In memoriam Jürgen Hein

Von Walter Pape

Univ.-Prof. Dr. Jürgen Hein
12. Jänner 1942 bis 1. Dezember 2014

Träger des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst I. Klasse, Träger des Ehrenzeichens der Stadtgemeinde Schwechat in Silber

Jürgen Heins erstes Buch Spiel und Satire in der Komödie Johann Nestroys beginnt mit einem Motto von Novalis: „Menschheit ist eine humoristische Rolle“. Doch hat Jürgen Hein eigentlich nie eine Rolle gespielt, er war wie kaum ein anderer, den wir kennen, immer er selbst. Gleich, wen man fragt, die Familie, enge Freunde, Kollegen, Mitarbeiter, Studierende, für alle ist mit Jürgen Hein nicht nur der kluge Lehrer oder der bedeutende Forscher, der ehemalige Chef, Dekan oder Kollege gestorben, sondern der Mensch voller Humor und Liebenswürdigkeit. Er widmete, wie seine Ehefrau es treffend zusammengefasst hat, seine Forschung „Raimund, Nestroy und dem Wiener Volkstheater, ihren Zeitgenossen, Grillparzer, Stifter, Hebbel, Grabbe, den Spielarten der Komödie, Lustspiel, Posse, Parodie, deren Vorlagenbearbeitung, dem Volksstück mit seinen neueren Vertretern Rosegger, Zuckmayer, Horváth“, er schrieb auch zur epischen Nachbargattung, der Dorfgeschichte von Berthold Auerbach und Gottfried Keller, sowie über die Anekdote. Er forschte und formulierte mit derselben Solidität, Klarheit und Umsicht, die er bei seiner editorischen Tätigkeit walten ließ. Als Forscher und Lehrer war er ein wirklicher Philologe, oder wie man im 18. und 19. Jahrhundert einen Homme de lettres noch nannte, ein Literator in dem Sinne, wie Grillparzer einmal über Heinrich Heine urteilte: „Ich habe kaum je einen deutschen Literator verständiger reden gehört.“ Als Philologe ging er mit seiner editorischen Tätigkeit den ‚Königsweg der Philologie‘; seine Arbeiten in dieser grundlegenden Disziplin der Germanistik sind Meisterwerke. Obwohl er Philologe, Freund des Wortes war, machte er nie große Worte. Seine letzte Mail an mich war: „vielen Dank, lieber Walter – un mach et jood“.

Vor allem Nestroy und Schwechat bleiben mit seinem Namen untrennbar verbunden. Die Internationale Nestroy-Gesellschaft in Wien initiierte er und begründete sie mit, er war einer der Hauptherausgeber der Historisch-kritischen Nestroy-Ausgabe 1977–2012, gab selbst zwölf Bände heraus; seit 2013 war er Mitherausgeber und Bandbearbeiter der neuen Historisch-kritischen Raimund-Ausgabe. Die 1975 begründeten Nestroy-Gespräche in Schwechat leitete er seit 1985. Es waren wirkliche Gespräche, keine üblichen Tagungen, Kolloquien oder Workshops, die Jürgen Hein mit und für Kolleginnen und Kollegen aus Österreich und Deutschland, England und den USA, Australien und vielen anderen Ländern gestaltete. Der so genannte wissenschaftliche Nachwuchs war immer mit herausragenden Beiträgen beteiligt und wurde gefördert, die ‚nicht-wissenschaftlichen‘ Freunde Nestroys waren wie in kaum einer anderen literarischen Gesellschaft präsent und diskussionsfreudig, was nicht nur Jürgen Hein zu verdanken ist, sondern auch der offenen, freundlichen, zuvorkommenden Lebensart, dem Charme und der Gastfreundschaft Schwechats, Wiens, also der Österreicher.

In diesem Wien starb Jürgen Hein, in Köln wurde er geboren und lebte er bis zu seinem Tode – und man sagt auch den Kölnern eine gewisse Leichtigkeit nach. Im Anschluss an seine dortige Tätigkeit als Assistent und Lektor lehrte er im westfälischen Münster nach seiner Berufung von 1973 bis 2007, blieb aber immer Kölner und Wahl-Wiener. Seine ehemaligen Studierenden und Mitarbeiter schwärmen noch heute von ihm – „man konnte jederzeit zu ihm kommen“. Seine Schülerin Claudia Meyer hat 2007 eine 486-seitige Festschrift mit 44 Beiträgen herausgegeben, die mit ihrem Titel Nestroy und Jürgen Heins Art gelungen verbindet: „Bis zum Lorbeer versteig ich mich nicht“. Claudia Meyer schreibt heute: „Wenn ich jetzt lese, was seine ehemaligen Hilfskräfte nach seinem Tod schreiben, dann wiederholt sich – in verschiedenen Facetten – das immer gleiche Bild: ‚Ich erinnere mich noch, wie freundlich ich damals von Herrn Hein aufgenommen wurde.‘ Und was soll ich sagen? Genau so war es!“ Die Lehre war ihm eine Sache des Herzens, die universitäre Verwaltung – er war von 1999 bis 2006 Dekan des Fachbereichs 09 Philologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster – eine Sache der sachlichen Geduld, getragen von gegenseitigem Respekt und Wertschätzung.

Wenn man die scheinbar unscheinbaren Worte ‚freundlich‘ und ‚Freundlichkeit‘ ernst nimmt, sind sie die treffendsten, die man für den Wissenschaftler, Kollegen, Freund und Menschen Jürgen Hein finden kann. Denn, so Walter Benjamin: „die Freundlichkeit besteht nicht darin, Kleines nebenher zu leisten, sondern Größtes so zu leisten, als wenn es ein Kleinstes wäre“. Genau das hat Jürgen Hein getan.