Nestroy-Spiele 2008: Materialien

Umsonst

… zur bitteren Erfahrung

„Wenn man kein Geld hat, dann merkt man erst recht, dass gar nix umsonst ist.“

Dieser kleine, pointierte Satz aus Nestroys Posse UMSONST wird angesichts der explodierenden Lebenskosten und der Entwicklungen am Arbeitsmarkt derzeit zur bitteren Erfahrung – auch für jene, die noch vor kurzem dachten, ihr Einkommen sei ausreichend und sie könnten sich das eine oder andere leisten.

Während Konzerne und Spekulanten Millionengewinne einfahren und sich zweifelhafte Manager das 48-fache dessen genehmigen, was der Durchschnitt verdient, werden hier bei uns – in einem der reichsten Länder der Welt – nicht nur die Armen immer ärmer, auch der Mittelstand zerfällt zusehends. Es bildet sich langsam, aber stetig eine große Masse geringfügig oder gar nicht Beschäftigter, die ums Überleben kämpfen muss.

Und die Theater- und Filmleute?

In den „Seitenblicken“ (jenem Quotenhit, den der ORF anstelle einer österreichischen Kulturberichterstattung anbietet) erfahren wir allabendlich, dass sie offenbar der upperclass angehören und nichts anderes zu tun haben, als auf Traumschiffen oder schrillen „events“ Sekt trinkend und Hummer verzehrend Platitüden in die Kamera abzusondern. Aber in Wahrheit ist – von wenigen Ausnahmen abgesehen – das Gros der SchauspielerInnen heute ebenso armutsgefährdet wie viele andere Menschen auch – und das ist keine Frage ihrer Qualität.

Der Fall der Mauer und die darauffolgende Schließung zahlloser (vor allem ostdeutscher) Bühnen hat ein Heer von qualifizierten Theatermachern freigesetzt. Und die ohnehin ständig unter politischem und ökonomischem Druck stehenden Intendanten, aber auch Fernseh- und Filmproduzenten haben diese Chance umgehend genutzt: sie haben die Gagen radikal gekürzt und zahlen seitdem auf dem Niveau der 70er-Jahre.

Manchmal zahlen sie auch gar nichts mehr. Aus Berlin wird berichtet, dass dort große, renommierte Bühnen Teile ihres Ensembles gekündigt haben und stattdessen sogenannte „Praktikanten“ beschäftigen – jüngere Schauspieler, die bereit sind, umsonst aufzutreten. Zynischer Kommentar: es sei „eine tolle Gelegenheit für sie, sich wenigstens der Öffentlichkeit zu präsentieren statt arbeitslos herumzuhängen“.

In Österreich ist die Situation kaum besser. Es wird weiter gespart – meist an der falschen Stelle. Die Subventionierung der vielen freien, kleineren und mittleren Theater wird seit Jahren eingefroren, reduziert oder gar eingestellt. Das zur Förderung der heimischen Kultur vorgesehene öffentliche Geld fließt – wenn überhaupt – primär in die ganz großen Häuser oder in prestigeträchtige „internationale“ oder „europäische“ Projekte, was auch immer damit gemeint sein mag. Dabei kommen nur wenige heimische Schauspieler zum Zug. Die meisten suchen verzweifelt ein Engagement, von dem sie leben können, und wer mehr als sechs Monate lang keines findet, was immer häufiger der Fall ist, gilt seit neuestem als „unvermittelbar“. Er muss den Beruf wechseln oder verliert – falls er ihn überhaupt je hatte – seinen Anspruch auf die „Arbeitslose“. Selbst anerkannt gute Schauspieler, die früher oft Jahresengagements hatten, sind heute ohne Job und müssen damit rechnen, künftig als Kellner oder Billa-Verkäufer zu arbeiten, um sich das Theaterspielen nebenbei leisten zu können – als Hobby sozusagen.

Eine äußerst fragwürdige Entwicklung zurück, angesichts derer auch Nestroys im Theatermilieu angesiedelte Posse UMSONST, die wir Ihnen heuer zeigen wollen, eine zusätzliche aktuelle Dimension gewinnt.

Sprachlich brillant und voller absurder Situationskomik galt UMSONST ja bisher immer „nur“ als leichte Unterhaltungskost und war vielleicht gerade deswegen sehr erfolgreich.

Allerdings wirkte das dem vergnüglichen Verwirrspiel zugrundeliegende ökonomische und soziale Gefüge von 1857 immer ein wenig antiquiert. Vor allem das zu Beginn des Stückes geschilderte Leben am Theater erschien wie ein liebenswertes, verstaubtes Bild aus längst vergangener Zeit.

Das ist heute anders geworden: UMSONST ist durchaus wieder als Komödie mit sozialkritischem Hintergrund zu begreifen, die (beinahe) hier und jetzt spielen könnte.

Ein Grund für mich, sie auf den Spielplan zu setzen.

Zugleich auch willkommene Gelegenheit, einmal selber in den Ring zu steigen, um zusammen mit Christian Graf (quasi „authentisch“) die zwei Berufsschauspieler Pitzl und Arthur zu geben, die die aktuelle Theater-Situation kommentieren und reflektieren.

