Der Talisman, II/6–27

    

 

I/01–15: Dorfplatz
I/16–23: Wohnung der Gärtnerin

II/01–05: Schlossgarten
II/06–27: Saal im Schlosse

III/01–11: Schlossgarten
III/12–21: Gartensaal

Verwandlung

Saal im Schlosse mit einer Mittel- und zwei Seitentüren

Sechste Szene

Titus (allein, kommt aus der Mitteltür, er ist in eleganter Jägerlivree gekleidet)

Titus Die macht's wie die Vorige, offeriert mir die verstorbene Garderobe von ihrem überstandenen Gemahl und will, ich soll Jäger sein. Ja, wenn die gnädige Frau von einem Jäger nichts anderes verlangt als 's Wagentürl aufmachen und aufs Brettl hupfen, so viel kann ich allenfalls leisten in der Forstwissenschaft. O, Parucken! Dir hab' ich viel zu danken. Die Kost hier ist delikat, der Trunk exquisit, und ich weiß wirklich nicht, ob mich mehr mein Glückswechsel oder der Tokayer schwindlich macht.

 
Siebente Szene

Titus, Constantia (von links)

Constantia Ah, das lass' ich mir gefallen. Die Gärtnerkleidung hat so etwas Bauernhaftes, und Ihr Exterieur ist ja ganz für das edle Jagdkostüm geschaffen.

Titus Wenn nur mein Exterieur in der gnädigen Frau dieselben gnädigen Ansichten erzeugt! Ich fürchte sehr, daß ein ungnädiger Blick von ihr mir den Hirschfänger entreißt und mir Krampen und Schaufel in die Hände spielt.

Constantia Sie trauen mir sehr wenig Einfluß im Hause zu. Mein verstorbener Mann war hier Jäger, und meine Gebieterin wird gewiß nicht glauben, daß ich immer Witwe bleiben soll.

Titus Gewiß nicht! Solche Züge sind nicht für lebenslänglichen Schleier geformt.

Constantia Gesetzt nun, ich würde mich wieder verheiraten, zweifeln Sie, daß die gnädige Frau meinem Mann einen Platz in ihrem Dienste verleihen würde?

Titus Der Zweifel wäre Frevel.

Constantia Ich sage das nicht, als ob ich auf Sie Absichten hätte –

Titus Natürlich, da haben Sie keine Idee –

Constantia Ohne etwas zu verreden, sage ich das nur, um Ihnen zu beweisen, daß ich die Macht habe, jemandem eine Stelle auf dem Schlosse zu verschaffen.

Titus (beiseite) O rabenschwarzer Schädel, du wirkst himmelblaue Wunder!

Constantia Mein seliger Mann –

Titus Hören sie auf, nennen Sie nicht den Mann selig, den der Taschenspieler Tod aus Ihren Armen in das Jenseits hinüberchangiert hat! Nein, der ist es, der sich des Lebens in solcher Umschlingung erfreut! O Constantia! – Man macht dadurch überhaupt dem Ehestand ein sehr schlechtes Kompliment, daß man nur immer die verstorbenen Männer, die ihn schon überstanden haben, »die Seligen« heißt.

Constantia Also sind Sie der Meinung, daß man an meiner Seite –

Titus Stolz in die unbekannten Welten blicken und sich denken kann: überall kann's gut sein, aber hier ist's am besten.

Constantia Schmeichler!

Titus (beiseite) Das sind die neuen metaphysischen Galanterien, die wir erst kriegt haben. (Laut.) Ich glaub', ich hör' wen im Vorzimmer.

 
Achte Szene

Salome; die Vorigen

Salome (schüchtern zur Mitte eintretend) Mit Erlaubnis –

Titus (erschrocken, für sich) O je, die Salome! (Wirft sich nachlässig in einen Stuhl, so daß er das Gesicht von ihr abwendet.)

Constantia Wie kommt Sie da herein?

Salome Draußt war kein Mensch, so hab' ich glaubt, das wird 's Vorzimmer sein, jetzt seh' ich aber – o, ich bitt', Madam', kommen S' nur a bissel heraus, mir verschlagt's die Red', wenn ich so in der Pracht drinnen steh'.

Constantia Keine Umstände, was will Sie? Nur geschwind!

Salome Ich such' einen, ich hab' ihn schon bei der Gartnerin g'sucht, dort hab' ich ihn aber nicht g'funden, jetzt bin ich da her.

Constantia (Verdacht schöpfend) Wen sucht Sie?

Salome Wissen S', ich such' halt ein' mit rote Haar'.

Constantia (beschwichtigt) Nun, den wird Sie leicht finden, weil er Ihr auf hundert Schritte entgegenleuchtet.

Titus (für sich) O nagelneuer Witz, du hast mich schon oft erfreut.

Constantia Hier im Schloß wird Sie sich aber vergebens bemühen, denn ich und die gnädige Frau würden einen solchen nicht dulden, wir haben beide Antipathie gegen rote Haare.

Salome Wenn er aber doch kommen sollt', so sagen S' ihm, es haben ihn Leut' g'sucht, aus der Stadt, die haben mich so verdächtig um ihn g'fragt –

Titus (sich vergessend, springt erschrocken auf) Und was hat Sie den Leuten g'sagt?

Salome (zusammenfahrend) Was ist das !? (Titus erkennend.) Ah! (Sie wankt und fällt Constantia in die Arme.)

Constantia Was hat denn die Person? – (Zu Titus.) So bringen Sie doch einen Stuhl, ich kann sie nicht halten.

Titus (einen Stuhl bringend) Setzen wir s' nieder!

