Nestroy-Gespräche 2014: Referate (Exposés)

Grenzüberschreitungen

 

 

Jürgen Hein:
Grenzgänger Nestroy: Grenzüberschreitungen – Grenzenloses Vergnügen

In der Carrrikatur liegt zu viel Wirkliches; und die Menschheit will nur recht poetisch aufgefaßt sein, ein klarer Beweis, wie prosaisch sie is.

Der Ernst hat eine feyerliche Seite eine schauerliche Seite, überhaupt sehr viele ernsthafte Seiten; aber ein electrisches Fleckerl hat er doch immer, und da fahren bey der gehörigen Reibung die Funken der Heiterkeit heraus. [1]

Mit dem Schwerpunktthema wollen die 40. Internationalen Nestroy-Gespräche 2014 den vielfältigen Grenzüberschreitungen Nestroys im Kontext des Wiener Volkstheaters wie auch der internationalen Dramatik nachgehen. Dabei soll der Blick auf den Bruch mit Normen und Konventionen – gleichermaßen auf das Überschreiten und Unterlaufen von „Vorschriften“ – neue Perspektiven auf das Verhältnis von „Lokalität“ und „Internationalität“ öffnen. So ist unter anderem der Zusammenhang von Gattungsnormen, Theaterkonventionen, Zensur, Theaterkritik und Publikumserwartungen zu thematisieren.

Als Grenzgänger polarisiert Nestroy: Er ist Identifikations- und Projektionsfigur zugleich, Der „Wiener Weltweise Johann Nestroy“ – so hat ihn Heimito von Doderer genannt [2]– ist philosophischer Hanswurst und Pöbeldichter, Inkarnation des Gemeinen und satirischer Sprachkünstler, Klassiker des Wiener Volkstheaters und Bürgerschreck, sperriger Autor und Quelle nicht enden wollender Unterhaltung. Für Zitate wird sein Werk geplündert, ihm auch manch falsches Bonmot untergeschoben – wie das von den Phöniziern, die zu wenig Geld erfunden hätten –, er selbst als Autor für alle möglichen Meinungen, Positionen und Weltanschauungen vereinnahmt.

Auch im Privatleben, über das man wenig weiß, zieht Nestroy Grenzen zum Bühnenleben, er ist zurückhaltender Bürger, sorgender Familienvater auf der einen Seite und ein die Öffentlichkeit brüskierender und aggressiver Störenfried auf der anderen. Er laviert zwischen erlaubter, gewünschter, anständiger Unterhaltung und der Übertretung von Grenzen des Schicklichen: Sittenlosigkeit und „Gemeinheit“ werden seinen Darstellungen vorgeworfen.

Künstlerisch spielt er mit den Grenzen von Rollen und Rollenfächern, wechselt vom Opernfach ins Sprechtheater, ohne den Gesang ganz aufzugeben. Als Darsteller wechselt er zwischen Bühnen- und Publikums-Perspektive, Rollenspieler und Kommentator, zwischen szenischer (fiktional-dramatischer) und „besprochener“ (kommentierter) Welt. [3] Das Zusammenspiel von Fiktion und Wirklichkeit, Theater und Öffentlichkeit bilden in mehrfacher Hinsicht im Theaterraum selbst Grenzgänge zwischen Illusion und satirisch-direktem Verweis auf die Realität.

Als Autor nutzt er die Bearbeitungsmöglichkeiten fremder Vorlagen im Kontext des damaligen rechtlichen Spielraums bis an die Grenzen des Plagiats und findet den Weg zur schöpferischen Adaption, wobei die Barriere zur nur trivialen Unterhaltung zumeist nicht überschritten wird.

Die Posse im Grenzbereich des Literarisch-Theatralen – häufig ästhetisch abgewertet und ins dramatische Niemandsland verbannt – zeigt sich selbst als „Grenzland“, das einen Bruch mit dramatischen Regeln ebenso erlaubt wie den Grenzverkehr und kulturellen Transfer zwischen Frankreich, England, Deutschland und Österreich. Nestroy markiert dabei neue Grenzlinien, wobei die Grenzen zwischen Hochsprache und Dialekt ebenso eine wichtige Rolle spielen wie gegebenenfalls zu überwindende poetologische Normierungen und Gattungsgrenzen (Lustspiel – Zauberspiel – Posse – Volksstück; Grenzen der Komik, Grenzen des Ernstes). Nestroy sprengt die Fesseln der Lokalkomik und führt die Posse im Kontext internationaler Dramatik zur „Komödie“. [4] Lokalität und Internationalität des Volkstheaters befinden sich dabei nicht im Widerspruch.

 

1 Johann Nestroy, Mein Freund, Vorspiel, Szene 7, HKA Stücke 30, hg. von Hugo Aust, S. 17; Die lieben Anverwandten, IV, 4, HKA Stücke 25/II, hg. von Fred Walla, S. 73.
2 Heimito von Doderer, Die Strudlhofstiege, S. 114; Die Merowinger oder Die totale Familie, S. 144.
3 Begriffsbildung nach Harald Weinrich: Tempus. Besprochene und Erzählte Welt [1964]. 6. neubearb. Auflage, München 2001.
4 In der jüngst erschienenen Darstellung von Volker Klotz / Andreas Mahler / Roland Müller / Wolfram Nitsch / Hanspeter Plocher: Komödie. Etappen ihrer Geschichte von der Antike bis heute. Frankfurt a.M. 2013, findet allerdings nur Einen Jux will er sich machen Aufnahme.

 

Jürgen Hein:
40 Jahre Internationale Nestroy-Gespräche. Ein vorläufiger Rückblick: Chronologie

  • 1975 Nestroys Wirkung auf dem Theater und in der Literatur
  • 1976 Nestroy, ein Europäer
  • 1977 Nestroy und das Biedermeier
  • 1978 Wie inszeniere ich Nestroy?
  • 1979 Vom Vorläufer des Jux bis zu Hello Dolly
  • 1980 Der politische Nestroy
  • 1981 Nestroy, ein Philosoph und Denker?
  • 1982 Nestroy und das Rollenbild – im Speziellen der Frau
  • 1983 Nestroy: Parodie und Operette
  • 1984 Nestroyverständnis 1848–1984
  • 1985 Nestroy und die Zeitgenossen
  • 1986 Nestroy – ein Klassiker (Literarische Tradition – Schule – Bühne – öffentliches Bewußtsein)
  • 1987 Militär und Militanz auf dem (Volks-)Theater; Zwillinge und Doppelgänger auf dem Theater
  • 1988 „’s is wirklich famos, wie der Fortschritt so groß!“: Politische, ökonomische und soziale Krise im Vormärz und ihre Spiegelung in den Medien
  • 1989 „Es sind gewiß in unsrer Zeit die meisten Menschen Handelsleut“: Ökonomie und Konsum in Leben und Werk
  • 1990 Das Böse, Magische und Irrationale bei Raimund und Nestroy
  • 1991 „… da kann man doch rauchen dabey“: Theatralisches von Mozart bis Grillparzer und Nestroy
  • 1992 Theater, magische Künste; Landschaft und Reisen bei Nestroy
  • 1993 Zu ebener Erde und erster Stock: Oben und Unten, Diener und Herren, Geld und Glück
  • 1994 Nestroy und die Geschichte
  • 1995 Nestroys Wien und anderswo
  • 1996 „Sie wird schöne Geschichten sehen“: Österreichisches und Fremdes bei Nestroy und Zeitgenossen
  • 1997 „Das wär’ so a Stoff jetzt, allein ich verschluck’s –“
  • 1998 „Es stelln sich gar Manche wie d’Lamperln so frumm“
  • 1999 „Nur der geistlose Mensch kann den Harm übersehn, der überall durch die fadenscheinige Gemütlichkeit durchblickt“
  • 2000 „Bis zum Lorbeer versteig’ ich mich nicht …“
  • 2001 In anderen Welten
  • 2002 Aus der Vorstadt in die Welt oder „Na, laßt man ein Jedn sein Freud“
  • 2003 „’s is jetzt schön überhaupt, wenn m’r an etwas noch glaubt“
  • 2004 „Nur Keck!“ oder Zwei vor und Eins zurück?
  • 2005 Raimund und Nestroy im kulturellen Gedächtnis
  • 2006 Raimund und Nestroy im Kontext internationaler Lachkultur
  • 2007 Raimund und Nestroy: Kanon, Kontext, Inszenierung
  • 2008 Raimund und Nestroy: Korrespondenzen, theatrale Räume und Traditionen
  • 2009 „… nur alles ohne Leidenschaft …“ – Gelebte Konventionen, gespielte Gefühle
  • 2010 Spiegelung und Potenzierung bei Raimund und Nestroy
  • 2011 Routine und Experiment bei Raimund und Nestroy
  • 2012 Tod und Überleben bei Raimund und Nestroy
  • 2013 „Gerechtigkeit is das erste […]“ (Das Mädl aus der Vorstadt) – „Irdische, himmlische und poetische Gerechtigkeit bei Nestroy und Raimund“
  • 2014 Grenzüberschreitungen

