Nestroy-Spiele 2016

Der böse Geist Lumpazivagabundus

44. Nestroy-Spiele Schwechat 2016 im Schlosshof der Rothmühle
in Schwechat-Rannersdorf, 2320 Schwechat, Rothmühlstraße 5
Premiere 25. Juni 2016, Vorstellungen bis 30. Juli 2016

Die schöne, heile Welt des „Biedermeier“ ist aus den Fugen. Überall Chaos, Dreck, Armut und Niedergang. Die Jugend verspielt scheinbar leichtfertig ihre Zukunft, die alten Werte zählen nichts mehr. Rasch finden die Reichen und Mächtigen des Landes einen Schuldigen: den bösen Geist „Lumpazivagabundus“. Um ihn zu bannen, machen sie ein Experiment: sie verhelfen drei arbeits- und obdachlosen Burschen mittels eines manipulierten Lotto-Gewinns zu großem Reichtum. Mit Geld sollen sozialer Friede, Recht und Ordnung wiederhergestellt werden. „Lumpazivagabundus“ – Nestroys genialischer Dauerbrenner, in der aktuellen Interpretation des bewährten Ensembles rund um Nestroypreisträger Peter Gruber.

Besetzung

  • Stellaris, Feenkönig Ottwald John
  • Pluto, sein Sekretär Gabi Holzer
  • Fortuna, die Fee des Glücks Anna Mitterberger
  • Brillantine, ihre Tochter Marion Wölfler
  • Amorosa, die Fee der Liebe Bella Rössler
  • Lumpazivagabundus Franz Steiner
  • Mystifax, Wutbürger Peter Kuno Plöchl
  • Gebnix, Wutbürger Karl Schleinzer
  • Habnix, Wutbürger Peter Koliander
  • Hilaris, Sohn Mario Klein
  • Fludribus, Sohn Robert Elsinger
  • Tunix, Sohn Claudio Györgyfalvay
  • Isnix, Tochter Mona Rieger
  • Punkerine, Tochter Simone Wawra
  • Leim Max G. Fischnaller
  • Zwirn Valentin Frantsits
  • Knieriem Eric Lingens
  • Pantsch, Gastronom Andreas Herbsthofer-Grecht
  • Sepherl, Kellnerin Lisa Wentz
  • Hannerl, Kellnerin Isabella Celeda
  • Haudrauf, Lotteriegewinner Sandro Swoboda
  • Hobelmann, Tischlermeister Franz Steiner
  • Peppi, seine Tochter Lilian Jane Gartner
  • Strudl, Gastwirt Karl Schleinzer
  • Anastasia, seine Braut Sabine Axmann
  • Gertraud, Hausangestellte Gabi Holzer
  • Reserl, Hausangestellte Julia Kampichler
  • Fotografen Robert Elsinger, Simone Wawra
  • Windwachel Mario Klein
  • Bodo von Lüftig, Kolumnist Claudio Györgyfalvay
  • Signora Palpitti Maria Sedlaczek
  • Camilla, ihre ‚Tochter‘ Aline-Sarah Kunisch
  • Laura, ihre ‚Tochter‘ Theresa Groß
  • Asylanten Hasan Al Kassier, Souhaib Chebel
  • Bettlerin Sissy Stacher
  • Augustinverkäufer Richard Strauss
  • Polizisten Christiane Körner, Peter Koliander
  • Obdachlose, Passanten, Ballgäste, Arbeiter und Arbeiterinnen Mathilde Knor, Andrea Schubert, Elias Unger, Jana Unger und Ensemble
  • Musiker Hans Nemetz, Hans Wagner
  • Regie Peter Gruber
  • Mitarbeit Christine Bauer
  • Textbearbeitung Peter Gruber
  • Musikalische Einrichtung Tommy Hojsa
  • Bühne Tina Prichenfried, Günter Lickel
  • Kostüme Okki Zykan
  • Maske Andrea Zeilinger
  • Lichtdesign Harald Töscher
  • Licht- und Tontechnik Thomas Nichtenberger
  • Spot Ensemble und Konstantin Bock, Fiona Ristl, Maximilian Steinhagen, Michael Strasser/Konzeption Peter Gruber, Max G. Fischnaller/Kamera Bernadette Dewald/Schnitt Johann Scholz
  • Organisation Christine Bauer
  • Pressebetreuung Barbara Vanura
  • Büro und Kassa Christiane Körner, Grete Seitl, Patrizia Weiss

