Abentheuer in der Sclaverey
Das Stück
„Der Zauberer Sulphurelectrimagneticophosphoratus und die Fee Walpurgiblocksbergiseptemtrionalis oder Die Abenteuer in der Sclaverey …“, Johann Nestroys Stück „mit dem Titel“, wie es Franz Wiest, der Kritiker des Sammler nannte, wurde bei seiner Uraufführung im Theater an der Wien im Jänner 1834 „unter heftigem Pochen und Zischen zu Grabe getragen“ (so die Theaterzeitung). Es war einer der größten Durchfälle Nestroys.
Der Autor war über die Aufnahme offenbar so aufgebracht, dass sein Spiel als Darsteller darunter litt, und er sich nach einem günstig aufgenommenen Couplet eine Viertelstunde lang weigerte, vor den Vorhang zu treten. Die zeitgenössische Kritik tat das Stück als völlig misslungen ab, und es hat auch seither kaum Beachtung gefunden. Doch dürften die Umstände der Aufführung zu dem Misserfolg beigetragen haben. Einzelne Schauspieler scheinen in ihren Rollen nicht sattelfest gewesen sein, auch die Maschinerie dürfte nicht richtig funktioniert haben.
Dazu kam, dass Nestroys Stück, eine Parodie des romantischen Schauspiels Robert der Teufel von Ernst Raupach, unmittelbar nach dessen Aufführung im Burgtheater im März des Jahres 1833 geschrieben, dann der Parodie von Meyerbeers und Scribes Opernbearbeitung desselben Stoffes den Vortritt lassen musste. Die Popularität des letzteren Werkes sollte wohl ausgenützt werden, um die Zuschauer in die Bühne Carls zu locken. Die Vorbereitungen für das Raupach-Stück waren immerhin schon so weit gediehen, dass die Musik komponiert worden war. Als die Raupach-Parodie dann doch über ein halbes Jahr später aufgeführt wurde, geschah dies unter dem neuen Titel; die Hauptfigur erhielt nun den Namen Heinrich, jeder Hinweis auf das nach drei Aufführungen sang- und klanglos verschwundene Stück Raupachs unterblieb. Der Entstehungszeit nach ist die Originalfasung des Zauberers Sulphur […] daher vor der Meyerbeer-Parodie Robert der Teuxel einzuordnen. Dieser Zusammenhang, obwohl in der Kritik der Wiener Zeitschrift angedeutet, ist bisher unbeachtet geblieben.
Der hier in Schwechat gespielte Originaltext müsste ja eigentlich Robert der Teuxel heißen, dieser Titel ist durch die Vorankündigungen in den Zeitungen, durch die Partitur und das Theatermanuskript belegt, kann auch indirekt aus Anspielungen im Text erschlossen werden. Um das Stück jedoch einerseits von der Meyerbeer-Parodie, andererseits aber auch von der Zauberer Sulphur […] genannten Theaterfassung zu unterscheiden, die besonders im dritten Akt stark überarbeitet wurde, möchte ich vorschlagen, die Originalfassung – nach einem ebenfalls von Nestroy ins Auge gefassten Titel – als Die Abenteuher in der Sclaverey oder Asiatische Strafe für Europäische Vergehen zu bezeichnen, damit die Hauptmomente des Stücks hervorhebend.
Der Text, wie er in Schwechat gespielt wird, scheint den Publikumseklat bei der Premiere nicht zu rechtfertigen. Es liegt die Vermutung nahe, dass das Stück bei der Erstaufführung durch den Zensor arg verstümmelt wurde. Große Teile der Gesellschaftsszenen des ersten Aktes fehlen in der Theaterfassung.
Immerhin entschloss sich Direktor Carl im Jahre 1839 zu einer Neueinstudierung, und Wenzel Scholz wählte das Stück für einen Benefizabend. Die Aufnahme durch die Kritik war diesmal wesentlich freundlicher, Publikumserfolg wurde das Stück allerdings auch diesmal keiner, und es erlebte insgesamt nur zehn Aufführungen. Durch die vorangestellte Parodie der populären Meyerbeer-Oper hatte sich Nestroy offenbar selbst konkurrenziert.
Heute sind die Originale beider Stücke vergessen, und beide Parodien müssen auf sich gestellt allein wirken. Soweit sich sehen lässt, sind beide Stücke in diesem Jahrhundert – außer bei den Nestroy-Spielen in Schwechat – nicht wieder aufgeführt worden. Reicht Die Abenteheuer […] im sprachlichen Witz nicht an die besten Nestroy-Stücke heran, so sind Teile der Handlung „kühn, ja revolutionär“, wie selbst F.H. Mautner, sonst kein Bewunderer dieses Stückes, zugibt; die Satire auf die politischen Verhältnisse ist scharf: ein überhebliches Gutsherrenpaar herrscht über das „ungestümme Volck von Pastetenberg“: „Wier sind nicht die Bewohner, wier sind Herrn dieser Gegend, und desswegen wohnen wir da.“
Robert, von seinen Eltern durch Schwäche und Dummheit verzogen, hält sich nicht an die gesetzlichen Regeln; er wird von der Fee, die ihre Hand schützend über die Biedermeiergesellschaft hält, in einen durchaus als Übersteigerung der Wiener Zustände gesehenen Orient versetzt. Hier zeigen sich die Verhältnisse unverblümt und krass: Menschen weden auf dem Sklavenmarkt verschachert und mit der Hetzpeitsche niedergehalten; was Pastetenberg im ersten Akt noch mit Geld auszugleichen versucht, wird in dieser traumartigen Sequenz, in der viele Elemente aus dem ersten Teil wiederkehren, mit dem Bambusröhrl gelöst. Schein und Betrug triumphieren. Robert, der sich zunächst ehrlich und tapfer bemüht, gerät in immer tiefere Schwierigkeiten, der Opportunist Plumpsack hingegen, der ja ebenfalls zur Strafe in den Orient versetzt wird, reüssiert.
Nestroy hatte vielleicht zunächst die Rolle des Robert für sich erwogen, schrieb aber dann für sich die Rolle des orientalischen Despoten Alib-Memeck (er wird mit „Durchlaucht“ angeredet), der mit größter Seelenruhe Enthauptungen anordnet. Diese seinem Naturell eigentlich zuwiderlaufende phlegmatische Rolle musste Nestroy offenbar gereizt haben.
Ein Vergleich mit der Quelle verrät weitere Schwerpunkte in Nestroys Werk: Mit seinem Stück verspottet Nestroy den biedermeierlichen Quietismus und die auf die Spitze getriebene Welt- und Ichverneinung der Quelle, ebenso wie deren romantisches Gewand. Es ist fast so, als wollte Nestroy die Wahrscheinlichkeit der Raupachschen Handlung überprüfen, indem er sie mit der Realität menschlichen Handelns und Denkens konfrontiert, wie er sie sieht. Nicht die teuflische Abkunft Roberts, sondern seine verfehlte Erziehung ebenso wie die Natur der Gesellschaft, in der er sich findet, veranlassen seine wilden und grausamen Handlungen. Er bessert sich auch nicht aus christlicher Einsicht, sondern muss immer wieder zu seiner Buße gezwungen werden. Die Besserung wird schließlich dadurch erwirkt, dass Robert in das Gewand der zunächst von ihm verachteten Gesellschaft schlüpft: er, der im ersten Akt den französischen Marquis hinauswirft, muss im dritten Akt die französischen Verwandten seines Schwiegervaters darstellen. (Fred Walla)