 

Magdalena Maria Bachmann
Nestroy in Nature?
Ein Fall von grenzüberschreitender Rezeption

Gemeinhin ist es alles andere als üblich, als Naturwissenschaftler/in literarische Zitate in wissenschaftliche Artikel einzuarbeiten. Das hat mehrere (durchaus triftige) Gründe: Zum einen widerspricht es ganz klar den Stilnormen der Textsorte, zum anderen erscheint es meist nicht sonderlich zweckmäßig, auf literarische Werke zu rekurrieren, wenn eigentlich die Präsentation wissenschaftlicher Erkenntnisse im Vordergrund stehen sollte. Hinzu kommt, dass naturwissenschaftliche Artikel seit geraumer Zeit beinahe ausschließlich auf Englisch veröffentlicht werden, sodass das Aufgreifen deutscher Autoren umso seltsamer anmutet.

Der in Wien aufgewachsene Biochemiker Erwin Chargaff (1905–2002) – gleichermaßen berühmt wegen seiner Forschungen zur Chemie der Nukleinsäuren wie wegen seines wissenschafts- und kulturkritischen essayistischen Alterswerks – setzt sich indes mit geradezu provokanter Nonchalance über solche Konventionen hinweg: Als obsessiver Vielleser, der seine stupende Bildung in seinen Arbeiten (und zwar nicht nur in seinen literarischen Texten!) immer wieder durchklingen lässt, vergleicht er unbekümmert den für die Entdeckung der Doppelhelix mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Forscher Watson mit einer Figur aus dem Lumpazivagabundus, flicht in seine Korrespondenzen mit Vorliebe Nestroy-Zitate ein – und kaum einer seiner Essay-Bände listet im Namensregister keinen Eintrag zu Nestroy auf. Diese Faszination kommt freilich nicht von ungefähr: Einen bereits in den 1960er-Jahren entstandenen Band, der verschiedene Fachartikel zur DNA versammelt, widmet Chargaff seinem „teacher“ Karl Kraus, dessen Vorlesungen er als Schüler und Student in Wien (wie der im Übrigen gleichaltrige, ebenfalls Chemie studierende Canetti) mit Begeisterung verfolgt hat. Offenbaren sich nun neben der zwischen Pathos und Witz oszillierenden Rhetorik auch inhaltliche Parallelen, so übernimmt Chargaff insbesondere die literarischen Präferenzen (bzw. Abneigungen) seines großen Vorbildes – und damit eben auch dessen Wertschätzung Nestroys.

In meinem Beitrag möchte ich erstens die unterschiedlichen Kontexte aufzeigen, in die Chargaff Nestroy-Zitate einflicht, zweitens der Funktion dieser Referenzen (oder vielmehr Reverenzen) in Chargaffs Werk nachgehen (eine Vielzahl davon scheint mir, so die Hypothese, dazu zu dienen, den zeitlebens in Amerika nicht heimisch gewordenen Altösterreicher eben als solchen zu kennzeichnen), und drittens der Frage nach der Anknüpfung an Kraus in Hinblick auf die Nestroy-Rezeption nachgehen.

 

Toni Bernhart
Griseldis und Hirlanda auf ihrem Weg nach Tirol. Tiroler Volksschauspiele des 18. Jahrhunderts im Kontext der europäischen Literaturen

Theater hat immer schon Grenzen überschritten, das gilt auch für das oberdeutsche Volksschauspiel. Für dessen Rezeption war in der (germanistischen) Literaturwissenschaft lange Zeit die romantische Vorstellung vorherrschend, dass es sich hier um Schöpfungen kollektiver ländlicher Schaffenskraft handle. Bei genauerem Hinsehen aber fällt auf, dass es sich bei den so genannten Volksschauspielen um Dramen handelt, die deutlich aus dem frühneuzeitlichen Kanon der europäischen Literaturen schöpfen und von einer oft namentlich genannten, in manchen Fällen auch anhand von Quellen nachweisbaren Person für die Bühne abgeschrieben, umgeschrieben und eingerichtet wurden. Umso erstaunlicher ist dieses Phänomen, als es in einem weitgehend illiteratenKontext gedeiht.

Der erste Teil des Beitrags wird die Begriffs- und Bedeutungsgeschichte des Volksschauspiels skizzieren. Gemeinhin wird der Begriff an Johann Gottfried Herder angeschlossen, der in seinen Ausführungen zur Volkspoesie („Von deutscher Art und Kunst“, 1773; „Volkslieder“, 1778/79) allerdings nie von Volksschauspielen sprach. Erst ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erfuhr der Begriff – als Analogiebildung zu „Volkslied“ – sehr unterschiedliche Bedeutungsprägungen.

Anhand von ausgewähltenGriseldis- und Hirlanda-Spielen aus dem 18. Jahrhundert wird der zweite Teil des Beitragszeigen, wie diese Stoffe auf ihrem Weg durch die europäischen Literaturen im Tiroler Volksschauspiel ihren Niederschlag finden. Unter dem Gesichtspunkt der Grenzüberschreitung ist es kennzeichnend für Volksschauspiele, dass weder formale noch sprachliche Barrieren die Teilhabe des Volksschauspiels an der europäischen Dramen- und Theatertradition hemmen.

 

Sabine Coelsch-Foisner
Shakespeare und das Wiener Volkstheater am Beispiel von Raimunds Zaubermärchen

Die Zusammenhänge zwischen dem Wiener Volkstheater und Shakespeare zu beleuchten drängt sich aus verschiedenen Gründen auf: 1) Shakespeares Theater war Theater für das ‚Volk‘. 2) Seine Dramen sind das Ergebnis vielfältiger Interventionen des literarischen Erbes Europas. 3) Die Mischung aus schriftlichen und mündlichen Überlieferungen hat Shakespeares Stücken Bestand in unterschiedlichen Theaterkulturen gesichert und wiederum unzählige Interventionen im britischen und kontinentalen Drama ausgelöst. Die Bandbreite reicht von Zerstückelungen und klassizistischen Umschreibungen bis zu burlesken und pantomimischen Parodien und Travestien, sowie Bearbeitungen mit umgetauften Werktiteln und intermedialen Transformationen. 4) Der deutsche Shakespeare-Kult ist symptomatisch für das Kippen vom Klassizismus zum Sturm und Drang. 5) Schließlich hat das Wiener Volkstheater des 18. Jahrhunderts, selbst die primitiveren Vorstadttruppen, einen bedeutenden Anteil an der Durchsetzung Shakespeares in Wien.

Ausgehend von diesen institutionellen, gattungs- und rezeptionsästhetischen, sozial- und kulturgeschichtlichen Grundüberlegungen wird exemplarisch ein Vergleich zwischen Shakespeares Sommernachtstraum und Raimunds Der Bauer als Millionär angestellt.

 

Johann Hüttner
Krähwinkel – Ein „Freiheits“-Event – Diskussionsrunde über Stück und Aufführung

Welche der vielen möglichen Ansatzpunkte sollte man für eine Diskussion der „Freiheit in Krähwinkel“ herausgreifen? Mit welchen könnte man die Intention der diesjährigen Aufführung befragen? Hier einige Vorschläge. Vieles wird sich aber ad hoc ergeben.

