Nestroy-Spiele 1994

Theaterg’schichten

22. Nestroy-Spiele Schwechat 1994 im Schlosshof der Rothmühle
in Schwechat-Rannersdorf, 2320 Schwechat, Rothmühlstraße 5,
Premiere 6. Juli 1994
Susanne Urban

Auch heuer gibts wieder was zu feiern:
   ‣ den 100.000sten Besucher der Nestroy-Spiele Schwechat und
   ‣ das 20-jährige Bestehen der Internationalen Nestroy-Gespräche!

Zwei stolze Jubiläen, die eindrucksvoll dokumentieren, dass die Initiative des leider so früh verstorbenen Prof. Walter Mock, hier in der „Vorstadt“ von Wien ein „Zentrum regelmäßiger Nestroy-Pflege“ zu schaffen, voll aufgegangen ist.

1972 praktisch aus dem Nichts entstanden, sind die Nestroy-Spiele heute nicht nur künstlerisch anerkannt, sondern haben sich – ohne jedwede Abonnement-Organisationen, ohne Touristen-Keilerei und ohne die Zugkraft prominenter Namen – im Laufe der 22 Jahre ein breites, aber auch fachkundiges Stammpublikum erworben, das stetig weiterwächst.

Die Schwechater Aufführungen gelten im Rahmen des Niederösterreichischen Theatersommers als die Alternative zu austauschbarer, seichter Sommerkost und den gängigen Darbietungen etlicher Hochkultur-Dependancen.

Mit den 1854 geschriebenen „Theaterg’schichten durch Liebe, Intrige, Geld und Dummheit“ zeigen wir heuer als Persiflage und Selbstpersiflage ein oft unterschätztes Spätwerk Johann Nestroys, das wir in einer für uns neuen, Stück und Spielort adäquaten Form zu realisieren versuchen.

Dabei hoffen wir auch diesmal auf Ihr wohlwollendes Interesse. Denn ein Erfolg der Nestroy-Spiele ist nicht nur Lohn für monatelange intensive Arbeit eines engagierten und kostenlos agierenden Ensembles, sondern auch der ökonomische Garant für die alljährlich stattfindenden Internationalen Nestroy-Gespräche auf Schloss Rothmühle, die dieses Mal dem Thema „Nestroy und die Geschichte“ gewidmet sind.

Als einziger regelmäßiger Treffpunkt der führenden Nestroy-Forscher und -Wissenschafter aus alle Welt gehen sie heuer in ihr 20. Jahr.

Die von ihnen ausgehenden Impulse haben die Kenntnis und Deutung von Nestroys Leben und Werk vertieft, erweitert und vorangetrieben.

In ständiger Wechselwirkung, thematisch stets miteinander korrespondierend, waren und sind die Nestroy-Gespräche und Nestroy-Spiele, Theaterwissenschaft und Theaterpraxis, einander stets Anregung und Ergänzung.

Sie haben wesentlich dazu beigetragen, dass Johann Nestroy auch jenseits der Grenzen Österreichs jene Aufmerksamkeit zukommt, die er als einer der bedeutendsten Theaterdichter des deutschen Sprachraumes verdient.

Leopold Selinger

Besetzung

  • Stössl, Apotheker und Stadtrat Willibald Mürwald
  • Philippine, seine Tochter Sabine Stacher
  • Konrad, sein Sohn Franz Steiner
  • Damisch, sein Mündel Leo Selinger
  • Felber, ein Kunde Peter Koliander
  • Schofel, Theaterdirektor Bruno Reichert
  • Rousaura, Protagonistin Susi Urban
  • K. M. Spornhofer, Schauspieler Markus Zarl
  • Maxner, Bühnenmeister Leopold Selinger
  • Katharina, seine Frau Traude Selinger
  • Lisi, deren Tochter Isabella Rössler
  • Mali, deren Tochter Christine Zimmermann
  • Krammer, Inspizient Gunnar Seelke
  • Fink, Garderober Peter Koliander
  • Spindl, Souffleuse Sylvia Janousek
  • Bühnengastarbeiter Jakob Enajat, Heinz Streng
  • Schauspieler, Patienten Brigitte Stöhr, Veronika Hegler, Angela Koliander, Sabine Gerger, Esther Potesil, Sissi Stacher, Sylvia Daniel, Kerstin Kratzwald, Alexandra Kratzwald, Oberbaurat Robert Herret
  • Bauräte Robert Russel, Helmut Pauli
  • Inslbull, ein reicher Brite Markus Zarl
  • Wachter Konrad Kostmann
  • Zuschauer Sascha Nikodym, Traude Selinger, Heidi Gauster, Monika Fink
  • Claus, Garderobier der Burg Konrad Kostmann
  • Doktor Robert Herret
  • Polizist Sascha Nikodym
  • Wärter Heinz Streng, Gunnar Seelke
  • Ärzte Jakob Enajat, Traude Selinger, Konrad Kratzwald
  • Regie Peter Gruber

