Nestroy-Spiele 2005: Materialien

Der confuse Zauberer

 

Zu Stück und Aufführung

Liebe Nestroy-Freunde!

Mit Nestroys Frühwerk „Der confuse Zauberer“ (das wir um einige Textstellen aus dessen fragmentarisch erhaltem Vorläufer „Treue und Flatterhaftigkeit“ erweitert haben) zeigen wir Ihnen heuer eine höchst interessante Rarität: ein Stück, das – trotz der legendären Lesungen von Karl Kraus und Helmut Qualtinger – seit seiner Uraufführung 1832 auf österreichischen Bühnen nicht mehr zu sehen war.

Ist vielleicht der Titel zu „altbacken“? Das Stück zu unausgegoren? Fehlt der Bezug zu heute? Oder erwartet man von Nestroy, der als der große Überwinder, bzw. Zerstörer des Zauber- und Feentheaters gilt, ganz einfach etwas anderes als ein „Original-Zauberspiel“ mit barocker Bühnenmechanik und allegorischen Figuren?

Offenbar wird das Stück unterschätzt. Skurril, schrill und schräg kommt es daher, wirkt manchmal unbeholfen und unlogisch, ist aber gerade dadurch so reizvoll. Den konfusen Wünschen seines getriebenen Protagonisten, kurzum den Gesetzen der Chaostheorie folgend, steigert es sich in wilden, absurden und theaterwirksamen Sprüngen bis hin zum ausweglosen Ende.

Das Thema ist zeitlos: es geht um die sexuellen Nöte und Verstrickungen eines älteren Mannes, der seinen Flattersinn nie wirklich ausgelebt hat, und plötzlich – um den Preis enormer Konfusion – Gelegenheit dazu erhält.

Die Form ist eine tradierte: die des guten, alten Kasperl- und Zaubertheaters. Aber die Art und Weise, wie Nestroy diese Form füllt, ist neu: mit einer beim Wort genommenen und mitunter direkt ins Visuelle übertragenen Sprache, die comixartige Bilder von plakativ-symbolischer Kraft entstehen lässt, macht er unter der Oberfläche der Komödie individuelle psychologische und gesellschaftliche Vorgänge sowie deren Wechselwirkung sichtbar und bringt sie satirisch auf den Punkt. Das private Spiel um eheliche Treue und Flatterhaftigkeit spiegelt auch politisch-gesellschaftliche Modelle.

Die längst zum Klischee verkommenen allegorischen Figuren des Wiener Volkstheaters werden von Nestroy zu neuem Leben erweckt. Sie verkörpern als Feen und Zauberer unverkennbar die (adelige) Herrschschaftsschicht, die Moral nur mehr dazu missbraucht, um ihre Untertanen in Schach halten, und kommen ganz schön ins Schwitzen, als der (großbürgerliche) Aufsteiger Schmafu die Macht ergreift, um mit Hilfe des (proletarischen) Arbeitslosen Confusius eine „freizügige, moderne Gesellschaft“ nach seinen triebhaften Vorstellungen zu verwirklichen.

Nestroy zeigt das depremierende Leben in einer von sexueller Unterdrückung und Doppelmoral geprägten dumm-dekadenten Willkürherrschaft. Er zeigt aber auch die möglichen fatalen Konsequenzen einer „revolutionären“ Umkehrung, wenn – als Reaktion auf die Lustunterdrückung – hektisch alles auf den Kopf gestellt wird, und jeder machen kann, was er will.

Damit verweist er in seine und unsere Gegenwart; in die anbrechende, zunehmend selbstbewusster, aber auch materialistischer und profaner werdende Zeit des Vormärz; und in unsere heutige Spaß- und Ellbogengesellschaft, die in ihrer Schein-Freiheit aller Werte verlustig zu gehen droht.

Viel Vergnügen wünscht Ihnen
Peter Gruber