Zu ebener Erde und erster Stock
21. Nestroy-Spiele Schwechat 1993 im Schlosshof der Rothmühle
in Schwechat-Rannersdorf, 2320 Schwechat, Rothmühlstraße 5,
Premiere 30. Juni, Vorstellungen bis 31. Juli 1993
Wohnungsnot, steigende Arbeitslosigkeit und immer krasser werdende soziale Gegensätze – das sind jene Probleme, die unsere Gesellschaft derzeit besonders beschäftigen. Auch das Theater – will es sich der Aufgabe nicht entziehen, Spiegelseiner Zeit zu sein – sollte sich nach Möglichkeit mit ihnen auseinandersetzen.
Was lag also näher, als für die Nestroy-Spiele 1993 eines jener Stück zu wählen, die dieses Thema behandeln; ein Stück, das überdies für den Schauplatz Rothmühle wie geschaffen ist: „Zu ebener Erde und erster Stock“.
Es ist wirklich erstaunlich, wie aktuell uns dieser Nestroysche Klassiker erscheint. Und es macht traurig und nachdenklich, feststellen zu müssen, wie gering die Unterschiede zum Jahre 1835 sind.
Besetzung
- Herr von Goldfuchs, Spekulant und Millionär Bruno Reichert
- Emilie, seine Tochter Sabine Stacher
- Monsieur Bonbon Franz Steiner
- Sun-Ya Sonja Scherhaufer
- Herr von Wachsweich Markus Zarl
- Frau von Wachsweich Sabine Gerger
- Fräulein von Wachsweich Esther Potesil
- Herr von Steinfels Peter Koliander
- Frau von Steinfels Heidi Gauster
- Ein junger Herr Angela Koliander
- Johann, Bedienter bei Goldfuchs Robert Herret
- Fanny, Kammermädchen bei Goldfuchs Regine Ban Korsos
- Friedrich, Diener bei Goldfuchs Andreas Herbsthofer
- Anton, Diener bei Goldfuchs Sascha Nikodym
- Wermuth, Buchhalter eines Großhandlungshauses Peter Koliander
- Meridon, Koch bei Goldfuchs Gunnar Seelke
- Aspik, Köchin Sylvia Janousek
- François, Küchenjunge Angela Koliander
- Dienstmädchen Sissy Stacher, Michaela Wiesner, Anita Koliander
- Stafettenreiter Angela Koliander
- Schucker, ein armer Tandler Leopold Selinger
- Sepherl, sein Weib Traude Selinger
- Adolph, ihr Ziehsohn, Tagschreiber bei einem Notar Leo Selinger
- Christoph Isabella Rössler
- Nettel Alexandra Kratzwald
- Sepperl Thomas Kratzwald
- Resi Kerstin Kratzwald
- Damian Stutzel, Frau Sepherls Bruder Andreas Bauer
- Salerl, entfernte Anverwandte Schluckers Susanne Urban
- Georg Michael Zins, Hausherr Willibald Mürwald
- Wilm, Sekretär eines Lords Markus Zarl
- Gerichtsbeamter Willibald Mürwald
- Grob, Tandler Gunnar Seelke
- Trumpf, Tandler Peter Koliander
- Plutzerkern, ein Greißler Gunnar Seelke
- Zuwag, ein Aufhackknecht Markus Zarl
- Zech, eine Kellnerin Sylvia Janousek
- Neue Mieter Sabine Gerger, Anita Koliander, Heidi Gauster, Sylvia Janousek, Sascha Nikodym, Veronika Hegler, Andreas Herbsthofer
- Regie Peter Gruber
- Assistenz Christine Bauer
- Bühne Andrea Bernd
- Kostüme Herta Mock
- Maske, Frisuren Patricia Grecht, Alexander T. T. Müller, Katharina Grecht
- Musik Herbert Ortmayr
- Musiker Angela Adebiyi-Berann, Otmar Binder
- Licht Charly Apfelbeck, Fritz Gmoser, Franz Schulcsik
- Effekte Christian Sturtzel
- Ton Future Sound
- Souffleuse Herta Mock
- Bühnenbau Werner Mühlbauer
Pressestimmen
Der Standard, 2. Juli 1993: Nestroy in Schwechat: Fortuna wechselt dreimal die Etagen
„Am Gelde hängt es, zum Gelde drängt es“: Jeder weiß es, aber kaum ein anderes Stück zeigt diesen Mechanismus so illusionslos und zugleich so amüsant verkleidet wie Johann Nestroys „Zu ebener Erde und erster Stock“, das Peter Gruber jetzt den 21. Schwechater Nestroy-Spielen im Schloßhof Rothmühle inszeniert hat.