Pressestimmen

Der Standard, 7. Juli 1994: Launiger Theaterkrieg mit Grillhendl-Duft

Die 22. Nestroy-Spiele schwebten dieses Jahr in Gefahr. „Theaterkrieg in Schwechat“ schlugen die Nestroy News anfangs Mai Alarm: „Vereinigte Bühnen gefährden die Nestroy-Spiele“. Ähnlich dem Musical-Streit zwischen dem Ronacher und den Vereinigten Bühnen wollten ausgerechnet im Juli, dem traditionellen Spielmonat der Nestroy-Spiele, Jürgen Schofels Vereinigte Sommerbühnen mit ihrer Kurzfassung von Grillparzers „Sappho“ in der Rothmühle gastieren.

Um mit einem Nestroy-Refrain fortzufahren: „’s ist alles net wahr, ’s ist alles net wahr“. Regisseur Peter Gruber und das Amateurensemble St. Jakob haben sich – angeregt durch Nestroys Alterswerk „Theaterg’schichten“ – einen Spaß erlaubt (es sind auch Journalisten drauf reingefallen). Und sie haben die Gelegenheit genützt, den Theater- samt Kulturbetrieb kräftig durch den Kakao zu ziehen.

Jürgen Schofel ist natürlich eine Figur im Stück, ein schmieriger Impresario, der ein Gastspiel seiner „Sappho“ gibt, was wiederum der dortige Kulturstadtrat Sebastian Stössl zu verhindern trachtet.

Nestroys Posse könnte man zurecht vergessen, wenn nicht Peter Grubers launige Bearbeitung eine glänzende Schmierenkomödie daraus gemacht hätte, ein in seinen besten Momenten funkelndes, irrwitziges Spektakel – wenn etwa die „Sappho“-Aufführung durch ein Gewitter von der Bühne gespült wird.

Über der nicht enden wollenden Fülle seiner Einfälle hat Peter Gruber ganz übersehen, daß das Volksfest, das die Nestroy-Spiele immer auch sind, drei Stunden dauerte. Was die vielen Minuten besonders bewußt werden ließ, war der durch die Luft ziehende Duft von 500 Grillhendln, die im Hintergrund unter den Bäumen des idyllischen Schloßhofes, ihrer Bestimmung harrten.

Später dann, nach der allgemeinen Volksabspeisung, mit der die Premiere traditionellerweise endet, herrschte versöhnliche Stimmung. Dennoch – ein Gedanke läßt sich nicht verdrängen: Zwei Stunden reine Spielzeit sind genug. Lothar Lohs

Niederösterreichische Rundschau, 7. Juli 1994: Theatergschichten

Einen herrlichen Theaterabend, bei dem es ganz nach Nestroyscher Art zwischen den Zeilen zu hören galt, bescherte das Amateurensemble der Nestroyspiele einem begeisterten Publikum im Hof des Schlosses Rothmühle.

In Nestroys „Theaterg’schichten“ geht es unter anderem um das gestörte Verhältnis zwischen dem normalen Bürgertum und der „verrückten“ Theaterwelt, personifiziert im Konflikt zwischen dem Politiker Stössl und dem Theaterunternehmer Schofel. Die brillanten Amateurdarsteller gingen dabei recht großzügig mit der Vorlage des großen Possenschreibers um und nahmen nicht nur sich selbst auf die Schaufel, sondern persiflierten alle möglichen politischen und gesellschaftlichen Vorgänge im Bezirk Schwechat.

