Nestroy-Spiele 1983

Die verhängnisvolle Faschingsnacht

11. Nestroy-Spiele Schwechat 1983 im Schlosshof der Rothmühle in Schwechat-Rannersdorf, 2320 Schwechat, Rothmühlstraße 5, im Juli 1983

Besetzung

  • Tatelhuber, ein Pachter vom Lande Willibald Mürwald
  • Philipp, sein Sohn Franz Steiner
  • Helene, dessen Frau Erika Stepan
  • Sepherl, Magd Susanne Urban
  • Rosine, Kammerjungfer Elisabeth Müller
  • Heinrich Leopold Selinger
  • Herr von Geck Georg Wertnik
  • Gottlieb Taubenherz, Bruder von Helenens verstorbenen Manne Karl Krumpholz
  • Frau von Schimmerglanz Marietta Michielsen
  • Ein Bedienter Ernst Schüller
  • Lorenz, Holzhacker Robert Herret
  • Jakob, Holzhacker Andreas Bauer
  • Katherl, Jakobs Weib Gertrude Pfertner
  • Nani, eine Wäscherin Renate Abt
  • Schneck, Nachtwächter Kurt Muhr
  • Luchs, Nachtwächter Christoph Stepan
  • Frau Everl, Kräutlerin Traude Selinger
  • Frau Regerl, Kräutlerin Victoria Posch
  • Marktleute Jutta Aicher, Leopold Selinger
  • Dienstboten Karin Achernigg, Elisabeth Hertelendy, Sylvia Daniel
  • Ein Prophet Eduard Maciejovsky
  • Volk, Wächter Karl Götterer, Michael Hinterberger, Josef Ofner,
    Hans Christian Polak, Franz Poppinger, Hubert Rössler,
    Harald Steinberger, Alexander Toth, Bernhard Fleck
  • Regie Peter Gruber
  • Bühne Ensemble
  • Musik Herbert Ortmayr, Nikolaus König
Traude Selinger, Franz Steiner, Robert Herret, Willibald Mürwald

Pressestimmen

Die Presse, 4. Juli 1983: Herrin und Magd marschieren

Zum elften Male laden in Schwechat zur Sommerzeit Laiendarsteller in den Hof von Schloß Rothmühle zu Nestroy. Heuer zeigen sie in der „Verhängnisvollen Faschingsnacht“ mehr als bloß Können und Animo: Sie machen bei einer Denunziation Nestroys als frauenfeindlichem „Macho“ mit. Die ließ sich der Regisseur Peter Gruber einfallen.

Gruber nimmt gewiß Teil an der Diskussion über Nestroy. Wie gewaltsam-versöhnlich Nestroy-Possen enden, wie zwangsläufig Männer die Mädchen bekommen, die sie wollen, fiel schon vielen Nestroy-Lesern auf. Manch ein Regisseur brach die Süße schon mit kalten Schauern, doch für feine Ironie ist ein Freiluftlaienspiel wohl nicht geeignet. Gruber aber schlägt mit dem harten feministischen Hammer zu, und wie immer, wenn Männer die Partei der Frau ergreifen, nicht ohne einen Krampf. Überhaupt scheint das Spiel in Schwechat intellektualistische Töne zu lieben – im Schloß finden auch jährlich Nestroy-Gespräche statt, bei denen auf hohem Niveau Denker und Editoren an und für Nestroy werken.

In der „Verhängnisvollen Faschingsnacht“ wird einem armen Dienstmädchen das „Glück“ eher gemacht als geschenkt. Ihr Verehrer, der Holzhacker Lukas, darf es nach langen Irr- und Intrigenfahrten in die Arme schließen. Es muß nicht heiraten, es wird geheiratet. Doch an diesem Zwang eine feministische Polemik anzuhängen, scheint mir fehlgedacht. Denn das Aufregende dieser Parodie auf ein zeitgenössisches Sittenstück von Holtai ist Nestroys klammheimliche Trauer über die Unfähigkeit derer „unten“, miteinander zu harmonieren – während die „oben“ die größten Ungeheuerlichkeiten mit Manieren und Geld zudecken können. Daß es eine Standes-„Versöhnung“ gibt, ist mit dieser Trauer unvereinbar. Gruber aber setzt sie durch, indem er zwei Frauen, Herrin und Magd, sich miteinander solidarisieren läßt – weg von den schlagkräftigen Männern, wir Frauen marschieren gemeinsam der Freiheit entgegen!

Der Volkston ist uns mit Comedie italienne vergällt: wallende Carnevalsmäntel in Schwarz, weiße Masken neben dem Trachtenanzug eines niederösterreichischen Ökonomierates. Das Stilgefüge leidet, wo die Kleider, die die Leute machen, zu stark kontrastieren.