Schon die Bühne (Andrea Bernd) präsentiert sich als Sinnbild der herrschenden Zustände: oben die mondäne Welt, unten die Dritte Welt im eigenen Land. Aber egal, ob im Lemurenstadl oben oder in der Tandlerstube unten, jeder hängt sein Mäntelchen nach dem Wind, der die Moneten bringt.
Johann, der Diener oben (aalglatt: Robert Herret) zeichnet sich hier als wendigster aller Charakterathleten aus. Aber auch unten ist die Armut kein großer Glanz von innen, sondern höchstens der billige Fuseldunst aus dem Doppler, den der Tandler und sein Saufbruder Damian immer in Griffweite haben.
Peter Gruber arbeitet präzise den Reigen, der hier ums goldene Kalb getanzt wird, heraus und reichert ihn mit hübschen Einfällen an. Wenn er etwa die liederliche Gesellschaft oben mit Herrn von Goldfuchs an der Spitze im Stil der Roaring Twenties ihr Leben abfeiern läßt (Kostüme: Herta Mock), Töchterchen Emilie aber im keuschen Look der Sacré-Cur-Elevinnen auftritt. Oder wenn der Unglücksbote aus Marseille als Veloce-Radler hereinrauscht und nach Überbringung der Nachricht tot umfällt.
Dreimal schlägt oben das Schicksal zu, während unten ebenso oft Fortuna vorbeischaut: das Glücksrad spült die armen Schlucker in den ersten Stock. Wie zum Schluß der arme Ziehsohn als „Erbe eines ungemessenen Vermögens“ im Cut mit Geldkoffer auftritt, läßt die Inszenierung aber gallig keinen Zweifel daran, daß die Emporkömmlinge ähnliche Haie werden wie die gerade vernichteten.
Im Gegensatz zum Nestroy-Schmierantentum mancher Profitruppen eine höchst achtbare, sehenswerte Aufführung des Amateurensembles St. Jakob. (Lothar Lohs)
Kurier, 3. Juli 1993: Das Glück ist ein Terno
In Johann Nestroys Posse „Zu ebener Erde und erster Stock“ aus dem Biedermeierjahr 1835 bedeutet Glück schlicht und einfach Geld: eine gefundene Brieftasche, ein Terno im Lotto, eine Erbschaft. Demgemäß läßt sich auch Unglück vor allem als finanzielle Einbuße verstehen: ein untergegangenes Schiff. Kommt alles zusammen, dann drückt sich der gesellschaftliche Status in einer Umkehrung der Wohnverhältnisse aus; die vom Glück heimgesuchte Tandlerfamilie bezieht die Herrschaftswohnung im ersten Stock, den ruinierten Spekulanten Goldfuchs verschlägt es in die Parterrewohnung des Tandlers.
Das Stück scheint wie geschaffen für die Simultanbühne in Schloß Rothmühle bei Schwechat, wo Nestroys Possen seit jeher in oben und unten geteilt werden, und tatsächlich ist es schon einmal, 1981, bei den Nestroy-Spielen aufgeführt worden. Die Inszenierung stammt heute wie damals von Peter Gruber, der dafür sorgt, daß die sozialen Unterschiede deutlich werden. Ein bißchen spiegelt die Aufführung, in der dem Millionär ein Telefon zur Verfügung steht, auch die gegenwärtigen Verhältnisse: Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit.
Doch beschränkt sich die Kritik am Heute vor allem auf die aktualisierten Couplettexte, im übrigen begnügt man sich, Nestroy werkgetreu vom Blatt zu spielen, und man fährt gut damit. Erstaunlich, was der Regisseur aus den mit großer Spielfreude tätigen Amateuren herauszuholen weiß. Robert Herret, der wie immer die Nestroy-Rolle des schurkischen Dieners Johann spielt, entledigt sich gewandt seiner Aufgabe, Andreas Bauer, Susanne Urban, Franz Steiner und etliche andere lassen den Abstand zu den Profis verschwinden. (Kurt Kahl)
Wiener Zeitung, 2. Juli 1993: Fortuna mit überstauchten Fuß
Schon seit 21 Jahren spielt das Amateurensemble St. Jakob im Schloßhof Rothmühle Nestroy-Raritäten und Nestroy-Hits bunt gemischt. Heuer hat sich das Ensemble entschlossen, ein Stück wieder aufzunehmen, das schon vor 12 Jahren erfolgreich gegeben wurde: Zu ebener Erde und erster Stock, aus aktuellem Anlaß, wie Vorankündigung und Programmheft versichern. Wohnungsnot, steigende Arbeitslosigkeit und krasse soziale Gegensätze sind zeitlose Themen und in Zeiten wie diesen aktuell wie zur Entstehungszeit von Nestroys Stück.
