Das Mädl aus der Vorstadt
Liebe Nestroy-Freunde!
Schloß Rothmühle, seit nunmehr 30 Jahren traditioneller Schauplatz der Nestroy-Spiele Schwechat und seit fast ebenso lange Tagungsort der Internationalen Nestroy-Gespräche, wird renoviert und umgebaut.
Neben der notwendigen Restaurierung der denkmalgeschützten Teile beabsichtigt man eine funktionsfreundliche Adaption der Räumlichkeiten und eine Verbesserung der Infrastruktur sowohl für die hier so beliebten Hochzeiten, als auch für die Sommer-Veranstaltungen des Internationalen Nestroy-Zentrums. 2003 sollen die umfangreichen Arbeiten abgeschlossen sein.
Dank der Unterstützung der Stadtgemeinde Schwechat und des Landes Niederösterreich können Spiele und Gespräche aber auch während des Umbaus reibungslos abgewickelt werden.
Trotzdem ist es für uns heuer nicht ganz einfach.
Einerseits hat die geradezu inflationäre, mehr oder minder ernst zu nehmende Beschäftigung mit Johann Nestroy anläßlich seines 200. Geburtstages das Interesse an ihm ein wenig ermüden lassen, andererseits gibt die Situation am Theater ganz allgemein zu denken.
Während die Zuschauerzahlen an Groß-, Mittel- und Kleinbühnen zurückgehen, boomen „events” und andere Sommerveranstaltungen – alle im Sog des Zeitgeistes mit mehr oder minder qualifizierten „Promis” auf der Bühne und „VIPs” im Zuschauerraum garniert, um via „Seitenblicke” Besucher anzulocken.
An diesem keineswegs immer künstlerisch motivierten, gnadenlosen Konkurrenzkampf, dem Spiegelbild einer äußerst fragwürdigen gesellschaftlichen Entwicklung, können, wollen und werden wir uns nicht beteiligen. Wir bleiben bei jenem Konzept, mit dem wir zu einem der ältesten und erfolgreichsten Spielorte im Theaterfest Niederösterreich geworden sind.
Bei uns gibt es auch weiterhin nur einen „Promi”, und das ist Johann Nestroy selbst. Seinen kritischen Geist versuchen wir lustvoll weiterzutragen und kulinarisch erlebbar zu machen – erst recht in Zeiten wie diesen.
Auf der Suche nach einem geeigneten Stück, das im Jubiläumsjahr 2001 wenig oder gar nicht gespielt wurde, stießen wir zu unserer Überraschung auf einen vielgespielten „Klassiker” aus dem Jahr 1842, dessen gesellschaftlicher Hintergrund in vielem an heute erinnert. Und wo wäre Mädl aus der Vorstadt besser aufgehoben als hier in Schwechat – der heutigen Vorstadt von Wien? (Peter Gruber)
Das Stück
Nach dem großen Erfolg von „Der Talisman“ mußte das Wiener Publikum beinahe ein Jahr warten, bis Nestroy mit einer weiteren neuen Posse aufwartete. Diese lange Pause in Nestroys Schaffen ist wahrscheinlich teilweise darauf zurückzuführen, daß er im Herbst 1841 erkrankte.
Wie sehr sich Publikum und Kritiker um Nestroys Gesundheit sorgten und sein aktives Mitwirken im Theater vermißten, geht aus der Begeisterung und den hochgesteckten Erwartungen hervor, die man der Premiere seiner neuen Posse entgegenbrachte.
Die Premiere fand am 24. November 1841 im K. K. priv. Theater an der Wien statt – mit Nestroy in der Rolle des Schnoferl.
Das „Mädl” ist ein Stück über die Doppelmoral.