Einerseits das Stück im Umfeld der Revolution von 1848.

  • Welche der wichtigen Themen in der Märzrevolution von 1848 (konstitutionell-liberal, sozial, national) werden in der „Freiheit in Krähwinkel“ reflektiert? Zumal Spaltungen innerhalb der revolutionären Bewegung im Sommer es den Traditionalisten mit Hilfe des Militärs erleichterten, die (alte) Ordnung wieder herzustellen.

Wie ist die Positionierung der „Freiheit in Krähwinkel“ innerhalb der Wiener Theaterszene während der Revolution? Am 1. Juli 1848 fand die Uraufführung statt, Ende des Monats sollte die letzte Vorstellung sein, doch wurde ab September fallweise weitergespielt.

  • Im Zuge der Revolution stahl sich der Oberstkämmerer Dietrichstein aus der Verantwortung und delegierte die Bildung des Burgtheaterrepertoires alleine an den Direktor Franz Holbein. Dieser ermöglichte es, die bisher verbotenen Dramen der Jungdeutschen Laube und Gutzkow, aber auch Hebbel am Burgtheater zu spielen.
  • Das Theater an der Wien und das Carltheater standen unter ihren Direktoren Franz Pokorny und Karl Carl in einem erbitterten Konkurrenzkampf. Eine jeweils unterschiedliche Profilierung beider Bühnen im Verhältnis zur Revolution von 1848 ist erkennbar, und ließe sich an der Stellung beispielsweise der Autoren Karl Elmar im Theater an der Wien und Johann Nestroy im Carltheater, zumindest was ihre Einschätzung durch Publikum, Presse und Behörden betrifft, noch genauer ausleuchten.
  • Während der Revolution wurde das Theater an der Wien zum „Hauptquartier“ der revolutionären Studenten; deswegen und wegen des Repertoires von 1848 wurde Pokorny in der veröffentlichten Meinung in die Nähe eines Revolutionärs gerückt.
  • Der Spielplan des Carltheaters weist wesentlich gedämpfter in die neue revolutionäre Richtung und pendelt sich bald wieder in den vormärzlichen Zustand ein. Die Märzrevolution wurde dort mit Nestroystücken aus dem Repertoire begleitet, dann kam im Juli „Freiheit in Krähwinkel“ – und ab November 1848 finden wir wieder die alten Nestroystücke. Ab 1849 folgt dann die Verarbeitung der Revolution in seinem Werk.
  • Wie also ist „Freiheit in Krähwinkel“ in diesem Umfeld zu sehen? Wie reagiert die Satire auf die Rhetorik der massenhaften pathetischen Revolutionslyrik – die neue Freiheit ist keine echte, ist nur Theater?
  • Es ist durchaus vorstellbar, dass die lange Konditionierung auf eine Zensur, deren Anforderungen allen Theaterbesuchern geläufig war, nun einem Neuland gewichen ist, das auch ästhetisch ein Umdenken des Publikums vorausgesetzt hätte und daher auf Unsicherheiten und verstärkte Publikumszensur stieß.

Ohne eine repräsentative Aufführungsgeschichte zu versuchen, so viel:

Abgesehen von 1848 wurde „Freiheit in Krähwinkel“ in Wien erst wieder 1908 im Deutschen Volkstheater gegeben, im selben Jahr, in dem Max Reinhardt in Berlin eine Bearbeitung „Revolution in Krähwinkel“ inszenierte. Weiters gab man in Wien das Stück auch 1926 im Freien Theater und ab 14. Mai 1938, kurz nach dem Anschluss Österreichs, wieder als „Revolution in Krähwinkel“ in der Scala in Wien, hier wohl nationalsozialistisch konnotiert.

Von neueren Inszenierungen sind vielleicht auch die Collagen von Werner Schneyder „Traum in Krähwinkel“ im Cuvilliés Theater (München 1988) und Frank Castorf „Krähwinkelfreiheit“ im Burgtheater (Wien 1998) erwähnenswert.

Nicht zuletzt wäre es interessant, auch Peter Gruber zu fragen, wie sich seine Schwechater Inszenierung der „Freiheit in Krähwinkel“ von 1980 von der diesjährigen unterscheidet.

 

David J. Krych
„Du halb entmenschtes Thier! du halbverthierter Mensch!“ Theaterhistoriografische Überlegungen zum Verhältnis von Tier und Mensch in Der Affe und der Bräutigam

Theaterdefinitionen richten sich nach anthropozentristischen Bedingungen, d. h. es wird von einer Intentionalität des Zeigen-Wollens und Gesehen-Werden-Wollens ausgegangen, was hinsichtlich theaterhistoriografischer Forschungen zu Ausgrenzungsmechanismen führt, da bestimmte theatrale Formen dadurch nicht in den Blickwinkel einer nötigen Relevanz der Beschäftigung rücken. Mit der Frage nach einem Theatralitätsgefüge (Rudolf Münz) und der gleichzeitigen Konstitution von Theater auf einem Verhältnis von Schauwert und Realwert kann diese Problematik umgangen werden und somit Verbindungen und Wechselwirkungen von kulturellen Praktiken aufgezeigt werden, die bisher oft in Forschungen ausgeschlossen wurden.

  • 1. These: Es ist anzunehmen, dass Nestroy in Der Affe und der Bräutigam auf theatrale Formen mit Tieren, wie Affentheater oder Tierkomödien, Bezug nahm und diese in seinem Dramentext verarbeitete. Hier wird vor allem der Fokus auf den Menagerie-Besitzer Benoit Advinent gelegt und dieser in Verbindung mit Nestroys Der Affe und der Bräutigam gebracht.
  • 2. These: Besonders der Affendarsteller Eduard von Klischnigg überzeugte mit seinen Darbietungen das Publikum. Die Vielzahl an Rezensionen über seine Auftritte zeugen von einer gewissen Sprachlosigkeit hinsichtlich seiner Körperfertigkeiten. Der Bezug auf ein körperbezogenes Spiel bzw. ein Comödien-Sti (Gerda Baumbach) mit seinen „Lazzi“ deutet auf ein Verhältnis von Anthropomorphismus (Vermenschlichung) und Zoomorphismus (Entmenschlichung) hin.
  • 3. These: Diese Formen der Vermischungen, Uneindeutigkeiten, Verkehrungen hinsichtlich eines körperbezogenes Spiels referieren auf eine Form des Grotesken, die auch mit dem Lachen in Verbindung gebracht werden kann, was sich bereits bei Joseph Addison finden lässt. Gleichzeitig wird in den negativen Kritiken über Der Affe und der Bräutigam sichtbar, dass hier seit dem 18. Jahrhundert eine anhaltende Tradierung von Normierungs- und Disziplinierungsstrategien – hinsichtlich dessen was Kunst sein soll – ins Feld geführt wird.

 

Marc Lacheny
Nestroy und Courteline: Unerwartete Affinitäten?

Jürgen Heins, Johann Hüttners, Walter Obermaiers, Fred Wallas, W. Edgar Yates’ oder Marion Linhardts Studien haben grundsätzlich dazu geführt, Otto Rommels Pionierarbeiten über das Wiener Volkstheater zu erneuern, und zugleich gezeigt, dass diese lebendige Theaterform sich nicht lokal, bzw. „isoliert“ entwickelte, sondern auch an einer starken Internationalisierung des europäischen Theaters im Laufe des 19. Jahrhunderts Teil hatte. Inzwischen haben sich die Untersuchungen zu den Kulturtransferprozessen zwischen Wien und den bedeutendsten Zentren des europäischen Theaters im 19. Jahrhundert (allen voran Paris oder London) folglich vervielfacht, auch wenn auf diesem Gebiet noch viel zu entdecken bleibt.

