Nestroy-Spiele 2010

Das Gewürzkrämer-Kleeblatt

38. Nestroy-Spiele Schwechat 2010 im Schlosshof der Rothmühle
in Schwechat-Rannersdorf, 2320 Schwechat, Rothmühlstraße 5
Premiere 26. Juni 2010, Vorstellungen bis 31. Juli 2010

In ihrem 38. Spieljahr zeigten die Nestroy-Spiele Schwechat wieder ein eher selten gespieltes Stück, eine von Nestroys köstlichen Spießer­satiren aus dem Jahr 1845: „Das Gewürzkrämer-Kleeblatt“.

Drei brave, ehrsame Gewürzkrämer, die mit ihren Frauen in der heilen Welt einer geordneten, biederen Kleinstadt-Idylle leben, sind geschäftlich wie privat eng miteinander befreundet. Doch der Schein trügt.

Man beobachtet und kontrolliert einander ständig – in dem vagen Verdacht, der andere könne heimlich etwas ausleben, was man sich selbst nur mit Mühe und ungern verbietet.

Zwar ist keiner der drei selbstgefälligen Ehemänner misstrauisch und eifersüchtig gegenüber seiner eigenen Frau, aber jeder überwacht mit Argusaugen die Frauen seiner zwei Freunde, die er zu allem fähig hält; jeder versucht mit allen Mitteln, seine Freunde vor Unglück zu bewahren, was zu den absurdesten Situationen führt.

Vergebens – denn die Gewürze, die die drei Krämer wohlverstaut in ihren Regalen horten und teuer verkaufen, locken mit ihrem verführerischen, exotischen Duft und betören die Sinne. Und so wird ein neuer, junger, liebeshungriger Kommis zur Projektionsfläche für all die unterdrückten Wünsche und Sehnsüchte.

Besetzung

  • Schwefel Franz Steiner
  • Baumöhl Horst Salzer
  • Cichori Karl Schleinzer
  • Madame Schwefel Bella Rössler
  • Madame Baumöhl Maria Sedlaczek
  • Madame Cichori Susanne Adametz
  • Victor, Comis bei Baumöhl Benjamin Turecek
  • Peter, Comis bei Baumöhl Alexander Lainer
  • Regerl, Magd bei Baumöhl Gabi Holzer
  • Brumm Andreas Herbsthofer-Grecht
  • Louise, sein Mündel Rebecca Alice Döltl
  • Chevalier Wettersporn Harald Schuh
  • Frau Schnupf Sissy Stacher
  • Hausmeister Peter Koliander
  • Schusterjunge Melina Rössler
  • Dienstmädchen Maria Bittner, Michaela Illetschko, Conny Schachlhuber, Iris Seidl, Andreas Herbsthofer-Grecht
  • Inszenierung Peter Gruber
  • Mitarbeit Christine Bauer
  • Bühne Alexandre Collon
  • Kostüme Okki Zykan
  • Lichtdesign Robby Vamos
  • Musik und Klavier Otmar Binder
  • Choreinstudierung und Arrangement Paul Hille und Ensemble
  • Couplet-Zusatzstrophen Alfred Aigelsreiter
  • Maske Sigrid Lessel
  • Bühnenrealisation Günter Lickel
  • Lichttechnik Thomas Nichtenberger
  • Regie- und Dramaturgieassistenz Anna Steger
  • Ausstattungsassistenz Milena Nikolic
  • Kostümassistenz Natascha Hausner
  • Maskenassistenz Sandra Pichler, Sabine Stropek
  • Organisation Christine Bauer
  • Pressebetreuung Barbara Vanura
  • Büro und Kassa Sabine Stacher
  • Mitarbeit Katharina Rodax, Grete Seitl

Pressestimmen

Kurier, 29. Juni 2010: Nestroy ohne Biedermeier, in Schwechat geht das gut

In zuckerlfarbenen Reihenhäusern sitzen sie, die selbstzufriedenen Krämerseelen, in deren Gärten Gartenzwerge sprießen – und bisweilen phallische Chilis als Chiffren dafür, wie scharf ihre gelangweilten Gattinen angesichts des wendigen Comis Victor (Benjamin Turecek mit mürrischem Charme) werden.