„Mit dem Mädl aus der Vorstadt” reißt Nestroy die peinlich abgesteckte erotische Topographie Wiens auf. In der guten alten Stadtmitte, wo die feinen Leute wohnen und verdienen, heiratet der vermögende Bürger seinesgleichen. In der Vorstadt hingegen, wo sich die Nähmädchen für einen Hungerlohn abrackern, spürt der Bürger das erotische Freiwild auf, dem er sich dann, jenseits von Stadtperipherie und Alltagsleben, in erholsamen Landhäusern näher widmet. (Volker Klotz, 1980)
In der Satire auf die für das Großstadtleben des gesamten 19. Jahrhunderts bezeichnende Doppelmoral nimmt „Das Mädl aus der Vorstadt” die vor allem in den frühen Dramen Arthur Schnitzlers vertretene Kritik des Fin de siècle vorweg: Frau von Erbsenstein hat einen besonderen Stellenwert innerhalb Nestroyschen Frauenrollen, als sie sich über die Standesgrenzen hinwegsetzt, um Schnoferl zu heiraten. Daß dieser „Klassenkompromiß” im wirklichen Leben unmöglich wäre, wird – wie so oft bei Nestroy – in der betont theatralischen Künstlichkeit des Happy-Ends hervorgehoben.
Nestroys Vorlage ist eine Pariser comédie-vaudeville von Paul de Kock und Charles-Victor Varin, „La Jolie Fille du faubourg”, die auf einem Roman von Kock basiert. Charles Paul de Kock (1794–1871) gehörte zu den meistgelesenen französischen Autoren der dreißiger und vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts. Er war vor allem als Autor pikanter Romane bekannt. Baudelaire zufolge war er der Erfinder der „Grisette” als literarischer Typus.
Die Mädln
Die Pariser „Grisetten” der Vorlage verpflanzte Nestroy in die Wiener Vorstadt. Es gehörte schon zum gängigen Bild der Pariser „Grisette”, daß sie ihre „Bekanntschaften” hatte, daß in Wien leichtlebige Modewarenverkäuferinnen, Näherinnen usw. eine Art Geheimprostitution in der Vorstadt betrieben, um ihren Lohn aufzubessern, war ein offenes Geheimnis.
SCHNOFERL: „Wenn es sich um so Mädln, Haubenpuzerinnen, Nätherinnen, Seidenwinderinnen ectr. handelt, da heißt dieser chemische Herzensprozeß nicht einmahl „Liebe”, da wird das Ding nur Bekanntschaft genannt, und mit dem veränderten Nahmen entsteht auch in der Sache in himmelweiter Unterschid. … bey der Bekanntschaft wird bloß ein Cyclus von Sonntäg, maximum ein ganzer Fasching praetendirt, ewige Dauer is da terra incognita.”
ROSALIE: „A Nätherinn is eh‘ ein traurig’s G’schäft, ’s ganze Jahr an Ausstaffirungen arbeiten, mit dem Gefühl selbst nie in die Lag‘ zu kommen, wo man eine Ausstaffirung braucht.”
SABINE: „Wer sagt denn das, ich glaub‘, wier machen Eroberungen g’nug.”
Schon im späten 18. Jahrhundert hatten die Wiener „Putzmacherinnen” einen schlechten Ruf. So stellt Josef Schrank in seiner Untersuchung über die Prostitution in Wien fest: „Die Kupplerinnen gründeten Näh- und Strickschulen oder erwarben sich die Befugniß mit Frauenputz Handel zu treiben, um junge, kaum den Kinderschuhen entwachsene Mädchen oder junge, unerfahrene Gattinnen in die Klauen schnöder Wollüstlinge zu liefern”. Aus einer unter einem Pseudonym erschienenen Flugschrift des Jahres 1781 geht hervor, daß die Bezeichnung „Putzmacherin” tatsächlich oft nur ein Deckname war, den arme „Haubenputzerinnen” annahmen:
„Was Gewirr und Gewimmel von Menschen finden sich sogar hier in Wien, die aus fremden Ländern hergelaufen kommen, und entweder gar nichts sind, auch weder Bestimmung, Karakter, noch Einnahm zu erwerben trachten, und doch leben, mit Aufwand, und ansehnlich leben, ohne daß es ein Mensch errathen kann, wovon, woher? – die sich dann einen Namen geben, um vor der Welt doch etwas zu scheinen. Meistens legen sich die Frauenzimmer den Namen Marchandemode bey. Eine Haubenhefterin, die kaum 10 kr. für eine Haube Arbeitslohn verdiente, oder sonst armselige Spitzenputzerin oder Nätherin läßt sich in den wienberühmten Titel einer Marchandemode umtaufen, und findet zugleich auch ihre gewissen Revenüen und stattliches Auskommen.”