In diesem Kontext lässt sich die Frage stellen, ob die Ausdrucksformen des „Unterhaltungstheaters“ in Paris und Wien im 19. und 20. Jahrhundert verglichen werden dürfen. Und ist die Annäherung der Vertreter dieser Theaterformen dann angemessen, oder ist sie nur das Produkt eines künstlichen Konstrukts? Bisher haben sich – mit wechselndem Erfolg – einige Forscher an solche Vergleiche herangewagt: Erwin Koppen hat sich etwa mit dem Thema „Nestroy und Labiche“ befasst, Ähnliches hätte sich aber auch mit „Nestroy und Feydeau“ als fruchtbar erweisen können. Hugo Aust und Martin Stern haben sich sogar mit den erstaunlicheren Themen „Nestroy und Balzac“ und „Nestroy und Flaubert“ auseinandergesetzt, ganz zu schweigen von Aufsätzen über Nestroys Umgang mit seinen zahlreichen französischen Quellen (z. B. Gar Yates über Nestroy und Paul de Kock).

Nun möchte ich mich mit den unerwarteten Affinitäten zwischen Nestroy und einem Autor beschäftigen, der in den deutschsprachigen Ländern wohl weniger bekannt ist als Labiche oder Feydeau: Georges Moinaux, genannt Georges Courteline (1858-1929), dessen Stücke wenn nicht „intertextuelle“ Wahlverwandtschaften mit Nestroy, so doch interessante Parallelen zu den Werken des comicus austriacissimus aufweisen. Dieser erfolgreiche französische Journalist, Romanschriftsteller und Dramatiker war zunächst – wie Nestroy – literarisch höchst produktiv: Nestroy hinterließ 83 Stücke, Courteline mehr als 100 Possen, kurze Stücke und Komödien zwischen 1881 und 1909.

Schon auf persönlicher Ebene sind einige Gemeinsamkeiten zwischen Nestroy und Courteline auffällig, etwa ihre Neigung zu dem Kartenspiel in Kaffee- und Gasthäusern, das auch zu Nestroys Lieblingsvergnügungen gehörte und wiederholt in seinen Stücken thematisiert wird (Tarock-, Whist- oder – weniger oft – Piquet-Spiel, bei dem Nestroy viel Geld verlor). Dazu hat W. Obermaier Substanzielles beigetragen.

Eben in den Pariser „Cafés“, in denen er Karten spielte, fand Courteline eine Art Laboratorium für die kritisch-satirische Beobachtung seiner Zeitgenossen und die „Kostproben der menschlichen Dummheit“ („échantillons de la bêtise humaine“), die seine Stücke dann nähren sollten. Die thematischen Gemeinsamkeiten zwischen den Werken Nestroys und Courtelines springen rasch ins Auge: Beide bedienen sich ausgiebig der bissigen Ironie und Satire, um die „Launen des Glückes“, die bodenlosen Abgründe menschlicher Dummheit und die Boshaftigkeit des gemeinen Kleinbürgers aufzudecken. Wie Nestroy glänzt Courteline im Bereich der Theatersatire, aber nicht in langen Stücken, sondern vor allem in Einaktern, in denen er die Grenzen seiner Kunst erkannte. Bis 1896 arbeitet Courteline übrigens als satirischer Chronist im Pressewesen (namentlich für L’Echo de Paris). In diese satirische und soziokritische Richtung weisen etwa seine Werke Théodore cherche des allumettes (1897) oder Les Boulingrin (1898). Nestroys „Misogynie“ wurde oft betont und gehört zu den Gemeinplätzen der Forschung. Als unverbesserlicher Misogyn darf Courteline seinerseits zweifellos gelten, der in seinen Stücken und Prosatexten wiederholt auf die Albernheit der Frau hindeutet, z. B. in L’Honneur des Brossarbourg (1891). In Boubouroche (1893), wohl seinem Meisterwerk, unterstreicht er außerdem ihre „Kunst“ des Verrats und der Falschheit, und La Conversion d’Alceste (1905), eine köstliche Nachahmung von Molière, prangert die Sorglosigkeit und Leichtfertigkeit der Frau nach dem Ehebruch an. Wie Nestroy, aber ohne auf solche Schranken der Zensur stoßen zu müssen, attackiert er schließlich die Ungerechtigkeit der Justiz (Un client sérieux, 1897), die Geldgier der pingeligen Verwaltung (M. Badin, 1897) oder die Bosheit und Dummheit der Polizei (Le commissaire est bon enfant, 1899; Le gendarme est sans pitié, 1899). Wie Nestroys Satire trifft Courtelines Satire also alle Seiten und Schichten der Gesellschaft, sowohl die Beamten (Monsieur Badin, 1897) und die Angestellten als auch – genereller – die Verwaltung und die Justiz.

Die Gemeinsamkeiten beschränken sich aber weder auf biographische noch auf thematische Aspekte, sondern betreffen auch den souveränen Umgang beider Autoren mit der Sprache selbst. Sowohl Nestroy als auch der kaustische Beobachter der menschlichen Kleinlichkeiten und satirische Realist Courteline erscheinen als Sprachvirtuosen, eine Virtuosität, die sich etwa in der Sprachkreativität und in der Vielfalt der Wortspiele und des Spiels mit den Stilebenen ausdrückt. Wie Nestroys Sprache zeichnet sich Courtelines Sprache durch ihren Reichtum und ihre Mannigfaltigkeit aus: Sie reicht von dem mondänen Raffinement (man denke parallel an Titus Feuerfuchs und Frau von Cypressenburg in Der Talisman) bis zur groben Sprache. Als erfahrener Komödienschreiber spielen Courteline wie auch Nestroy mit der komischen Kluft zwischen der Kleinlichkeit ihrer Figuren und deren Streben nach Größe, was auf Horváths Motto für Geschichten aus dem Wiener Wald vorauszudeuten scheint: „Nichts gibt so sehr das Gefühl der Unendlichkeit als wie die Dummheit.“ In diesem Kontext einer satirischen, aber immer humanen Demaskierung seiner Zeitgenossen benutzt Courteline, genauso wie Shakespeare, Nestroy und seine Vorläufer auf den Wiener Vorstadtbühnen – und auf jeden Fall viel mehr als Labiche und Feydeau in der französischen komischen Tradition –, auch sprechende Namen, um die lächerlichen Züge seiner Gestalten und ihre hervorstechendsten Fehler auf Anhieb zu entlarven. All diese Verve lässt die Konturen einer Künstlerpersönlichkeit erkennen, die sich der unendlichen Dummheit und der tiefen Bosheit des Menschen durchaus bewusst ist.

In den theoretischen Reflexionen über seine Kunst hat sich Courteline nie zu Nestroy geäußert. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass unterschwellige Affinitäten zwischen diesen zwei Meistern der Komödie und der Sprache nicht bestünden. Das Thema „Nestroy und Courteline“ erhellt zugleich ein Kapitel des Verhältnisses zwischen Wiener Volkstheater und internationaler Dramatik, Hiesigem und Fremdem, „Lokalität“ und „Internationalität“.

 

Christopher F. Laferl, Andrea Sommer-Mathis
Zum möglichen Einfluss des spanischen Dramas des Siglo de Oro auf das Wiener Volkstheater

Das spanische Drama des Siglo de Oro, das mit Lope de Vega, Tirso de Molina, Juan Ruiz de Alarcón und Pedro Calderón de la Barca zu einem der Höhepunkte des europäischen Theaters überhaupt zählt, wurde schon zu seiner Blütezeit in vielen anderen Ländern Europas stark rezipiert. Der Wiener Kaiserhof spielte wegen der engen dynastischen Verbindungen nach Spanien hier eine zentrale Rolle. Auch nach der Minderung des Prestiges spanischer zeitgenössischen Literatur am Ende des 17. Jahrhunderts sollten viele Dramen des Siglo de Oro weiterhin auch außerhalb Spaniens aufgeführt werden. In den deutschen Sprachraum sollten aber Stücke spanischer Provenienz vielfach nur über französische, niederländische oder italienische Übersetzungen und Bearbeitungen vermittelt werden. Dieser Rezeptionsstrang erreichte über Wandertruppen bisweilen auch den Süden des deutschsprachigen Raums. In Ansätzen schon in der deutschen Klassik, so v. a. bei Lessing, aber noch viel intensiver in der Romantik erfuhr das spanische Drama das Siglo de Oro erneut große Wertschätzung. Auch für diese zweite große Rezeptionswelle sollte wieder Wien – v. a. durch die Vorlesungen August Wilhelm Schlegels und auch wegen des ausgeprägten Spanieninteresses Grillparzers – eine zentrale Rolle spielen. Die verschiedenen Rezeptionswellen und –stränge sollen in diesem Vortrag vorgestellt werden, um sich im Abschluss tentativ der Frage des möglichen Einflusses auf das Wiener Volksstück zu nähern.

