Nestroy-Spiele 2021: Pressestimmen: Die Presse, 9. Juli 2021
Hilfe, ich wurde gefellnert!

Charivari

Ein unbekanntes Stück des Possendichters gekonnt und unaufdringlich modernisiert – mit Anspielungen auf Kurz, Dagi, Fellner und viele mehr.

Die falsche Blondine schreit los, als sich der Sohn des Hauses ihr unsittlich nähert: „Hilfe, ich wurde gefellnert.“ Auch von „SMS an den Kanzler vom Schwanzler“, die besser hätten gelöscht werden sollen, oder von bei der Impfung eingesetzten Chips wird gesungen. Bei den Nestroy-Spielen Schwechat hat man das unbekannte Stück „Charivari“ ausgegraben. Das originale Verwirrspiel allein wäre noch nicht den Ausflug in den Innenhof von Schloss Rothmühle wert. Doch wäre es ein falsches Verständnis von Nestroy, würden nicht – mit großem Respekt für den Possendichter – Anspielungen und Aktualitäten eingebaut. Intendant und Regisseur Peter Gruber schafft diese Gratwanderung, der Posse ebenso gerecht zu werden wie dem Amüsierbedürfnis der Zuschauer.

Doch erst zum Original: Katzenmusik, Durcheinander, Lärm, aber aucuh Schmuckkette am Männertrachtenanzug sowie eine franuzösische Art des Kartoffelsalats – das alles seien Bedeutungen des Stücktitels, lernt man im Programmbuch. Und ein wahres Durcheinander wird in dieser 1850 uraufgeführten Posse, die nach der damaligen Premiere verschwand und nun modernisiert wurde, tatsächlich kreiert. Da will ein kapitalistisch denkender Witwer sein Mündel Marie mit seinem leiblichen Sohn verheiraten, damit ihr Vermögen in der Familie bleibt – was der eigentliche Verehrer Maries verhindern möchte. Unterstützung bekommt er dabei vom Mann der Köchin des Witwers, die ihrerseits von Arbeitgeber und Sohn verehrt wird, welche von ihrer Ehe nichts wissen. Ihr heimlicher Gatte – einst Nestroys Rolle – hat nicht nur allerhand Ideen, wie er durch seine Erfindungen die Welt verbessern könnte, sondern auch Einfälle, wie man das Mündel und seine eigene Frau vom Witwer schützen könnte.

Und hier setzt man in Schwechat bei dem an, was nicht bei Nestroy steht und das Publikum umso mehr amüsiert. Die Vorstellung baut ganz auf den Facettenreichtum Oliver Baiers, der die Nestroy-Rolle spielt. Da wird er, um den Vormund zu verwirren, zum frauenverführenden Alibaba, „Sohn von Alibabapapa“, mit langem Bin-Laden-Bart, der „Ich mach’ dich AKH“ droht und nach einem Schuss aus seiner Pistole fragt: „Was ist tödlicher: ein Querschläger oder ein Querdenker?“ Auch von jahrzentelanger provisorischer Erstaufnahme ist in der Flüchtlingsepisode die Rede – und von „unerschöpflicher Politikersprache. Wenn man nicht merken soll, wie grausam etwas ist, erfinden sie einen blumigen Ausdruck dafür.“

Manches ist an der Grenze des guten Geschmacks, geht sich aber gerade noch aus. Unbeschwerter lachen kann man über Oliver Baier als Dagmar-Koller-Parodie – die nach einem Annäherungsversuch des Sohnes des Hauses eben auf die eingangs erwähnten Vorwürfe gegen den heimischen Medienmacher anspielt. Außerdem tritt Baier als herrlicher Bergfex Luis auf, der den Heiratsplänen des alten Witwers gegenüber der Köchin, also seiner Frau, eine resche Abfuhr erteilt: „Goa kana kriagt’s.“

Womit man in die Pause geht und eigentlich denkt, das Stück könnte zu Ende sein. Tatsächlich ist er zweite Akt eher entbehrlich, wäre da nicht das von Baier vorgetragene – und von ihm und Gruber verfasste – Couplet mit Seitenhieben auf Impfstoffe, Testen, Masken, Computerchips und den Ibiza-Ausschuss, bei dem sich „die Engerl die Klinge in d’ Hand geben“. Auch die Klimakrise mache die Menschen „nicht gescheiter, sie tun einfach weiter“. Man sehe „an den Schaltstellen so viele Luschen und die Medien sollen guschen“. Schließlich bleibt die Erkenntnis: „Die Welt g’hörat g’setzt auf a Menschendiät, sonst ist alles zu spät.“

All die Aktualisieurngen sind gut mit Nestroys Verwirrspiel, das vor verschiebbaren Wandelementen abläuft, verquickt. Mit Rainer Doppler fand Intendant Gruber einen souveränen Darsteller für den Kapitalisten und Mündelreichtumsverwalter Muffinger. Als dessen Sohn gefällt Marc Illich. Als Kathi ist Michelle Haydn eine resolute, höchst präsente Köchin. Vor allem ist es Oliver Baier mit seiner großen Wandlungsfähigkeit, der die Vorstellung trägt. In seinen verschiedenen Rollen zwar so dick aufzutragen wie nötig, aber nie zu sehr zu outrieren, das ist wahre Nestroy-Kunst. (Therese Steininger)