Es war leicht für ein Mädchen aus ärmeren Verhältnissen im Wien der Biedermeierzeit, von einem Lebemann verführt zu werden und dann in die Prostitution herabzusinken.
„Herabgekommene Roués suchen den Schein der Wohlhabenheit zu erhalten, und locken durch diesen, wie es in der That reiche Kavaliers auch zu thun pflegen, junge reizende Mädchen aus der ärmern Klasse des Mittelstandes an sich. Fängt sie an, den Wüstling zu langweilen, so entzieht er ihr seine Unterstützung und legt dem Mädchen selbst Fallstricke, daß er sie der Untreue beschuldigen und mit guter Manier sich vom Halse schaffen kann. Oft sinken solche Mädchen dann in die Klasse der gemeinsten und verworfensten Lustnymphen hernieder.”
Auf die leichte Moral der Modewarenverkäuferinnen spielt Nestroy 1834 in einem Couplet (Die Familien Zwirn, Knieriem und Leim) ironisch an:
ZWIRN: „Erst neulich verliebt ich mich auf Leben und Tod. In a tugendhaftes Madl, sie war Marschandemod. Verschiedene Herrn gehen zu ihr in d’Visit, …”
Noch näher entspricht der Situation der Nestroyschen Posse die klassische Behandlung der „doppelten Moral” der Jahrhundertwende in Schnitzlers „Liebelei” (1895). Schnitzler sah zwei Aufführungen von Nestroys Posse in den Jahren 1890 und 1891; etwa drei Monate nach dem zweiten dieser Theaterbesuche fing er mit der Arbeit an „Liebelei” an, wobei er das Stück ursprünglich als „Volksstück” plante. Die Vertreterin der „doppelten Moral” in der Vorstadt, Mizi Schlager, hat bis vor kurzem in einem „Modistengeschäft” gearbeitet, wenn Christine ihr im zweiten Akt den Vorwurf macht, „stell‘ dich doch nicht schlechter als du bist”, wird zwischen den Zeilen wieder auf das Problem der Geheimprostitution hingewiesen.
Grabennymphen und Bierhäuselmenscher
Die oberste Kaste bildeten die Maitressen der Hocharistokraten, offiziell meist Tänzerinnen oder Schauspielerinnen, die freilich nur einer zahlenmäßig beschränkten Klientel zur Verfügung lagen.
Die überwiegende Mehrheit der Prostituierten teilte sich in zwei Klassen: einerseits Mädchen aus verarmten Offiziers- und Beamtenfamilien oder ehemalige Stubenmädchen, die den Vorteil angemessener Umgangsformen besaßen, andererseits ehemalige „Küchentrabanten”, Wäschermädeln, „Wollschlägerinnen” und Fabriksarbeiterinnen.
Streng getrennt waren auch die Einsatzgebiete dieser beiden allgemeinen Dirnenklassen: der Graben für die „besseren” Mädchen, „Grabennymphen” genannt, der Spittelberg für die „Bierhäuselmenscher”. Begrenzt wurde das Betätigungsfeld am Wiener Graben durch einen amtlich gezogenen Kreidestrich, wovon sich die heutige Allgemeinbezeichnung „auf den Strich gehen” ableitet.