Den Schwechatern gelang dennoch in diesem Jahr ein Aufschwung in ihrer Nestroy-Pflege. Endlich sieht man Hauptrollenspieler, wie sie Nestroys Theaterpraxis und dramatisches Schaffen so nötig haben. Robert Herret ist so einer. Sein Holzhacker Lorenz agiert so menschlich uneindeutig, damit so facettenreich, wie Nestroy ihn sich gewünscht haben mag: kein Kraftlackel, sondern eine Mischidentität zwischen „Gehherda“ und Kleinstunternehmer, mit dem Spruch der Herrschaft und dem Überlebensinteresse des Kleinen Mannes. Willibald Mürwald (Tatelhuber) ist ein köstlicher Landmensch, Erika Stephan quält gekonnt die Nerven als überreife Bürgersfrau, die sich einen Bauernsohn (Franz Steiner) als Simandl hält. Susanne Urban gibt eine brave, liebesbereite Magd, die am schlechten Anfang und guten Ende der Geschichte gleichviel leidet. (hai)

Wiener Zeitung, 5. Juli 1983: Unterhaltung mit Nestroy

In bzw. bei Schwechat, im Schloßhof Rothmühle, wo Nestroy-Aufführungen nun schon Tradition haben, steht heuer (…) die Posse „Die verhängnisvolle Faschingsnacht“ auf dem Programm, ein Stück, in dem der wienerische Aristophanes Gesellschaftskritik auf breitester Front geübt hat: nicht nur an den Besitzenden, sondern auch an denen aus der „unteren Schicht“, an der reichen, ihren Gatten wie alle anderen kujonierenden Madame wie an dem Holzhacker, der mit seinem komplexbedingten, übersteigerten Ehrbegriff ein rechtes Ekel ist.

Ja, Nestroy war mit Recht ein großer Skeptiker gegenüber den Menschen, und so fehlt’s in diesem Stück nicht an mehr oder weniger schäbigen Exemplaren der Spezies Mensch: da ist der Herr von Geck, der seinem Namen üble Ehre macht, Herr Taubenherz mit einem recht kriminellen Herzen, der Holzhacker Jakob, der um Geld alles tut, die tratschsüchtigen Kräutlerinnen. Der Pächter Tatelhuber und vor allem die Magd Sepherl die sind anders, sie kommen vom Land, und so wird auch ein moralisches Land-Stadt-Gefälle aufs Korn genommen.

Freilich: Nestroy wollte nicht ein Gesellschaftfkritiker modernen Zuschnitts sein, er wollte vor allem unterhalten. Und daß dieser Wille erfüllt sei, dafür sorgen die Ausführenden in Schwechat, das Ensemble St. Jakob, aufs allerbeste. Hier wird nicht hochprofessionell agiert (und gesprochen), aber mit so viel unmittelbarer Lebendigkeit und Freude am Spiel, daß die Aufführung frischer, ansprechender gerät als manche in einem hochkulturellen Musentempel.

Das ganze Ambiente trägt zum Gelingen bei. Im Schloßhof Rothmühle ist eine Art Pawlatschenbühne errichtet (Bühnenbild: Ensemble!), schon zum Eingang erwarten einen maskierte Faschingsgestalten, die sich auch sonst recht munter in der Faschingsnacht dieses Spiels herumtummeln, Wachen in biedermeierlichen Gendarmenkostüm (Nestroy-Zeit war ja auch Metternich-Zeit) stolzieren herum, beteiligen sich (am Rand) am Spiel, Reihen von bunten Lampen suggerieren ein bißchen Jahrmarktsatmosphäre.

Kurz und gut: alles rundum ist passend. Und dazu wird unter der Regie von Peter Gruber wirklich animiert gespielt. Quasi volksstückhaft. Das entspricht Nestroy besser als irgendein intellektueller Versuch. Manches wird kräftig ausgespielt und aufgetragen – und doch gibt’s keine Outrage. Man kann sich wirklich unterhalten. Die Kostüme, Bundestheaterleihgaben und aus eigenem Fundus, können sich sehen lassen, für Musik sorgte sowohl der gute alte Adolf Müller als auch – damit die Sache ins Heute, in den gegebenen Rahmen paßt – Herbert Ortmayr. Am Akkordeon: Nikolaus König.

