Nachtwandler
29. Nestroy-Spiele Schwechat 2001 im Schlosshof der Rothmühle
in Schwechat-Rannersdorf, 2320 Schwechat, Rothmühlstraße 5,
Premiere 30. Juni, Vorstellungen bis 4. August 2001
- Besetzung
- Pressestimmen
- Fotogalerie
- Zum Stück
- Inhalt (Karl Kraus)
- Nestroy-Ausstellung
- Ein Fest für Johann N.
Die Bilanz der 29. Nestroy-Spiele ist sehr erfreulich. Rund 5000 Besucher haben die „Nachtwandler“ gesehen. Auch das Schwechater Wetter hat soweit mitgespielt, dass keine einzige Vorstellung abgesagt werden musste. Zwei allerdings abgebrochen.
Die Aufführung fand große Zustimmung beim Publikum. Auch die Tatsache, dass Adolf Müllers Originalmusik diesmal zum Einsatz kam, war für die Besucher in Schwechat ein – ungewohntes – Erlebnis.
Regenvorstellung zum Abschluss
Ausgerechnet die letzte Vorstellung am 4. August war eine der zwei abgebrochenen: Schon kurz nach Beginn, als Lord Howart davon spricht, wie schwül es sei, setzte Regen ein – Unterbrechung. Nach einem kurzen Schauer wurde neu angefangen, und bis zum Quodlibet kurz vor der Pause bliebs trocken. Das Quodlibet jedoch entwickelte sich zu einem Kampf des Ensembles gegen einen heftigen und ausgiebigen Regenguss. Wobei das Ensemble sich nicht einschüchtern ließ und entschlossen ansang gegen das Wetter und nicht davon abzubringen war, den Akt zu Ende zu spielen. Auch ein Großteil des Publikums harrte im zunehmend strömenden Regen aus bis zum Pausen-Blackout. Dann Flucht unter das Vordach des Buffets bzw. hinter die Bühne. Die Stimmung blieb heiter. Man wartete das Ende des Regens ab. Die Sessel wurden erneut trocken gewischt. Beginn des zweiten Teils mit der Sicherheit, keinen erneuten Regen fürchten zu müssen. Aber ehe noch die Handlung sich zuspitzen konnte zum Mahl im Schloss, bei dem Faden das Überflüssige verlangt, nämlich das Abschneiden von Wathfields Zopf, ehe das Feuerwerk abbrennen, Faden und Strick wieder in ihr armseliges Leben zurückgeworfen werden konnten und zuletzt von den gütigen Lords dann doch in ein biedermeierlich-bescheidenes Wohlstandsleben gerettet, setzte doch wieder Regen ein – diesmal ohne sich anzukündigen, unvermittelt und mit großer Heftigkeit. Ensemble und Publikum flohen entnervt erneut unter schützende Dächer, und die Vorstellung wurde abgebrochen.
Später, das Ensemble schon umgezogen, als alles aufgetrocknet war und trocken blieb, wurde das Feuerwerk nachgeholt und das Quodlibet des zweiten Aktes ohne Kostüm.
Aber der Regen hatte nicht nur verhindert, dass das Publikum dieser letzten Vorstellung den spektakulären Höhepunkt und die Auflösung dieser Geschichte, eine der bitteren und letztlichen pessimistischen Komödien Nestroys, erlebte, sondern uns auch um die melancholische, in ihrer Einfachheit sehr berührende Schluss-Szene der Aufführung gebracht, in der alle in freudigem Impuls, dass sich alles zum Guten gewendet hat, auf Partner oder Partnerin oder den Nächststehenden zugehen mit offenen Armen – aber nachtwandlerisch verloren aneinander vorbei gleiten …
Besetzung
- Lord Wathfield Willibald Mürwald
- Malvina Sabine Stacher
- Lord Howart, der neue Gutsherr Markus Heller
- Sebastian Faden, ein armer Seilerer Bruno Reichert
- Fabian Strick, sein Geselle Christian Graf
- Frau Schnittlin, eine Kräutlerin Poldi Selinger
- Hannerl Dagmar Jedletzberger
- Herr von Brauchengeld Harald Schuh
- Mathilde Maria Sedlaczek
- Emilie Esther Potesil
- Theres, Stubenmädchen Bella Rössler
- Amtmann Geyer Franz Steiner
- Krall Andreas Herbsthofer-Grecht
- Schnell Fritz Hlava
- Puff Edi Gnadlinger
- Fint Peter Kuno Plöchl
- Wirt Horst Salzer
- Kellnerinnen Sissy Stacher, Elisabeth Strache
- Jackson, Bedienter von Lord Howart Florian Haslinger
- Rasch, Schlossinspektor Peter Koliander
- Bediente im Schloss Maria Schrittwieser, Eva-Maria Weingart
- Weitere Bediente, Volk Aljosch Ambrosch, Renate Bachtrod, Sarah Burger, Bernhard Dellinger, Veronika Hegler, Andrea Hlava, Nenad Isailovic, Alena Koliander, Judita Kovarikova, Sabine Ruprechter
- Regie Peter Gruber
- Assistenz Christine Bauer
- Ausstattung Nora Scheidl
- Assistenz Okki Zykan
- Maske Norbert Snoope Suppan
- Bühnenrealisation Günter Lickel
- Lichtdesign Robby Vamos
- Lichttechnik Thomas Nichtenberger
- Klavier Otmar Binder
- Korrepetition Paul Hille
- Organisation Christine Bauer
Pressestimmen
Die Presse, 2. Juli 2001: Rauch, Feuer und die Gunst der Obrigkeiten in Schwechat
Die Nestroy-Spiele in Schwechat bieten mit dem „Schlafwandler“ auch heuer wieder derben, hintergründigen und tiefsinnigen Spaß.