Arbeit im Freien erstreckte sich praktisch über die ganze heutige Wiener Innenstadt: vom Stephansplatz über die Rotenturmstraße, von der Freyung über den Platz am Hof, den Graben, Kohlmarkt bis zur Kärntnerstraße – „Schnepfenstrich” genannt.
Die Heimat der Bierhäuselmenscher war der Spittelberg. Von den 140 Häusern, die damals den Spittelberg ausmachten, beherbergte fast die Hälfte Animierkneipen der untersten Sorte.
Kupplerinnen, Kappelbuben, Deckel und Diskrete
Die Freimädchen von Wien waren in ihrer überwiegenden Anzahl keineswegs frei und unabhängig, am „Schandlohn” naschten einige andere kräftig mit. Da war zunächst die Zimmerwirtin („Koberin”), die an den Einnahmen ihrer Untermieterin beteiligt war. Lohnlakaien, die als Vermittler zwischen Dirnen und Freiern fungierten, bezogen oft ein regelmäßiges Gehalt von den Mädchen, auch Droschkenkutscher, die ihren Fiaker als mobiles Minipuff zur Verfügung stellten. Hausmeister mußten mit Schweigegeld versorgt werden, und Friseure dienten gegen entsprechenden Obolus als Informationsquelle.
Daneben gab es aber auch die professionellen „Blondinenlieferanten”, wie die Kupplerinnen („Aufführfrauen”) im Vormärz genannt wurden. Diese Kupplerinnen gründeten offiziell Näh- und Strickschulen oder handelten mit Frauenputz, um unter diesem Deckmantel junge Mädchen an „Roués” (Lebemänner) zu vermitteln. Ihre zweckentfremdeten Angestellten, „Grisetten” genannt, saßen sichtbar in der Auslage und fertigten Kleider, Hüte oder modische Accessoire an. Die Kunden bestellten zum Schein eine Ware, ließen sich diese dann von der betreffenden „Mademoiselle” nach Hause bringen und konsumierten die Überbringerin gleich mit, sofern dies nicht schon in einem Hinterzimmer des Geschäftes geschehen war.
Den Löwenanteil kassierten die Zuhälter, in Wien „Strizzi” oder „Kappelbuben” genannt (wegen der markanten Kappe mit dem aufgebogenen Schirm). Die „Gimpel” waren hingegen die preisgünstige Variante der fixen Beziehung, denn sie richteten ihrer Geliebten meist eine Wohnung ein und sorgten auch sonst für standesgemäße Ausstattung.
Auf die 15.000 bis 20.000 Dirnen – das war übrigens die gleiche Zahl wie hundert Jahre zuvor bei einem Sechstel der Einwohnerzahl –, die es um die Jahrhundertwende in Wien gab, kamen zirka 4.000 bis 5.000 Zuhälter, die einen guten Stand hatten, weil es kein Gesetz gab, das ihre Tätigkeit im strafrechtlichen Sinn klar definierte.
Auch bei der Prostitution konnte man von einer gesetzlichen Regelung nicht sprechen, außer daß sie verboten war, wobei die Strafen für unzüchtige Vergehen seit den Zeiten Josefs II. immer milder und milder wurden.
Es war also ausschließlich Geheimprostitution am Werk, deren Aktivistinnen völlig unkontrolliert waren und daher nicht nur die Sünden, sondern auch die Anzahl der Syphilitiker mehrten.
Ab 1850 begann man das Problem ernsthaft zu diskutieren und die Freudenmädchen zu konskribieren, zweimal wöchentlich zu untersuchen und mit „Gesundheitspässen” auszustatten.
Das Geld
Preise: Um zu essen, zu wohnen, um gut gekleidet zu sein – bloß geschützt gegen die Witterung und nicht in Schmutz und Ungeziefer umzukommen – bedarf eine einzelne Person in Wien – gleichviel ob Mann oder Frau – monatlich wenigstens 30 Gulden! Man sehe zu, ob die Nähterinnen, Taglöhnersfrauen, Fabriksarbeiterinnen dieß wirklich verdienen durch den sogenannten redlichen Erwerb, ob sie auch nur das Dritttheil erschwingen können, und man wird die Hauptquelle der Prostitution gefunden haben.