Constantia (läßt Salome in den Stuhl sinken) Sie rührt sich nicht, ist ganz bewegungslos. (Zu Titus.) Das ist höchst sonderbar. Ihr Anblick hat diese Wirkung auf sie hervorgebracht.

Titus (verlegen) Das kann nicht sein, ich bin nicht zum Umfallen wild, und was meine Schönheit anbelangt, so is sie auch wieder nicht so groß, daß man drüber 's Gleichgewicht verlieren muß.

Constantia Sie sehen aber, daß sie sich gar nicht bewegt.

Titus (sehr verlegen) Ja, das seh' ich.

Constantia Jetzt aber scheint mir – ja, sie bewegt sich!

Titus Ja, das seh' ich auch. Ich werd' frisches Wasser holen. (Will fort.)

Constantia Nichts da, das wird nicht nötig sein, oder haben Sie vielleicht besondere Ursachen, sich fortzuschleichen?

Titus Wüßte nicht, welche; ich kenn' die Person nicht.

Constantia Dann brauchen Sie ja ihr Erwachen nicht zu fürchten.

Titus Gar nicht! Wer sagt denn, daß ich mich fürcht'?

Salome (sich erholend) Ach, Madame – mir wird schon wieder leichter –

Constantia Was war Ihr denn eigentlich?

Salome Der Herr –

Constantia Also kennt Sie ihn?

Salome Nein, ich kenn' ihn nicht, gewiß nicht! (Aufstehend.) Aber wie er mich so scharf ang'redt't hat –

Constantia Darüber ist Sie –?

Salome Nicht wahr, 's is a Schand', solche Stadtnerven für a Bauerndirn'? (Zu Titus, der verblüfft dasteht.) Sei'n S' nit bös, und wenn S' vielleicht den sehen mit die roten Haar', so sagen S' ihm, ich hab's gut g'meint, ich hab' ihn nur warnen wollen, ich werd' ihn g'wiß nit verraten an die Leut', die um ihn fragen, und sagen S' ihm, ich werd' auch g'wiß sein' Glück nicht mehr in Weg treten – (Die Tränen unterdrückend.) Sagen S' ihm das, wann S' den sehen mit die roten Haar'. (Zu Constantia.) Und jetzt bitt' ich nochmal um Verzeihung, daß ich umgefallen bin in Zimmern, die nicht meinesgleichen sind, und b'hüt' Ihnen Gott alle zwei und – (bricht in Tränen aus) – jetzt fang' ich gar zum Weinen an – das g'hört sich schon gar net – nix für ungut, ich bin halt schon so a dalkets Ding. (Eilt weinend zur Mitteltür ab.)

 
Neunte Szene

Titus, Constantia

Constantia (ihr verwundert nachblickend) Hm – dieses Geschöpf, ich muß gestehen, daß mir die Sache höchst verdächtig vorkommt.

Titus (sich nur nach und nach von seiner Verlegenheit erholend) Was?

Constantia Sie war so bewegt, so ergriffen –

Titus Über einen Rothaarigen, das haben S' ja g'hört.

Constantia Von dem sprach sie, aber über Ihre Person schien sie aufs heftigste –

Titus Jetzt hören Sie auf! Was fallt Ihnen ein?

Constantia Sie werden mir doch nicht abstreiten wollen, daß sie in der heftigsten Bewegung war?

Titus Was geht denn aber das mich an? Zuerst haben S' mich völlig ausgemacht, weil sie bewegungslos war, und jetzt fahr'n S' über mich, weil sie eine Bewegung hat – ich begreif' gar nicht –

Constantia Nun, werden S' nur nicht gleich böse, ich kann ja ganz unrecht haben. – Daß Sie in Verbindung mit einer so gemeinen Person – das wäre ja unglaublich.

Titus Ich glaub's! Ich bin ein Jüngling, der Karriere machen muß! (Mit Beziehung.) Meine Ideen schweifen ins Höhere –

Constantia (kokett) Wirklich? 's war nur ein Glück, daß der unangenehme Auftritt in Abwesenheit der gnädigen Frau – die gnädige Frau haßt das Gemeine ungemein, sie hat für nichts Sinn als für geistige Bildung, so wie ich. Sie ist selbst Schriftstellerin.

Titus Schriftstellerin?

Constantia Wenn einmal von etwas Literarischem die Rede sein sollte – Sie wissen doch was davon?

Titus Nein.

Constantia Das ist schlimm.

Titus Kinderei! Wenn ich auch nichts von der Schriftstellerei weiß, von die Schriftsteller weiß ich desto mehr. Ich darf nur ihre Sachen göttlich finden, so sagt sie gewiß: »Ah, der Mann versteht's – tiefe Einsicht – gründliche Bildung!«

Constantia Sie sind ein Schlaukopf! (Für sich.) Das ist doch ein ganz anderer Mensch als mein Friseur.

 
Zehnte Szene

Monsieur Marquis; die Vorigen

Marquis (zur Mitte eintretend) Schönste Constanze –

Titus (für sich) Das ist der erlauchte Peruckenspender, wenn der nur nicht plauscht! (Zieht sich seitwärts.)

Marquis Beinahe wäre mir nicht mehr das Glück zuteil geworden, diese reizende Hand an meine Lippen zu drücken. (Küßt ihr die Hand.)

Titus (für sich, erstaunt) Diese Herablassung – ein Marquis und küßt ihr die Hand, einer antichambrischen Person – das ist viel!

Constantia Es ist schon so spät, daß ich glaubte, Sie würden heute gar nicht kommen.

Marquis Sie können denken, daß nur ein außerordentlicher Zufall – was ist das? (Bemerkt Titus, welcher ein auf einem Stuhl liegendes Tuch ergreift und emsig die Möbel abstaubt.) Ein neuer Jäger aufgenommen?