Pressestimmen

Online Merker, 26. Juni 2016: Der böse Geist Lumpazivagabundus

„Der böse Geist Lumpazivagabundus oder Das liederliche Kleeblatt“, wie der volle Titel lautet, den heute niemand mehr benützt, war 1833 das erste im Quartett der unsterblichen, immer gespielten Nestroy-Stücke (es folgten 1840 „Der Talisman“, 1842 der „Jux“ und 1844 „Der Zerrissene“). Bei genauerer Betrachtung hat Nestroy sein kleinbürgerliches Publikum weder vorher noch nachher je so frontal konfrontiert und attackiert wie mit der Gestalt der drei „arbeitslosen“, heruntergekommenen Handwerksgesellen, die als Außenseiter der Gesellschaft auch noch den Mut haben, nicht dankbar die Segnungen des Kapitalismus anzunehmen, sondern ihre ganz und gar unangepasste Freiheit zu fordern – jedenfalls zwei von den dreien.

Wenige Nestroy-Figuren sind leichter in die Gegenwart zu holen als Knieriem, der Säufer, Zwirn, der ewige „Drahrer“ und Leim, der sich dann doch domestizieren lässt. Es gab genügend Aufführungen, die sich von der blanken Komödiantik entfernt und die „toten Seelen“ gesucht und gefunden haben, desgleichen die Sandler, die Heruntergekommenen, jene, die nicht wollen, was man ihnen aufzwingen möchte.

Aber in Schwechat, wo man traditionsgemäß nicht viel Aufwand braucht und will, um Nestroys Stücke als lapidare Gegenwart hinzustellen, passen sie heuer in der brillant-stringenten Regie von Peter Gruber besonders gut und überzeugend hin. Selten hat man gespürt, wie tief Nestroys Sympathie für die armen Hunde war – eine Sympathie, die Gruber seinerseits gibt und weiterträgt, indem er den drei jungen Darstellern ganz besondere Kraft und Vitalität verleiht. So komisch sie immer wieder sind, so wenig ist Komik hier ihre Aufgabe – das sind Charaktere, Schicksale, Prägungen, die ihnen ihr Sosein und Dasein auferlegt.

Sie bewegen sich diesmal auf einer fast leeren Bühne, die nur mit dem Abfall derer bestückt ist, die Gratiszeitungen, Blechdosen und Plastikflaschen wegwerfen. Dazu die Bettlerin (sie müsste, zumal sie einen Hijab trägt, nicht irgendwann in den Erzherzog-Johann-Jodler ausbrechen), die Immigranten, die Obdachlosen, später die Arbeiter in Leims Fabrik (bei Gruber bringt er es noch weiter als bei Nestroy) – früher hätte man vielleicht „das Proletariat“ gesagt, heute ist es das Prekariat. Und doch leben wir in einer Welt des Kapitalismus – die glitzernden Laufbänder im Hintergrund der Bühne bringen Börsenkurse und Werbesprüche.

Da passen sie perfekt hinein – Eric Lingens mit Pudelmütze und der Gelassenheit des überzeugten, unbeirrbaren Säufers, Valentin Frantsits (der „böhmakelt“) als einer der überzeugendsten Zwirn-Darsteller, die man je gesehen hat, getrieben von einer Motorik, die in seinem Wesen wohnt, im Auf und Ab des Lebens gleich fröhlich in sich selbst ruhend, und schließlich Max G.Fischnaller (mit leicht Tiroler Zungenschlag) als Leim, der die erstaunlichste Wandlung durchmacht – vom enttäuschten Verliebten, der sich in seiner Düsternis erheiternd suhlt, bis zum unsympathischen Kapitalisten, den Gruber sogar körperlich ausfällig werden lässt, wenn er sich nicht mehr zu helfen weiß – über den widerspenstigen Knieriem, der nicht und nicht „brav“ werden will, stülpt Leim eine riesige Pappkarton-Kiste – ein so faszinierender wie einsichtiger Effekt.

