Nestroy-Spiele 2012: Vierzig Jahre

Nestroys „Jux“ – Ein Klassiker zum 40er

„Unmöglich? –
Hm, welcher Entdecker hat das schon bemessen,
wie weit sich die äußersten Vorgebirge der Möglichkeit
ins Meer der Unmöglichkeit erstrecken?“
Der Unbedeutende

Es begann im Sommer 1972.

Anläßlich der feierlichen Eröffnung der von der Gemeinde übernommenen und liebevoll restaurierten Rothmühle spielte eine Amateurtheatergruppe, die unter der Leitung von Walter Mock schon seit den 40er-Jahren in Schwechat und Umgebung äußerst aktiv war, im Schloßhof den Hofmannsthal’schen „Jedermann“.

Unter den Zuschauern befanden sich auch Burgschauspieler Bruno Dallansky, Burg-Chefbeleuchter Sepp Nordegg und der Schriftsteller György Sebestyen, die vom Flair des Ortes und der Veranstaltung mehr als angetan waren.

Genau hier, fanden sie, wäre der ideale Ort, um einen langgehegten Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen: im Sommer mit großen Volksschauspielern regelmäßig Nestroy zu spielen und damit diesem großen, oftmals unterschätzten Dichter in der „Vorstadt von Wien“ eine Heimstatt zu bieten. Mit finanzieller Hilfe der öffentlichen Hand, bzw. Unterstützung durch OMV, Flughafen und Brauerei müsse sich das doch realisieren lassen.

Sofort wurden diesbezügliche Gespräche und Verhandlungen aufgenommen, die sich aber dahinschleppten und großteils wieder versandeten.

Walter Mock wollte nicht länger warten. Die Idee schien zu stimmig, zu gut, als dass man sie am Geld scheitern lassen durfte. Er setzte alles auf eine Karte, engagierte (auf Empfehlung von Bruno Dallansky) mit Peter Gruber einen jungen professionellen Regisseur, der mit ihm und seinen Amateuren zwei Nestroy-Einakter einstudieren sollte, und proklamierte die Nestroy-Spiele Schwechat. Eine Art Probelauf, ein Provisorium.

Die Reaktion war verblüffend und mehr als ermutigend, teilweise geradezu enthusiastisch. Gerade die Anonymität des Ensembles, die das Stück in den Vordergrund treten ließ, überzeugte. Seine uneitle, überbordende Spiellaune begeisterte Publikum und Presse ebenso wie Form, Schärfe und Intelligenz der Interpretation. Die Resonanz war derart positiv, dass man sich entschloss, in dieser erfolgversprechenden semiprofessionellen Konstellation weiterzumachen – „Nestroy pur“ in der Vorstadt von Wien, ohne große Gelder und ohne prominente Namen.

Mock ging gleich noch einen Schritt weiter: er initiierte die Gründung der Internationalen Nestroy-Gesellschaft und schuf die Voraussetzungen für die Abhaltung Internationaler Nestroy-Gespräche in Schwechat, die zwei Jahre später das erste Mal stattfanden. Seitdem kommt es unter der Leitung von Jürgen Hein (parallel zu den Aufführungen unbekannter und bekannter Nestroy-Stücke) zum jährlichen Gedanken- und Erfahrungsaustausch der führenden Nestroy-Forscher aus aller Welt, aber auch zur fruchtbaren Begegnung zwischen Wissenschaftern und Theaterleuten. Die Impulse, die von hier ausgingen, trugen ganz wesentlich dazu bei, dass Nestroy heute einer der am besten erforschten und dokumentierten Theaterautoren der Welt ist, und sich das Nestroy-Bild in der Öffentlichkeit weitgehend gewandelt hat.

Schwechat war somit zum Internationalen Nestroy-Zentrum geworden, das zudem seit einigen Jahren auch außerhalb der Sommerzeit mit der Website www.nestroy.at eine umfassende, fundierte und unentgeltliche Service- und Informationsstelle für Nestroy-Interessierte anbietet, die inzwischen über 240.000 Zugriffe verzeichnen konnte.

