Nestroy-Spiele 1982

Der Zerrissene

10. Nestroy-Spiele Schwechat 1982 im Schlosshof der Rothmühle in Schwechat-Rannersdorf, 2320 Schwechat, Rothmühlstraße 5, im Juli 1982
Georg Wertnik, Andreas Bauer, Ernst Schüller

Besetzung

  • Herr von Lips Robert Herret
  • Stiftler Georg Wertnik
  • Sporner Ernst Schüller, Franz Steiner
  • Wixer Andreas Bauer
  • Mathilde Flink, verw. Schleyer Silvia Smaha
  • Anton Leopold Selinger
  • Bediente Kurt Muhr, Christoph Stepan, Karl Krumpholz, Peter Hartel
  • Gluthammer, ein Schlosser Peter Wittberger
  • Krautkopf, Pächter auf einer Besitzung des Herrn Lips Willibald Mürwald
  • Kathi, seine Anverwandte Susanne Urban
  • Staubmann, Justitiarius Fritz Pfertner
  • Knechte Leopold Selinger, Kurt Muhr, Christoph Stepan
  • Drescher Peter Hartel, Karl Krumpholz, Alexander Sommer
  • Regie Peter Gruber
Robert Herret, Susanne Urban

Pressestimmen

Die Furche, 7. Juli 1982: Doppelbödig

Die Aufführung ist unterhaltend, durchaus. Aber was der Berufsregisseur Peter Gruber mit der Schwechater Laientruppe zeigt, hat im zehnten Jahr dieser Sommerspiele nicht die Unverbindlichkeit so vieler „professioneller“ Nestroy-Aufführungen. Der Millionär, der in der Not zum Menschen wird, erscheint da als diskrete Erzherzog-Johann-Karikatur doppelbödig, und seine sonst so harmlos gezeichnte Kathi bekommt die in der Handlung, wenn schon nicht im Text angelegte Raffiniertheit hinter der naiven Fassade. Es zahlt sich aus, hinauszufahren! (H. B.)

Volksstimme, 4. Juli 1982: Wertvolle Nestroy-Arbeit

Seit zehn Jahren zeigen die Nestroy-Spiele auf Schloß Rothmühle in Schwechat-Rannersdorf, wie Nestroy exemplarisch zu spielen ist. Schon dieses Verdienst wiegt schwer. Noch erfreulicher ist die Tatsache, daß hier ein Amateur-Ensemble (!) und ein „Profi“-Regisseur, Peter Gruber, zu einer ungemein fruchtbaren Zusammenarbeit gefunden haben, allen „äußeren“ Um- und Widerständen zum Trotz.

Im Jubiläumsjahr gibt man den „Zerrissenen“. Peter Gruber arbeitet zusammen mit dem Ensemble neben einer präzisen psychologischen Typisierung des „zerrissenen“ Herrn von Lips auch die „äußeren“, die gesellschaftlichen Bedingungen für dieses Zerrissensein heraus und sichert damit eine in den wichtigsten Punkten stimmige Inszenierung.

Wie immer, bleibt er freilich auch diesmal nicht „nur“ werktreu (bei wie vielen anderen Inszenierungen hierzulande wären wir schon damit zufrieden), sondern zertrümmert mit dieser Gewichtung Nestroys einige Klischees beziehungsweise nützt sie produktiv: Das Happy-End-Millionär heiratet einfaches Mädel vom Land wird mittels Erzherzog-Johann-Jodler persifliert! Daß da „nebenbei“ auch noch traditionelle Jubelfeierlichkeiten der Herrschenden parodiert werden, macht die Aufführung insgesamt um so interessanter.

Was da auf Schloß Rothmühle zu sehen ist, entspricht gewiß nicht der Erwartung verbildeter Theaterstammkunden, die durch die gängige falsche Tradition der Nestroy-Verharmlosung gingen. Es entspricht aber einem Nestroy-Bild, an dem gewiß auch Nestroy selbst eine Freude hätte: Es entspricht jener aufklärerischen Unterhaltung, die hierzulande zwar viele falsche, aber leider noch immer zu wenige echte Freunde hat.

Die Schärfe, mit der die Nestroysche Kritik an den Auswirkungen des Millionärseins in Schwechat vorgetragen wird, ist leider andernorts nach wie vor nicht zu finden. Das ursprünglich scheinbar nur pathologische Erscheinungsbild des Millionärs Lips steigert sich präzis zur Spiegelung einer gesellschaftlichen Malaise.