Gruber überschwemmt die Bühne geradezu mit Mitwirkenden, zahllose junge Leute wieseln herum, große Rollen müssen allerdings, in Ermangelung von Darstellern, doppelt besetzt werden – so mutiert der süffisant-hochmütige böse Geist Lumpazi in Gestalt von Franz Steiner später zum Meister Hobelmann (mit der Selbstgefälligkeit des wohlbestallten Bürgers), und Ottwald John als Feenkönig Stellaris übernimmt es höchstpersönlich, als Hausierer den drei armen Kerlen das große Geld zu bringen…

Nicht ganz so gelungen ist die Szene mit Signora Palpitti und den Töchtern, aber wo das Quodlibet unter den Möglichkeiten bleibt, die man schon oft erlebt hat, ist die „Seitenblicke“-Charity-Party, die sich da abspult (Conchita inbegriffen), eine brillante Satire auf das, was täglich im Fernsehen verschlungen wird – wie die „Reichen“ und „Schönen“ sich unter dem Vorwand der Wohltätigkeit unterhalten, bzw. eigentlich langweilen, aber unbedingt dabei sein müssen… Ein Pop-Konzert als teuflische Party ist da auch schon mal drin. Radikal genug. Sonst zeigt sich der Abend in politischen Randbemerkungen weniger scharf, als man es von Peter Gruber gewöhnt ist.

Wie man weiß, musste Nestroy sich den bürgerlichen Zwängen seiner Epoche beugen und durfte Knieriem und Zwirn nicht in ihre selbst gewählte Elends-Freiheit entlassen, sondern musste auch aus ihnen brave Familienväter machen. Gruber hängt diese Sequenz in Form eines Werbe-Videos (wie jene für die bekannte Möbelfirma) an, wo die scheinbar glücklichen Väter, von kreischenden Kindern umgeben, mit den Zähnen knirschen… Lumpazi kann sich da nur entfernen: Das ist nicht mehr seine Welt.

Aber Nestroy hat man gesehen – wieder einmal wurde bewiesen, wie sehr er, ungeachtet der Distanz von fast 200 Jahren, direkt zu uns spricht. (Renate Wagner)

APA, 26. Juni 2016: „Lumpazivagabundus“ bei den Nestroy-Spielen Schwechat

Die 44. Nestroy-Spiele Schwechat haben am Samstagabend im Hof von Schloss Rothmühle in Rannersdorf mit der Premiere “Der böse Geist Lumpazivagabundus” für einen konturierten Beitrag zum Theaterfest NÖ gesorgt. Die Inszenierung von Intendant Peter Gruber rückt das biedermeierliche Komödienklischee zurecht und übersiedelt das Geschehen in heutiges Prekariats-Ambiente.

Eric Lingens als ebenso hoffnungsloser wie sympathischer Alkoholiker Knieriem, Valentin Frantsits als schneidernder Schwerenöter Zwirn mit hörbarem Migrationshintergrund, Max G. Fischnaller als karrierebewusster Tischler Leim mit Nerdbrille und Yuppie-Outfit – es ist fürwahr ein liederliches Trio aus dem Bilderbuch der Gegenwart, das vor dem grindigen Hintergrund einer potthässlichen urbanen Betonfassade agiert. Vielleicht ein Parkhaus, dann wieder ein Möbelhaus („Daheim beim Leim“) oder gar „Zwirn City“ – Anklänge und Assoziationen sind da wohl beabsichtigt. Und die „Liederlichkeit“ wird im wahrsten Wortsinn beschworen mit einem ausgiebigen Medley vor der Pause.

