versichern, um seinen Heiratskandidaten zu begünstigen. Scheinbar unbedarft geht Kampl auf den Vorschlag ein. Auch die als nächstes erscheinende Cecilie stößt bei Kampl auf offene Ohren. Allerdings sagt er ihr auf den Kopf zu, daß der junge Mann ihr den Dienst sicherlich reichlich entlohnen werde und sie durch dieses Vermögen selbst heiraten könnte. Unterdessen weiß der Tunichtgut Gabriel nicht, wovon er seine Miete bezahlen soll. Zwar bekommt er eine Pension als ehemaliger Kanzleidiener und sein Bruder bezahlt die Miete für jeweils die Hälfte des Jahres, dennoch leidet Gabriel ständig an Geldmangel. Aus diesem Grund drängt er seine Nichte Netti, endlich einen reichen Hausherrn zu heiraten. An diesem Tag erscheint Zwinger, um die Miete einzutreiben. In seinem Ärger schickt Gabriel den Vermieter zu seinem Bruder Bernhard. Als Zwinger daraufhin tatsächlich geht, fürchtet Gabriel um den Familienfrieden und verläßt das Haus auf der Suche nach jemandem, der ihm 100 Gulden leiht. Während Gabriels Abwesenheit versucht Zackenburg, Nettis Zuneigung zu gewinnen. Unter anderem macht er ihr den finanziellen Vorteil deutlich, den sie durch ihn hätte. Doch Netti weist ihn ab. In diesem Augenblick kommt Wilhelm freudestrahlend herein, denn er hat eine Anstellung gefunden und 100 Gulden in der Tasche. Das Geld legt er in den Schreibtisch. Noch einmal bittet Zackenburg Netti um ihre Hand, doch nun lehnt Netti entschieden ab und flüchtet in ein Nebenzimmer. Da er glaubt, daß das Geld im Schreibtisch einen Einfluß auf Nettis strikte Ablehnung hatte, stiehlt Zackenburg die 100 Gulden in einem unbeobachteten Moment. Der eintretende Kampl sieht jedoch eine Gestalt durch das Fenster verschwinden. Auch bei der Familie Brunner gibt sich Kampl als Doktor Muschl aus, um auf jeden Fall unerkannt zu bleiben. Als er jedoch Bernhard nach seiner Tochter fragt und ihm auch noch 100 Gulden für die Auskunft anbietet, gerät der Schlosser völlig außer sich und will Kampl verprügeln. Im letzten Moment verläßt er jedoch das Zimmer. Da er sich sicher ist, das gesuchte Mädchen hier zu finden, will Kampl die 100 Gulden auf den Schreibtisch legen. Doch da betritt Wilhelm das Zimmer, und Kampl versteckt das Geld erschrocken in seiner Brusttasche. Sofort bemerkt Wilhelm den Diebstahl des Geldes und glaubt, den Täter vor sich zu haben. Durch das Geschrei werden auch Bernhard und Gabriel aufmerksam. Die Situation wird noch schwieriger, als Ludwig eintritt. Die Familie Brunner hält ihn für einen armen Advokatenschreiber, doch Kampl erkennt in ihm den Baron von Auenheim. Nun muß Ludwig seine wahre Identität gestehen. Bernhard, der sich um die fast ohnmächtige Netti kümmert, fühlt sich hinters Licht geführt. Bevor er geht, drückt Kampl dem erfreuten Gabriel die 100 Gulden in die Hand.
2. Akt
Auf dem Friedhof, wo Cecilie und Pauline am Grab von Paulines Mutter beten, sehen die Frauen von weitem auch Gerbrand, der am Grab seiner Mutter weint. Die ganze Familie Waschhausen überschüttet Pauline mit Komplimenten und Schmeicheleien, doch Kampl sagt offen, daß alle diese Reden verlogen sind. Sidonia und Waschhausen sind erbost über diese Frechheit und werfen sich gegenseitig vor, Kampl nicht entschieden genug entgegengetreten zu sein. Doch Pauline haben diese Worte nachdenklich gemacht. Sie will wissen, ob man ihr tatsächlich nur mit Blick auf ihre Millionen soviel Aufmerksamkeit widmet. Bernhard ist noch immer wütend über Ludwigs Täuschung, obwohl Wilhelm beteuert, sein Freund habe nur die besten Absichten, zumal er Netti gegen den Willen seiner Familie heiraten wolle. Schließlich stellt Bernhard eine Bedingung: Ludwigs Mutter selbst müsse bei ihm um die Hand seiner Tochter anhalten. Bis dahin verlangt er von Netti ein fröhliches Gesicht und daß sie am Abend auf den Ball von Frau Schulzmann geht. Netti ist untröstlich. Kampl erkundigt sich bei Gabriel über Netti. Gabriel erzählt ihm, daß Bernhard nie geheiratet habe. Er sei einmal in ein Mädchen verliebt gewesen, doch die habe sich ihrerseits in einen Doktor Kampl verliebt. Ansonsten weiß Gabriel nur, daß Netti nicht Bernhards Tochter ist. Auf dem Ball erscheint Pauline in sehr einfacher Kleidung. Da niemand sie kennt, wird sie nicht zum Tanzen aufgefordert. Netti setzt sich zu der einsamen Pauline, und die beiden Frauen schließen schnell Freundschaft. Hilfsbereit bietet Netti Pauline Arbeit in ihrer Nähschule an. Pauline hat erkannt, daß man nur wegen ihres Reichtums solches Aufsehen um sie machte. Trotz dieser bitteren Erfahrung ist sie froh, in Netti und Wilhelm treue Freunde gefunden zu haben.