 

Peter C. Meilaender
Die Grenzen der Freiheit/Freedom and its Boundaries

Nestroy’s political comedies of 1848 and 1849 are a tempting source for studying his political opinions. Yet their interpretation is difficult, because Nestroy’s attitude toward the Revolution is not always clear; indeed, he was accused of changing his views as the political tides shifted. I argue that the plays of these years do indeed display a consistent political perspective. Though Nestroy sympathizes with the Revolution’s goals, his attitude toward it is ambivalent from the beginning, as is clear already in Freiheit in Krähwinkel. Through an examination of Der alte Mann mit der jungen Frau in particular, I argue that the source of Nestroy’s ambivalence can be found in his complex but insightful understanding of freedom and its limits. Freedom is both alluring and dangerous: alluring because of its potential for new possibilities and developments, dangerous because this embrace of the new always involves a rejection of some part of the old. Every act of freedom involves a Grenzüberschreitung. And because not all Grenzen can be simultaneously überschritten, freedom always requires some background of order. We see the same dialectic of freedom at work in Kern’s marriage, binding together the two themes of the play. Nestroy’s ambivalent attitude toward the Revolution thus proves to be rooted in the nature of freedom itself.

 

Oswald Panagl
„Gestutzte orecchi – Zani kani“. Hybride Sprachmuster und Wortverbindungen als „poetische Lizenzen“ in Nestroys Dichterjargon

Der Referent nähert sich dem Thema in mehreren Schritten. Zunächst zeigt er auf, dass die Verwendung von ‚leibeigenen‘ Wörtern und Phrasen aus einer fremden Sprache durchaus zur Ethopoiie von Komödienfiguren zählt. Das Verfahren findet sich etwa bei der rollenspezifischen Zeichnung des französischen Chevalier Dumont in Ferdinand Raimunds Der Verschwender als exzentrischer Charakter mit skurrilen Wesenszügen. Der Freund des Haupthelden Flottwell grüßt ein altes zahnloses Mütterchen mit „Bonjour Madame!“, würzt den Dialog durch Phrasen wie „Au contraire“ oder „O quel contrast“ und färbt sein Ausdrucksregister mit phonetischen und morphosyntaktischen Interferenzen: „[…] der Weib, der Ochsen auf der Flur! O Natur! Du sein groß ohne H’Ende.“ Eine bloße Marotte ist es hingegen, wenn Sporner, der anglomane Kumpan des Herrn von Lips in Nestroys Der Zerrissene („Das ist echt englisch!“), mit seinem wiederholten „Goddam“, „Spleen“ und „Schöne Miß!“ auffällt und sein englisches Sendungsbewusstsein manifestiert.

In Der böse Geist Lumpazivagabundus will der zu plötzlichem Reichtum gelangte Schneider Zwirn der vermeintlichen Frau von Palpiti mit angemaßten Italienischkenntnissen der folgenden Art für die Verlustanzeige eines Hundes imponieren: „Questo Mopperl – un Signore […] Carattere – calfacteristico […] Portate un nero cravattel“ usw.

In der Posse Eisenbahnheiraten wiederum versichert ein Akteur auf die Einladung zu einer kulinarischen Stärkung hin: „Ich hab‘ in Purkersdorf schon dejeuneralaforschettelt.“, womit Nestroy verbale Manierismen à la mode in banalen Sachverhalten aufzeigt.

Es gibt freilich Grenzfälle, bei denen eine heute empfundene Verfremdung von Wortschatz, Phraseologie und Idiomatik dem französisch gestimmten Sprachgebrauch und Konversationston der Epoche angemessen und daher gleichsam ‚unmarkiert‘ war. Ein wieder anderes Beispielfeld sind pseudowissenschaftliche griechisch-lateinische Fachwortkaskaden, in denen sich der Autor offenbar über den – auch in unserer Zeit nicht unüblichen – Jargon bestimmter Kuranwendungen lustig macht.

 

Walter Pape
Schmerzliche Grenzen: Komik und Ernst in der Komödie und im Volkstheater – Ein paar unvorgreifliche Notizen

„Nimmt man das, wovon der triviale Witz und der gewöhnliche Spaß handeln, ernst und d. h. heißt pragmatisch als das, was da wirklich geschieht, so ist der Anblick nicht heiter. Der Mensch erscheint als die geschlagene und gestoßene, als die abirrende und die taumelnde Kreatur.“ (Joachim Ritter)

„Das Lächerliche ist nämlich ein Fehler oder eine Schande, aber eine solche, die nicht schmerzt oder verletzt.“ (Aristoteles)

Die Geschichte der Komödie und des Volkstheaters ist auch eine Geschichte ihrer Verharmlosung. Nichts hat so viel Chaos in der Rede über Komik und Ernst angerichtet wie die Harmlosigkeitsdoktrin, die auf das Diktum des Aristoteles hin entstand. Andras Horn erliegt diesem Irrtum, wenn er schreibt: „Harmlosigkeit ist […] eine notwendige Bedingung des Komischen, das heißt, im gleichen Maße, als der Eindruck der Harmlosigkeit schwindet, schwindet auch die Komik.“ Viel mehr Recht hat Robert Gernhardt, wen er schreibt: „Je grenzverletzender, desto witziger.“ Oder anders gewendet: das Gegenteil von Komik ist nicht Ernst, sondern die Komik ist etwas Punktuelles, was für den Augenblick „die geschlagene und gestoßene, als die abirrende und die taumelnde Kreatur“ unsichtbar macht. Und überdies: Komik und Lachen sind kulturell und historisch bedingt.

Auch bei Nestroy gibt es, wenn man alles ernst nimmt nichts zu lachen:

  • Einer ertränkt seine Unzufriedenheit und sein Unglück im Alkohol:
    Knieriem: Meine G’schicht ist nicht so lang, aber äußerst tragisch. Erstens ist mir meine Profession z’wider, ich hab’ nur Sinn für die Astronomie – und dann hab’ ich nichts als unverschuldete Unglücksfälle g’habt.
  • Fabian Strick gesteht: „Ich glaube von jedem Menschen das Schlechteste, selbst von mir, und ich hab’ mich noch selten getäuscht.“
  • Trüb trauert um seine Frau, „die, selbst noch eine blühende Rose, hinwelken mußte in Grabesnacht! Setzt sich an die Staffelei und malt an dem Bilde seiner verstorbenen Frau.“
  • Wegen ihrer roten Haare werden Salome und Titus missachtet, Titus ist arbeitslos und hungert.
  • Kauz hat einen Raub inszeniert, um einen Erbschaftsanteil nicht zurückzahlen zu müssen.
  • Der melancholische Lips glaubt, dass er Gluthammer ermordet hat.
  • Nebel verkörpert die sozial Deklassierten und zieht den Schluss: „Abneigung gegen die Arbeit, und einen Universal-Hang zur Gaudée in sich tragt, und dennoch die Idee nicht aufgiebt ein vermöglicher Kerl zu wer’n, darin liegt was Grandioses. Der Fortuna als Mittelding zwischen Bettler und Guerilla entgegentreten, das Maximum von ihr begehren, wenn man auch gar keine Ansprüche darauf hat, das is die wahre Anspruchslosigkeit“.