Doch jeder der drei Herren (pointensicher Franz Steiner, Horst Salzer und Karl Schleinzer) ist von der Tugend der Seinigen ebenso felsenfest überzeugt wie von der Untreue der Gattinen der beiden anderen (Bella Rössler, Maria Sedlacek). Den Gipfel der Verblendung erklimmt Cichori, wenn er sich um die gehörnten Freunde sorgt, während seine Gattin (Susanne Adametz) mit Victor so sexplosiv zugange ist, dass die Fassade des Eigenheims wackelt.

Peter Grubers nestroykundige Regie horcht hinab in den biedermeierlich verbrämten Sub-Text und läßt diesen saftig ausspielen. Das Quodlibet-Sextett (mit der stilsicheren Musik von Otmar Binder) choreographiert er zu einem komödiantischen Gustostück. Die Typen schält er präzise heraus – der Spießer stirbt nicht aus. (Barbara Pállfy)

Der Standard, 2. Juli 2010: Petticoats und Zimtduft

Die Nestroy-Spiele Schwechat versetzen „Das Gewürzkrämer-Kleeblatt“ in spießige Vorgärten. Auch Dominic Heinzl darf dabei nicht fehlen.

Zimtduft erfüllt den Innenhof des Schlosses Rothmühle: Das Dienstmädchen hat ihn eben noch zu den Klängen Peter Alexanders in die Luft gesprüht. Schließlich handeln die Männer, die die drei niedlich-pastellfarbenen Häuserattrappen auf der Bühne (Alexandre Collon) bewohnen, mit Gewürzen.

Der junge Comis Victor (Benjamin Turecek) prescht in schwarzen Lederhosen auf seiner Vespa daher. Ein gequälter Dorfcasanova, dessen schematischer Darstellung ein wenig abwechslungsreichere Mimik nicht geschadet hätte. Die Kostüme (Okki Zykan) demonstrieren 50er-Jahre-Spießigkeit: Die Garderobe der Herren ist, ebenso wie die Petticoats und Caprihosen der Ehefrauen, in Gelb, Blau und Grün gehalten. Eine praktische Sache, weiß der Zuschauer doch jederzeit, welche Paare zueinander und in welches Haus gehören.

Regisseur Peter Gruber hat gut daran getan, Johann Nestroys Gewürzkrämer-Kleeblatt in die biedere Nachkriegsidylle zu verlegen. Mit sicherer Hand und gutem Gespür für das Tempo inszeniert er flüssig, kaum eine Pointe fällt unter den Verkaufstresen.

Das Laienensemble spielt durchwegs souverän und harmonisch. Horst Salzer als Baumöhl und Karl Schleinzer als Cichori geben ihre Wiener Pantoffelhelden mit viel Gemütlichkeit, Franz Steiner überzeugt als aristokratisch-steifer Schwefel. Susanne Adametz räkelt sich leicht bekleidet als liebeshungrige Madame Cichori. In Spiellaune ist Maria Sedlaczek als Madame Baumöhl. Bella Rössler bleibt als Madame Schwefel meist konturlos; dafür übertreibt es Alexander Lainer bisweilen mit der tuntigen Albernheit seines Peter.

Gut getan hätte eine weniger plumpe Aktualisierung der Couplets. Dass die Geißeln der modernen Menschheit Ölpest, Wirtschaftskrise und Dominic Heinzl heißen, war bereits bekannt, bevor Letzterer als Gartenzwerg auf der Bühne auftauchte. (Andrea Heinz)

Niederösterreichische Nachrichten, 30. Juni 2010: Alles nur Fassade

Mit „Das Gewürzkrämerkleeblatt“ jähren sich die Spiele heuer zum 38. Mal. Nach einer nicht ganz leichten Probenzeit dürften sich nach der Premiere wieder alle einig sein – Der Aufwand hat sich gelohnt.

„Das Gewürzkrämerkleeblatt“ gehört sicher zu den schwierigsten Stücken Nestroys – nicht leicht zu spielen. Hier ist absolute Textsicherheit und Präzision gefragt. Peter Gruber hat das mit geschickter Personenführung und vielen guten Ideen gelöst. Die Darsteller waren ausnahmslos mit Spaß bei der Sache. Die Botschaft „Spaß am Spiel“ ist beim Publikum angekommen und wurde mit dem verdienten Applaus belohnt. Die Couplets, nicht unbedingt nestroy’sch vorgetragen, waren in den modernen Texten allerdings richtig gut. Der absolute Höhepunkt des Stüpckes jedoch war das Sextett im zweiten Teil des Stückes. Musikalisch und choreographisch hervorragend gelöst. Und textlich waren die Darsteller außergewöhnlich klar und verständlich unterwegs. Bühne und Kostüme haben sich wunderbar ergänzt und vermittelten in ihren naiven Ausführungen ein frisches und heiteres Bild, das sich unterstützend auf die Darsteller auswirkte.

