Nestroy-Spiele 2019: Pressestimmen: Der Standard, 1.7.2019
Trügerische Landidyllen

Nestroys Wohnung zu vermieten

[…] Wem Tschechows Realismus etwas zu tief in die trübe Bürgerseele blickt, ist bei den Nestroy-Spielen in der Rothmühle in Schwechat besser dran: Die Charaktere sind ruppiger und durch den süffigen Wein der Wiener Reben deutlich besser gelaunt. In der einzigen prärevolutionären Posse Nestroys, die ausdrücklich in Wien spielt, ist die Handlung mit dem umständlichen Titel schon zusammengefasst: Eine Wohnung ist zu vermieten in der Stadt. Eine Wohnung ist zu verlassen in der Vorstadt. Eine Wohnung mit Garten ist zu haben in Hietzing.

Guter alter Wiener Charme

Die handelnden Personen sind Prototypen der Stadt: der Spießer Gundlhuber (Bruno Reichert), der grobe Hausmeister Cajetan Balsam (Robert Herret) und die vielen weiteren Nebenrollen (meist aus dem grandiosen Nestroy-Ensemble). Sie alle verleihen der konventionell-komödienhaften Intrige einen Wiener Charme. Hat Nestroy bei seiner Uraufführung 1837 das Publikum empört, droht das Stück heute aus der Zeit zu fallen. Hietzing ist vollständig urbanisiert, das Auditorium nicht mehr so leicht zu provozieren.

Könnte man meinen: Noch letztes Jahr haben drei FPÖ-Gemeinderäte die Nestroy-Spiele verlassen, weil sie sich von den zeitkritischen Couplets angegriffen fühlten. Öffentlich forderten sie Zensur. Ein Nestroy-Liebhaber wie Peter Gruber (Regie und Bühne) lässt das nicht auf sich sitzen. Aus den vielen Schränken auf der Bühne erscheint auch heuer mal da und mal dort ein geschmeidiger Notar (Marc Illich), der dem jüngsten Altkanzler der Republik bestechend ähnlich sieht und mindestens ebenso gern Selfies macht.

Er spinnt die Fäden, während sich der Kommissar Krickl mit seinen Gehilfen Stracks und Goldi ganz auf ihre despotische Polizeiarbeit konzentrieren: Auch das eine gelungene Adaption des alten Stoffs. (Laurin Lorenz)