Im Schloßhof der Rothmühle hatte sich schon in den ersten Jahren sehr rasch ein eigener Spielstil entwickelt, der sich wohltuend von den gängigen, harmlos-gefälligen Nestroy-Darbietungen abhob. Ging es zunächst primär um Suche, Entdeckung und Eroberung der Nestroy´schen Sprachwelten und des Raumes, in dem sie sich entfalten sollten, so wuchs in den 80ern der Wunsch, mit Nestroys Texten bewußter und deutlicher auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen reagieren zu können. Das Schwergewicht verlagerte sich auf die sozialkritschen, politisierenden Stücke des Vormärz, bzw. der Revolution. Mit der frechen, unhistorischen Deutung von Freiheit in Krähwinkel begann eine neue Entwicklung hin zu einer unverblümteren Gegenwartskritik, die partiell Mut zur Textbearbeitung erforderte. Auch die Ästhetik löste sich allmählich vom musealen Biedermeier-Klischee.

Im Ensemble hatte nach Walter Mocks Ableben bereits Mitte der 80er-Jahre ein Generationswechsel eingesetzt. Die Protagonisten der ersten Stunde – Gertrude Pfertner, Erika Stepan, Horst Kummerfeld, Dietmar Liegl, Fritz Pfertner und Walter Sailer – zogen sich allmählich zurück und übergaben die Verantwortung an Jüngere, die – in kleineren Rollen mit der Arbeit bereits vertraut – den gefunden Spielstil weiterentwickelten und verfeinerten. Robert Herret, Franz Steiner, Bruno Reichert, Willibald Mürwald, Traude und Poldi Selinger, Susi Urban-Adametz, Bella Böhm-Rössler, Andreas Bauer, Sylvia Smaha-Hartel, Sabine und Sissi Stacher, Peter Koliander bildeten nun den Kern der Nestroy-Truppe, zu der mit der Zeit – oft eher zufällig – Neue dazustießen. Manche für ein paar Jahre, manche wie etwa Horst Salzer, Regine Ban-Korsos, Andreas Herbsthofer oder Peter Kuno Plöchl sind heute noch da.

Von „Amateuren“ war schon bald kaum mehr die Rede, eher von den Nestroy-Spielen als „Hecht im Karpfenteich“ des sommerlichen Theatergeschehens, der immer für Überraschungen gut war. Und so stieg die Erwartungshaltung bei Publikum und Presse von Jahr zu Jahr, ebenso die eigenen Ansprüche – künstlerisch, technisch und organisatorisch. Zudem schossen ringsum Festspiele aller Art aus dem Boden, die mit weitaus größerem Budget und prominenten Besetzungen nicht selten auch Nestroy-Stücke anboten. Der Druck wuchs.

Als sich nach Hertha Mock, die über 20 Jahre lang die Spiele als Kostümbildnerin betreut hatte, Herbert Ortmayr als musikalischer Leiter, und schließlich auch Alfred Stepan als Beleuchtungschef sowie Franz Schulczik als Tonmeister zurückzogen, entstand ein Vakuum, das gefüllt werden musste. Also lud Peter Gruber einige Kollegen zur Mitarbeit ein, die er vom Berufstheater her kannte und für geeignet hielt. Ein professionalisierter Stab sollte von nun an das Ensemble, das bisher auch vor und hinter der Bühne mithelfen musste, ein wenig entlasten und helfen, die inzwischen erreichte Qualität zu halten, wenn nicht zu steigern.

Viele dieser Profis blieben bzw. kamen und kommen gerne wieder. Künstler wie Andrea Bernd, Nora Scheidl, Alexandre Collon und Okki Zykan sorgten für spannende Bühnenlösungen und stimmige Kostüme; Charly Apfelbeck, Fritz Gmoser, Robert Vamos oder Thomas Nichtenberger arbeiteten an der Perfektionierung von Licht und Ton; Günter Lickel übernahm die technische Leitung; Christian Sturtzel brachte die benötigten Spezial-Effekte; und als Musiker und Komponisten schufen Kurt Adametz, Otmar Binder, Tommy Hojsa, Erich Meixner oder der inzwischen leider verstorbene Schöpfer der „Staatsoperette“ Otto F. Zykan mit seiner außergewöhnlichen neuen Höllenangst-Vertonung Hörerlebnisse, die Nestroys Texte aus dem Klischee des Allzubekannten befreiten.

Unter jenen, die sofort und auf Dauer hängenblieben, war auch die Co-Direktorin des Wiener Ensembletheaters, Christine Bauer, die rasch zur „Seele“ der Unternehmung wurde. Sie ist heute für Organisation, Werbung und Finanzen verantwortlich und steht Peter Gruber auch dramaturgisch und künstlerisch zur Seite.

