Nur Ruhe!
Abschied. 50 Jahre hat Peter Gruber die Nestroyspiele in Schwechat geleitet. Nun verabschiedet er sich nach einer letzten, gelungenen Inszenierung. „Nur Ruhe!“, eine Posse, die in einer Lederfabrik spielt.
Raimundspiele haben ein inhärentes Problem: Ferdinand Raimund hat nicht allzu viele Stücke hinterlassen, die heute noch originalgetreu spielbar sind. „Die gefesselte Fantasie“ etwa, die heuer in Gutenstein gegeben wird, wirkt stellenweise unfreiwillig komisch. Was die originelle Inszenierung Achim Freyers teilweise übertüncht.
Da sind die Nestrospiele in Schwechat besser dran: Auch unbeikannte Stücke von Johann Nepomuk Nestroy funktionieren selbst ohne Aktualisierung oder Regie-Umdeutung. Sogar eines, das einst, 1843, nach nur vier Vorstellungen abgesetzt werden musste. An „Nur Ruhe!“ wurde unter anderem die unlustige Grundstimmung bemängelt, heißt es.Das kann der Besucher im barocken, aber für biedermeierliche Szenarien bestens passenden Schloss Rothmühle nicht nach vollziehen: Es war nicht nur eine Freud’, sondern auch eine Hetz.
Mit nachdenklichen, sozialkritischen Aspekten freilich, wie von Nestroy gewohnt. Das Stück spielt ja in einer Lederfabrik – eine solche war irklich einmal in der Rothmühle –, und dort herrscht nur biedermeierliche Ordnung, sondern auch schiere Ausbeutung. Um diese zu zeichnen, setzt Regisseur Peter Gruber an den Anfang beider Spielhälften eine Szene des Lohndumpings. Ist nicht nicht Nestroy, könnte es aber sein. Sehr wohl von Nestroy sind schöne Wörter wie dischkriern (diskutieren), urassig (verschwendend, verwöhnt), stantapede ( von stante pede, sofort), gamezzen (gähnen) oder ausnapfezen (ausschlafen). Wenn man sie nicht kennt, errät man sie aus dem Zusammenhang: Es zählt zu den Stärken der Gruber’schen Inszenierungen, dass er das Altwienerisch stehen lässt und nur behutsam durch neuere Wörter wie Sex Machine, Inflation oder Paparazzi ergänzt. Dass der eitle Neffe Hans Laffberger ein ums andere Mal „Oida!“ ruft, müsste nicht sein, gefällt aber dem Publikum.
Was macht den Menschen? Das Wadel!
Wie die Kuhe, die durch die Szenerie rast, die zwei- bis einduetige Gestik der heiratslustigen Leocadia (ein bisserl sehr überdreht: Michelle Haydn) und der subtil durch dein Planschbecken und das Schild „Betreten der Teichanlage verboten“ angedeutete Teich. Der eine wichtige Rolle in der Handlung spielt, deren Gewirk von Liebesg’schichten und Heiratssachen, wie manchmal in Nestroys Possen, stellenweise gar konstruiert anmutet. Aber das verträgt man, aufgemunter durch Passagen wie der Erklärung der Zeit als Werkstatt der der Ewigkeit oder des Wadels als typisch für den Menschen, Könnte ein Abfallprodukt der „Schlimmen Buben in der Schule“ sein, aber was macht das schon?
Der wortgewaltige Lederergeselle, der solche Sentenzen spricht, trägt den Namen Rochus Dickfell und, wie er mehrmals sagt, sein Herz auf der Zunge. Christian Graf legt diesen Aufsässigen, der im richtigen Moment auch systemtreu sein kann, nicht allzu nett an, und das ist gut so, denn ihm gehören ohnehin die Herzen. Dafür spielt Rainer Doppler die andere Hauptperson, den ruhebedürftigen Fabrikanten Anton Schafgeist, mit so feiner Nervosität, dass man sich fast dabei ertappt, trotz aller Sympathie fürs Proletariat zu ihm zu helfen.
Beide könnte man sich auch unterm Jahre und auf Wiener Bühnen sehr gut als Nestroy-Darsteller vorstellen, aber dort will ja derzeit kein Direktor, schon gar nicht des traditionell dafür zuständigen Volkstheaters, Nestroy spielen. Umso mehr brauchen wir die Nestroyspiele in Schwechat, hart an der Stadtgrenze Wiens. Ihr Intendant Peter Gruber darf nach unglaublichen 50 Jahren endlich in den Hafen der Ruhe einlaufen, um es mit Nestroys Stück zu sagen. Es übernimmt aber nicht sein Neffe, sondern Christian Graf. Man wünscht ihm, was er als Rochus dem Schafsgeist wünscht: viele Jahre in Gesundheut, Glück und Heiterkeit. (Thomas Kramar)