Nestroys Wohnung zu vermieten
Der originale Titel ist ein bisschen gar pompös: „Eine Wohnung ist zu vermieten in der Stadt. Eine Wohnung ist zu verlassen in der Vorstadt. Eine Wohnung mit Garten ist zu haben in Hietzing“ – wobei man bedenken muss, dass zur Zeit der Uraufführung im Jahre 1837 Wien (die Innere Stadt) noch von einer Stadtmauer umschlossen war. Jenseits, bis zum „Linienwall“ (dem heutigen Gürtel), lag die Vorstadt, und noch weiter draußen – das war schon sehr weit: Da war Hietzing, schon ganz „ländlich“. Es ist also auch ein topographisches Stück, das Johann Nestroy hier schrieb, dessen Titel Peter Gruber aber für die Aufführung der diesjährigen Nestroy-Spiele in Schwechat auf „Nestroys Wohnung zu vermieten“ verkürzt hat. Und bei Nestroy ist man in Schwechat ja erfahrungsgemäß immer zuhause – heuer bereits zum 47. Mal.
Dass das Stück selten gespielt wird, liegt wohl an seiner „zerfransten“ Handlung, die durch die Person des „Gundlhuber“ zusammen gehalten wird. Da dessen älteste Tochter heiraten soll (sie heiratet auch, aber am Ende einen anderen, als zu Beginn vorgesehen), ist ihm seine Wohnung nicht mehr groß genug. Also bricht er mit Gattin, drei Söhnen im Kindesalter und einer Kinderfrau mit Baby zur Besichtigung verschiedener angebotener Lokalitäten auf und gerät in verschiedene Milieus. Aber eines bleibt immer gleich: In seiner penetranten Art erweist er sich als peinlicher Störenfried, was alle merken – nur er selbst natürlich nicht.
Im übrigen wirbelt eine fast unübersehbare Menge von Figuren durchs Geschehen (teils von Nestroy hingestellt und gleich wieder vergessen), die Handlung dreht sich um wechselnde Liebespaare – und die bekannten Charakterporträts von Bürgern und Spießbürgern. Als Ganzes ist das schwer in den Griff zu bekommen.
Dabei hat Regisseur Peter Gruber, der „Mr. Schwechat-Nestroy“ von allen Anfängen an, natürlich wieder erkannt, dass dergleichen jenseits des Realismus auf die Bühne zu bringen ist. Ein Bühnenbild, das scheinbar aus lauter Kästen besteht, deren Türen sich für Ein- und Ausgänge wie für Umbauten und Pointen verwenden lassen, zügelt großartig das Tohuwabohu der Handlung. Dabei überrascht ein wenig, dass Gruber den Minimalismus, den er bei der Titel-Verkürzung walten ließ, keinesfalls auf die Bühne übertrug – eine solche Üppigkeit an Personal und Aktion war selten da (da zwitschern Adabei-Damen in Rosa herum, da erweisen sich Drag-Queens als Dienstmädchen – und heutige Polizisten, die lustvoll mit ihren Pistolen fuchteln, gibt es auch). Manchmal wäre weniger hier mehr.
Der Gundlhuber ist das, was die Wiener als eine „Kretz’n“ bezeichnen, ein selbst gefälliges Monster, in dem Nestroy einer Spezies Mensch einen höchst unerfreulichen Spiegel vorgehalten hat. Es geht allerdings auch freundlicher, wie Bruno Reichert in dieser zentralen Rolle zeigt – da ist er, mit Schirm, der klassische Wiener Spaziergänger, der sich die Mitwelt anschaut und halt unverhohlen und taktlos seinen Kren dazu gibt. Man könnte die Rolle härter anpacken – so ist sie netter. Wunderbar an seiner Seite Bella Rössler mit den urtiefen (Sochor-)Tönen der gestandenen Wiener Hausfrau, die im Gegensatz zu ihrem Mann aber noch etwas soziale Sensibilität aufbringt und sich immer wieder für ihn geniert.
Tiefer in die Urgründe des Wienerischen greift Rupert Herret (früher Stammgast im Schwechater Ensemble, nun endlich wieder zurückgekehrt) als Hausmeister, hier „Cajetan Balsam“ genannt, der aber das Gegenteil von balsamisch ist: Der spuckt selbstgerecht seine ganze Niedrigkeit aus und merkt es nicht einmal. Die Wiener hatten schon einen guten Instinkt, wenn sie dieses Stück einst nicht mochten: Es kommt ihnen zu nahe.
Die Mär von den „schlechten“ Frauenrollen bei Nestroy kann man bei genauer Betrachtung nicht aufrecht erhalten. Diese erdverbundenen Stubenmädel wie die Lisette, von Rahel Kislinger mit geradezu Swoboda’scher „Gosch’n“ und doch nicht ohne Anmut gespielt, wissen ebenso, wo es lang geht (nämlich beim Geld…), wie die Sophie in Hietzing (eine prächtige Studie von verärgerter Verhärmtheit; Michelle Haydn), die sich gar nicht groß auf Gefühle einlässt – dafür ist im Überlebenskampf nämlich keine Zeit.
Dafür werden die „schwärmerischen“ Mädeln (Elisabeth Spiwak) und die pompös auf der Gefühlsskala spielenden Damen (Michaela Prendl) herrlich auf die Schaufel genommen. Und Madame Chaly (Ines Cihal) ist, in faszinierender Unterwäsche, was sie ist: die Besitzerin eines Wachsfigurenkabinetts und mehr (oder weniger, je nach dem, wie man das einstufen will).
Die älteren Herren neben Gundlhuber und Cajetan haben, wie immer bei Nestroy (in diesem „Fach“ hatte er die besten Schauspieler zur Verfügung) eine Menge zu vermelden: Der Kapitalist mit dem bezeichnenden Namen Wohlschmack (ausgestopft, soigniert und selbstgefällig: Franz Steiner) denkt immer nur ans Essen (dass er so oft furzen muss, lässt Nestroy in Hanswurst-Tiefen sausen, die er doch himmelhoch überragte); Heuschreck, der „Pleitier“ und Mann von Ehre (Erwin Leder ist eine Nestroy-Figur zum Ausschneiden) will von all den schmutzigen Geldgeschäften seiner Vorfahren (und den eigenen) natürlich gar nichts wissen.
Und dann sind noch die scharf umrissenen Wiener Figuren (ein Glasermeister in Penzing, der einer „linken“ Sache nicht abgeneigt ist: Andreas Herbsthofer; eine Hausbesitzerin in Hietzing, die um jeden Preis vermieten muss, um über die Runden zu kommen: entsprechend schleimig Julia Margarita Hödl – und die Liebhaber: die flattern in Gestalt von Lukas Aschenreiter und Patrick Leitgeb sehr witzig über die Bühne.
Man weiß, wie Nestroy auf Zeitereignisse reagierte – das Publikum strömte in seine Vorstellungen auch in Erwartung seiner Extempores zu politischen Ereignissen (und er lebte in einer Zeit, wo man ihn dann gut und gern ins Gefängnis abführte): Klar, dass Ibiza & Co. ein Fressen für ihn gewesen wäre. Peter Gruber, der für Schwechat immer zornige Couplets schreibt, enttäuscht diesbezügliche Fans auch diesmal nicht, weitet aber die Handlung mit einer Figur wie einem „geschmeidigen Notar“ (Marc Illich) und allerhand unsympathischen, sehr heutigen „Ordnungshütern“ doch eher unerfreulich aus. Aber wer weiß, ob Nestroy ihm dabei nicht Recht gegeben hätte? (Renate Wagner)
- Quelle: Online Merker