Nestroy-Spiele 1997

Mein Freund

25. Nestroy-Spiele Schwechat 1997 im Schlosshof der Rothmühle in Schwechat-Rannersdorf, 2320 Schwechat, Rothmühlstraße 5, Premiere 2. Juli 1997
Leopold Selinger

„Mein Freund“ ist ein eher diffiziles, fast episches Spätwerk, das in seiner Charakteristik zu den dunklen, schwermütigen Stücken Nestroys zählt und wohl auch deshalb äußerst selten gespielt wird. Uraufgeführt wurde es am 4. April 1851, also rund zweieinhalb Jahre nach Niederschlagung der Revolution. Mit 36 Vorstellungen (davon 33 mit Nestroy und drei mit Treumann in der Rolle des Schlicht) kann man es zu den mittleren Erfolgen des Dichters rechnen.

Besetzung

  • Spaltner, Besitzer einer Druckerei Peter Koliander
  • Fanny, seine Tochter Sigrid Stammer
  • Julius Fint, erster Faktor Markus Zarl
  • Schlicht, zweiter Faktor Leopold Selinger
  • Hochinger, ein Maurer Poldi Selinger
  • Theres, seine Frau Traude Selinger
  • Marie, beider Tochter Angela Koliander
  • Hummer, Besitzer einer Leihbibliothek Konrad Kostmann
  • Schippl, dessen Ladendiener Bruno Reichert
  • Jakob, Lebensgefährte von Hummer Sascha Nikodym
  • Stein, Juwelier Willibald Mürwald
  • Amalie, seine zweite Frau Christine Zimmermann
  • Klementine, Steins Tochter aus erster Ehe Sabine Stacher
  • Mme. Sauvegarde, Klementines Begleiterin Bella Rössler
  • Anton, Bedienter in Steins Hause Andreas Herbsthofer
  • Lisette, Stubenmädchen in Steins Hause Eveline Bolaffio
  • Kogl, ein Kalkbauer Horst Salzer
  • Eva, sein Weib Sylvia Daniel
  • Toni, beider Tochter Bella Rössler
  • Ein Kommissar Robert Herret
  • Ein Bedienter Wolfgang Spinka
  • Eine Köchin Sylvia Janousek
  • Stuzl, ein kleiner Junge Thomas Spinka
  • Stuzls großer Bruder Lukas Spinka
  • Eine geheime Dame Esther Potesil
  • Geheimpolizisten, Arbeiter in der Druckerei, Damen und Herren, Waldgeister Eveline Bolaffio, Margherita Bolaffio, Veronika Hegler, Sylvia Janousek, Gabi Kozich, Esther Potesil, Maria Schrittwieser, Sissy Stacher, Sigrid Stammer, Eduard Gnadlinger, Andreas Herbsthofer, Peter Koliander, Lukas Spinka, Thomas Spinka, Wolfgang Spinka
  • Regie Peter Gruber
  • Ausstattung Andrea Bernd
  • Musik Kurt Adametz
  • Licht Robby Vamos
  • Regieassistenz Christine Bauer
  • Körpertraining Sigrid Reisenberger
  • Bühnenrealisierung Peter Koliander
  • Maske Susanne Neidhart
  • Schneiderei Gabrijela Spehar
  • Blumendekoration Blumenhaus Spinka
Ensemble

Pressestimmen

Nach der vorjährigen sensationellen Rehabilitierung von „Adelheid, die verfolgte Wittib“, eines als unspielbar geltenden bunten Frühwerks, überraschten die Nestroy-Spiele Schwechat heuer mit der Aufführung von „Mein Freund“, einem Stück, das den Beginn der letzten Schaffens-Phase, der Reifezeit des Autors, markiert und das wegen seines anspruchsvollen Textes auf den Spielplänen österreichischer Bühnen schon jahrzehntelang nicht zu finden war. Schon bei der Premiere zog der schwarze, philosophisch angehauchte Krimi das Publikum in seinen Bann und veranlaßte die Kritiker zu außergewöhnlichen Lobeshymnen.