Durchaus der Realität entsprechend hatte ein Akteur auch ein warnendes „Pss’t, wenn das die Rundschau hört“ auf den Lippen, als es im Stück um Korruption ging. Je länger die Aufführung dauert um so mehr nimmt man auf die aktuellen Begebenheiten Bezug, ehe man am Schluß zum Resümee kommt, daß unsere gesamte Gesellschaft in irgendeiner Form ein Irrenhaus ist.

Badener Rundschau, 7. Juli 1994: Die Jakobiner spielen scharfen Nestroy

Das Schloß Rothmühle ist nicht nur seit zwanzig Jahren Schauplatz der internationalen Nestroy-Gespräche, sondern gleichzeitig auch „heimliches“ Zentrum der Nestroypflege in Österreich. Es wird auch von vielen Badnern aufgesucht.

Das Besondere an den bereits legendären Nestroyspielen ist die Tatsache, daß seit 22 Jahren das Amateur-Theater-Ensemble „St. Jakob“ unter der Leitung des Wiener Regisseurs Peter Gruber Nestroy so spielt, wie es die meisten Berufstheater nicht besser auf die Bühne stellen könnten.

Heuer hat man die Posse mit Gesang „Theaterg’schichten“ erarbeitet. Nestroy verfaßte über sechzig Stücke, das nun gespielte Werk ist eines der unbekannteren unter ihnen und wurde vom Ensemble für seine Pawlatschenbühne „ausgegraben“.

In der öfters benützten Form vom „Theater auf dem Theater“ wird der konventionelle Theaterbetrieb – von gestern und heute – auf köstliche und manchmal spektakuläre Weise kritisch beleuchtet.

Das Echo der Zuschauer nach Schluß: „Man müßte das Stück öfters besuchen, um all die satirischen Spitzen, aktuellen Anspielungen und witzigen, auf das Theater bezogenen deftigen Äußerungen, kurz: all die Lachraketen im Gedächtnis zu behalten, die hier in unübersehbarer Menge aufsteigen.“

Die Presse, 7. Juli 1994: Viel zuviel Klamauk

Die Nestroyspiele Schwechat zeigen heuer die späte Posse „Theaterg’schichten“. Regisseur Peter Gruber belud das Werk mit zuviel Klamauk.

Seit 22 Jahren widmen sich die Nestroyspiele in der Schwechater Rothmühle ihrem Namenspatron mit Symposien und Aufführungen. Daß dabei auch weniger starke Stücke vorkommen, ist weder dem Dichter noch den Veranstaltern vorzuwerfen. Sehr wohl aber der allmählich ermüdend einheitliche Stil.

Nichts gegen Kabarett-, Musical-, Operetten-Einlagen zu selbstgestrickten Texten. Auf das Wie kommt es an. Und das wird allmählich allzu ähnlich. Die „Opfer“ der Sottisen sind immer dieselben: die lokale und überregionale Politik, Burgchef Peymann. Das gilt auch für die Auswahl der Musik.

Heuer wurde Nestroys späte Posse „Theaterg’schichten“. Und das wird allmählich allzu ähnlich. Die „Opfer“ der Sottisen sind immer dieselben: die lokale und überregionale Politik, Burgchef Peymann. Das gilt auch für die Auswahl der Musik.

Heuer wurde Nestroys späte Posse „Theaterg’schichten“ ausgewählt. Sie handelt – so wie „Umsonst“ – vom Sommertheater, von den Schmerzen des Schauspielerlebens, damit von Nestroys eigenem Metier. Wobei sich Mimenstreit und Liebeshändel um eine Parodie auf Grillparzers „Sappho“ gruppieren. Die Spielertruppe, am Vortag – wie zu erfahren war – bei der Generalprobe eingeregnet, wirft sich mit großem persönlichen Einsatz ins Geschehen, läßt sich von Gelsenschwärmen nicht irritieren und liefert eine weitgehend perfekte Belustigung.

Der Stadtrat und Apotheker Stössl (Willibald Mürwald), sein ans Theater verlorener und wieder heimgekehrter Sohn Konrad (Franz Steiner), sein dem Theater ganz verfallenes Mündel Damisch (Leo Selinger), die affektierte „Star-Mimin“ Rosaura (Susi Urban), Markus Zarl als parfümierter Bühnen-Lokalmatador K. M. Spornhofer sowie als reicher Adorant der Rosaura, Inslbull, und alle anderen kuriosen Typen – es wäre eine Lust, ihnen einfach zuzuschauen.

