Nestroy-Spiele 2022: Pressestimmen: Falter, 29. Juni 2022
Die Welt steht auf kein Fall mehr lang

Nur Ruhe!

In der Vorstadt darf Nestroy noch anecken: Peter Gruber und Christine Bauer übergeben das Zepter der Nestroyspiele Schwechat. Zuvor feiern sie noch deren 50. Ausgabe

Peter Grubers künstlerische Vita weist die unterschiedlichsten Einträge auf. 1979 etwa hat der heute 75-jährige Schauspieler und Regisseur den Ostbahn-Kurti miterfunden. Zusammen mit Günter Brödl, dem späteren „Trainer“ dieser so legendären Figur. Noch nicht für Willi Resetarits und die Rock-’n‘-Roll-Bühne freilich, sondern für ein Musical im Theater der Jugend.

Bleiben wird von seinem Schaffen etwas anderes – oder genauer gesagt ein anderer: Johann Nepomuk Eduard Ambrosius Nestroy (1801–1862). Seit ihrem Entstehen 1973 inszeniert und leitet Peter Gruber die Nestroyspiele Schwechat, dieses Jahr zum 50. und letzten Mal.

2020 gab es wegen Corona nur ein kabarettistisches Ersatzprogramm, ansonsten lief jeden Sommer eines der unzähligen Stücke des Volksstückdichters im Hof von Schloss Rothmühle – einer ehemaligen Lederfabrik – in der Vorstadt Wiens. Gruber erhielt für dieses Lebenswerk bereits vor zehn Jahren den Theaterpreis der Stadt Wien, den – genau – Nestroy.

Dass ein halbes Jahrhundert lang dieselbe Person die künstlerische Hauptverantwortung trug, ist eine der Besonderheiten dieses Festivals. Eine weitere, dass annähernd das Gesamtwerk eines Dramatikers auf die Bühne gebracht wurde. „Es gibt so zehn, 15 Stücke von ihm, die muss man nicht machen“, erklärt Gruber. „Von den richtig guten fehlen mir zwei. ,Der alte Mann und die junge Frau‘ ist Corona zum Opfer gefallen, und auch für ,Judith und Holofernes‘ hätte ich noch ein Konzept. Aber irgendwann muss man ja aufhören, und ich wollte nicht unfreiwillig gehen.“

Bei den „internationalen Nestroy-Gesprächen“ versammeln die Festspiele wichtige Köpfe der Literaturwissenschaft in der Rothmühle und erörtern den neuesten Stand der Nestroy-Forschung. Nestroy-Forschung? In der Tat, hier wird der große Nepomuk ernst genommen und nicht verniedlicht wie anderswo. In Deutschland gilt Nestroy als Wiener Dialektdichter und somit praktisch unspielbar, in Österreich verkommen lieblose Inszenierungen oft zu platten Klischeemaschinen für leicht zu Unterhaltende.

„Es hat sich etwas verselbstständigt, was Nestroy-Stil genannt wird, ein falsches, äußerliches Spiel“, erklärt Gruber kopfschüttelnd. „Manche ‚großen‘ Aufführungen sind fast unerträglich anzuschauen.“ Man müsse sich vom Vorurteil verabschieden, dass Nestroy ausschließlich ein biedermeierlicher Possenreißer gewesen sei, der einfache Sachen geschrieben habe, ergänzt Christine Bauer, seit 1986 kaufmännische Leiterin, Dramaturgin und neuerdings auch Ko-Regisseurin der Nestroyspiele: „Liest man ihn genau, entdeckt man die verschiedenen Böden.“

Meist nahm der Dichter französische oder englische Boulevardkomödien zur Grundlage und schrieb sie auf die drückende Wiener Wirklichkeit des Metternich-Regimes um. Gesellschaftliche Verhältnisse nahm er mit Biss und Hintergründigkeit aufs Korn. Schon in der Unterstufe gehört Nestroy zum Schulstoff, aufgrund seiner Pointendichte und seines Sprachwitzes sind etwa „Einen Jux will er sich machen“ und „Der Talisman“ bei Amateurgruppen besonders beliebt.

Auch die Nestroyspiele Schwechat begannen als reines Laienspielunterfangen. „Irgendwann ist der Mann, der sich um die Scheinwerfer gekümmert hat, ausgefallen“, erinnert sich Gruber. „Ich war im Theaterbetrieb gut vernetzt und habe kurzfristig einen Profi dazugeholt. So hat sich zuerst der Stab professionalisiert und dann nach und nach auch das Ensemble.“

Derzeit wird mit einem Mix aus Profis, Studierenden und Vereinsmitgliedern gearbeitet, die mitunter seit Jahrzehnten kleine Rollen übernehmen. Nur so lassen sich die personalstarken Stücke mit bescheidenen finanziellen Mitteln ohne künstlerische Abstriche umsetzen.

Die Inszenierungen sind griffig, zupackend und ein großer Spaß. „Was Nestroy angeht, ist Wien eine Vorstadt von Schwechat“ hieß es in einer Kritik zu einer vielbeachteten Aufführung von „Freiheit in Krähwinkel“, bei der das Publikum wie in einem Polizeistaat mit scharfen Kontrollen schikaniert wurde.