Die Presse, 4. Juli 1997: Nestroys Witz blüht aus trüber Quelle

Peter Gruber schlägt in Schwechat helle, komödiantische Funken aus Nestroys später, gallbitter – düsterer Posse „Mein Freund“.

In Schwechat hat Nestroy seine wahre Heimat gefunden; seit 23 Jahren werden hier bei einem Symposion neue Forschungsergebnisse präsentiert. Die größten Verdienste aber hat sich der Wiener Regisseur Peter Gruber mit seinen teils von Laien getragenen Theateraufführungen erworben.

Bei der Posse „Mein Freund“ haben all jene zu verstummen, die meinen, den Nestroyanern in der Rothmühle fehle frischer Stoff.

Aus „Mein Freund“, diesem vielfach episodisch verflochtenen Kriminal-Kabarett um einen Idealisten und einen Glücksritter, machte Gruber ein tiefen-scharfes Zeitpanorama: Menschen unterschiedlichster Stände, postrevolutionär depressiv, weil sich nichts geändert hat, treten, jeder für sich präzis profiliert, hervor.

Da sind die ungleichen Freunde, der schneidig-elegante Fint (Markus Zarl) und der mit seinem Anstand ewig vom Regen in die Traufe geratende Schlicht (Leopold Selinger), der schlawinerische alte Diener Schippl (Bruno Reichert), der aus reichlichem Biergenuß Lebensfreude ziehende Maurer Hochinger (Poldi Selinger), die drei Prinzipale: der kreuzbrave Druckereibesitzer Spaltner (Peter Koliander), der wendigschleimige Leihbibliotheksbesitzer Hummer (Konrad Kostmann), der großspurige Juwelier Stein (Willibald Mürwald).

Die Frauen machen das beste aus der Zelebrierung ihrer Abhängigkeiten: still, melancholisch, die von ihrer kurzen Ehe mit dem Juwelier gezeichnete Amalie (Christine Zimmermann), die flattrige Nymphe Fanny (Sigrid Stammer), die enttäuschte, hysterisierte Braut Marie (Angela Koliander).

Alle diese quicklebendigen Figuren erzählen Geschichten, die weit über das Theater in die Welt hinaus reichen, Geschichten von der Verteidigung mittelständischer Sicherheiten gegen emotionales Chaos und ökonomische Veränderungen. Grau ist das Ambiente dieser Inszenierung. Das Publikum, von Gelsengeschwadern, Flugzeuglärm irritiert, vermißte hörbar Farbigkeit, die gewohnten ländlich-lustigen Turbulenzen, den Klamauk bei dieser feinsten Witz aus trüber Quelle schöpfenden, eher strengen Aufführung. Dennoch: So rundum gelungenen Nestroy gab es wohl seit Jahren nicht mehr. (pet)

Wiener Zeitung, 4. Juli 1997: Etwas Ernstes zum Jubiläum

Seit 25 Jahren werden im Schloßhof der Rothmühle in Schwechat selten gespielte Stücke von Johann Nestroy gespielt. Mittlerweile hat sich die engagierte Truppe von größtenteils Laienschauspielern um Regisseur Peter Gruber zur allerersten Nestroy-Adresse entwickelt. Fürs Jubiläum hat sich Peter Gruber einen eher schweren Brocken ausgesucht. „Mein Freund“ zählt zu den Spätwerken Nestroys und erzählt schwermütig und bitter die Geschichte zweier junger Männer, Schlicht und Fint, die unterschiedlicher nicht sein können. Beide wollen der Hoffnungslosigkeit ihres Lebens entfliehen. Zögerlich und introvertiert der eine, skrupellos und karrieregeil der andere. Der politische Hintergrund: Das Scheitern der Revolution, Armut, Arbeitslosigkeit, wirtschaftliche und politische Depression.