Constantia Seit heute. Ein Mensch, der viele Anlagen besitzt.

Marquis Wie können Sie die Anlagen eines Jägers beurteilen? Hat er was getroffen? Und überhaupt, wozu ein Jäger im Hause einer Dame?

Constantia Sie sehen, daß er sehr fleißig ist und sich zu allem gebrauchen läßt.

Marquis (sich bemühend, Titus im Gesicht zu sehen, welcher es aber durch komische Emsigkeit vermeidet) Ja, ja, das seh' ich.

Titus (für sich) Mein G'sicht zeig' ich ihm um kein' Preis.

Constantia Sie vergessen aber ganz, mir den Vorfall zu erzählen.

Marquis (öfter nach Titus hinübersehend) Es war mehr ein Unfall, der mit einem genickbrechenden Wasserfall geendet hätte, wenn nicht der Zufall einen Menschen gerade in dem Augenblicke, wo das abscheuliche Tier, mein feuriger Fuchs –

Titus (erschreckend) Jetzt hab' ich glaubt, er nennt mich beim Nam'n.

Constantia Fuchs? Ich glaubte, Sie haben noch den häßlichen Rotschimmel?

Titus (für sich) Wieder ein heimliches Kompliment!

Marquis Ich habe ihn umgetauscht, weil sein Anblick Ihnen so zuwider war. Dieser Mensch also – (Titus scharf fixierend) mein Retter – (Titus umdrehend) ich irre mich nicht – der ist's!

Titus (sich tief verneigend) Ich bitt' – Euer Gnaden – Herr Marquis nehmen mich für einen andern! (Will zur Mitte ab.)

Marquis (ihn zurückhaltend) Wozu das Leugnen, edler Mann, Sie sind's, die Gestalt, die Stimme, die Farbe der Haare –

Titus (für sich, in ängstlicher Verlegenheit) O je, jetzt kommt er schon über d' Haar'.

Constantia Gewiß, wer diese Haare einmal gesehen, der wird sie nicht vergessen. Wirklich bewundernswert sind diese Locken!

Marquis (sich geschmeichelt fühlend) O, ich bitte, zu gütig!

Titus (zu Constantia) Der Herr Marquis bedankt sich anstatt meiner für das Kompliment, meiner Bescheidenheit bleibt also nichts mehr übrig –

Constantia (zu Marquis) Sie verstehen das: Ist Ihnen je so ein Glanz, so eine Krause – (zeigt nach dem Kopfe des Titus, als ob sie ihm mit der Hand durch die Locken fahren wollte.)

Titus (zurückprallend) O, nur nicht anrühren! Ich bin da so heiklich –

Marquis (halbleise, pikiert zu Constantia) Sie scheinen übrigens besonderes Interesse an dem neuen Domestiken zu nehmen.

Constantia (etwas verlegen) Ich –? Hm – es ist eine Art von Kameradschaft, die –

Marquis (wie oben) Die meines Erachtens zwischen dem Jäger und der Kammerfrau nicht existiert.

Constantia (halbleise zu Marquis) Herr Marquis, ich danke für die Aufklärung. Was schicklich ist oder nicht, weiß ich schon selbst zu beurteilen.

Marquis (für sich) Ich habe sie beleidigt. (Zu Constantia in einem sanften Ton.) Verzeihen Sie, schönste Constanze, ich wollte nur –

Constantia Sie wollten die blonde À-l'enfant-Perücke der gnädigen Frau frisieren; im Kabinett dort (nach rechts zeigend) im großen Wandschrank werden Sie sie finden. Gehen Sie an Ihr Geschäft!

Titus (erstaunt) Was is das? Das ist ja ein Friseur! – (Zu Marquis.) Ich hab' geglaubt, Sie sind ein Marquis, eine Mischung von Baron, Herzog und Großer des Reichs?

Marquis Ich heiße nur Marquis und bin Perruquier.

Titus Ja, das ist ein anderes Korn! Jetzt füllt sich die Kluft des Respekts mit Friseurkasteln aus, und wir können ungeniert Freundschaft schließen miteinand'. (Reicht ihm die Hand.)

Marquis (ihm ebenfalls die Hand reichend) Ich bin Ihnen Dank schuldig, (leise) aber auch Sie mir, und es wird sehr gut für Sie sein, wenn wir Freunde bleiben!

Titus Auf Leben und Tod!

Constantia (für sich) Monsieur Titus soll von meinem Verhältnis zum Marquis noch nichts erfahren, und des Friseurs eifersüchtiges Benehmen könnte leicht – das beste ist, ich entferne mich. (Laut.) Meine Herren, wichtige Geschäfte – ich lasse die beiden Freunde allein. (Geht zur Mitte ab.)

Titus (ihr nachrufend) Adieu, reizende Kammeralistin!

 
Elfte Szene

Titus, Marquis

Marquis Mein Herr, was sollen diese Galanterien? Ich sage Ihnen jetzt geradezu, ich verbitte mir das! Madame Constanze ist meine Braut, und wehe Ihnen, wenn Sie es wagen –

Titus Was? Sie drohen mir?

Marquis Ja, mein Herr, ich warne Sie wenigstens. Vergessen Sie ja nicht, daß Ihr Schicksal am Haare hängt, und –

Titus Und daß Sie so undankbar sein könnten, das Perucken-Verhältnis zu verraten.

Marquis Und daß ich so klug sein könnte, mich auf diese Weise eines Nebenbuhlers zu entledigen.