Unter allen Untersuchungen über die Prostitution ist keine wichtiger als diejenige, welche ihre Erträgnisse, ihren Erwerb betrifft.
Hohe Preise – ca 5 FL. am Tag – werden nur denjenigen gezahlt, welche sich mit einer gewissen Eleganz, mit Comfort umgeben. Männer, welche diesen hohen Preis bezahlen können sind nicht zahlreich, in Wien kaum einige hundert Männer.
Ausgaben: Die Wohnung, elegant meublirt, zwei Stuben Belletage, kostet wenigstens … 40 Fl. / der Kleiderluxus, Schmuck wenigstens … 30 Fl. / eine Gesellschafterin, welche ihr unentbehrlich ist, da sie nicht allein ausgehen darf, wenn sie den Preis halten will, wenigstens … 40 Fl. / eine Magd an Lohn …6 Fl. / der Haushalt monathlich wenigstens … 50 Fl. / Die Wäsche… 5 Fl. / Zusammen 171 Gulden.
Das Facit dieser Rechnung ist, daß ihr Erwerb ganz daraufgeht, und sie nicht nur nichts erübrigen kann, sondern oft in den Fall gerathen muß, Schulden zu machen.
Oekonomisch besser daran sind, wie bei jeder andern Industrie, diejenigen, welche mäßige Preise machen. Eine Prostituierte, welche ihre Gunst nicht höher taxirt, als zu 2–3 Fl., kann täglich auf zwei bis drei Besuche rechnen.
Monathliche Einnahmen, wobei monathlich 8–10 Verdiensttage wegfallen wegen der gewöhnlichen weiblichen Zustände und einiger Regentage, welche die Prostituierte außer Stand setzen, ihrem Erwerb nachzugehen … 80–120 Gulden.
Ausgabe: Logis (im vierten Stock) … 10 Fl. / Magd … 4 Fl. / Haushalt … 40 Fl. / Wäsche … 3 Fl. / Geschenke an Hausmeister, Polizeidiener etc. … 5 Fl. / Kleidung … 15 Fl. Zusammen 77 Gulden.
Durch Sparsamkeit und geschickte Wirtschaft kann sie diese Auslagen auf 70 Fl. herabbringen, aber tiefer nicht, ohne sich in der Kleidung zu vernachlässigen, ohne zu hungern und in Stadtgegenden zu wohnen, welche für ihre Industrie schlecht gelegen sind. Sie wird daher im glücklichen Falle 10 bis 20 Fl. durchschnittlich monathlich ersparen können – abzüglich Krankheit, übles Aussehen, schlechtes Wetter.
Aber der Erwerb der bei weitem größeren Mehrzahl ist kaum ein Dritttheil zu taxiren! Der gewöhnliche Blutpreis ist 1 Fl. oder 40 Kreuzer. Wenn die Unglückliche 20 Tage Erwerb hat und sich in diesen 20 Tagen 40 bis 60 Male preisgibt – unter großer Gefahr für ihre Gesundheit – so erwirbt sie monathlich nur 40 bis 60 Fl. Hat sie eine eigene Wohnung, so ist es noch gut für sie, sie wird wenigstens nicht hungern, aber wenn sie mit Unterstandgebern theilen muß, so reducirt sich ihr ganzer Erwerb auf 20 bis 30 Fl. CM., wovon sie, da auch diese Classe noch anständig gekleidet sein muß, 10 Fl. allein für ihren Anzug wenigstens braucht. Wird sie krank, so ist sie ohne Hilfe des Hospitals so gut wie todt und durch dessen Hilfe gewinnt sie nichts als ein sieches Lebens. (Das unromantische Biedermeier, eine Chronik in Zeitdokumenten; Groß-Hoffinger – Die Schicksale der Frauen 1847)
Währungen
Die Währungsgeschichte Österreichs ist so bewegt wie seine politische Geschichte: Während bis ins 18. Jahrhundert das System zumindest rechnerisch ziemlich klar war – Pfund, Schilling, Pfennig (1 Pfund = 8 Schilling = 240 Pfennig) bzw. Gulden (Fl), Kreuzer, Pfennig –, herrschte in der Praxis ein buntes Wirrwarr vielfältiger Prägungen, Münzgewichte und Geldbezeichnungen (Friesacher, Kremser, Wiener, Agleier Pfennige, später Groschen, Heller, Kreuzer, Pfundner, Taler, Siebenerl, Siebzehnerl …).