Fazit 1: mit Joachim Ritter: Beim Lachen geht es um Dinge, die auch Anlaß des Schmerzes, der Melancholie und der Skepsis gegen Größe und Wert des Lebens sein können. Der Punkt aber, wo Spaß in Ernst, Lachen in Weinen umschlägt, ist „hochgradig unbestimmbar“. Also? „Urtyp alles Lachens ist jenes Gelächter, dass der Wilde ausstoßen soll, wenn er dem besiegten Feind den Fuß in den Nackenstellt. Das Lachen erscheint als Ausdruck der Brutalität, die sich über den Menschen […] erheben will.“ (Joachim Ritter)

Fazit 2: „Kann man denn auch nicht lachend sehr ernsthaft sein? Lieber Major, das Lachen erhält uns vernünftiger, als der Verdruß.“

Fazit 3: Die tatsächliche Grenzen, die dem Lachen und der Komik gesetzt sind, gelten zumindest seit dem 18. Jahrhundert für jedes literarische Werk, unabhängig ob Schauspiel, Tragödie oder Komödie.

 

Matthias J. Pernerstorfer
Die Wiener Vorstadtdramatik und die Theaterpflege des Adels in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Eine umfassende Geschichte des Adelstheaters der Region um die Haupt- und Residenzstadt Wien ist bislang Forschungsdesiderat. Besonders schlecht sieht es zum 19. Jahrhundert aus, obwohl gerade für die 1820er bis 1840er Jahre eine Theaterpflege auf zahlreichen Schlössern festzustellen ist bzw. anhand von baulichen Maßnahmen erschlossen werden kann, und auch nach 1848 mancherorts gespielt wurde. Allein im Grenzgebiet zwischen Böhmen und Mähren resp. Österreich unter der Enns konnte Adelstheater an einer Reihe von Orten nachgewiesen werden, an denen zu dieser Zeit gespielt wurde: Burg Engelstein nahe Großgerungs, Gratzen/Nové Hrady, Harmannsdorf, Maissau, Oberhöflein, Retz, Teltsch/Telč sowie Frain an der Thaya/Vranov nad Dyjí. Zudem ist aus der Nähe Amstettens ein Denkbuch der Bühne im Schlosse Seisenegg erhalten.

Es lassen sich bislang nicht für alle Orte Quellen zum Spielplan finden, doch ist erkennbar, dass es sich bei den Aufführungen von Stücken Raimunds und Nestroys in Teltsch unter dem letzten Hofmusikgrafen Leopold II Podstatzky-Lichtenstein (cf. M. J. P. in Nestroyana 32, 2012) nicht um eine Besonderheit dieses Ortes handelt:

In Seisenegg wurden von den Reichsfreiherrn von Risenfels und Freunden neben einer Mehrheit von Kotzebue-Stücken auch Bäuerles Der Freund in der Not, Die schlimme Liesel und Aline, oder: Wien in einem andern Welttheile sowie Meisls Die Heirath durch die Güterlotterie und Othellerl, der Mohr von Wien, oder: Die geheilte Eifersucht gegeben. Der letzte Eintrag stammt vom 28. Juni 1835 und nennt: Der böse Geist Lumpacivagabundus, oder: Das liederliche Kleeblatt.

Von Friedrich Egon Landgraf von Fürstenberg (1774–1856), dem Schlossherrn von Weitra, ist ein umfangreiches Tagebuch erhalten, in dem sowohl sein Engagement für sein Gesellschaftstheater in Prag und die Leitung des Hofburgtheaters in Wien (1835–1840) dokumentiert sind, wie auch die Aktivitäten in Weitra selbst, wo im Kreise von Freunden auch Szenen aus Raimund-Stücken zur Aufführung gebracht worden sind.

Im Vortrag wird eine chronologisch-topographische Periodisierung des Adelstheaters in Österreich unter der Enns (inkl. der angrenzenden Regionen) zur Diskussion gestellt, um die Theaterpflege in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu kontextualisieren, denn Interesse des Adels am populären Theater ist ja keineswegs erst seit der Gründung des Theaters in der Leopoldstadt und der anderen Vorstadtbühnen festzustellen. Zudem werden die bekannten Quellen im größeren Zusammenhang präsentiert und Perspektiven für künftige Forschungsprojekte aufgezeigt.

 

Oliver Pfau
Nestroy in Russland

Nestroys Komödien auf der russischen Bühne: Wann wurden zum ersten Mal Stücke von Nestroy in Russland aufgeführt? Welche Stücke wurden importiert? Wie wurden sie präsentiert (Übersetzung, Adaptierung, Umarbeitung) und wie vom Publikum aufgenommen (Aufführungen, Kritik)? Der Vortrag versucht einen Einblick zu geben in die russische Rezeptionsgeschichte von Nestroys Werken, Übersetzungen und Inszenierungen, von den Anfängen bis in die Gegenwart.

Stichwörter: Russland, Volkskomödie, Rezeption, Übersetzung, Inszenierung

 

Maria Piok
„Andern gfallt das Singen wällisch blos“ – Nestroy und die fremden Liedtexte

Auf die ,grenzüberschreitende‘ Übernahme von Gesangseinlagen, die, wie Düringer/Barthels in ihrem Theater-Lexikon schreiben, „der französischen Natur verwandt und verwachsen“ sind und andernorts „öfters nachgeahmt, aber nie recht heimisch werden konnten“, verzichteten mehrere Bearbeiter – auch Nestroy zeigte (obschon er die Vorlagen zu „Possen mit Gesang“ und nicht wie z.B. Angely zu Lustspielen ohne musikalische Einlagen umarbeitete) offenbar wenig Interesse an den Liedern seiner unmittelbaren Prätexte: Ungeachtet der zentralen Stellung, die sie den Originalstücken einnehmen, sparte er sie oft schon in der ersten Aneignungsskizze aus und zog sie bei der weiteren Bearbeitung weder für Couplets noch Dialoge heran.

Dennoch ist die nähere Betrachtung der Gesangspartien in den Vorlagen lohnenswert: Sie dient dem besseren Verständnis von Genrekonventionen und einer Neubewertung der adaptierten Stücke, verdeutlicht aber auch wesentliche Aspekte der Nestroy’schen Bearbeitungskunst. Streichungen und Raffungen Nestroys geben nicht nur Aufschluss über strukturelle Unterschiede zwischen den Gattungen von Vorlage und Adaption, sondern auch über verlagerte Schwerpunkte bei Nestroy, vor allem die Abwendung vom Pathos der Quellen zugunsten von Komik und satirisch-kritischer Reflexion. Besondere Beachtung verdienen die (von Rommel des Öfteren übersehenen) Liedpassagen, die der Wiener Bearbeiter nicht gestrichen, sondern als Anregung genutzt oder in abgewandelter Form in den Dialog übernommen hat: Die Gegenüberstellung von ausgewählten Beispielen zeigt, wie Nestroy die Texte der Gesangsnummern, entweder weil sie die Handlung fortführen oder ihm interessant erscheinende Ideen enthalten, in seine Stücke integriert hat, wobei die in der HKA edierten Vorarbeiten aufschlussreiche Einblicke in die Vorgangsweise des Autors gewähren. Die Einbeziehung von Theaterkritiken und Werken anderer Autoren (insbesondere Holteis Ausführungen zum „Liederspiel“ oder Kupelwiesers Lieder für seine „Talisman“-Version) erlauben die Einbettung in einen größeren Kontext, der von der Diskussion um Originalität vs. ,Überfremdung‘, der Forderung nach Wahrung von lokalen Traditionen und der zunehmenden Internationalisierung des Theaterbetriebs geprägt ist.

 

Fanny Platelle
Bäuerles und Meisls Bearbeitungen von französischen opéras-comiques (Aline oder Wien in einem andern Welttheile, 1822; Die schwarze Frau, 1826)

Das Wiener Volkstheater zeichnet sich von Anfang an durch eine große Aufnahmebereitschaft gegenüber ausländischen Impulsen aus. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts macht sich ein besonders starker Einfluss der französischen, norddeutschen und englischen Literatur auf das österreichische Theater bemerkbar.Der große Bedarf an Theatertexten wurde vermehrt durch Übersetzungen und Bearbeitungen aus dem Ausland gedeckt. Mangelhafte Urheberrechtsbestimmungen förderten dieses Phänomen zusätzlich [1]. Während auf dem Gebiet der Romanübersetzungen ein Gleichgewicht zwischen England und Frankreich bestand, kann man auf dem Gebiet der Dramatik von einer Monopolstellung der Franzosen sprechen [2]. Die Untersuchung der wichtigsten Wiener Bühnen bestätigt die Dominanz der französischen Dramenproduktion [3]. Die Situation auf den Bühnen der Vorstadttheater war eine ähnliche [4].