Eine matronenhafte Muslimin hockt auf der Bühne und hält ein Schild ins Publikum: „Hab i kane Wohnnung. 3 Kinda! Brauch i Geld fir Essen bite“. Später stellt sich heraus, dass sie einen Jodelkurs erfolgreich absolviert hat. Nur ein Beispiel für den bitteren Sarkasmus, der Grubers treffliche Nestroy-Interpretation charakterisiert. Da taucht die Polizei zur nächtlichen Überprüfung der Registrierkassen auf, empören sich bourgeoise Wutbürger über ihre verkommene Nachkommenschaft, spielen die Medien ihre korrupte Rolle im Regenbogenmetier der Seitenblicke-Gesellschaft.

Abgedruckt in Salzburg 24, Vorarlberg online, Salzburger Nachrichten, Tiroler Tageszeitung

Der Standard, 26. Juni 2016: „Der böse Geist Lumpazivagabundus“: Glück im Extraordinären

Die Nestroyspiele Schwechat blicken auf eine seit 1973 ungebrochene Aufführungstradition zurück. Mit einem der bekanntesten Stücke des Volkstheaterdichters registrieren sie heuer die menschlichen Mängel: dem Bösen Geist Lumpazivagabundus. Als Regisseur macht Peter Gruber sich mit jeder Menge Freude an aktualisierender Szenen- und Textgestaltung an Nestroys ersten Publikumserfolg von 1833. Leere Aludosen, Plastikflaschen, Papierfetzen vermüllen die betontrübe Bühne. Im Hintergrund blinkt – für Sommertheater gewöhnungsbedürftig – einsam ein Weihnachtsbäumchen. Kein Stern steht aber am Himmel, sondern es ziehen die Börsenkurse darüber hinweg. Wo einer gewinnt, verliert ein anderer.

Namentlich die darunter lagernden drei jungen Männer: Eric Lingens ist als Schuster Knieriem ein versoffener Gesell mit fleckiger Hose und einer bravourösen Resignation vor dem kommenden Kometen. Valentin Frantsits gibt Schneider Zwirn gut bei Stimme als eitlen behmischen Gecken. Und Max G. Fischnaller den Tischler Leim als bestechend harmlos-netten Burschen vom Land.

Alle nebst fabelhaft dargestellt auch arbeits-, obdach- und hoffnungslos, zieht ihnen zudem „eine Numero“ über die Köpfe. Die Feen Fortuna (eine Börsianerin) und Amorosa (ein resolutes Mütterchen) liefern sich eine Wette um ihre Macht und deren Glück.

Wenn der Mensch tatsächlich erst zu Reichtum gekommen zum wahren Sein findet, kann man sich schon ausmalen, was nun auf die drei – den Tüchtigen, den Lebemann und Blender sowie den allzu Sensiblen, kaum will man ihn einen Taugenichts nennen – zukommt. Noch bunter aber sind die Farben in Schwechat!

Dialektstrotzend spickt das Ensemble in bester Nestroymanier das immergültig Menschliche mit Verweisen auf aktuelle Politik und Gesellschaft. Nicht nur im „Die Wöt steht auf kan Fall mehr long long long long long“-Kometenlied. Eine Zuwanderin etwa hat beim AMS einen Jodelkurs besucht. Auch Spitzen gegen die Wiener Crème de la Seitenblicke („Wir sind im Fernsehen, weil uns die Leut gern sehen“) haben Platz.

Das alles ist so turbulent und klug gemacht, dass es eine Freude ist. Das Ordinäre als Extraordinäres. Ein Volkstheater im besten Sinn ist, was hier gute zwei Stunden lang über die Bühne geht. Selbige (Tina Prichenfried, Günter Lickel) spielt dabei nicht weniger alle Stückerln mit als die Kostüme (Okki Zykan) und die Livemusik von Hans Nemetz und Hans Wagner. Am Ende errettet die Liebe. Die Jugend mag verkommen sein, aber sie ist nicht verloren. (Michael Wurmitzer)

Kronenzeitung, 27. Juni 2016: Statt Posse und Zauber Klassenkampf

Man fährt gerne nach Schwechat: Bei den alljährlichen Nestroy-Spielen im Schloss Rothmühle arbeitet sich das Team mehr oder weniger systematisch durch das umfangreiche Werk des Autors. Man zeigt vor allem engagiertes, ernst genommenes Theater: Ein Theater, in dem sich gesellschaftspolitischer Anspruch und Unterhaltung mischen sollen!