In einer kleinen Ansprache zu Beginn der Vorstellung werden die Zuschauer gebeten, an der Verlosung einer Gesamtausgabe der Werke Nestroys teilzunehmen. Der Erlös der Aktion kommt den bosnischen Flüchtlingen zu, die derzeit in Schwechat untergebracht sind. Sie können nicht einmal zu ebener Erde wohnen. Der aktuelle Anlaß ist somit geschickt hergestellt.
Zu sehen ist eine flotte, kurzweilige Inszenierung eines Nestroy-Klassikers, den der Theaterliebhaber schon oft gesehen hat. In legendären Inszenierungen und als Lückenbüßer.
Hier hat man in der Regie von Peter Gruber, der einzige Nichtamateur der Gruppe, mit einer wirklich hochkarätigen Interpretation zu tun. Auf den in letzter Zeit beliebten Klamauk in Nestroy-Inszenierungen wird verzichtet, was nicht heißt, daß es humorlos zugeht. Spritzig, spielfreudig und rasant entwickeln die „Jakobiner“ ihren Nestroy, daß es eine Freud’ ist. Die eineinhalb Stunden bis zur Pause vergehen wie im Flug, trotz Gelsen und harter Sessel.
In Peter Grubers Regie, die ihre Freude an publikumswirksamen Extempores findet, kommen auch jene Facetten Nestroyscher Theaterkunst zum Vorschein, die dem Revoluzzer Nestroy zeitlebens Ärger mit der Zensurbehörde eingebracht haben.
Bitterböse wird vor Augen geführt, daß es keine Gerechtigkeit gibt auf dieser Welt, und das Glück, das die arme Familie Schlucker heimsucht, hätte sich sicherlich nur verirrt, ist der Damian überzeugt.
Robert Herret gibt den Johann, auf den Nestroy selbst wahrscheinlich stolz wäre, aalglatt, gemein und hinterhältig. Ganz und gar nicht unprofessionell agiert das übrige Ensemble, aus dem Bruno Reichert als Herr von Goldfuchs, Franz Steiner als Monsieur Bonbon und Andreas Bauer als Damian besonders hervorstechen.
Flotte Musikarrangements (Herbert Ortmayr) und die gut gelungene Charakterisierung der Typen durch die Kostüme (Herta Mock) werten die Inszenierung noch auf. Wer Nestroy pur erleben möchte, ohne Starrummel, aber dafür wahrhaftig, möge nach Schwechat pilgern. Brigitte Suchan
Neue Kronenzeitung, 3. Juli 1993: Nestroy-Spiele, Schloß Rothmühle
In Schwechat ist der Nestroy-Sommer angebrochen. In der Posse „Zu ebener Erde und erster Stock“ schlägt sich das Amateurensemble Sankt Jakob mit den „Launen des Glücks“ herum und zeigt dabei mehr als nur eifriges Liebhabertheater.
In kontinuierlicher Arbeit mit dem Profi Peter Gruber, der von Anfang an Regie führte, hat sich auf der hübschen Pawlatschenbühne und im Schloßhof eine besondere Nestroy-Atmosphäre eingestellt: Die Geschöpfe des Dichters, Darsteller und Zuschauer scheinen einander hier irgendwo näher zu sein als anderswo.
In Grubers mit Zutaten aus den zwanziger Jahren gewürzter Inszenierung, die Nestroys pessimistische Menschensicht teilt, gibt es echte Publikumslieblinge: So den temperamentvollen Robert Herret (ein abgefeimter Johann!), Andreas Bauer (als Schlawiner Stutzel) oder Susanne Urban (Salerl).