Im 19. und 20. Jahrhundert wurde der Wechsel immer rascher: Bancozettel, Einlösungsscheine, Anticipationsscheine, Wiener Währung, Konventionsmünze, Österreichische Währung, Kronen, Schilling, Reichsmark, Militärschilling, Alt- und Neuschilling, Euro.
Vom Beginn der Neuzeit bis zum Ende des 19. Jahrhunderts rechnete man in Österreich mit Gulden und Kreuzern. Ein Gulden zählte 60 Kreuzer. 1858 wurde auf die Dezimalrechnung umgestellt. Das „Sechserl” wurde zum „Zehnerl”. Von 1848 bis 1878 existierten in Österreich zwei Parallelwährungen, die Silberwährung und die Papierwährung. Der endgültige Übergang von der Silber- zur Goldwährung in Österreich im Jahre 1900 war mit der Umbenennung der Währung von Gulden und Kreuzer auf Krone und Heller verbunden.
Kaufkraft und Geldwert
Die bewährteste Methode, ungefähre Anhaltspunkte über Kaufkraft und Geldwert in der traditionellen Gesellschaft des vorindustriellen Zeitalters zu erhalten, sind Vergleiche mit Preisen für Getreide, Brot oder Fleisch: An die zwei Drittel der Ausgaben alteuropäischer Unterschichtenhaushalte wurden für Nahrungsmittel und davon wieder der Hauptteil für Brot und andere Getreideprodukte aufgewendet.
Umrechnungsfaktoren für zeitgenössische Angaben in Schilling 2000 und Euro
Geldeinheiten |
Umrechnungsfaktor |
Umrechungsfaktor |
1 fl 1790 |
330,0 |
23,982 |
1fl C.M. 1830 |
212,7 |
15,458 |
1 fl ö.W. 1870 |
126,0 |
9,157 |
1 K 1910 |
57,4 |
4,171 |
1 S 1930 |
33,8 |
2,456 |
1 S 1950 |
7,9 |
0,574 |
1 S 1970 |
3,3 |
0,240 |
1 S 1980 |
1,8 |
0,131 |
1 S 1990 |
1,3 |
0,094 |
1 S 2000 |
1,0 |
0,073 |
Einkommen eines ungelernten Industriearbeiters pro Woche 1790–2000
Jahr |
Bruttolohn |
kg Brot für |
Wert in S 2000 |
Arbeitszeit /Woche, Std. |
1790 |
1,5 fl |
21,0 |
495,0 |
70,0 |
1830 |
2,5 G C.M. |
35,7 |
531,7 |
82,5 |
1870 |
6 G ö.W. |
37,5 |
755,7 |
78,0 |
1910 |
18 K |
58,1 |
1033,0 |
58,0 |
1930 |
56 S |
101,8 |
1891,5 |
44,0 |
1950 |
231 S |
96,3 |
1824,4 |
50,3 |
1970 |
961 S |
157,5 |
3157,1 |
44,3 |
1980 |
2686,5 S |
242,0 |
4804,8 |
40,0 |
1990 |
4122,8 |
270,8 |
5219,9 |
39,5 |
1999 |
5619,8 |
243,9 |
5619,8 |
37,5 |
(Tabellen aus dem Katalog „Vom Pfennig zum Euro“)