Alles in allem ein vergünglicher Abend, den man sich unbedingt gönnen sollte.

Der neue Merker, 9. Juli 2010: Eine Köstlichkeit von Aufführung

Es gibt in Niederösterreich eine Menge von höchst „langlebigen“ Festspielorten, die auf Jahrzehnte des Wirkens zurückblicken. Aber es scheint, dass nirgends eine dermaßen durchgehende Tradition, Kontinuität und Qualität festzustellen ist wie in Schwechat, wo vom ersten Tag des Jahres 1973, als man begann, Nestroy mit „Laien“ zu spielen, Peter Gruber Regie führte – und Jahr für Jahr weiterarbeitend, inzwischen ein Ensemble hoch begabter Amateure zusammen gestellt hat, mit dem er jeden Nestroy in Profi-Qualität zeigen kann (und nur ganz selten mag man einen Nebendarsteller nicht auf der Höhe seiner Aufgabe finden).

Heuer steht bei den 38. Nestroy Spielen das „Gewürzkrämer-Kleeblatt“ auf dem Programm, an sich ein eher harmloseres Stück Nestroys, wo die Sozialkritik (etwa, wie Arbeitgeber mit ihren Untergebenen umgeben) in den Hintergrund rückt. Es ist eines der menschlich freundlichsten Stücke des Dichters, so weit es um die Titelhelden geht: Diese drei wohlbetuchten, dumm-selbstgefälligen älteren Herren mit den sprechenden „Krämer“-Namen Schwefel, Baumöhl und Cichori sind nämlich mit drei um einiges jüngeren, charakterlich eher zweifelhaften Damen verheiratet, wobei jeder von ihnen geradezu blind und vertrauensselig in die eigene Gattin verliebt ist, sich aber echte Sorgen darum macht, dass die beiden Freunde von ihren Frauen selbstverständlich betrogen werden …

Nestroy hat das 1845 uraufgeführte Stück (er selbst spielte die Rolle des Cichori) nach einer französischen Vorlage gestaltet und sich nicht viel Mühe gegeben, das schematische „Drittabschlagen“ der drei Herren variationsreich zu gestalten. Jedenfalls gibt er sie nicht gänzlich der Bosheit preis so wie die drei Damen, wo vor allem die Madame Cichori ein zu Nestroys Zeit Empörung erregendes Couplet singen darf: „’s is a starkes Geschlecht, aber schwach, aber schwach“ werden da die Männer als jene Simandln gehöhnt, als die Nestroy sie letztendlich darstellt. Die jungen Männer, die sonst bei ihm dem Geschehen oft Pfeffer verleihen, sind hier in Gestalt von zwei „Comis“ (wie immer die Mehrzahl dieses schönen alten, nicht mehr existenten Begriffs lauten mag) von eher harmloser Struktur.

Und obwohl man hier wenig mehr vor sich hat als eine Verwechslungskomödie von geradezu unnestroy’scher Harmlosigkeit, hat Peter Gruber hier mit hohem Theaterverstand eine Köstlichkeit von Aufführung auf die Bühne gestellt. Die Bühne von Alexandre Collon hilft sehr, die drei pastellfarbene Reihenhäuschen hinstellt (gelb, blau, grün, die Farbcharakterisierung zieht sich bis in die Kleidung der jeweiligen Bewohner, Kostüme: Okki Zykan), vorne Gartenzwerge, im „G’wölb“ hängen schöne, alte Werbeplakate, Welcome to the Fifties, hat man doch schon eine halbe Stunde vor der Vorstellung ununterbrochen Peter-Kraus-Schlager vorgespielt bekommen.