Anfang der 90er war die zehn Jahre zuvor in Freiheit in Krähwinkel ausgesprochene Befürchtung „Mir is nit geheuer! Kommt a neuch’s Biedermeier?“ anscheinend Realität geworden. Das Publikum schien kritische Inhalte, wenn überhaupt, nur noch in kulinarischer, opulenter Verpackung akzeptieren zu wollen. Das Zurückgreifen auf die (scheinbar) harmloseren, „bunteren“ Stücke der Frühzeit, also die des Biedermeier, ermöglichte die Wiederentdeckung und Rehabilitierung zahlreicher, als unspielbar geltender Werke wie Robert der Teuxel, Die Papiere des Teufels, Abentheuer in der Sklaverey oder Adelheid. Die Interpretation verzichtete jedoch weiterhin auf historisch-museale Authentizität. Sie suchte das Gegenwartspendant, um den Geist des Stückes und dessen Intention, dem Publikum einen Spiegel vorzuhalten, auch heute noch spürbar werden zu lassen.

Die nach dem Zusammenbruch des Ostblocks sich verschärfenden Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt begannen sich nun auch indirekt auf das Ensemble auszuwirken. Manche konnten sich das leidenschaftlich betriebene Hobby finanziell bzw. kräfte- und zeitmäßig nicht mehr leisten und mussten schweren Herzens – teils aus beruflichen, teils aus privaten Gründen – aufgeben. Andere wie etwa Michaela Mock, Julia Höfler oder Leopold Selinger (später dann Rebbecca Döltl, Florian Haslinger und Alex Lainer) waren Berufsschauspieler geworden und damit oft in der Schwechater Proben- und Aufführungszeit an andere Theater gebunden.

Ende der 90er-Jahre war auch Robert Herret ausgeschieden. 25 Jahre lang hatte er die Spiele entscheidend mitgeprägt und war nun zur Kabarett-Gruppe Die Brennesseln gewechselt. Fast gleichzeitig nahm mit Franz Steiner ein weiterer Protagonist des Ensembles eine längere Auszeit.

Es schien der richtige Augenblick gekommen, den Rest der inzwischen äußerst Nestroy-erprobten Truppe mit gastierenden Profischauspielern, mit einem „special guest“ zu konfrontieren. Eine neue Herausforderung, die für alle zu einer großen Bereicherung werden sollte.

Robert Herret wurde ausgeschickt, um seinen Brennessel-Regisseur Kurt Sobotka anzufragen. Der hatte Zeit und ließ sich nicht lange bitten. Er machte den Anfang und feierte 1999 inmitten des Schwechater Ensembles als Herr von Ledig in Unverhofft sein glanzvolles 50jähriges Bühnenjubiläum. Im Jahr darauf gab Michael Scheidl ein Kurzgastspiel – als Dichter Leicht in Weder Lorbeerbaum, noch Bettelstab. Und auch Peter Gruber ließ sich ein paar Saisonen später nicht nehmen, wenigstens einmal mit seinem Ensemble auf der Bühne gestanden zu sein – 2008 als Pitzl in Umsonst.

An seiner Seite der Nestroy-Protagonist der letzten Jahre, Christian Graf, der trotz seiner erfolgreichen Profikarriere, immer wenn es ihm möglich war, im Sommer immer wieder an die Stätte seiner ersten Theater-Erfahrungen zurückgekehrt ist.

Egal, ob Profis oder Laien, die auf der Bühne stehen: sie agieren hier unentgeltlich. Größe und Umfang der Produktionen und die noch immer relativ geringe Höhe der Subventionen lassen Schauspielergagen einfach nicht zu.

Und so bleiben die Nestroy-Spiele auch in ihrem 40. Jahr das, was sie von Beginn an waren: ein heißgeliebtes, hochgelobtes und trotzdem stets gefährdetes, im Grunde „unmögliches“ Provisorium. Ein Unikum in der Sommertheaterlandschaft, getragen von viel Idealismus, von an Selbstausbeutung grenzendem Enthusiasmus und der Liebe zur Sache.

Wie dem auch sei: es gibt viele Gründe weiterzumachen. Die lustvolle und zugleich professionelle Auseinandersetzung mit Nestroys wunderbaren Texten; der genius loci des für Theater wie geschaffenen Ambientes; der kaum noch irgendwo zu findende Ensemblegeist; die familiäre, lockere Athmosphäre, frei von Eitelkeit und zermürbenden Rivalitäten; und – last, but not least – eine Reihe hochinteressanter, kaum gespielter Werke, die es auf der Bühne wiederzuentdecken gilt.