Titus Was? So spricht der Mann? Der Mann zu dem Mann, ohne den dieser Mann ein Mann des Todes wäre? Ohne welchen Mann diesen Mann jetzt die Karpfen fresseten?

Marquis Ich bin Ihnen zu großem Dank, aber keineswegs zur Abtretung meiner Braut verpflichtet.

Titus Wer sagt denn, daß sie abgetreten werden soll? Ich buhle ja nicht um die Liebe, nur um die Protektion der Kammerfrau.

Marquis Ah, jetzt sprechen Sie vernünftig! Auf diese Weise können Sie auf meine Dankbarkeit und vor allem auf Bewahrung des Haargeheimnisses zählen. Hüten Sie sich aber, mir Anlaß zum Mißvergnügen zu geben, denn sonst – (drohend) denken Sie nur, Ihr Kopf ist in meiner Gewalt. (Geht zur Seite rechts ab.)

 
Zwölfte Szene

Titus (allein)

Titus Verfluchte G'schicht'! Heut' kommt viel über mein' Kopf! Wenn ich nur nicht auch so viel drin hätt'! Aber der Tokayerdunst – und das – daß die Madame Kammerfrau dem Friseur seine Jungfer Braut is, geht mir auch – (auf den Kopf deutend) da herum. (Wirft sich in einen Lehnstuhl.) Das wär' eigentlich Herzenssache, aber so ein Herz is dalket und indiskret zugleich. Wie's a bißl ein' kritischen Fall hat, so schickt's ihn gleich dem Kopf über 'n Hals, wenn's auch sieht, daß der Kopf ohnedies den Kopf voll hat. Ich bin ordentlich matt. (Gähnt.) A halb's Stünderl könnt's doch noch dauern, bis die gnädige Frau kommt – (läßt den Kopf in die Hand sinken) da könnt' ich mich ja – (gähnend) ein wenig ausduseln – nicht einschlafen – bloß ausduseln – a wenig – ausduseln – (schläft ein.)

 
Dreizehnte Szene

Titus, Marquis

Marquis (kommt nach einer kleinen Pause aus der Tür rechts) Da drinnen ist ein Fenster zerbrochen. Ich kann den Zug nicht vertragen und habe daher die Spalettladen geschlossen. Jetzt ist's aber so finster drin, daß ich unmöglich ohne Licht – der Jäger soll mir – wo ist er denn hin? – Am Ende ist er gar zu meiner Constanze geschlichen? Da soll ihm ja –! (Will durch die Mitte abeilen und sieht den schlafenden Titus im Lehnstuhle.) Ach, nein, ich hab' ihm unrecht getan, die Eifersucht – närrisches Zeug – ich muß das lassen! Wie ruhig er da liegt – so schläft kein Verliebter, der hat wohl keinen Gedanken an sie –

Titus (lallt im Schlafe) Con-sta-sta-stantia –

Marquis Alle Teufel! Was war das? (Tritt auf den Zehen näher.)

Titus (wie oben) Rei-zende – Gestalt – Co-Con-stantia –

Marquis Er träumt von ihr! Der Schlingel untersteht sich, von ihr zu träumen!

Titus (wie oben) Nur – noch ein – Bu-Bu-Bussi –

Marquis Höllenelement, solche Träume duld' ich nicht! (Will ihn an der Brust fassen, besinnt sich aber.) Halt – so wird's besser gehen. Wir wollen doch sehen, ob sie dem Rotkopf ein Bububussi gibt! (Nähert sich der Rückseite des Stuhles und macht äußerst behutsam die Perücke los.)

Titus (wie oben) Laß gehen – Sta-stantia – ich bin kitzlich auf 'm Kopf –

Marquis (nimmt ihm die Perücke weg) Jetzt versuche dein Glück, roter Adonis! Den Talisman erhältst du nimmer wieder! (Steckt die Perücke zu sich und eilt zur Mitte ab.)

 
Vierzehnte Szene

Titus (allein)

Titus (im Schlafe sprechend) O – zartes – Ha-Handerl –! (Man hört von außen das Geräusch eines in das Tor einfahrenden Wagens, gleich darauf wird stark geläutet, Titus fährt aus dem Schlaf empor.) Was war das? Mir scheint gar –? (Läuft zur Mitteltür.) Ein Bedienter stürzt sich hinaus – die Gnädige kommt nach Haus – jetzt werd' ich vorgestellt. (Richtet an seinem Anzug.) Mein Anzug is ganz derangiert – 's Krawattel verschloffen – wo is denn g'schwind ein Spiegel?! (Läuft zu einem an der Kulisse links hängenden Spiegel, sieht hinein und prallt zurück.) Himmel und Erden, d' Perücken is weg! – Sie wird mir im Schlaf hinunterg'fall'n – (läuft zum Lehnstuhl und sucht) nein, weg, verloren, geraubt! Wer hat diese Bosheit? – Da ist Eifersucht im Spiel! Othellischer Friseur! Pomadiges Ungeheuer! Das hast du getan! Du hast den gräßlichen Perückenraub begangen! Jetzt, in dem entscheidendsten, hoffnungsvollsten Moment stehe ich da als Windlicht an der Totenbahr' meiner jungen Karriere! Halt – er is da drin und frisiert die Tour der Gnädigen – der kommt mir nicht aus! Du gibst mir meine Perücken wieder, oder zittere, Kampelritter, ich beutl' dir die Haarpuderseel' bis aufs letzte Stäuberl aus 'm Leib! (Stürzt wütend in die Seitentür ab.)