Nestroys Zauberposse „Lumpazivagabundus“, die kritisches Potenzial in sich trägt, kann auf viele Arten angelegt werden: In Schwechat geht es um den Klassenkampf. Regisseur Peter Gruber, der die Leitung der Schwechater Nestroy-Spiele inne hat, sorgt für klare Verhältnisse. Hier reich, dort arm. Das bedeutet: Hier böse, dort gut. Aktienkurse rattern gleich zu Beginn über Leuchtbänder und stehen für die liberalisierte Wirtschaftswelt. Und schafft es einer von unten nach oben, dann leidet der Charakter.

Diese sommerlich leichte Theaterkleidung trägt sich gut, macht aber auch Schwierigkeiten; denn dass ein Stechuhrkapitalismus moralisch kaum überzeugt, ist durchaus konsenserprobt. Und die Luftikusse und armen Schlucker sind sympathischer als das zackige „Geldmachen“ der Unternehmer. Aber ist das schon genug? Ist Theater nur zur Bestätigung des Bekannten da? So tiefgehend ist diese oberflächliche Gesellschaftsanalyse dann doch nicht. Und so auch ausgesprochen handzahm.

Egal! Man spielt, singt und tanzt, es ist bunt und kurzweilig, und die Typen sind gut gestaltet: Im Zentrum Eric Lingens, Valentin Frantsits und Max Gruber-Fischnaller. Das ist federleichtes Theater! (Oliver A. Lang)

Wiener Zeitung, 28. Juni 2016: „Schluss mit lustig“

Vor der Bühne bettelt eine Zuwanderin, an der Wand laufen die Börsenkurse. Wutbürger beklagen, dass die Jugend ihr Geld verjubelt und nichts mehr für alte Werte übrig hat. Die Ungleichheit einer aus den Fugen geratenen Welt, in der einander Arm und Reich, Spaß- und Ellbogengesellschaft gegenüberstehen, wird bei den Nestroyspielen in der Schwechater Rothmühle heuer deutlich sichtbar.

„Der böse Geist Lumpazivagabundus“, ein unverwüstliches Hauptwerk Nestroys, trifft die Aussage, dass eher Liebe als Geld den Charakter bessert. Peter Grubers flotte Inszenierung verpackt wie einst Nestroy selbst die Gesellschaftskritik in Watte, ob er nun das Flüchtlingsproblem oder Blüten unserer Seitenblicke-Gesellschaft anspricht. Lumpazivagabundus lässt er im eleganten Mantel auf- und – als „Schluss mit lustig“ ist – effektvoll abtreten. Der „Beherrscher des lustigen Elends“ hinterlässt nur Elend – das Happy End findet im Werbefernsehen mit dem Slogan „Daheim beim Leim“ statt. Max G. Fischnaller spielt einen sympathischen Tischler Leim vom Land, der zum Möbelhaus-Chef avanciert. Etwas zu quirlig agiert Valentin Frantsits als Schneider Zwirn, schon mehr Sexualneurotiker denn Schürzenjäger. Eric Lingens schafft es, dass der dem Alkohol verfallene Schuster und Hobby-Astronom Knieriem nicht wie eine Kunstfigur, sondern wie ein bedauernswerter Mensch wirkt. Weiters hinterlassen Ottwald John (Feenkönig Stellaris), Franz Steiner (Lumpazivagabundus, Tischlermeister Hobelmann) sowie die Musiker Hans Nemetz und Hans Wagner Eindruck. (Heiner Boberski)

Niederösterreichische Nachrichten, 28. Juni 2016: Der böse Geist: Kritik

Mein Gott, Lumpazivagabundus! Dutzende Mal gesehen, nichts Neues erfahren. Dazu muss man zu Peter Gruber kommen. 37 Darsteller, meist nicht professioneller Herkunft, bändigt er … ja, sagen wir es doch: genial zu einer mitreißenden Show mit moralischem Anspruch.