Dabei treffen wir auf unsere langjährigen Freunde und Kollegen, die ja bekanntlich Amateure sind und daher diesmal im Stück konsequenterweise sämtliche Nicht-Schauspieler verkörpern, sprich: alle jene, die im täglichen Leben bewusst oder unbewusst „Theater“ spielen.

Sich mit ihnen zu messen, wird wohl gar nicht so leicht für uns, denn ihnen wird inzwischen erstaunlicher Professionalismus nachgesagt – nicht nur wegen ihrer darstellerischen Überzeugungskraft. Sie spielen bereits seit 36 Jahren – und diesmal eben in Großbuchstaben – UMSONST. (Peter Gruber)

„Ich habe mich aber der Kunst geweiht, der Kunst, und jetzt verdinge ich mich hier, als erster Liebhaber in dieser maroden Vergnügungs- und Bedürfnisanstalt.“

Theaterzettel der Uraufführung

„Wenn nur die Menschen leben sollten, die den Leuten gfallen, da schauet’s schütter aus.“

Zum Stück

UMSONST hat nie zu den populären Stücken Nestroys gezählt, obschon es von der Premiere 1857 bis 1862 fast fünfzig Aufführungen erlebte und im Laufe der „Nestroy-Renaissance“ seit dem zweiten Weltkrieg hin und wieder erfolgreich neuinszeniert wurde.

Was UMSONST von den anderen Stücken Nestroys unterscheidet, die zu seinen Lebzeiten aufgeführt wurden, ist die Tatsache, dass es sowohl in der originalen dreiaktigen Version als auch in einer bald danach aufgeführten einaktigen Fassung vorliegt. Die „Posse mit Gesang in drei Aufzügen“ wurde am 3. März 1857 im Carltheater uraufgeführt, verschwand aber schon nach zwölf Wiederholungen vom Spielplan. Als „Posse mit Gesang in einem Aufzuge“ erlebte UMSONST dann am 4.Jänner 1858 im selben Theater seine Wiedergeburt.

Zu den verbürgten Wiener Aufführungen kommen noch Nestroys Gastauftritte in seiner Rolle als Pitzl in Triest, Bad Ischl und Graz, wobei es natürlich als Zufall zu betrachten ist, dass sein allerletztes Wort auf öffentlicher Bühne „Umsonst!“ heißen musste – am 29. April 1862, kurz vor seiner letzten Krankheit, stand er als Pitzl zum letzten Male auf „den Brettern, die die Welt bedeuten“.

UMSONST war das erste Stück von Nestroy, das zwar zu seinen Lebzeiten aufgeführt wurde, in dem er aber nicht die männliche Hauptrolle spielte, sondern nur die zweite Rolle.

In THEATERG’SCHICHTEN DURCH LIEBE, INTRIGE, GELD UND DUMMHEIT (1854) hatte er noch die Rolle des jugendlichen Theaternarren Damisch gespielt; in seinem nächsten, zu seiner Lebzeit nicht aufgeführten Stück NUR KECK! (1855) plante er, seinem jüngeren Kollegen Karl Treumann die Rolle des Intriganten Stegreif zu überlassen, sich selbst mit der des älteren Rentschreibers Federklecks begnügend. Ähnlich verfuhr er bei UMSONST, in welchem er für Treumann die Rolle des jungen Helden Arthur schrieb und sich selbst die des alternden Akteurs Pitzl zuteilte.

Zu den interessantesten Facetten von UMSONST gehört der Reichtum an Zitaten. Vor allem im ersten Akt kommen wiederholt Zitate vor, die nicht nur belustigen, sondern auch das Bühnengeschehen unterstreichen. Dass Pitzl ein fauler, drittklassiger Schauspieler ist, bringt die Notwendigkeit mit sich, an seiner nächsten Rolle eifrig zu studieren, um vom Direktor nicht entlassen zu werden. Nach den Vorarbeiten sollte diese Rolle Shakespeares „Richard III“ sein, in der Endfassung hat Pitzl den Bösewicht Franz Moor in Schillers „Die Räuber“ zu spielen. Während er in Arthurs Zimmer seine Rolle lernt, schmeichelt sich Arthur im Zimmer nebenan in Anwesenheit der mannstollen alten Jungfrau Anastasia bei dem schönen Mündel Emma ein; Pitzls Zitate passen dabei immer genauer zu der heikler werdenden Situation im Nebenzimmer (z.B. „Mich ergötzt der Grimm des Weibes“).