Am allerbesten von den Darstellern ist Robert Herret als Lorenz: wie facetiert und pointiert er diesen Ehrbesessenen spielt, komödiantisch-naturhaft und zugleich mit tieferer Bedeutung, das ist prächtig. Auch seine Couplets (natürlich mit aktuellen Strophen) kommen bestens an. Willibald Mührwalds gutgelaunter, biederer Tatelhuber, Franz Steiners Pantoffelheld Philipp, Erika Stephan als dessen hochfahrende reiche und schließlich durch die Sorge um ihr (verwöhntes) Kind zum Menschsein reifende Frau, Susanne Urban, die die Sepherl unkompliziert-naturbelassen darstellt, Georg Wertnik als ältlich aufdringlicher Herr von Geck, Karl Krumpholz als herzloser Taubenherz, die verschiedenen Typen aus dem Volke usw., sie alle spielen wie von der Leber weg und zugleich erstaunlich gut. (Norbert Tschulik)

Kurier, 5. Juli 1983: Ein Purzelbaum zum Feministen-Kabarett

„Wo erfährt Johann Nestroy
Was er eigentlich dachte
Wo erfahren die Schauspieler
Warum niemand lachte
Wo erfährt die Regie
Wen sie allen nicht führte
Wo erfährt das Publikum
Warum ’s applaudierte
Subtil, objektiv, unabhängig und klar?
’s ist alles net wahr
’s alles net wahr.“

Wahr ist vielmehr, daß diese Anspielung auf Kurier-Werbung und -Kritiker nur eine von vielen bissig-aktuellen Coupletstrophen ist, die Regisseur Peter Gruber zum Gaudium des Publikums in Schwechat seinem Nestroy unterschob.

Wahr ist vielmehr, daß ein Haufen Laienschauspieler die Professionellen der übrigen Sommertheater deklassiert.

Peter Gruber inszeniert Nestroys Biedermeier nicht nach Belieben als Anbiedermeier an heutigem Publikumsgeschmack. Aber er scheut sich auch nicht, Nestroys Klamotte im Zeitgeist lüften zu lassen.

„Die verhängnisvolle Faschingsnacht“ (1839) kann das durchaus vertragen. Ihr Hauptwitz nämlich, Travestie auf eine damals populäre Tragödie zu sein, hat sich noch im vorigen Jahrhundert verflüchtigt. Der Anlaß zur Persiflage, des Deutschen Karl von Holtei melodramatisches Rührstück „Ein Trauerspiel“ in Berlin, verschimmelt vermutlich auf ewig in Bühnenrumpelkammern.

Nestroys hämischer Hohn auf die Vorlage kann uns nicht mehr vergnügen. Das schwächt uns ein Stück.

Was bleibt, sind boshafte Milieuskizzen seiner Zeitgenossen, seine scharfsinnige Bestandsaufnahme einstiger Zustände, destilliert in Humor. Und Nestroys sarkastische Anmerkungen zum Kampf der Geschlechter, aufmüpfigen Frauen, eifersuchtsrasenden Männern.

In dem Punkt gelingt Grubers Regie ein kunstvoller Purzelbaum: Nestroys Text wird durch geschicktes Spiel zu feministischem Kabarett.

Willibald Mürwald ist ein Tatelhuberbauer von Löwingerschen Dimensionen, Robert Herret gelingt eine unheimliche Kasperfigur mit Holzhackerehre, und Susanne Urbans liebenswerte Dienstmagd Sepherl würde man nicht nur zum Schandlohn von damals auf der Stelle gern einstellen.

Auch ein schwach’s Stück von Nestroy/
muß nicht sein ein Gfrett/
Wenn man karikierend/
draus macht ein Kabarett/
Spott, Gesellschaftskritik/
und zeitloser Humor/
brechen sowieso aus/
jeder Szene hervor/
Ein Ausflug nach Schwechat/
lohnt sich wunderbar/
’s ist alles echt wahr (wenigstens dieses Jahr). (Rudolf John)

Neue Kronenzeitung, 3. Juli 1983: Ihr Auftritt, bitte!

Was ist Sommertheater? Im allgemeinen, wenn Schauspieler ihren Urlaub auf der Bühne verbringen und zeigen, daß Theater noch schlechter sein kann, als es ohnehin schon ist. Ganz anders das Laienensemble St. Jakob im Schloß Rothmühle bei Schwechat: hier wird das ganze Jahr geprobt für den großen Auftritt im Juli. Die Nestroy-Spiele sind sehenswert!

Heuer hat man eine besondere Nestroy-Rarität einstudiert: „Die verhängnisvolle Faschingsnacht“, eine 1839 entstandene Parodie auf ein Rührstück Karl von Holteis. Die Geschichte zweier „Maßloser“ – des Spandlholzmachers Lorenz, der voll blinder Eifersucht seine „Ehr“ zu wahren sucht, und der reichen Helene, die die Hosen anhat im Hause ihres Gemahls.