 
Fünfzehnte Szene

Frau von Cypressenburg und Emma (treten zur Mitte ein)

Frau von Cypressenburg Ich muß sagen, ich finde das sehr eigenmächtig, beinahe keck von der Constanze, daß sie sich untersteht, in meiner Abwesenheit Domestiken aufzunehmen, ohne durch meinen Befehl hierzu autorisiert zu sein.

Emma Seien Sie nicht böse darüber, liebe Mutter, sie hat ja einen Jäger aufgenommen, und das war schon lang mein Wunsch, daß wir einen Jäger haben. Nimmt sich ja viel hübscher aus als unsere zwei schiefbeinigen Bedienten in der altfränkischen Livree.

Frau von Cypressenburg Wozu brauchen Damen einen Jäger?

Emma Und es soll ein recht martialischer Schwarzkopf sein, sagt die Constanze, der Schnurrbart zwar fehlt ihm, den muß ihm die Mama wachsen lassen, und auch einen Backenbart, ebenfalls ganz schwarz, daß aus dem ganzen Gesicht nichts heraussieht als zwei glühende schwarze Augen! So was steht prächtig hinten auf dem Wagen.

Frau von Cypressenburg (ohne Emmas voriger Rede besondere Aufmerksamkeit geschenkt zu haben) Schweig! Ich werde den Menschen wieder fortschicken, und damit Punktum! Wo ist er denn? Titus, hat sie gesagt, heißt er? – He! Titus!

 

Sechzehnte Szene

Titus; die Vorigen

Titus (kommt in blonder Perücke aus der Seitentür rechts) Hier bin ich und beuge mich im Staube vor der hohen Gebieterin, der ich in Zukunft dienen soll.

Emma (erstaunt beiseite) Was ist denn das? Das ist ja kein Schwarzkopf?

Frau von Cypressenburg (für sich, aber laut) Recht ein artiger Blondin!

Titus (hat das letzte Wort gehört, für sich) Was? Die sagt Blondin?

Frau von Cypressenburg (zu Titus) Meine Kammerfrau hat Ihm die Stelle eines Jägers gegeben, und ich bin nicht abgeneigt – (zu Emma sich wendend) Emma –! (Spricht im stillen mit Emma fort.)

Titus (für sich) Blondin hat s' g'sagt? – Ich hab' ja doch – (sieht sich verlegen um, so daß sein Blick in einen an der Kulisse rechts hängenden Spiegel fällt, äußerst erstaunt) meiner Seel', ich bin blond! Ich hab' da drin aus lauter Dunkelheit a lichte Perücken erwischt. Wann nur jetzt die Kammerfrau nicht kommt!

Frau von Cypressenburg (im Gespräche mit Emma fortfahrend) Und sage der Constanze –

Titus (erschrocken, für sich) Uijeh, die laßt s' holen!

Frau von Cypressenburg (ihre Worte fortsetzend) Sie soll meinen Anzug zur Abendgesellschaft ordnen.

Titus (aufatmend, für sich) Gott sei Dank, da hat s' a Weil' z' tun.

Emma Sogleich! (Für sich im Abgehen.) Die alberne Constanze hielt mich zum besten! Gibt einen Blondin für einen Schwarzkopf aus! (Zur Mitte ab.)

 
Siebzehnte Szene

Frau von Cypressenburg, Titus

Titus (für sich) Ich stehe jetzt einer Schriftstellerin gegenüber, da tun's die Alletagsworte nicht, da heißt's jeder Red' ein Feiertagsg'wandel anziehn.

Frau von Cypressenburg Also jetzt zu Ihm, mein Freund!

Titus (sich tief verbeugend) Das ist der Augenblick, den ich im gleichen Grade gewünscht und gefürchtet habe, dem ich sozusagen mit zaghafter Kühnheit, mit mutvollem Zittern entgegengesehen.

Frau von Cypressenburg Er hat keine Ursache, sich zu fürchten, Er hat eine gute Tournüre, eine agreable Fasson, und wenn Er sich gut anläßt – wo hat Er denn früher gedient?

Titus Nirgends. Es ist die erste Blüte meiner Jägerschaft, die ich zu Ihren Füßen niederlege, und die Livree, die ich jetzt bewohne, umschließt eine zwar dienstergebene, aber bis jetzt noch ungediente Individualität.

Frau von Cypressenburg Ist Sein Vater auch Jäger?

Titus Nein, er betreibt ein stilles, abgeschiedenes Geschäft, bei dem die Ruhe das einzige Geschäft ist; er liegt von höherer Macht gefesselt, und doch ist er frei und unabhängig, denn er ist Verweser seiner selbst – er ist tot.

Frau von Cypressenburg (für sich) Wie verschwenderisch er mit zwanzig erhabenen Worten das sagt, was man mit einer Silbe sagen kann! Der Mensch hat offenbare Anlagen zum Literaten. (Laut.) Wer war also Sein Vater?

Titus Er war schülerischer Meister; Bücher, Rechentafel und Patzenferl waren die Elemente seines Daseins.

Frau von Cypressenburg Und welche literarische Bildung hat er Ihm gegeben?

Titus Eine Art Mille-fleurs-Bildung. Ich besitze einen Anflug von Geographie, einen Schimmer von Geschichte, eine Ahndung von Philosophie, einen Schein von Jurisprudenz, einen Anstrich von Chirurgie und einen Vorgeschmack von Medizin.

Frau von Cypressenburg Scharmant! Er hat sehr viel, aber nichts gründlich gelernt! Darin besteht die Genialität.

Titus (für sich) Das is 's erste, was ich hör'! Jetzt kann ich mir's erklären, warum's so viele Genies gibt.

Frau von Cypressenburg Seine blonden Locken schon zeigen ein apollverwandtes Gemüt. War Sein Vater oder Seine Mutter blond?