3. Akt
Wilhelm gesteht Pauline seine Liebe. Erschrocken hört die verlegene Pauline, daß Ludwig Wilhelms Freund ist. Entsetzt hört sie außerdem, daß dieser Mitbewerber um ihre Hand auch der Geliebte ihrer Freundin ist. Sie bedauert Netti zutiefst. Kampl ist zu der Überzeugung gelangt, daß Netti Felsbachs Tochter ist. Ansonsten glaubt er jedoch, die Situation nicht allein lösen zu können, und will deshalb Felsbach zu Hilfe holen. Gabriel verrät, daß Bernhard alles über Nettis Herkunft sagen will, wenn das Mädchen einmal heiratet. Das erscheint unter den gegebenen Umständen allerdings unmöglich. – Kurzer Monolog und Lied Kampls (III, 8) über das, was man seinen Feinden wünscht. – Auf dem Ball der Baronin Hochburg erscheint Pauline wiederum in ihrem schlichten Kleid. Dennoch wird sie von allen Seiten mit Komplimenten überhäuft. Als erster fordert Gerbrand Pauline zum Tanz auf. Ihm gegenüber benimmt Pauline sich so, daß er sie für beschränkt und eitel hält. Er glaubt, ein leichtes Spiel zu haben. Er versichert ihr, ihr Bild stelle sich nun zwischen ihn und das Andenken an seine verstorbene Mutter. Außerdem würde er sich ganz zu ihrem Sklaven machen und, ganz nach ihrem Wunsch, von seinen guten Tugenden lassen. Pauline, die Gerbrand prüfen wollte, ist von seinem Verhalten angewidert. Gerbrand bemerkt dies und behauptet nun seinerseits, Pauline nur auf die Probe gestellt zu haben. Tatsächlich befürchtet Pauline, ihn vorschnell verurteilt zu haben. Endlich erscheint der von Sidonia sehnsüchtig erwartete Ludwig auf dem Ball. Zu ihrer Freude gelingt es Kampl, ein Gespräch zwischen Ludwig und Pauline zu vermitteln. Ludwig erzählt Pauline von den Plänen seiner Mutter und von seiner eigenen Liebe. Froh über die offenen Worte verspricht Pauline, Sidonia selbst über das Ergebnis des Gesprächs zu unterrichten. Auch Zackenburg scheidet als Heiratskandidat aus, nachdem Kampl öffentlich erklärt, der Mann habe Paulines Mutter beschimpft. Außerdem verlangt er von Zackenburg, das Gestohlene, gemeint sind die 100 Gulden, am nächsten Tag zurückzubringen. Sogleich nähert sich Gerbrand. Doch auch vor ihm warnt Kampl Pauline. Völlig überraschend präsentiert Kampl dem angeblich trauernden Sohn seine gesunde Mutter, die über das Benehmen ihres Sohnes äußerst befremdet ist. Gänzlich willenlos läßt Gerbrand sich fortführen. Nun erkennt Pauline in Kampl einen von ihrer Mutter geschickten Schutzengel. Gemeinsam haben Kampl und Felsbach beschlossen, Wilhelm mit Waschhausens Hilfe auf die Probe zu stellen. Waschhausen bestellt Gabriel und Wilhelm zu einer Unterredung. Er erklärt, die reiche Baroneß von Kellburg habe von Wilhelms Verdiensten gehört und ihn von Ferne gesehen. Nun wolle sie ihn heiraten. Ohne zu zögern, lehnt Wilhelm den Antrag ab, weil er eine andere liebt. Dann läßt er die beiden Männer einfach stehen. Waschhausen ist erstaunt über Wilhelms entschiedenes Verhalten, während Gabriel am Boden zerstört ist. Hocherfreut sind dagegen Felsbach und Pauline, die das Gespräch belauscht haben. Unterdessen wartet Netti mit Bernhard auf das von Kampl versprochene Wunder. Zu ihrem größten Erstaunen erscheint Kampl schließlich in der Begleitung von Sidonia. Sidonia, die das Unterfangen als Zumutung empfindet, und Bernhard, der sich von ihr herabgesetzt fühlt, geraten bald in einen heftigen Disput. Die Situation beruhigt sich erst, als Felsbach, wie versprochen, ein Dokument zeigt, nach dem er Netti adoptieren und ihr sein halbes Vermögen vermachen will. So überwindet sich Sidonia und bittet Bernhard für Ludwig um Nettis Hand. Auf der Stelle wird der Heiratskontrakt unterzeichnet. In diesem Augenblick muß Bernhard erklären, daß Netti nicht seine, sondern Kampls Tochter sei, die dessen Frau selbst brachte. Somit steht fest, daß Netti Felsbachs verschollene Tochter ist. Auch Wilhelm und Pauline finden ihr Glück. Bei der Unterzeichnung des Ehevertrags entdeckt Wilhelm schließlich die wahre Identität seiner Zukünftigen. Über diese Wendung ist auch Gabriel überglücklich.
Aus dem „Nestroy-Schauspielführer“ von Jürgen Hein und Claudia Meyer, Verlag Lehner