Nestroy-Spiele 1978

Der Unbedeutende

6. Nestroy-Spiele Schwechat 1978 im Schlosshof der Rothmühle in Schwechat-Rannersdorf, 2320 Schwechat, Rothmühlstraße 5, im Juli 1978
Walter Sailer, Gertrude Pfertner, Franz Steiner, Peter Bolaffio

Es gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Schwechater Nestroy-Spiele, auch jene Werke Nestroys vorzustellen, die ansonsten kaum oder gar nicht gespielt werden. Dazu zählten in den vergangenen Jahren die Lokalposse „Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab“ oder etwa „Eulenspiegel oder Schabernack über Schabernack“.

Auch heuer ist wieder ein eher unbekanntes Stück an der Reihe: „Der Unbedeutende“, eine Posse mit Gesang in drei Akten, uraufgeführt am 2. Mai 1846 im Leopoldstädter Theater.

Der überragende Erfolg dieses Stückes (es erlebte 92 Vorstellungen und Nestroy wurde bei der Premiere 35 Mal vor den Vorhang gerufen) hatte mehrere Ursachen: Zunächst die Tatsache, daß sich Nestroy nach einer vehementen und gehässigen Pressekampagne, die gegen ihn geführt worden war, mit diesem in Ruhe konzipierten und meisterhaft durchgearbeiteten Werk glänzend rehabilitierte. Sogar seine Feinde gestanden diesem „Unbedeutenden“ zu, ein „bedeutendes Ereignis“ zu sein und „eine neue Phase in der Entwicklung der Volksposse einzuleiten“. Und tatsächlich markiert dieses Stück den wichtigsten Wendepunkt in Nestroys Schaffen, die Hinwendung zum realistischen „bürgerlichen Sittenstück“, das später durch Anzengruber zu einer neuen Blüte geführt wurde.

Michaela Mock, Horst Kummerfeld

Der zweite Grund für den Triumph des Stückes lag wohl in der Zeit selbst, in der vorrevolutionären Stimmung, die knapp zwei Jahre vor 1848 in Wien schwelte. Die wirtschaftliche Situation wurde für die Kleinbürger und Arbeiter immer trister, die Empörung über die Bevormundung, Unterdrückung und Bespitzelung durch die Schergen Metternichs wuchs von Tag zu Tag. Und nun verwirklichte dieser kleine, ehrliche, von Nestroy dargestellte Zimmermann Peter Span mit seinem mutigen Auftreten gegen die adeligen Machthaber und ihre korrupten Handlanger einen langgehegten, geheimen Zuschauerwunsch: es „denen da oben“ endlich einmal zu zeigen. Sein Aufbegehren zeugt vom steigenden Selbstbewußtsein der kleinen Leute, ist Vorbote der Revolution von 1848. Der private Kampf eines tapferen Einzelgängers um seine Ehre setzt sich zwei Jahre später fort als Kampf von Bürgern und Arbeitern um demokratische Rechte und Freiheiten sowie wirtschaftliche Besserstellung.

Peter Span ist arm. Obwohl er fleißig und sparsam ist, verdient er gerade soviel, daß er sich und seine Schwester ernähren kann. Während die Armut seinen Freund und Arbeitskollegen Thomas an den Rand der Kriminalität bringt (er erpreßt den reichen Sekretär Puffmann in unverschämter Weise), versucht Peter Span mit Anständigkeit und Selbstbescheidung durchzukommen. Umso heikler ist er auf das, was ihm „genauso wie den Reichen zusteht“, seine Ehre. Und gerade die wird durch die Machenschaften des korrupten, bürgerlichen Karrieristen Puffmann befleckt, der ein Alibi benötigt. Span greift zur Selbsthilfe, weil er von niemandem Unterstützung erwarten kann, am wenigsten von den „hohen Herren“ im Schloß. Denn der unschlüssige Baron und seine dekadenten Parasiten finden Puffmanns angebliches Abenteuer mit Peter Pans Schwester amüsant und nicht der Rede wert, solange bis sie von Span gezwungen werden, Puffmann fallen zu lassen und Klaras Ehre in aller Öffentlichkeit wieder herzustellen. Sie tun es jedoch nur, weil einer von ihnen dem Sekretär eins auswischen möchte, und nicht so sehr aus moralischen Gründen oder um den Geschädigten zu ihrem Recht zu verhelfen. Für sie ist sogar der Kampf Spans um seine bürgerliche Existenz nicht mehr als Zeitvertreib. Kein Wunder, daß diese Adeligen vom Volk nicht mehr gewollt werden.