Ohne Rauch und Feuer kann ein Open-Air-Spektakel wohl nicht auskommen. Gut so, denn wo sonst darf Theater noch blitzen, knallen, Papierschlangen werfen, wenn nicht bei den Festivals in der Peripherie rund um die das übrige Jahr dominierenden Kulturmetropolen? Mit beeindruckend schlichten, aber umso wirkungsvolleren Mitteln verstehen es die Schwechater Sommerspiele seit 1973, Nestroysche Ironie und Bissigkeit mit gehöriger Derbheit und Unbekümmertheit in Szene zu setzen. Die Laienschauspieler unter der souveränen Regie des Nestroyring-Preisträgers Peter Gruber beeindrucken heuer in den „beiden Nachtwandlern“, mit denen der Jahresregent – man feiert heuer Nestroys 200. Geburtstag – im Jahr 1836 Triumphe feierte.
Besonders gelungen in der Schwechater Version: die umwerfend komischen Persiflagen auf diverse Opernarien von Nestroys Zeitgenossen. Da dürfen unausgebildete Soprane nach Herzenslust gicksen und Bässe in der Tiefe verhungern – alles zur höheren Bestimmung, die ihnen Nestroy zugedacht hat. Handelt es sich bei den »Nachtwandlern« doch um eines der ersten Stücke Nestroys mit herb-realistisch sozialkritischen Zügen. Laut Karl Kraus, der dieses Stück 1912 neuentdeckte, ist es kein oberflächlicher „Posseneinfall“, wenn eine Wette zwischen zwei Adeligen über das Glück eines armen Seilers entscheidet, der nur durch sein Nachtwandeln in die Gunst seiner Obrigkeiten gelangte. Aus dem Götterhimmel, der davor die Schicksale der Menschen bewegte, werden irdische Machtverhältnisse – doch die Mächtigen werden von den obrigkeitshörigen Menschen weiter einer spirituellen Sphäre zugeordnet, sie werden „geistliche“ Herren. Diese spielen mit dem armen Menschen, der unverhofft zu Reichtum kommt – und an seiner Unmäßigkeit scheitert. In bravouröser Manier arbeitet Gruber mit seinen Schwechatern diese Tragödie heraus – und bringt dennoch ein wahres Feuerwerk an Situationskomik und Anspielungen auf das derzeitige Weltgeschehen auf die Bühne. Ein schöner Spaß. (Martin Kugler)
Neue Kronenzeitung, 2. Juli 2001: In guter alter Nestroy-Tradition
Ein Kraftzentrum der Nestroy-Pflege: Die Schwechater Sommerspiele im Schloss Rothmühle überraschen heuer mit dem „Nachtwandler“ in Peter Grubers schwungvoller Inszenierung. Theater in guter alter Tradition, aus dem Geist des Ensembles, das hoch motiviert das Gefühl vermittelt, dass es allen Spaß macht. Die einfache Handlung ist amüsant, die Regie versuchts erst gar nicht mit verkrampfter Aktualisierung. Zeitlos sind Nestroys Figuren, die beweisen, dass Geld und Macht nicht zwangsläufig einen glücklichen, sympathischen Zeitgenossen ergeben.
Man spielt flott, witzig, übertreibt nicht, nützt die Atmosphäre des Hofes. Allen voran Christian Graf als wenig liebenswürdiger Geselle und Bruno Reichert als schlafwandlerischer Sebastian im Glück. Die Damen Jedletzberger, Rössler, Sedlaczek überzeugen, die Herren Mürwald, Heller und Schuh bieten Nestroysche Possenbravour. (OL)
Der Standard, 3. Juli 2001: Von Staub keine Spur
Am Ende regiert die Nacht: Das Possenpersonal streckt die Arme von sich und nachtwandelt über Nora Scheidls schmale Bretterbühne. Schaut her, ruft uns Regisseur Peter Gruber zu, bevor wir nach diesem stimmigen Nestroy-Abend die Schwechater Rothmühle verlassen, macht die Augen auf. Mit geöffneten Lidern lebt es sich besser!