Nestroys „Mein Freund“ ist geprägt von Resignation und Perspektivelosigkeit der handelnden Figuren. Es gibt kein echtes Liebespaar, keine wahren Gefühle, nur Zweckdenken und Eigennutz. Am Ende steht ein liebloses und eigentlich verlogenes Happy-End. Im Gegensatz zu früheren Inszenierungen hat Peter Gruber diesmal auf jede Art von Klamauk oder satirischer Überzeichnung verzichtet. Er läßt in dunkler Grundstimmung das Schicksal des ewigen Verlierers Schlicht wie einen Schwarzweißfilm ablaufen. Die Charaktere sind wie immer scharf gezeichnet, die Darsteller ausgezeichnet geführt.

Leopold Selinger bewältigt die Monsterrolle der Nestroy-Partie Schlicht mit Bravour. Als sein Freund und Gegenspieler Fint gibt Markus Zarl einen glatten und lebenshungrigen Emporkömmling. Bruno Reichert empfiehlt sich wieder einmal als Erzkomödiant und verleiht dem schmierigen, stets auf seinen eigenen Vorteil bedachten Ladendiener Schippl beängstigende wienerische Züge. „Mein Freund“ ist vielleicht nicht das Stück, das sich viele für das 25jährige Jubiläum der Nestroy-Spiele erwartet hätten, aber es zeigt anderseits die Qualitäten des Ensembles, das den galligen Humor dieses Stückes brillant über die Rampe bringt und es regt, zu Zeiten wie diesen passend, zum Nachdenken an. Für das großartige Ensemble und Peter Gruber zum 25-jährigen Jubiläum ein extra großer Applaus. (Brigitte Suchan)

Die Furche, 10. Juli 1997: Ein anderer Nestroy

Die Nestroy-Spiele in Schwechat, in den ersten Jahren ihres Bestehens von der Kritik nie ganz ernst genommen („Die Aufführungen sind gut, aber es ist Laientheater“), feiern heuer ihr 25-Jahr-Jubiläum. Nestroykenner wußten schon lange, daß die Theaterstücke unter der Regie von Peter Gruber im Schloß Rothmühle in Rannersdorf zu den sommerlichen Festspiel-Höhepunkten zählen.

Es ist kein Zufall, daß für heuer das selten gespielte Stück „Mein Freund“, ein Spätwerk Nestroys, das 1851 entstand, zweieinhalb Jahre nach der Niederschlagung der Revolution, ausgewählt wurde. „Mein Freund“ ist ein diffiziles Stück mit epischen, aber auch kriminalistischen Elementen. Nestroy hat resigniert, er besinnt sich innerer Werte und stellt Milieustudien über Arme und Reiche an. So räsoniert der Druckereiangestellte Schlicht über die Liebe und philosophiert über das Leben im allgemeinen. Er hadert ständig mit sich und der Welt, weil ihm sein intriganter Freund Fint die Liebe zu Amalie vereitelt hat.

Leopold Selinger ist als Schlicht ideal besetzt, verbittert spielt er alle Tonarten eines Verzweifelten. Bruno Reichert als Ladendiener Schippl laviert sich geschickt durch den Arbeitsalltag und wird vom Leihbibliotheksbesitzer Konrad Kostmann scharf verwarnt: „Wenn’s noch weiter räsonieren, kriegen’s an Werkvertrag.“

Die Inszenierung von Peter Gruber fasziniert. Der Zuschauer wird in ganz verschiedene Milieus eingebunden: in den Druckereialltag, in das Bürgertum, das Zuflucht in der Literatur sucht, in eine aristokratische Gesellschaft, in eine Kalkbrennerei.

Gekonnt ist das Wechselspiel der herrischen und geduckten Persönlichkeiten. Wer einmal einen anderen Nestroy erleben möchte, sollte sich diese Aufführung unbedingt ansehen. (Claudia Rismondo)

Kurier, 4. Juli 1997: Nestroy völlig neu entdeckt

Die Komik weicht der Spannung, Couplets werden durch bedrohliche Klänge karikiert; und auf der Bühne dominiert das Drama. Auch im 25. Bestandsjahr sind die Nestroy-Spiele in Schwechat stets für Überraschungen gut. Im Schloßhof Rothmühle korrigiert Regisseur Peter Gruber mit „Mein Freund“ alle gängigen Klischees.