Titus Keins von alle zwei! Es is ein reiner Zufall, daß ich blond bin.

Frau von Cypressenburg Je mehr ich Ihn betrachte, je länger ich Ihn sprechen höre, desto mehr überzeuge ich mich, daß Er nicht für die Livree paßt. Er kann durchaus mein Domestik nicht sein.

Titus Also verstoßen, zerschmettert, zermalmt?

Frau von Cypressenburg Keineswegs. Ich bin Schriftstellerin und brauche einen Menschen, der mir nicht als gewöhnlicher Kopist, mehr als Konsulent, als Sekretär bei meinem intellektuellen Wirken zur Seite steht, und dazu ernenn' ich Sie.

Titus (freudig überrascht) Mich? – Glauben Euer Gnaden, daß ich imstand' bin, einen intellektuellen Zuseitensteher abzugeben?

Frau von Cypressenburg Zweifelsohne, und es ist mir sehr lieb, daß die Stelle offen ist. Ich habe einen weggeschickt, den man mir rekommandierte, einen Menschen von Gelehrsamkeit und Bildung. Aber er hatte rote Haare, und das ist ein Horreur für mich. Dem hab' ich gleich gesagt: »Nein, nein, mein Freund, 's ist nichts, adieu!« Ich war froh, wie er fort war.

Titus (für sich) Da darf ich mich schön in Obacht nehmen, sonst endet meine Karriere mit einem Flug bei der Tür hinaus.

Frau von Cypressenburg Legen Sie nur die Livree sogleich ab; ich erwarte in einer Stunde Gesellschaft, der ich Sie als meinen neuen Sekretär vorstellen will.

Titus Euer Gnaden, wenn ich auch den Jäger ablege, mein anderer Anzug ist ebenfalls Livree, nämlich Livree der Armut: ein g'flickter Rock mit z'rissene Aufschläg'.

Frau von Cypressenburg Da ist leicht abgeholfen! Gehen Sie da hinein (nach rechts deutend), dann durchs Billardzimmer in das Eckkabinett, da finden Sie die Garderobe meines verewigten Gemahls. Er hatte ganz Ihren Wuchs. Wählen Sie nach Belieben und kommen Sie sogleich wieder hierher.

Titus (für sich) Wieder der Anzug von ein' Seligen. (Sich verbeugend.) Ich eile! (Für sich, im Abgehen.) Ich bring' heut' ein' ganzen seligen Tandelmarkt auf den Leib. (Rechts in die Seitentüre ab.)

 
Achtzehnte Szene

Frau von Cypressenburg, dann Constantia

Frau von Cypressenburg (allein) Der junge Mann schwindelt auf der Höhe, auf die ich ihn gehoben! Wenn ich ihn durch Vorlesungen meiner Dichtungen in überirdische Regionen führe, wie wird ihm da erst werden!

Constantia (aufgeregt durch die Mitte eintretend) Übel, sehr übel find' ich das angebracht.

Frau von Cypressenburg Was hat Sie denn?

Constantia Ich muß mich über das gnädige Fräulein beklagen. Ich find' es sehr übel angebracht, einen Spaß so weit zu treiben. Sie hat mich ausgezankt, ich hätt' sie wegen den Haaren des Jägers angelogen. Ich glaubte anfangs, sie mache einen Scherz; am Ende aber hat sie mich eine dumme Gans geheißen.

Frau von Cypressenburg Ich werde sie darüber reprimandieren. Übrigens ist der Mensch nicht mehr Jäger. Ich habe ihn zum Sekretär ernannt, und man wird ihm die seinem Posten schuldige Achtung erweisen.

Constantia Sekretär!? Ich bin entzückt darüber, daß er vor Ihnen Gnade gefunden. Die schwarze Sekretärkleidung wird ihm sehr gut lassen zu dem schwarzen Haar.

Frau von Cypressenburg Was spricht Sie da?

Constantia Schwarze Haare, hab' ich gesagt.

Frau von Cypressenburg Mir scheint, Sie ist verrückt! Ich habe noch kein schöneres Goldblond gesehen.

Constantia Euer Gnaden spaßen!

Frau von Cypressenburg Ist mir noch nicht oft eingefallen, mit meinen Untergebenen zu spaßen.

Constantia Aber, Euer Gnaden, ich hab' ja mit eigenen Augen –

Frau von Cypressenburg Meine Augen sind nicht weniger eigen als die Ihrigen.

Constantia (äußerst erstaunt) Und Euer Gnaden nennen das blond?

Frau von Cypressenburg Was sonst?

Constantia Euer Gnaden verzeihen, dazu gehören sich wirklich eigene Augen! Ich nenne das das schwärzeste Schwarz, was existiert.

Frau von Cypressenburg Lächerliche Person, mache Sie Ihre Schwänke jemand anderm vor!

Constantia Nein, das ist, um den Verstand zu verlieren!

Frau von Cypressenburg (nach rechts sehend) Da kommt er – nun? Ist das blond oder nicht?

 
Neunzehnte Szene

Titus (aus der Seitentür rechts kommend, im schwarzen Frack, kurzen Hosen, seidenen Strümpfen und Schuhen); die Vorigen

Titus Hier bin ich, gnädigste Gebieterin! (Erblickt Constantia und erschrickt, für sich.) O je! Die Constantia!

Constantia (äußerst betroffen) Was is denn das!

Frau von Cypressenburg (zu Constantia) In Zukunft verbiete ich mir derlei –

Constantia Aber, Euer Gnaden, ich hab' ja –

Frau von Cypressenburg Kein Wort mehr!