Bejubelt wurden alle, die da dem Publikum so ambitioniert den Spiegel zur Selbsterkenntnis vorgehalten hatten. (AI)
Die Presse, 2. Juli 1993: Routinierte Nestroylaien
Hat sich bei den Nestroy-Spielen in Schwechat die Routine eingeschlichen? Weshalb werden wir, ausgefeiltere schauspielerische Leistungen denn je vor Augen, nicht glücklich mit Peter Grubers Inszenierung von „Zu ebener Erde und erster Stock“? Handwerk ist vieles. Und vieles ist anders.
Denn ein Klassiker wird im Hof des Schlosses Rothmühle gezeigt – keine dem Vergessen zu entspielende Rarität. Das Ensemble hat sich in vergangenen Jahren die Stücke anverwandelt, mit erstaunlicher Frische und ohne falsch auf größere Bühnen zu schielen! Doch gibt es sich diesen Sommer dem Amateurtheater entwachsen. Und mit einem Mal ist sich der Laien charmante Agieren nicht mehr selbst genug.
Wir bedauern. Obschon wir kaum etwas zu bemäkeln finden, ja Details entzücken. Beim Herren von Goldfuchs verkehren die höheren Kreise im Charleston-Look, treffen sich zum Tarock, schlürfen Champagner. Franz Steiner näselt als Monsieur Bonbon in seinem affigen Pelzmantel und Robert Herret gibt den zum Hinterschlich begabten Diener als geschleckten Intriganten. Trubel, Grobheiten, Ausgelassenheit ein Stockwerk tiefer zeichnen ein heiteres Genrebild.
Tempo, eine Besetzung, die dem Einzelnen gerecht wird und flott gebrachte Couplets – nein, den Vergleich mit anderen Sommerproduktionen hält man immer noch stand. Doch dieses Jahr haben die Nestroy-Spiele ihr Eigenstes vergessen. (best)
Die Furche, 8. Juli 1993: Nestroy aktuell
Ich muß Regisseur Peter Gruber leider bescheinigen: Er ist Realist, wenn er den Griff nach Johann Nestroys „Zu ebener Erde und erster Stock“ für die Schwechater Nestroy-Spiele 1993 mit der Aktualität dieses Stücks begründet.
Gespielt wird, wie immer, mit Unmittelbarkeit, Schwung und Präzision. Wobei die Schwechater, bei aller Professionalität, Laienspieler im besten Sinn geblieben sind, was diesmal zur besonderen Hautnähe der sozialen Realität führt. Wie sich der Herr Goldfuchs verspekuliert und aus dem ersten Stock fliegt, das spielt sich heute in ganz Europa oft ab, wenn auch weniger bei den Spekulanten als bei kleineren Leuten, die sich über derlei längst erhaben fühlten. Und von der großen Erbschaft und vom Umzug in die belle etage träumt der arme Herr Schlucker heute genauso wie 1835.
Das Stück ist also richtig für Schwechat. Dafür, daß die großen Theater und die von ihnen gespielten Autoren Krise und wirtschaftliche Not ignorieren, können weder die Schwechater etwas, noch Peter Gruber. Aber bezeichnend ist der Verlust der Aktualität schon. (Hellmut Butterweck)
Niederösterreichische Rundschau, 7. Juli 1993: Die Armen werden reich, die Reichen werden arm
Ein klassischer Nestroy, von der Ausstattung her ins 20. Jahrhundert zeitverschoben, mit immer zeitgemäßen Inhalt. Das bietet sich dem Publikum bei den heurigen Nestroyspielen in der Rothmühle.
In die dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts verlegte Regisseur Peter Gruber die Handlung des Stückes „Zu ebener Erde und erster Stock“. Das Stück von den Gegensätzen zwischen arm und reich verträgt diese Verschiebung aber ohne Probleme. Es gehört bei den Schwechater Nestroyspielern ja schon zur Tradition, daß man in der Ausstattung vom gängigen Biedermeier abweicht und damit die Zeitlosigkeit der Themen unterstreicht.
Zum zweiten Mal in der Rolle des fiesen Bedienten Robert Herret. Aalglatt und durchtrieben stellt er ihn auf die Bühne des ersten Stockes. Andreas Bauer, bei der ersten Inszenierung des Stückes ebenfalls schon dabei, ist als kerniger heruntergekommener Tandler Damian ideal besetzt.
Ein Höhepunkt: das Couplet der Salerl, gespielt von Susanne Urban, die sich leicht böhmakelnd, über die kleinen Fehler ihres Freundes Damian ausläßt.