Nestroys Wohnung zu vermieten
Zwanzig Kisten auf der Bühne in Schloss Rothmühle aufgetürmt, feines Tischlergewerk, groß wie Biedermeierkästen. Eine wienerische Madame Tussaud verwahrt darin ihre Wachsobjekte. Ein einziges wird gezeigt: ein ausgefressener Kapitalist mit Messer und Gabel in Händen. Madame cerifizierte scheußliche Auswüchse der Wiener Gesellschaft. In Peter Grubers mit Musicalflitter aufgepeppter Sommerkost unterm Titel „Nestroys Wohnung zu vermieten“ quillt heutiges Wien quicklebendig aus Madames Futteralen: ein Pleitier, der sein Vermögen beiseiteschaffte, ein Quintett von Adabei-Damen in Pink, ein Polizist, der einen Schwarzen jagt, ein Schwulenpaar in Servierkleidchen und sogar die Kiberer „Krickl, Stracks und Goldi“, bekannt aus dem BVT-Untersuchungsausschuss. Ein Bursche im Minislip wie der Dorftarzan aus dem Feuerwehrkalender (Lukas Aschenreiter) muss in den Kasten bei Madame (Ines Cihal) flüchten. Sie sammelt im strengen Domina-Gewerbe berufsbedingt Musterbilder bürgerlicher Untugend. Auch unten an der Aufstiegsleiter geht’s zu: bei den Handwerkern, Dienstmädchen und Zechbrüdern. Gepischt und gefurzt wird unten wie oben.
Nestroys Posse „Eine Wohnung ist zu vermieten in der Stadt. Eine Wohnung ist zu verlassen in der Vorstadt. Eine Wohnung mit Garten ist zu haben in Hietzing“ wurde 1837 im Theater an der Wien niedergezischt, ausgepfiffen. Strich die Zensur alles weg, was einem Schauspieler-Dichter die Gunst sichert? Oder sah sich das Publikum satirisch, also schmerzend porträtiert? Inzwischen ist der Flop von damals rehabilitiert. Karl Kraus ging mit Lesungen voran. Die Wissenschaft preist den schonungslosen Gesellschaftsbefund – wo z.B. mit der Ansage „Sei meine Geliebte, sag ich, oder ich tu dir alle möglichen Grobheiten an“ ein Hausmeister ein Stubenmädel erobert.
Nestroy verwienerte eine Berliner Komödie mit der Rolle eines Rentiers für sich. Dem Partner Wenzel Scholz schrieb er den Hausmeister auf den Leib. Bruno Reichert und noch mehr Robert Herret erinnern mit herber Komik und volkstümlicher Redseligkeit an Peter Grubers frühe Jahre. Damals wuchs ein Ensemble aus Semiprofis und Laien auf dem Spielboden der Volkskomik zusammen. Mit der Zeit mehrten sich die Elfriede-Ott-Schauspiel- und Musicalschüler. Franz Steiner und Erwin Leder als Kapitalisten und Bella Rössler als Hausmutter tönen noch wie aus dem Nestroy-Buch. Maria Sedlacek als jodelnde Wirtin wie vom Oktoberfest ausgeliehen. Rahel Kislinger besticht in Dienstbotenbluse. Wenn Otmar Binder am elektrischen Piano improvisiert, schlägt ein Meister zu. Mit dem Arrangement der Schnulze „Komm wir machen eine kleine Reise“ ist er unterfordert.
Auf der Jagd von 37 Darstellenden durch drei Wohnbezirke verliert die Regie oft den Faden. Und der Zuschauer erst recht. Die Tschecheranten und Junckies an der Bar und die Hietzinger Freizeitgesellschaft erstarren in herrlichen Frozen pictures. Bilderlust gegen Text? Früher ließ Gruber noch das Wort gewinnen. Der Hausmeistersatz „Wenn eine Partei, die schon in die Jahre ist, auszieht und bleibt in dem neuen Quartier viele Jahre, so stirbt die Partei“ wird überhört. Stattdessen unübersehbar die blauen und türkisen Fähnchen, wie sie Einschläge nach einer Schießerei markieren. Nestroys politisches Kunststück will das Gegenteil: Bourgeoisie und Proletariat einen Spiegel vorhalten, ohne die Chance, sich auf die Mächtigen oder Verhältnisse auszureden. (Hans Haider)
- Quelle: Wiener Zeitung