In diese muffig-brave Zeit passt die Geschichte der dümmlichen Männer und der raffinierten Frauen, und das wird köstlich ironisch und parodistisch gespielt (und im Grunde wird nur das Quodlibet im dritten Akt in Form eines Sextetts der drei Paare zu sehr ausgewalzt). Die Musik (Otmar Binder, selbst links am Klavier) ist modern, aber diskret genug, um nie vom Text der Couplets abzulenken. Und da hört man ja so elementare Erkenntnisse wie: „Gegen die Dummheit, so war es zeitlebens, da kämpfen die Götter vergebens.“

Sie sind köstlich, die drei Gewürzkrämer, Lokalmatador Franz Steiner (28 x bei den Nestroy Spielen dabei!) als der durch und durch „gelbe“ Schwefel mit einer Eleganz, die den Freunden abgeht, ist der Baumöhl des Horst Salzer doch ein wahres polterndes Urvieh und der Cichori des Debutanten Karl Schleinzer fast ein Schatz in seiner Treuherzigkeit: Der Mann ist zu gut für diese Welt und erst recht für seine Frau, als welche Susanne Adametz den Vogel des Abends abschießt. Sie ist so etwas wie die Regina Fritsch von Schwechat (ein größeres Kompliment kann man ihr nicht machen), und wer die Meinung vertreten sollte, Nestroy habe keine starken Frauengestalten geschrieben, schaue sich dieses köstlich ruchlose Frauenzimmer an. Daneben gibt Bella Rössler eine raffinierte Madame Schwefel und Maria Sedlaczek eine Madame Baumöhl, die mit echtem Witz ihre Kilo über die Bühne wuchtet.

In der Rolle des Comis Victor hätte man als alter Schwechat-Kenner eigentlich Christian Graf, den Star des Ensembles erwartet, aber dem war die Figur vielleicht zu unprofiliert. Benjamin Turecek bekommt zwar einen Auftritt per Vespa, was Eindruck macht, aber dann hat Nestroy auf ihn und auf Kollegen Peter (in Gestalt des köstlich zappelnden Alexander Lainer) fast vergessen.

Macht nichts, das Stück trägt sich in dieser Inszenierung mühelos über zwei Stunden zu einem verdienten Erfolg. (Renate Wagner)

APA, 27. Juni 2010: Nestroys „Gewürzkrämer-Kleeblatt“ in Schwechat als Spießbürgerposse

Im Land der scheinheiligen Gartenzwerg-Idyllen – Peter Gruber verlegt die Handlung in die 50er-Jahre.

Zum schier unglaublichen 38. Mal inszeniert Schwechats Langzeit-Intendant Peter Gruber bei den Nestroy-Spielen im Schloss Rothmühle in Rannersdorf, diesmal das „Gewürzkrämer-Kleeblatt“. Und es wäre nicht Gruber, hätte er nicht wieder jede Menge Zeitkritik in diese Posse um Spießbürgertum und Nachbarschaftsintrigen verpackt. Die Premierenbesucher fanden dabei am Samstagabend ihr Vergnügen.

„Gegen die Dummheit, so war es zeitlebens, da kämpfen die Götter vergebens“: Eine Coupletzeile, wie sie bezeichnender nicht sein kann für Nestroys wie Grubers resignative Verzweiflung gegenüber dem „bedenklichen Klimawandel in unserer Gesellschaft, in der allmählich alles aus dem Lot gerät“ (Programmheft). Gruber entwickelte einen genialen Ansatz, um die Wurzeln des sozialen Übels freizulegen: Er platziert die Handlung in die 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts, in die kleingeistige, kleinkarierte Wirtschaftswunderzeit.

Das spiegelt sich auch im Bühnenbild wider mit den drei geschmacklos gefärbten Reihenhäusern, in denen die Herren Schwefel, Baumöhl und Cichori (Franz Steiner, Horst Salzer und Karl Schleinzer) mit ihren Gemahlinnen (Bella Rössler, Maria Sedlacek und Susanne Adametz) logieren und einander belauern. Die jungen Gehilfen Victor (Benjamin Turecek) und Peter (Alexander Lainer) bringen unterdrückte Sehnsüchte in Gang und irritieren die scheinheiligen Gartenzwerg-Idyllen der Herrschaften. Doch weil nicht sein kann, was nicht sein darf, landet auch der Comis Peter mit seiner Angebeteten schließlich in einem bunten Häuschen.

Empfehlenswert ist der Besuch der Nestroy-Spiele allemal, hat sich hier doch der ursprüngliche, im besten Sinne volkstümliche Charakter des Sommertheaters – mit lauschigem Heurigengarten und schnöselfreiem Publikum – erhalten. Unbedingt ratsam ist am Abend allerdings die Mitnahme eines Gelsensprays – denn die Blutsauger fallen in dichten Schwärmen ein. (Ewald Baringer)