Dieses Konzept ist bis auf einige kleine Mängel klug und sauber umgesetzt. Was wiegt da zum Beispiel eine etwas schleppende Einleitung gegenüber dieser Gesamterrungenschaft?

Aus dem Ensemble Sankt Jakob, das heuer durch vielerlei Umstellung besonders gehandikappt war, ragt besonders Robert Herret (als Herr von Lips) hervor; aber ohne die außerordentlich einfühlsame Mitwirkung und Mitarbeit der vielen anderen Mitglieder des Ensembles wäre diese Prachtleistung nicht zustande gekommen. Besonders hervorzuheben ist freilich auch das ungemein eindrucksvolle Bühnenbild Rudolf Heskes und vor allem die Musik Herbert Ortmayers, die über die unterstützende Funktion weit hinausgeht und ein wesentliches dramaturgisches Element bildet.

Welche Bedeutung diese Nestroy-Spiele haben, geht wohl auch daraus hervor, gegen welche Widerstände und mit welch kargen Mitteln sie erkämpft werden mußten. Bei der Premierenfeier wurden einige der Mentoren, darunter Regisseur Peter Gruber und Walter Mock, mit Ehrenzeichen der Stadt Schwechat ausgezeichnet. Andere, gleichfalls ausgezeichnete Mentoren, mögen sich freilich unter den Nestroy-Spielen etwas anderes vorgestellt haben, als sie jetzt erfreulicherweise darstellen. Auch „Fraktionskämpfe“ um die Ehrenzeichenverleihung zeigten dies deutlich. Die demokratische Öffentlichkeit wird wohl ein Auge auf den Fortbestand und die Entwicklung der Nestroy-Spiele in Schwechat haben müssen. (Günther Stockinger)

Arbeiterzeitung, 6. Juli 1982: Nestroys politischer Gedanke

Bei den Schwechater Komödienspielen regiert eine andere, bessere Art von Nestroy-Purismus. Eine, die nicht der Bequemlichkeit und Unverbindlichkeit der Traditionen, sondern der Kraft und Klarheit des politischen Gedankens verpflichtet ist. Was der Regie-Profi Peter Gruber in 10 Jahren mit dem Amateurtheater St. Jakob erarbeitet hat, ist vorbildlich. Und selten so gelungen wie heuer mit dem „Zerrissenen“.

„Das Rollenbild der Frau bei Nestroy“, lautete das Thema des begleitenden Symposiums, zu dem führende Fachleute nach Schloß Rothmühle gekommen waren. Wie zur Illustration hat man den „Zerrissenen“ zur Aufführung gewählt. Jene Posse, in der Nestroy – zeitlebens ein Frauenfreund im frauenfeindlichsten Sinn des Wortes – die beiden Extrempositionen der weiblichen Existenz (nicht nur) seiner Zeit dargestellt hat: Kathi, die Dulderin, und Frau von Schleyer, die eiskalt kalkulierende Hure. Von der Deutung dieser Gestalt hat man sich freilich mehr erwartet. Sie – im doppelten Sinn des Wortes – gegen den Strich als Virtuosin der einzigen ihr zugestandenen Waffen zu interpretieren, hat sich Gruber versagt. Sie bleibt ein mieses, aufgetakeltes Frauenzimmer.

Um so zwingender ist die ironische Brechung des Happy-Ends zwischen dem Millionär Lips und der armen Bauerndirn Kathi gelungen. Zu den elektronisch verfremdeten Klängen des Erzherzog-Johann-Jodlers schreiten sie zuletzt in einen Sonnenuntergang, der aus einer filmischen Heimathistorie kommt. Und abermals begibt sich ein blaublütiger Potentat von lauteren Zelluloid in das stille Glück des Landlebens. Das wiederum zeigt Gruber als harten Überlebenskampf der Knechte, die von dem agrarischen Mini-Feudalherrn Krautkopf redlich geschunden werden.