„Wirklichkeit ist immer das schönste Zeugnis für die Möglichkeit.“
Der Talisman

Vierzig Jahre (Kurzfassung)

Unglaubliche 40 Jahre gibt es sie nun schon: die Nestroy-Spiele Schwechat. Sie sind somit einer der ältesten und beliebtesten Sommerspielorte des Landes. Klein, fein und exklusiv – ein fixer Bestandteil des Theaterfestes Niederösterreich.

Die Schwechater „Nestroy-Pioniere“ waren Burgschauspieler Bruno Dallansky, Burg-Chefbeleuchter Sepp Nordegg und der Schriftsteller György Sebestyen. Sie hatten im Sommer 1972 eine „Jedermann“-Vorstellung des Amateurtheaters St. Jakob im neurenovierten Schloss Rothmühle gesehen und waren von dem für Theater wie geschaffenen Ambiente des Schlosshofs und dem Flair der Veranstaltung begeistert. Genau hier, dachten sie, wäre der ideale Ort, um Nestroy in der „Vorstadt von Wien“ eine bleibende Heimstatt zu geben. Man träumte von großen Burgschauspielern, die, von OMV, Brauerei und Flughafen gesponsert, im Schlosshof jedes Jahr im Sommer Nestroy spielen sollten.

Da sich diesbezügliche Verhandlungen zerschlugen, ergriff Spielgruppenchef Walter Mock die Initiative. Die Idee schien zu gut, zu stimmig, als dass man sie von Geldzusagen abhängig machen durfte. Er wollte nicht länger warten. Er ging es einfach an, proklamierte die Nestroy Spiele Schwechat und wollte das erste Jahr probeweise mit seinen Amateur-Schauspielern bestreiten, allerdings unter professioneller Regie.

Bruno Dallansky empfahl ihm einen jungen Mann, dessen Lehrer er am Reinhardt-Seminar gewesen war – Peter Gruber, der die künstlerische Leitung übernahm und bis heute innehat.

Der Erfolg der Testproduktion im Sommer 1973 war mehr als vielversprechend, die Reaktion geradezu enthusiastisch. Gerade die Anonymität des Ensembles, die Stück und Text in den Vordergrund treten ließ, überzeugte. Die uneitle, überbordende Spiellaune begeisterte Publikum und Presse ebenso wie Schärfe und Intelligenz der Interpretation. Und so beschloss man, auf Stars zu verzichten und in dieser so erfolgreichen semiprofessionellen Konstellation weiterzumachen.

Neben den Nestroy-Spielen sollte es aber auch Platz für die Nestroy-Forschung geben. Nach der Gründung der Internationalen Nestroy-Gesellschaft schuf Walter Mock die ökonomischen Voraussetzungen dafür, dass nunmehr parallel zu den Nestroy-Spielen Internationale Nestroy-Gespräche in Schwechat stattfinden konnten.

Dieses alljährliche Zusammentreffen der führenden Nestroy-Forscher aus aller Welt, die fruchtbare Begegnung der Wissenschaft mit der Theaterpraxis, haben seitdem entscheidend dazu beigetragen, dass Nestroy heute einer der am besten erforschten und dokumentierten Theaterautoren ist, und sich das Nestroy-Bild in der Öffentlichkeit wesentlich verändert hat.

Innerhalb kurzer Zeit war Schwechat zur Nestroy-Stadt, zum Internationalen Nestroy-Zentrum geworden.

Ob bei den Nestroy-Spielen „Laien“ oder „Profis“ am Werke sind, fragt heute niemand mehr. Im Gegenteil: kaum jemand will glauben, dass die Mitwirkenden keine hauptberuflichen Schauspieler sind.

Mit der Rehabilitation vieler unbekannter, als unspielbar geltender Stücke, aber auch mit gegen den Strich gebürsteten Interpretationen der bekannteren Possen konnten immer wieder Nestroys Genie, seine Brisanz und seine zeitlose Aktualität eindrücklich unter Beweis gestellt werden.

Zwar sind schon beinahe die Hälfte der von Nestroy geschriebenen 83 (!) Stücken in Schwechat gezeigt worden, aber es gibt noch eine Reihe interessanter, kaum gespielter Werke, die es auf der Bühne wiederzuentdecken gilt.

Heuer allerdings feiern die Nestroy-Spiele Schwechat ihr 40-jähriges Bestehen auf vielfachen Wunsch mit einem der ganz großen Klassiker, mit Nestroys meisterhafter Posse „Einen Jux will er sich machen“. Im stimmungsvollen Ambiente des Hofes von Schloss Rothmühle garantieren die mehrfach ausgezeichneten Nestroy-Spezialisten rund um Peter Gruber für brillante Sommerunterhaltung auf höchstem Niveau.