Titus (zu Frau von Cypressenburg) Die Gnädigste sind aufgeregt! Was ist's denn? –

Frau von Cypressenburg Stellen Sie sich vor, die Närrin da behauptet, Sie hätten schwarze Haare.

Titus Das is schwarze Verleumdung.

Constantia Da möchte man den Verstand verlieren!

Frau von Cypressenburg Daran wäre nichts gelegen, wohl aber, wenn ich die Geduld verlöre! Geh' Sie und ordne Sie meine Toilette!

Constantia Ich kann nur noch einmal versichern –

Frau von Cypressenburg (ärgerlich) Und ich zum letzten Male sagen, daß Sie gehen soll.

Constantia (sich gewaltsam unterdrückend und abgehend) Das übersteigt meine Fassung! (Durch die Mitte ab.)

 
Zwanzigste Szene

Frau von Cypressenburg, Titus

Frau von Cypressenburg Insolente Person das!

Titus (für sich) Meine Stellung hier im Hause gleicht dem Brett des Schiffbrüchigen: Ich muß die andern hinunterstoßen, oder selbst untergehn. (Laut.) O, gnädige Frau, dieses Frauenzimmer hat noch andere Sachen in sich!

Frau von Cypressenburg War sie etwa unhöflich gegen Sie?

Titus O, das nicht, sie war nur zu höflich! Es sieht kurios aus, daß ich darüber red', aber ich mag das nicht. Diese Person macht immer Augen auf mich, als wenn – und red't immer, als ob – und tut immer, als wie – und – ich mag das nicht.

Frau von Cypressenburg Sie soll fort, heute noch –!

Titus Und dann betragt sich Dero Friseur auch auf eine Weise – er hat ein fermes Liaisonverhältnis mit der Kammerfrau, was doch ganz gegen den Anstand des Hauses –

Frau von Cypressenburg Den dank' ich ab.

Titus Mich verletzt so was gleich, diese Liebhaberei, dieses Scharmieren, ich seh' das nicht gern – (beiseite) ich tu's lieber selber.

Frau von Cypressenburg (beiseite) Welch zartes, nobles Sentiment! (Laut.) Marquis hat mich zum letzten Male frisiert.

Titus Und dann is noch die Gärtnerin – na, da will ich gar nichts sagen.

Frau von Cypressenburg Sprechen Sie, ich will es!

Titus Sie hat mir einen halbeten Heiratsantrag gemacht.

Frau von Cypressenburg Impertinent!

Titus Einen förmlichen halbeten Heiratsantrag!

Frau von Cypressenburg Die muß heute noch aus meinem Hause!

Titus (für sich) Alle kommen s' fort; jetzt kann ich blonder Jüngling bleiben. (Laut.) Mir ist leid, daß ich –

Frau von Cypressenburg Schreiben Sie sogleich an alle drei die Entlassungsbriefe.

Titus Nein, das kann ich nicht. Mein erstes Geschäft als Sekretär darf kein so grausames sein.

Frau von Cypressenburg Nein, ein edles Herz hat der junge Mann!

 
Einundzwanzigste Szene

Emma (aus der Seitentüre links); die Vorigen

Emma Mama, ich komme, die Constanze zu verklagen, sie hat mich durch ihr Benehmen gezwungen, sie eine dumme Gans zu heißen.

Titus (für sich) Daß doch immer eine der andern was vorzurupfen hat!

Frau von Cypressenburg Du wirst ihr sogleich den Dienst aufkünden, der Constanze mündlich, der Gärtnerin und dem Friseur schriftlich.

Emma Schön, liebe Mama!

Titus (sich erstaunt stellend) Mama?!

Frau von Cypressenburg Ja, dies ist meine Tochter.

Titus Ah! – Nein! – Nein! – Hör'n Sie auf! – Nein, das ist nicht möglich!

Frau von Cypressenburg Warum nicht?

Titus 's geht ja gar nicht hinaus mit die Jahre.

Frau von Cypressenburg (sich sehr geschmeichelt fühlend) Doch, mein Freund!

Titus So eine junge Dame – und diese große Tochter? Nein, das machen Sie wem andern weis! Das ist eine weitschichtige Schwester oder sonst eine himmelweit entfernte Verwandte des Hauses. Wenn ich Euer Gnaden schon eine Tochter zutrauen soll, so kann sie höchstens – das is aber schon das Höchste – so groß sein – (zeigt die Größe eines neugebornen Kindes.)

Frau von Cypressenburg Es ist so, wie ich gesagt. Man hat sich konserviert.

Titus O, ich weiß, was Konservierung macht. Aber so weit geht das Konservatorium nicht.

Frau von Cypressenburg (huldreich lächelnd) Närrischer Mensch – ich muß jetzt zur Toilette eilen, sonst überraschen mich die Gäste! Du, Emma, begleite mich! – (Zu Titus.) Ich sehe Sie bald wieder.

Titus (wie vom Gefühle hingerissen) O, nur bald! (Tut, als ob er über diese Worte vor sich selbst erschrocken wäre, faßt sich, verneigt sich tief und sagt in unterwürfigem Tone.) Nur bald ein Geschäft, wo ich meinen Diensteifer zeigen kann!

Frau von Cypressenburg (im Abgehen) Adieu! (Mit Emma zur Seitentür links ab.)

 
Zweiundzwanzigste Szene

Titus (allein)

Titus Gnädige! Gnädige! Ich sag' derweil nichts als: Gnädige! – Wie ein' das g'spaßig vorkommt, wenn ein' nie eine mögen hat, und man fangt auf einmal zum Bezaubern an, das ist nit zum Sagen. Wann ich denk': Heut' vormittag und jetzt, das wird doch eine Veränderung sein für einen Zeitraum von vier bis fünf Stund'! Ja, die Zeit, das is halt der lange Schneiderg'sell, der in der Werkstatt der Ewigkeit alles zum Andern kriegt. Manchmal geht die Arbeit g'schwind, manchmal langsam, aber firtig wird's, da nutzt amal nix, g'ändert wird all's!