Ein schöner Schlusspunkt hinter einem halbherzigen Stück. Denn die Wortblasen bringen in dieser 1836 „zum Vortheile des Komikers Johann Nestroy“ uraufgeführten Posse, die in Schwechat Nachtwandler heißt, die Ordnung nur für kurze Zeit ins Wanken. Am Ende regiert wieder die Ökonomie von Geben und Nehmen. Der Seiler Faden, der zwischendurch stolzer Besitzer von Frau und Schloss war, findet sich in Armut wieder. Die Zensur war’s zufrieden.
Zumindest für einige Zeit ging es in der guten Stube allerdings einigermaßen heiß her: Einem vom Glück heimgesuchten Seilerer (gewitzt: Bruno Reichert) werden von zwei guten Geistern, die in Wahrheit auch nur bessere Herren sind, alle Wünsche gewährt. Das kann nur schief gehen, gerade wenn der Geselle Strick (schön biegsam: Christian Graf) dem Meister zur Seite steht.
Doch Peter Gruber spielt dabei nicht mit: Er legt am Ende über die stickige Stube das Schweigen der Nacht. Einer der wenigen Kommentare des ansonsten zurückhaltenden Nestroy-Spezialisten. Von Staub keine Spur. (Stephan Hilpold)
Salzburger Nachrichten, 3. Juli 2001: Ab mit den alten Zöpfen
Die Schwechater Nestroy-Spiele bringen „Nachtwandler“ in einer schnörkellosen Aufführung.
Was braucht der Mensch zum Glück? Diese im Kern wohl soziale Frage wurde im Biedermeier und Vormärz auf den Bühnen Österreichs oftmals gestellt. In Johann Nestroys „Nachtwandler“ bekommt sie freilich eine besondere Schärfe, wie bereits Karl Kraus feststellte.
Ein reicher Adeliger verspricht da nämlich einem bankrotten Seiler, er werde als Dank für seine nächtliche „schlafwandlerische“ Rettung vor den Räubern ihm alles geben, was dieser für sein Glück als notwendig erachte. Der an sich bescheidene Handwerksmeister scheitert freilich, weil er sich etwas Überflüssiges wünscht. Ausgerechnet der Zopf des Adeligen stört den inzwischen im Schloss Residierenden.
Man braucht nicht Geschichte studiert zu haben, um zu wissen, dass dieses Symbol der Macht des Adels vom Volk ganz entschieden als überflüssig und dessen Entfernung als eine Notwendigkeit erachtet wurde.
Nestroy wusste eben, wie man die Zensur täuscht. Bei der sehr transparenten und sympathisch natürlichen Aufführung der „Nestroy Spiele Schwechat“ lässt Regisseur Peter Gruber beim unbotmäßigen Wunsch des Seilers ganz zart die Marseillaise spielen.
Mehr ist auch nicht nötig, denn die sozialen Gegensätze werden in dieser Inszenierung scharf herausgearbeitet. Und das Laienteam aus Schwechat verdient Anerkennung für seine darstellerische Leistung.
Christian Graf ist da etwa ein Seilergeselle, der sich auch gesanglich nicht zu verstecken braucht. Sein Meister – Bruno Reichert – kann auf seiner aus 18 Jahren Nestroy-Spielen erworbenen Professionalität aufbauen. Und Dagmar Jedletzberger liefert sich mit Bella Rössler einen filmreifen Kampf um den eigennützigen Seilergesellen. Die Schwechater sind im Sommertheaterreigen eine Klasse für sich. (Helmut Schneider)
Kurier, 4. Juli 2001: Ein Basar der Gefühle
Seit Jahrzehnten bürgen die Nestroy-Spiele Schwechat für sommerliche Unterhaltung auf hohem Niveau. Unter dem Motto „Nestroy lebt“ lässt Regisseur und Prinzipal Peter Gruber heuer die „Nachtwandler“ durch den Schlosshof Rothmühle geistern und beweist einmal mehr, dass Johann Nestroys zynische Possen von zeitloser Gültigkeit sind.
Im Jahr 1836 hat Nestroy das Stück „Die beiden Nachtwandler“ geschrieben und dabei die soziale wie wirtschaftliche Tristesse des Vormärz thematisiert. Alles und jeder ist käuflich in einer Welt, die nicht mehr von Geistern sondern von Großkapitalisten geprägt wird. Mit Witz und Tempo reißt Peter Gruber der Posse die allfällige biedermeierliche Maske vom Gesicht, entlarvt die charakterlichen Defizite aller Protagonisten. Denn das Geld siegt über die Gefühle. Monetäre Gunst wird aus Jux gewährt und bei Nichtgefallen wieder entzogen. Selbst die Liebe gehorcht primär den Gesetzen des Marktes.
Präzise führt Peter Gruber in Nora Scheidls praktikablem Bühnenbild die sehr guten Laien-Darsteller durch alle Irrungen. Bruno Reichert und Christian Graf führen das spielfreudige Ensemble an. (Peter Jarolin)