Aber Nestroy wäre nicht Nestroy, wenn er nicht auch die Fehler und Schwächen der kleinen Leute kritisch brandmarkte: ihre Gehässigkeit, ihre Vorurteile, ihre Neugier und Intoleranz. Selbst die Figur des lauteren Peter Span ist nicht eindimensional: Sein Mut, seine Beharrlichkeit, sein Sinn für Gerechtigkeit, seine Sparsamkeit und Bescheidenheit stehen manchmal an der Grenze zu Engstirnigkeit, Selbstgerechtigkeit, Pedanterie und Spießigkeit. Bei aller Bejahung dieses Mannes und seines gerechten Anliegens sind die potentiellen Gefahren „kleinbürgerlicher Denkungsart“ nicht zu übersehen. Es ist eine wichtige Aufgabe der Interpretation, diese zweite Seite in Spans Charakter nicht zu verhehlen und ihn dennoch als Identifikationsfigur zu erhalten. Vielleicht ist diese Schwierigkeit einer der Gründe, warum „Der Unbedeutende“ nicht häufiger auf den Spielplänen zu finden ist, obwohl er zu den bedeutendsten und schönsten Stücken Nestroys zählt.

Robert Herret, Dietmar Liegl

Besetzung

  • Baron von Massengold Peter Bolaffio
  • Fräulein Ottilie, dessen Verwandte Gertrude Pfertner
  • Hermine, Mündel des Barons Andrea Schmidt
  • Puffmann, Sekretär Horst Kummerfeld
  • von Gröning, ein junger Holländer Michael Rosner
  • von Packendorf Franz Steiner
  • von Lockerfeld Walter Sailer
  • von Seewald Willibald Mürwald
  • von Althof Fritz Pfertner
  • Tupper, Kammerdiener Hans Eder
  • Rumpf, Schloßwächter Josef Sehnal
  • Franz, Bedienter Kurt Kratky
  • Friedrich, Bedienter Bruno Reichert
  • Heinrich, Bedienter Peter Müller-Uri
  • Wirtin Andrea Schmidt
  • Peter Span, Zimmermann Robert Herret
  • Klara, seine Schwester Maria Seis
  • Thomas Pflöckl, Zimmermann Dietmar Liegl
  • Frau Hussbergerin, Wäscherin Annemarie Sehnal sen.
  • Hänschen, ihr Sohn Michaela Mock
  • Klopf, Klempner Fritz Pfertner
  • Frau Klopfin, seine Frau Christine Burger
  • Netti, beider Tochter Christine Mock
  • Kübler, Bindermeister Willibald Mürwald
  • Frau Küblerin, seine Frau Irene Stern
  • Susi, beider Tochter Annemarie Sehnal jun.
  • Schmalzer, Greißler Peter Müller-Uri
  • Frau Schmalzerin, seine Frau Eveline Bolafflo
  • Flachs, Weber Josef Sehnal
  • Frau Flachsin, seine Frau Christine Liegl
  • Spring, Schneidergeselle Michael Rosner
  • Biegl, Schneidergeselle Kurt Kratky
  • Leicht, Schneidergeselle Bruno Reichert
  • Regie Peter Gruber
  • Bühnenbild Guido Salzer
  • Kostüme Herta Mock
  • Musikalische Leitung Edith Muck
  • Masken und Frisuren Eveline Bolafflo
  • Hüte Gertrude Pfertner
  • Requisiten Robert Herret
  • Technische Leitung und Beleuchtung Alfred Stepan, Franz Schulcsik
  • Inspizient Walter Mock
  • Souffleuse Herta Mock
  • Kostüme vom Österreichischen Bundestheaterverband bzw. eigenen Fundus