Es liegt am Stoff selbst, dass es UMSONST an Einheit der Handlung fehlt. Von den Personen des ersten Aktes, der in Steyr spielt, sind es nur vier, die auch im zweiten und dritten Akt – die Handlung ist nun nach Braunau verlegt – wieder auftreten.UMSONST kann beim Lesen sowie im Theater den Eindruck von Unausgewogenheit hervorrufen. Der Entschluss aber, so brutal zu streichen, dass von den letzten zwei Akten nur ein paar Reden übrig bleiben, ist eine extreme Lösung, die nur bedingt befriedigen kann. Die historisch-kritische Ausgabe bietet beide Fassungen dar, wobei sich der Herausgeber die Meinung erlaubt, das Stück in seiner Originalgestalt verdiene nicht nur kritisch neubewertet, sondern vor allem auf der Bühne zu neuem Leben gerufen zu werden. (Peter Branscombe, aus HKA 35, Wien: Deuticke 1998)

„So klein unsere Stadt ist, so haben wir doch einen unsinnigen Kunstsinn.“

Is denn das a Sünd’, wenn der Mensch a Acteur is?

Die weitgreifende Bedeutung, die das Theater in Nestroys Gedankenwelt hatte, zeigt sich in der vielfältigen Verwendung des Motivs Theater in seinen Komödien. Schon sein erstes erhaltenes Stück, das Vorspiel DER ZETTELTRÄGER PAPP (1827), behandelt satirisch die Haltung des Publikums zum Spielplan. Das letzte Nestroy- Stück, das unter der Direktion Karl Carls zur Aufführung gelangte, THEATERG´SCHICHTEN (1854); handelt von der Theaterbegeisterung: Damisch will zum „Begeisterungstempel“; auf die verzweifelte Reaktion seiner Braut antwortet er mit der rhetorischen Frage: „ Is denn das a Sünd´, wenn der Mensch a Acteur is?“. Die Hauptpersonen der einzigen neuen abendfüllenden Posse, die Nestroy – von Opern- und Operettenbearbeitungen und –parodien abgesehen – während seiner eigenen Direktionsjahre zur Aufführung brachte, UMSONST (1857), sind Mitglieder einer Schauspielertruppe in der Provinz. Auch nach seiner Direktionszeit griff Nestroy die Thematik wieder auf: im Einakter FRÜHERE VERHÄLTNISSE (1862) wird die Köchin Peppi Amsel von der „Sehnsucht nach der Theaterwelt“ gequält.

Dass Nestroy bis ans Ende seines Lebens im Theater das Theater zum Thema machte, spiegelt den Umstand wider, dass er über dreißig Jahre lang fast jeden Abend mit seinen Schauspielerkollegen entweder in seinen eigenen Stücken oder denen anderer Dramatiker auf der Bühne stand. Seine Arbeit als Direktor war vom Berufsleben als Schauspieler nicht zu trennen; das veranschaulichen die vielen Szenenbilder Johann Christian Schoellers, die ihn im Rahmen des Ensembles zeigen. Als Theaterdirektor wurde er schließlich der Arbeitgeber seiner Kollegen und verlebte, wie er am 12. März 1855 der Schauspielerin Karoline Köfer, mit der er ein Liebesverhältnis anknüpfen wollte, schrieb „keinen Abend ohne Theaterbesuch“.

Nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Kollegen schrieb er Rollen auf den Leib: er musste für das ihm zur Verfügung stehende Ensemble schreiben. Manchmal werden die Hauptfiguren sogar konsequent mit den Namen der Darsteller bezeichnet.

Auch Nestroys Privatleben drehte sich um die Theaterwelt. Bei Privattheaterveranstaltungen in Wien lernte er Wilhelmine Nespiani kennen, die er 1823 heiratete. Seine spätere Lebensgefährtin Marie Weiler, „die Frau“ seiner reifen Jahre, war Schauspielerin und Sängerin. Als er diese in den Jahren 1855 und 1856 betrog, war es wieder mit einer Schauspielerin. Auch seine Intimfreunde gehörten der Theaterwelt an.

Aus Nestroys Umgang mit seinen Schauspielerkollegen stammen auch die meisten Anekdoten, die über sein Privatleben überliefert sind. So wird mehrfach berichtet, dass er viele Jahre in einem Kaffeehaus unweit des Leopoldstädter Theaters regelmäßig mit Schauspielerkollegen Tarock und Piquet spielte; zu ihnen gehörte Scholz, der genauso häufig wie Nestroy Verluste erlitten zu haben scheint. Während viele Anekdoten von der Unbeholfenheit und Wortkargheit Nestroys im gesellschaftlichen Verkehr außerhalb des Theaters zeugen, verschwanden diese Hemmungen im Kreis seiner Kollegen. Nestroy soll sich zum Beispiel an den vielen Streichen, die man dem übereifrigen Kollegen Ignaz Stahl zu spielen pflegte, beteiligt haben. In den dreißiger Jahren fiel dem jungen Friedrich Kaiser zwar Nestroys Bescheidenheit und Zurückhaltung auf, er erzählt aber auch, wie in entspannter Atmosphäre die Darsteller, einschließlich Nestroy, vor der Vorstellung „oft noch beiweitem lustigere Stückchen improvisierten“ als auf der Bühne. (W. Edgar Yates, aus: Die Welt steht auf kein Fall mehr lang, Wien: Hist. Museum 2001)

„Im Sommer wissen, von was ich im Winter, im Winter, von was ich im nächsten Sommer leben werde, das ist Blei für meine Geistesschwingen.“