Doch da ist Peter Gruber, dem die Einfälle überquollen, der Schlechtes nicht von Gutem scheiden mochte und daher die Akteure von einem Gag zum anderen hetzt. Warum verläßt sich der Mann nicht auf seine Spieler? Daß er gerade für deren Führung eine sichere Hand hat, für Aufbauarbeiten und die richtigen Nuancen, ist doch zu sehen! Ein netter, vor allem im zweiten Teil aber zu strapaziöser Abend. (pet)

Wiener Zeitung, 7. Juli 1994: Talente in überlangen Abend

Man amüsiert sich, und man ist gelangweilt, man bewundert mutige gesellschaftskritische Zusatzstrophen, und man ist über Geschmacklosigkeiten schockiert. Alles in allem macht die Aufführung von Johann Nestroys „Theaterg’schichten“ bei den Schwechater Sommerspielen im Schloß Rothmühle eine zwiespältigen Eindruck.

Das Positive zuerst: Das Stück wurde teilweise von Regisseur Peter Gruber sehr geschickt aktualisiert. Es gibt eine Menge köstliche Einfälle (etwa die Regensequenz während der Sappho-Aufführung ist ein Spaß für sich). Das Drumherum wurde liebevoll eingerichtet, die Zuschauer werden ins Geschehen miteinbezogen. Die Darsteller sind ungeheuer diszipliniert und mit großem Einsatz bei der Sache, außerdem gibt es auch einige echte Talente darunter wie etwa Sabine Stacher, Isabella Rössler, Christine Zimmermann, Franz Steiner und Leo Selinger. Die Ausstattung (Andrea Bernd) wurde mit viel Sorgfalt und Einfallsreichtum erstellt. Die musikalische Einrichtung (Herbert Ortmayr) ist größtenteils witzig und sehr gekonnt.

Nun das Negative: Gruber uferte bei seiner Inszenierung zu sehr aus, wollte immer noch etwas und noch etwas dazutun und überzog stellenweise die Grenzen des Erträglichen. Das Quodlibet ist viel zu lang und überfordert die Laiendarsteller restlos. Die Vorstellung dauert über drei Stunden, was nicht nur jene, die ohne Auto gekommen sind für anfallende Taxispesen tief in die Tasche greifen läßt, sondern auch nur durch große Schauspielerleistung (die es hier ja naturgemäß nicht geben kann) zu rechtfertigen wäre.

Am besten wäre wohl, man ginge in der Pause. Bis dahin ist es sehr hübsch und unterhaltsam, und man käme irgendwo sogar noch ein öffentliches Verkehrsmittel. (Lona Chernel)

Die Furche, 7. Juli 1994: Die Bretter, die ein Irrenhaus bedeuten

Irgendwann in der ersten Stunde von Johann Nestroys „Theaterg’schichten“ nimmt jemand zu einem Tanzschritt eine Rose quer in den Mund. Die Erinnerung an den Millionär in Billy Wilders „Some like it hot“ weht durchs Hirn. Zwei Stunden später folgt der Satz „Nobody is perfect“: Beispiel für Peter Grubers Arbeitsweise, wenn er einen jener Nestroys inszeniert, bei denen man umschreiben und dazuerfinden darf.

Die „Theaterg’schichten“ sind ein solches Stück. Gruber und sein mit Profis aufgefettetes Laienensemble werfen sich mit Verve der Versuchung in die Arme, satirisch über Niederösterreichs Theatersommer herzuziehen. Sie übernehmen Stellen aus anderen, halbvergessenen Nestroy-Werken, ziehen heutige und gestrige Zuständ’ durch den Kakao – ein Glanzpunkt von Peter Grubers Bearbeitung ist die Überprüfung der Freiluftbühne durch die Behörde. Ist die bürokratische Sturheit, die da aufs Korn genommen wird, wirklich vormärzlich?

Vormärzlich oder nicht, oft könnte man die Welt für ein Irrenhaus halten, und in einem verdächtig modernen vormärzlichen Irrenhaus endet die ebenso intelligente wie turbulente Produktion der Schwechater Nestroyspiele. (Helmutt Butterweck)