So viel Kapitalismuskritik auf einer Bühne gibt’s selten. Amorosa (Bella Rössler) ist ein Double von Ute Bock, Fortuna (Anna Mitterberger) eine Brokerin. Die drei Handwerksburschen – Mark Fischnaller, Valentin Frantsits, Eric Lingens – sind nicht nach Verdiensten und Berufsjahren besetzt, sondern nach Kraft, Frische, Präsenz. Alle sind Opfer der Gier, der eigenen wie der Gesellschaft. Selbst Leim, der doch sein Glück finden sollte, wird nur zum Großhändler mit drohendem Herzinfarkt.

Fazit: Die klassische Zauberposse als mitreißende Show und bitterböse Kapitalismuskritik.

Falter, 29. Juni 2016: Theater für alle in der Einflugschneise

Wenn viele Spieler Laien sind und trotzdem alles stimmt, wenn das Stück althergebracht lustig ist, aber nie peinlich – dann ist man im Internationalen Nestroyzentrum Schwechat. Mit „Der böse Geist Lumpazivagabundus“ steht heuer ein bekannterer Nestroy auf dem Programm. Regisseur Peter Gruber setzt die liederlichen Lottosieger (Tischler Max G. Fischnaller, Schneider Valentin Frantsits, Schuster Eric Lingens – alle drei saugut) in eine unübersichtliche Welt aus Ikea-Sterilität, Asylnot, Armut und Lugner-City. Alles hat Ecken und Kanten. Keiner sitzt zu lange auf einem Schmäh, und mit etwas Glück untermalt gar ein landendes Flugzeug Knieriems astrologische Kometensuada musikalisch. Zupackendes, ehrliches Theater für alle. (M. P.)

Kurier, 8. Juli 2016: Die bittere Essenz von Nestroy: „Lumpazivagabundus“ in Schwechat

Eine No-future-Generation. Ohne festen Wohnsitz. Arbeitslos. Filtriert man aus Nestroys „Der böse Geist Lumpazivagabundus“ die sozialkritischen Elemente heraus, ergibt sich eine ziemlich bittere Essenz, die Peter Gruber (Intendanz und Regie) das Publikum der Nestroy-Spiele Schwechat kosten lässt. Höhere Mächte küren drei Studienobjekte für ein Experiment: Ein Lottogewinn soll ihnen den Aufstieg ermöglichen. Doch nur der Tischler Leim nützt das Angebot in nahezu beängstigender Weise: Max Fischnaller schält aus dem sympathisch verstrubbelten Handwerker einen alerten Unternehmer heraus, der seine Arbeitskräfte auspresst und die ehemaligen Kumpane mit Tugendterror drangsaliert. Schneider Zwirn – Valentin Frantsits brilliert als Charmebolzen und Dance-Floor-King – steigt zum In-Couturier auf, verliert sich aber selbstverliebt in der letztlich platzenden Luxusblase.

Den Schuster Knieriem kann man kaum trauriger anlegen: Eric Lingens überzeugt mit der beinahe klinische Studie eines Alkoholkranken. Das „Kometenlied“ – keine Lachnummer, sondern eine mit brüchiger Stimme gemurrte Horrorvision. Ein Bild voll Symbolkraft: Um Knieriem zu „resozialisieren“, übergießt Leim ihn mit einem Kübel Wasser, dann stülpt er einen Karton über ihn – nach außen dringen nur mehr dumpfe Laute des Protests. Mit der Tradition, die drei Zentralfiguren zu alt zu besetzen, bricht Gruber in überzeugender Weise. So passen die Altersrelationen.

Kontrapunkt zur Tristesse, die auch das Bühnenbild (Tina Prichenfried, Günter Lickel) stimmig einfängt, bildet die furiose Quodlibet-Parodie auf die Charity-GeseIlschaft – auch Conchita Wurst darf da nicht fehlen. (Barbara Pálffy)