Eines von Grubers Erfolgsrezepten lautet, gesellschaftliche Trends zwar zu beobachten, aber nie zu befolgen. Anders als Nestroy im Biedermeier muss er sich kein Blatt vor den Mund nehmen. Beim Stichwort „Political Correctness“ gerät der Theatermacher in Fahrt: „Ich muss zeigen können, dass es Mörder und Machos gibt, ich muss zeigen können, wie Frauen unterdrückt werden. Ich kann nicht Moral auf die Bühne stellen, das geht mit Nestroy nicht.“ Dass der Komödiant selbst nicht zimperlich mit Frauen umgegangen ist, weiß Gruber. „Immerhin hat er sich nachher entschuldigt und gezahlt.“

Für seine Abschiedsinszenierung hat sich Gruber einen wenig bekannten Nestroy ausgesucht: „Nur Ruhe“ handelt von einem Industriellen, der mit 55 in Pension geht. In seine Abschiedsfeier platzen vier Typen, die nach einem Unfall Asyl auf seinem Anwesen fordern – „sichtlich egomanische Typen, die sehr an heute erinnern“, erklärt Christine Bauer. „Es ist ein Durcheinander verschiedenster Charaktere bis hin zur Karikatur“ – und für Gruber die perfekte Gelegenheit, langjährige Wegbegleiter ein letztes Mal um sich zu versammeln.

Zu ihnen gehören auch die Schauspieler Christian Graf und Florian Haslinger. Graf wird bei den Nestroyspielen ab 2023 Grubers Rolle des Intendanten und Regisseurs erfüllen, Bauer plant, ihre Agenden nach und nach an Haslinger zu übergeben. „Ich erkenne im Denken, in der Liebe zur Sprache und in der Spielweise gewisse Ähnlichkeiten zu Peter Gruber“, ist Bauer zuversichtlich, dass der ursprüngliche Geist der Aufmüpfigkeit in der Vorstadt beibehalten wird. Die beiden Nachfolger verbindet, dass sie mit den Nestroyspielen großgeworden sind. Haslinger, Jahrgang 1985, wuselte gar schon als Kind über den lauschigen Schlosshof.

In der Rolle des Bedienten Johann in „Zu ebener Erde und erster Stock“ bescherte er den Nestroyspielen 2018 einen kleinen, werbewirksamen Skandal. Der Schwechater FPÖ-Gemeinderat Wolfgang Zistler wurde im Rahmen einer Tagung im Schloss Rothmühle zufällig Zeuge der Generalprobe und eines von Haslinger vorgetragenen Couplets. Diese Lieder, die spontan durch politisch bissige Strophentexte ergänzt werden, waren schon zu Nestroys Lebzeiten ein wichtiges Mittel des Widerstands gegen die Zensur.

Mitten in der Blütezeit der letzten türkis-blauen Regierung sang Haslinger also: „Der Innenphilister sitzt am hoh’n Ross, / umringt von einem grölenden Burschenschaftstross: / ,Österreich sind nur die, die so denken wie wir! Alle andern g’hörn raus – Abdullah, drei Bier!’“ Dazu wurden deutsche Fahnen geschwungen. Zistler stürmte davon, schrieb einen empörten Brief an die Niederösterreichischen Nachrichten und brachte seine Fraktion im Gemeinderat dazu, gegen eine Förderung für die Nestroyspiele zu stimmen.

Angesichts der rot-grünen Mehrheit blieb das ohne Folgen, und der Publikumszuspruch war in diesem Jahr besonders hoch. Der FPÖ-Mann Zistler sei seither begeisterter Besucher der Nestroyspiele und amüsiere sich köstlich, berichten Bauer und Gruber überrascht. Offizielle Politikerbesuche und vor allem -reden sind Gruber dennoch unangenehm.

„Der Pröll war nie da, der hatte zur gleichen Zeit immer so ein Fest auf einem Schiff“, erzählt er und wirkt durchaus froh darüber. Erwin Prölls Nachfolgerin, die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, durfte ausnahmsweise etwas sagen, als sie im Sommer 2021 erstmals eine Premiere der Nestroyspiele besuchte, „Charivari“ mit Oliver Baier in der Hauptrolle. Und auch der Fernsehstar bekam natürlich seine tagesaktuellen Couplets.

„Wir waren etwas besorgt, weil wir ja wussten, dass die Frau Mikl-Leitner den Kurz so gern hat“, erinnert sich Gruber. Doch bei einer bissigen Basti-Strophe tauschte Mikl-Leitner herzlich lachend Blicke mit Schwechats SPÖ-Bürgermeisterin Karin Baier aus. Ein früher Beweis, dass sie den damaligen Kanzler, den sie im Oktober zum Rücktritt drängen würde, doch nicht so gern mochte? Peter Gruber sieht das nüchtern: „Es zeigt eher, wie unwichtig die Kunst ist“, sagt er mit Nestroy’schem Augenzwinkern. (Martin Pesl)