Als zynische Reflexion über die gescheiterte Revolution von 1848 hat Johann Nestroy seine Posse mit Gesang angelegt. Ein episch – düsteres Kriminaldrama dient dabei als Hintergrund für die präzise Analyse eines totalitären Systems, das die breite Masse in Verzweiflung und Armut stürzt. Sehr ernst, sehr eindringlich schildert Gruber in der praktikablen Ausstattung Andrea Bernds den mit allen Mitteln geführten Kampf zweier Freunde um Liebe, Geld und Ansehen. Träumerisch und verloren sucht der biedere Schlicht seine Erfüllung in der Rolle des Leidenden; anmaßend und skrupellos ringt der intrigante Fint dem Leben ein Quentchen Glück ab. Zum Scheitern verurteilt sind am Ende aber beide. Fints Weg führt direkt ins Gefängnis, während auf Schlicht die Hölle des Kleinbürgertums wartet. Ein zutiefst pessimistisches Stück, das durch Grubers Inszenierung noch an Schärfe gewinnt.

In höchster Spielfreude präsentiert sich das Ensemble. Ambivalent und vielschichtig gibt Leopold Selinger den Schlicht als Biedermann in dem die Abgründe des Bösen bloß schlummern. Markus Zarl gestaltet den Fint als gierigen Dandy, dem Angela Koliander als Marie und das höhere Töchterchen Sabine Stachers nicht gewachsen sind. Für die nötige Komik sorgt Bruno Reichert als arbeitsscheuer Denunziant Schippl; Nestroys Tonfall treffen alle Darsteller. Eine positive Entdeckung. (P. J.)

Neue Kronenzeitung, 4. Juli 1997: Herrn Schlichts Charme

Die Nestroy-Spiele Schwechat feiern Geburtstag: Zum 25. Mal erweckt heuer Peter Gruber mit seinen Laienschauspielern Nestroy im Schloß Rothmühle zum Leben. Nach den „Klassikern“ in den Siebziger Jahren nimmt er sich nun des wenig bekannt Stücks „Mein Freund“ an, einer schwierigen, in der Handlung weitläufigen Posse.

Politisch harmlos, gehört „Mein Freund“ nicht zu den Hits. Aber Gruber macht die Geschichte vom weichherzigen Buchhalter Schlicht, der von den Freunden und Verwandten ausgenützt und betrogen wird, aufführenswert.

Gruber inszeniert – im einfachen Bühnenbild Andrea Bernds – korrekt, mit Witz. Der Mangel an Tempo im ersten Teil wird danach durch Schwung wettgemacht: Die Helden der Vorstellung sind der brave Schlicht (Leopold Selinger), der vor lauter trübseligem Selbstmitleid erst im Finale zum Zug kommt und sein Glück macht, und sein Gegenspieler Fint (Markus Zarl), ein verlogener Karrierist. Rundum köstlich skurrile Typen (Bruno Reichert, Poldi Selinger, Angela Koliander, Konrad Kostmann u.a.). (O. L.)

Täglich Alles, 4. Juli 1997: Ehrlich währt am längsten

Ein Jubiläum in Schwechat: Bereits zum 25. Mal gehen die Nestroy-Spiele im Schloßhof Rothmühle (Rannersdorf) über die Bühne.

Heuer hat sich Regisseur Peter Gruber eines nestroyschen Krimis angenommen. „Mein Freund“ schildert die Geschichte zweier Männer, die unterschiedlicher nicht sein können: Schlicht, ein naiver Träumer, und Fint, ein Emporkömmling, der bereit ist, andere schamlos auszunutzen, solange es zu seinem Vorteil ist, und der auch vor Verbrechen nicht zurückschreckt. Und so spielt sich das Ensemble durch die mit kleinen (aktuellen) Gags angereicherte Inszenierung (Ausstattung: Andrea Bernd, Musik: Kurt Adametz): Allen voran großartig (und mit ausgezeichneter Wortdeutlichkeit) agiert Leopold Selinger als Schlicht, Markus Zarl mimt einen glaubhaft bösartigen Fint. Solide Unterhaltung. (Anja Schmidt)