Ziel des Beitrags ist es, den Bearbeitungsprozess von französischen opéras-comiques durch Adolf Bäuerle und Carl Meisl zu beleuchten. Dazu werden wir zwei ihrer zugkräftigsten Bühnenerfolge aus den 1820er Jahren textanalytisch untersuchen: Bäuerles Volks- und Zauberoper Aline oder Wien in einem andern Welttheile (1822), für welche die opéra-comique Aline, reine de Golconde von Vial und Favières, Musik von Berton (1803) als Vorlage diente, und Meisls Schwarze Frau (1826), die als Parodie auf die opéra-comique La dame blanche (1825) von Scribe und Boieldieu konzipiert ist.

Durch die Analyse der Veränderungen wird der Beitrag zeigen, wie (mit welchen Verfahren und welcher Intention) die französischen Libretti an österreichische Zustände angepasst wurden.

 

 

1 Erst mit dem Abkommen von 1866 zwischen Frankreich und Österreich wurde die Vergabe der Übersetzungsrechte geregelt. Vgl. Urs Helmensdorfer, „Heilig sei das Eigenthum! Urheberrecht in Wien um 1850“, UFITA. Archiv für Urheber- und Medienrecht 2001/II, 2001, S. 457–496.
2 Vgl. Norbert Bachleitner, „Übersetzungsfabriken. Das deutsche Übersetzungswesen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“, Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 14/1, 1989, S. 1–49.
3 Vgl. Leopold Nosko, Kultureinflüsse – Kulturbeziehungen. Wechselwirkungen österreichischer und französischer Kultur, Wien, Köln, Graz, 1983, S. 9.
4 Vgl. Susan Doering, Der wienerische Europäer. Johann Nestroy und die Vorlagen seiner Stücke, München, 1992 (Literatur aus Bayern und Österreich. Literarhistorische Studien, Bd. V), S. 26 ff. und Nosko (Anm. 3), S. 40 ff.

 

 

Andreas Schmitz
„Das weiß ich jetzt auch nicht, wie’s heißt!“ Eine Exkursion nach Karl Valentin hin. Ohne Musik und kleine Trommel.

Wenn S’ links schauen, dann seh’n S’ nicht, was rechts ist.
Das ist schon schön, was S’ jetzt rechts nicht sehen. Aber schauen S’ jetzt ja nicht, was rechts schön ist, sonst verpassen S’ noch das Schöne, was dann links sein könnt. Überall können S’ halt doch nicht hinschau’n.
Am besten schau’n S’ gar nirgends hin, dann verpassen S’ alles. Das ist dann ein perfektes Panoptikum. Da seh’n S’ alles nicht. Das ist gescheit.
Noch gescheiter wär gescheitert.

Um Karl Valentins vorderstes Steckenpferd soll es gehen: um das Scheitern. Um das Scheitern an der Sprache, indem dass man sie nämlich wörtlich nimmt, die Sprache. Und damit geht es zwangsläufig auch um das Scheitern im Alltag. Es ist eine verhinderte Exkursion im Sitzen. In erster Linie aber ein kleiner Abend zu Ehren der vergnügungswilligen Kongressinsassen und zur Erbauung des Münchner Sprachjongleurs Karl Valentin. Oder andersrum. Jedenfalls ist das Wort „Wissenschaft“ in diesen Zeilen bewusst vermieden worden. Darum geht’s nicht. Aber an der allzu oft unterschätzten und vergessenen Schauspielerin Liesl Karlstadt soll es nicht mangeln. Eh wegen der Frauenquote wird sie mindestens einmal Erwähnung finden.

 

Johann Sonnleitner
Possen am Burg- und Kärntnertortheater. Dramenästhetische Transgressionen in den 80er Jahren.

Nach einer Skizze Konkurrenz zwischen Possen/Burlesken und dem Lustspiel im Kontext der Wiener Theaterdebatte in den 60er Jahren des 18. Jahrhunderts soll knapp der Spielplan am 1776 gegründeten Nationaltheater rekonstruiert werden, der vor allem das rührende Lustspiel privilegiert, nun erstaunt es, daß in den 80er Jahren auf den beiden Hoftheatern wieder Possen auftauchen, besonderes Interesse verdient Ferdinand Eberl, dessen Satire Der Dichterling 1781 (und vermutlich auch dessen Posse Das listige Stubenmädchen 1784) auf dem Burgtheater uraufgeführt wurde, der überdies eine Reihe erfolgreicher Stücke für das Leopoldstädter Theater und auch einen der wenigen theoretischen Texte über die Posse verfaßte (Gedanken über die Posse. In: F. Eberls Theaterstücke. 1. Bd. Grätz: Anton Tedeschi 1790, s. p.)

 

Martin Stern
Nestroy in der Antisemitismus-Falle? oder: Was darf die Parodie?

Gespräch mit Christine Bauer, Ulrike Tanzer, Jürgen Hein, Walter Pape, Reinhard Urbach, Leitung: Martin Stern

Die Hebbel-Parodie Judith und Holofernes war von ihrer Neuinszenierung 1856 bis zu Nestroys Tod 1862 ein Bühnenerfolg. Die satirische Zeichnung der Bürger Bethuliens als feige, nur um ihr Geld besorgte Wiener Juden erregte damals kaum noch Anstoß. Und die im 20. Jh. einsetzende Nestroy-Forschung verneinte mehrheitlich die Frage eines latenten Antisemitismus in dieser Posse, auch nach dem Holocaust.

Aber die Theater scheuten offenbar trotzdem neuerdings vor Aufführungen zurück, auch Peter Gruber. Und seit dem Erscheinen von Band 26/II der KHA von Mc Kenzie 1998 ist diese Zurückhaltung noch verständlicher geworden.

Warum? Die darin vorgelegten, nun endlich ungekürzt wiedergegebenen Dokumente zur Rezeption der Erstaufführung vom März 1849 zeigen, dass der groteske Ulk des Stückes von der Presse damals fast einhellig abgelehnt worden ist. Dass dabei nicht offen die Judensatire, sondern die extreme Grobheit und Trivialität von Sprache und Handlung getadelt wurden, dürfte seinen Grund darin gehabt haben, dass die Rezensenten oft Juden waren, die sich nicht dem Vorwurf jüdischer Empfindlichkeit aussetzen wollten.

Dabei war diese Empfindlichkeit, wie die vielen Zeugnisse des 1848/49 zunehmenden Antisemitismus vor allem in Wien zeigen, durchaus berechtigt. Denn genau das, was ein Teil der christlich-nationalen Presse den um bürgerliche Gleichstellung kämpfenden Juden der k.k. Monarchie vorwarf, ist gewichtiger Nebeninhalt der Satire in Nestroys Stück. Es lautet, die verwienerten Hebräer Bethuliens seien unpatriotisch, unmilitärisch, für handwerkliche und bäuerliche Tätigkeiten ungeeignet und nur an ihren Geldgeschäften interessiert.

In Judith und Holofernes wurde dieses rassistische Urteil tel quel übernommen und davon wohl Applaus im Parterre erhofft. Er blieb, wie gesagt, während der wenigen Aufführungen vom März 1849 aus. Warum er nach 1856 dennoch einsetzte, bedarf einer eigenen Analyse. War es wachsende Unempfindlichkeit gegenüber antijüdischen Manifestationen im Volkstheaterpublikum?

Es geht nicht um Nestroys persönliche Meinung und Haltung gegenüber Juden. Zeugnisse von Antisemitismus gibt es von ihm nicht. Wohl aber muss gesagt werden, dass er – leichtsinnig und ziemlich schnöde – ein grassierendes negatives Judenbild, das bei Hebbel nicht vorhanden war, in seiner Posse kolportierte.