Die Laienschauspieler haben in der konsequenten Arbeit mit Peter Gruber verblüffenden Standard erreicht. Willibald Mürwald vor allem spielt den Krautkopf komisch wie ein Profi. Mit einigem Abstand sind Peter Wittberger (Gluthammer), Robert Herret (Lips) und Susanne Urban (Kathi) zu loben.(Heinz Sichrovsky)

Wochenpresse, 13. Juli 1982: „Der Zerrissene“ von Johann Nestroy

Auch die Quartzuhr im silbrigglänzenden Metallgehäuse, die der Schlosser Gluthammer am Handgelenk trägt, kann der Werktreue keinen Abbruch tun. Jener Werktreue, um die sich die Schwechater Sommerspiele im Schloßhof Rothmühle in Sachen Nestroy seit mittlerweile bereits zehn Jahren bemühen. Und die vom Amateurtheater St. Jakob unter der Leitung von Regisseur Peter Gruber auf meist erstaunlich hohem Niveau, durchaus kritisch und wo es am Platz ist, auch mit Ironie vorgeführt wird. „Der Zerrissene“ steht heuer im Jubiläumsjahr auf dem Programmzettel. Das Ergebnis: Sommertheater, wie es sein soll. Kurzweilig, aber nicht im Telegrammstil. Ohne Stars, aber mit erfrischender Spiellaune, die auch über mitunter mangelnde Möglichkeiten und Routine hinweghilft. An schauspielerischen Talentproben fehlt es nicht: Ausgezeichnet und wirklich komisch ist der Krautkopf von Willibald Mürwald; Robert Herret schlägt sich mit Anstand in der Rolle des reichen Herrn von Lips; Peter Wittberger gibt dem Gluthammer polternden Witz, Susanne Urban der lebhaften Kathi mädchenhafte Unschuld mit einem Augenzwinkern. (M. S.)

Kurier, 9. Juli 1982: Aus viel Leid ein Lustspiel gemacht

Der reiche Herr von Lips leidet unter Langeweile, der arme Schlosser Gluthammer unter Liebeskummer. Die lasterhafte Mathilde leidet unter Geldmangel und die liebliche Kathi daran, daß ihres Herzens Sehnen nicht erhört wird – das ist die Ausgangssituation von Johann Nestroys Stück „Der Zerrissene“. Natürlich geriet dem Dichter soviel Leid zu einer Posse mit vielen Pointen und allerhand Verwicklungen. „Der Zerrissene“ ist gegenwärtig im Schwechater Schloß Rothmühle zu sehen: Das Amateurensemble St. Jakob hält dort, zum zehntenmal schon, seine Nestroy-Spiele ab.

Daß es eine Amateurtruppe schafft, eine eigene Sommertheater-Tradition aufzubauen, während in den Burg- und Schloßhöfen rundherum die Profis der Wiener Theaterszene agieren, das allein verdient Respekt. Und beachtlich ist auch, was diese Schauspiellaien aus ihrer Vorlage herausholen – da wird nicht holprig-bemüht ein Text heruntertgebetet, sondern da findet ein Schauspiel durchaus eigener Prägung statt.

Natürlich darf man sich von diesem „Zerrissenen“ nicht die Qualitäten einer Burgtheater-Inszenierung erwarten. Doch in Schwechat bekommt man viel Ambition und unverfälschte Begeisterung geboten; die Darsteller haben ihren Text allesamt im Griff, und einige von ihnen beweisen respektable komödiantische Talente. Vor allem Peter Wittberger ragt hervor, ein vierschrötig-gutherziger Gluthammer. (Gunther Baumann)

Niederösterreichische Nachrichten, 7. Juli 1982:
Nestroy – lebendig auf der Bühne

(…) Unter der Regie von Peter Gruber war anläßlich der Premiere der Nestroyposse „Der Zerrissene“ auch wieder das Bestreben dieses jungen Regisseurs zu erkennen, Lebendigkeit zu schaffe, ebenso wie seine Bemühungen, die von Nestroy in seinen Komödien und Possen geschaffenen Typen höchst lebendig zu gestalten. Wie die Premierenaufführung zeigte, ist Peter Gruber diese Intention bestens gelungen. Robert Herret war als Titeldarsteller Herr von Lips bemerkenswert facettenreich, Susanne Urban als Kathi eine sehr lebendig wirkende Ergänzung. Peter Wittberger bestach ungemein in seiner Rolle als Schlosser Gluthammer, ebenso Sylvia Smaha als heiratslustige Witwe. Friedrich Pfertner, Willibald Mürwald, Georg Wertnik, Ernst Schüller und Franz Steiner waren in den weiteren Rollen auch sehr gut eingesetzt bzw. wirkten aufgrund dieser rollentypengerechte Einsetzung sehr lebendig und effektvoll, Couplets und Zusatzstrophen künstlerisch dezent pointiert. Die frische Lebendigkeit der Regieführung und der Akteure (alle Mitglieder des Amateurtheaters St. Jakob) widerspiegelte in sehr großem Maße „Nestroy-Authentizität“. (…)