Im lampiongeschmückten Schloßhof, auf und um die selbstgebastelte Pawlatschen setzt Regisseur Peter Gruber einen ausgelassen-spöttischen Biedermeierfasching in Szene: Masken und Perchten treiben (unerlaubt) ihre Späße, die Protagonisten outrieren übermütig das Geschehen, Gendarmen überwachen Grubers Bühnenklamauk bis zum polizeilich verordneten Happy End … Arbeitslosigkeit, soziale Unterdrückung und Frauendiskriminierung sind die Themen, die in Grubers Tumult szenischer Einfälle immer wieder durchleuchten. (Andreas Weitzer)

Volksstimme, 5. Juli 1983 / Niederösterreichische Rundschau, 6. Juli 1983: Des Bürgers „erlaubte“ Freiheiten

Die erfreulichen Nestroy-Produktionen der jüngeren Zeit (Gruppe 80, Spittelberg) finden eine ebenso erfreuliche Fortsetzung: Auf Schloß Rothmühle in Schwechat-Rannersdorf zeigt die Schwechater Theatergruppe „St. Jakob“ unter der Regie Peter Grubers das wenig gespielte Stück „Die verhängnisvolle Faschingsnacht“.

Erstaunlich, was Gruber mit der ambitionierten Amateurgruppe auch im elften Jahr des Bestehens der Nestroy-Spiele zustande bringt: Erfrischend brisanten und heutigen Nestroy, fernab jeder „Verbiedermeierung“, jeder hierzulande bis zum Überdruß bekannten Verharmlosung. Daß das erfreuliche Ergebnis mit einem wenig bekannten und gespielten Nestroy gelingt, zeugt von ernsthafter Teamarbeit des Regisseurs mit der etwa vierzigköpfigen Gruppe. Und der Erfolg hat viele Ursachen: Zum einen liegt er in der Struktur der Arbeit selbst. Dem Leiter der „Jakobiner“, Franz Steiner, ist es gelungen, auch über die eigentliche Gruppe hinaus Schüler des Polytechnischen Lehrgangs in die Inszenierung einzubinden und sie mit den Commedia-dell’arte-Elementen zu „betrauen“.

Die szenische Auflösung bereitete heuer mehr Kopfzerbrechen als im vergangenen Jahr, aber auch hier wurde eine optimale Lösung gefunden: Die einfach gehaltene Bühne wurde vom hinteren Haus des Schloßhofes gelöst, nach vor gerückt, damit das Publikum stärker mit den Vorgängen auf der Bühne konfrontiert und solcherart auch die Möglichkeit geschaffen, den übrigen Schloßhof mit den Gebäuden ins Spielgeschehen einzubeziehen.

Über all dem freilich steht eine grundsätzlich konsequente Nestroy-Auffassung, Nestroy nicht auf seinen „Wortwitz“ zu reduzieren, sondern die gesamte gesellschaftspolitische Dimension ausspielen zu lassen. Womit die reichlich triviale Stückvorlage, es geht um eine Kindesentführung, aktuelle Brisanz erhält: Gruber zeigt auf verschiedenen Ebenen neben dem Mann-Frau-Konflikt die erlaubten Freiheiten des Bürgers – nicht nur 1839, dem Jahr, in dem das Stück von Nestroy angesiedelt wurde. Die allgegenwärtige Exekutive beschränkt die Freiheiten auf wenige kostbare Momente: die Markt-. Trink- und Maskenfreiheit. Und zeigt dadurch, was oberstes Bestreben des Staats ist: Ruhe und Ordnung im Sinne der Herrschenden. Daß während der Pause auch das Publikum von der „Exekutive“ behelligt wird, ist nur folgerichtige Verlängerung Nestroys ins Heute, die ebenso richtig und konsequent in den Couplet-Strophen des Holzhackers Lorenz ihren Ausdruck findet. Da ist die Rede vom Justizminister Ofner, Burger, Ausländerfeindlichkeit und nicht zuletzt kriegen die bürgerlichen Medien ihre verdiente Schelte. Und überaus wichtig die Strophe zur „Nachrüstung“ – da wird ungeschminkt die Wahrheit gesagt.

Als sich das Ende der Faschingsnacht abzeichnet (musikalische Einrichtung: Herbert Ortmayr und Nikolaus König) und mit ihr der Sieg des Patriarchats und der herrschenden Ordnung, zeigen die „Jakobiner“, wie fragwürdig beides geworden ist im Schlußchor.

Möglich wird solches Theatererlebnis und Wirklichkeitsbegreifen nur durch ein Ensemble, das sich dem Zugriff jeglichen „Startums“ entzieht und in dem jede(r) seinen wichtigen Beitrag zum Erfolg leistet. Darum sei hier auf die Nennung einzelner Namen verzichtet.

Nestroy, wie er sein soll.
Hingehen.
Anschauen. (Günther Stockinger)

Franz Steiner, Traude Selinger, Willibald Mürwald