Jetzt also die Frage: War das eine zu inkriminierende Grenzüberschreitung, d.h., überschritt es die Grenze dessen, was eine Parodie darf? Und wenn „ja“: Wie wäre das Stück heute aufzuführen? Gar nicht oder nur gekürzt, kastriert um seine – recht zahlreichen – antisemitischen Stellen? Oder historisch-textgetreu (mit „Erläuterungen“)?

Wie die Ankündigung des Gesprächs besagt, möchte ich die Teilnehmer des Podiums und anschließend das Plenum einladen, in einem ersten Teil die spezielle Frage, wie mit Nestroys Stück zu verfahren ist, zu diskutieren, und in einem zweiten die allgemeine: Was darf die Parodie und was sollte sie nicht?

Als Anregung zum zweiten Teil lege ich ein Handout mit ein paar einschlägigen Zitaten auf.

 

Gerald Stieg
„Ich bleibe meinem Nestroy“. Der „Nestbeschmutzer“ als Ikone der österreichischen Identität?

Es geht um zwei Dinge, einerseits um die Definition des „Nestbeschmutzers“, andererseits um die „Deutungshoheit“ in Sachen Nestroy und die Wandlungen, denen Wertungen und Vergleiche seit seinen Lebzeiten unterworfen waren. Zur Sprache kommen: Canetti, Hofmannsthal, natürlich Karl Kraus, Robert Müller, Egon Friedell und seine hyperbolischen Vergleiche, das seltsame Curriculum der Metonymie vom Wiener Aristophanes, die hanswurstische Ernennung Wittgensteins zum „Nestroy der Philosophie“, schliesslich Jonathan Franzens Kommentar zu seiner Übersetzung von „Nestroy und die Nachwelt“.

 

Jozef Tancer
Die Donaufahrt des 19. Jahrhunderts als Reise- und Schreibpraxis

Das Thema Donaureise scheint unter dem literaturwissenschaftlichen Blickwinkel mindestens im doppelten Sinn uferlos. Beschränkt man die Untersuchungszeit auf die Periode des 17. bis zum beginnenden 20. Jahrhundert, so ist aus heuristischer Perspektive eine enorme Fülle von Quellen zu bewältigen. Hunderte von Büchern, Zeitschriftenartikeln und Manuskripten unterschiedlicher Gattungen berichten von einer real oder fiktiv durchgeführten Donaufahrt oder den Möglichkeiten einer solchen Reise. In thematischer Hinsicht ist dieses Textkorpus ein breites Sammelbecken unterschiedlichster Diskurse, deren Analyse einen Methodenpluralismus erfordert, der selbst bald Gefahr läuft, uferlos zu werden. Die Semantisierung der Donau, der Donaulandschaften und -länder sowie dieser spezifischen Reiseform, die als Produkt von Donaufahrten und Gegenstand einer Analyse vor einem Literaturwissenschaftler stehen, erfolgt auf mehreren sich überlappenden Ebenen. So ist unter Donaureise eine besondere Reise- bzw. Verkehrstechnik zu verstehen, aus der sich neben ihrer pragmatischen Funktion der Beförderung von Waren und Menschen eine spezielle kulturelle Praxis entwickelte. Das Einzigartige dieser Praxis liegt u. a. in den typischen durch die Reise auf der Donau geprägten ästhetischen Wahrnehmungsformen, die in verbalen und visuellen Darstellungen ihren Ausdruck und ihre Entfaltung finden. So treffen in einem Donaureisebericht die reisetechnische, die wahrnehmungspoetische und die gattungstheoretische Dimension aufeinander, auf deren Grundlage sich häufig noch eine symbolische Ebene herausbildet, die die Donaureise selbst oder eines ihrer Bedeutungsfelder metaphorisch oder metonymisch instrumentalisiert. Das vorliegende Referat wird sich zeitlich auf das 19. Jahrhundert beschränken Ich möchte versuchen, einige Grundthemen und Tendenzen der Donaureiseberichte des 19. Jahrhunderts zu skizzieren. Dabei gehe ich von der Subjektivierung der Reiseliteratur aus, die um 1800 einsetzt, und verfolge neue Wahrnehmungspoetiken (wie Ästhetisierung) sowie Kodierungspraktiken (wie Nationalisierung), die ich an ausgewählten Beispielen v.a. mit dem geographischen Schwerpunkt Wien – Pressburg erörtere.

 

Barbara Tumfart
Zensurbuch versus Manuskriptdruck: eine strategische Möglichkeit der Umgehung von Zensurvorschriften?

Die Theaterzensur, ihre Vorschriften und die Suche nach Möglichkeiten der Umgehung derselben stehen im Mittelpunkt meines Beitrages. Neben einer Vielzahl produktionsästhetischer Kriterien für die Textproduktion, den heterogenen Publikumserwartungen und dem damit verbundenen ökonomischen Erfolgsdruck auf die Bühnenautoren stellten die obrigkeitliche Zensur und ihre Bestimmungen für die Bühnentexte des 19. Jahrhunderts einen konstitutiven, den Spieltext bestimmenden Faktor im Theaterbetrieb dar. Das Hauptaugenmerk meiner Untersuchungen liegt in der näheren Analyse von Zensurbücher von Theaterstücken aus den 1860er Jahren, die gemäß den Bestimmungen der Theaterordnung von 1850 vor der jeweiligen Theateraufführung den Zensurbehörden vorgelegt werden mussten, aber bisher von der Forschung mitunter wenig Beachtung fanden. In vielen Fällen wurde der darin enthaltene Spieltext in Hinblick auf Einhaltung der Konventionen von Moral, Sitte, Religion und des Verbots der Kritik an Zeitpolitik und Herrscherhaus gekürzt. In den (meist) nachträglich gedruckten Spieltexten im Wiener Theater-Repertoir im Verlag Wallishausser finden sich vielfach die ursprünglich zur Aufführung nicht zugelassenen Textteile wieder. Ich gehe durch direkte Textvergleiche zwischen (handschriftlichem) Zensurbuch und Manuskriptdruck der Frage nach, inwiefern diese Manuskriptdrucke damit neben ihrer Funktion des Archivierens des Textes auch ein nicht unbedeutendes strategisches Mittel des Überschreitens bzw. des Unterlaufens der herrschenden Zensurvorschriften darstellen. Ein interessierter Theaterbesucher hatte die Möglichkeit, durch genaue und aufmerksame Lektüre den „Originaltext“ des Theaterstückes nachzulesen und eventuelle kritische Textstellen herauszufinden. Die immer wiederkehrende stereotype Klage über die Verstümmelung des Textes durch die Zensur kann also nicht für alle Erstdrucke gelten bzw. sollte nicht automatisch angenommen werden. Verlage wie jener von Johann Baptist Wallishausser trugen somit fallweise zum Erhalt des ursprünglichen, vom jeweiligen Autor gewollten Spieltextes bei. Sie garantieren nicht nur die textuelle Archivierung von heute vielfach in Vergessenheit geratenen Theaterstücken, sondern auch die Lektüre eines mitunter von der Zensur unberührten oder nur geringfügig veränderten Textes. In Kombination mit den ihnen zugrunde gelegten handschriftlichen Zensurbüchern ergeben sich interessante Einblicke in die spezifischen Produktionsbedingungen von Theaterliteratur im 19. Jahrhundert, die bei einer editionsphilologischen Arbeit nicht vernachlässigt werden sollten.

 

Fred Walla
Ferdinand Raimunds Selbstbeschimpfungen

Bei der Arbeit an den Raimundstücken ist mir aufgefallen, dass bei jenen Rollen, die Raimund für sich selbst geschrieben hat, wenn sie in der Hanswurstradition stehen (also ZITTERNADEL, aber nicht RAPPELKOPF), immer wieder unvorteilhaft auf ihre körperlichen und geistigen Eigenschaften hinweist.

Frage: Ist das in den Hanswurststücken üblich? Und wenn ja, warum hat es Raimund übernommen. Im Barometermacher finden sich diese Invektiven sowohl im ersten, als auch im zweiten Akt. Stammen sie von Meisl, warum hat sie Raimund übernommen?

Bei Nestroy findet sich Ähnliches nicht.