Lied

1.
s war einer von Eisen, hat wütend getanzt,
Dann mit 'm Gefrornen sich beim offnen Fenster auf'pflanzt,
Is g'rennt und g'sprengt zu die Amouren in Karriere,
Spielt und trinkt d' ganze Nacht, er weiß vom Bett gar nix mehr.
Nach zehn Jahren is d' Brust hektisch, homöopathisch der Mag'n,
Er muß im Juli flanellene Nachtleib'ln trag'n
Und extra ein' wattierten Kaput, sonst war's z' kühl –
Ja, die Zeit ändert viel.

2.
's hat einer a Braut, steckt den ganzen Tag dort,
Wenn die Dienstleut' ins Bett schon woll'n, geht er erst fort;
Dann bleibt er noch drunt', seufzt aufs Fenster in d' Höh',
Erfrört sich die Nasen vom Dastehn im Schnee.
A halb's Jahr nach der Hochzeit rennt er ganze Täg' aus,
Kommt spät auf die Nacht oder gar nit nach Haus;
Dann reist er nach Neapel, sie muß in die Brühl –
Ja, die Zeit ändert viel.

3.
A Sängerin hat g'sungen wie Sphärenharmonie,
Wann s' der Schnackerl hat g'stoßen, war 's Feenmelodie.
Diese Stimm', die is was Unerhörtes gewest,
Aus Neid sein die Nachtigall'n hin wor'n im Nest;
Silberglocken war'n rein alte Häfen gegen ihr;
Sechs Jahr' drauf kriegt ihr' Stimm' a Schneid wie 's Plutzerbier.
Jetzt kraht s' nur dramatisch, frett't sich durch mit'm Spiel –
Ja, die Zeit ändert viel.

4.
Ah, das is a lieber Knab', artig und nett
Und schön und bescheiden und gar so adrett,
Er is still, bis man 'n fragt, nacher antwort't er drauf,
Wo man 'n hinnimmt, da hebt man a Ehr' mit ihm auf;
's machen d' Herren und die Frauen mit dem Knab'n a Spektakl!
Nach zehn Jahren is der Knab a großmächtiger Lackl,
A Löllaps, der keck in alles dreinreden will –
Ja, die Zeit ändert viel.

5.
A Schönheit hat dreizehn Partien ausgeschlagen,
Darunter waren achte mit Haus, Ross' und Wagen,
Zwa Anbeter hab'n sich an ihr'm Fenster aufg'henkt,
Und drei hab'n sich draußen beim Schanzel dertränkt,
Vier hab'n sich beim Dritten Kaffeehaus erschossen.
Seitdem sein a sieb'nzehn Jahrln verflossen,
Jetzt schaut s' keiner an, sie kann sich au'm Kopf stell'n, wenn s' will –
Ja, die Zeit ändern viel.

6.
Hat einst einer über ein' sein' Schöne was g'sagt,
Pumsti, hat er a eiserne Ohrfeigen erfragt,
Nach der Klafter haben s' kämpft, und gleich auf Tod und Leben!
Alle Daum'lang hat's blutige Fehde gegeben.
Jetzt nehmen die Liebhaber das nit a so,
Machen über ihr' Schöne selbst scharfe Bonmots,
Für ihr'n Bierhauswitz nehmen s' d' Geliebte als Ziel –
Ja, die Zeit ändert viel.

(Durch die Seitentür rechts ab.)

 
Dreiundzwanzigste Szene

Herr von Platt; mehrere Herren und Damen (treten während dem Ritornell des folgenden Chores ein)

Chor
's ist nirgends so wie in dem Haus amüsant,
Denn hier sind die Karten und Würfel verbannt,
Bei Frau von Cypressenburg in Soiree,
Da huldigt den Musen man nur und dem Tee.

(Während dem Chor haben Bediente einen großen gedeckten Tisch gebracht und die Stühle gesetzt.)

 
Vierundzwanzigste Szene

Frau von Cypressenburg; die Vorigen, dann Titus

Frau von Cypressenburg Willkommen, meine Herren und Damen!

Die Gäste Wir waren so frei –

Frau von Cypressenburg Sie befinden sich allerseits?

Die Herren Danke ergebenste

Die Damen (untereinander) Migräne, Kopfschmerz, Rheumatismus –

Frau von Cypressenburg Ist's nicht gefällig?

(Alle setzen sich zum Tee.)

Titus (aus der Seitentür rechts) Ich komme vielleicht ungelegen –?

Frau von Cypressenburg Wie gerufen! (Ihn der Gesellschaft präsentierend.) Mein neuer Sekretär!

Alle Ah, freut mich!

Frau von Cypressenburg (zu Titus) Nehmen Sie Platz!

Titus (setzt sich.)

Frau von Cypressenburg Dieser Herr wird Ihnen in der nächsten Soiree meine neuesten Memoiren vorlesen.

Alle Scharmant!

Herr von Platt Schade, daß die gnädige Frau nichts fürs Theater schreiben.

Frau von Cypressenburg Wer weiß, was geschieht; es kann sein, daß ich mich nächstens versuche.

Titus Ich hör', es soll unendlich leicht sein, es geht als wie geschmiert.

Herr von Platt Ich für mein Teil hätte eine Leidenschaft, eine Posse zu schreiben.

Titus (zu Herrn von Platt) Warum tun Sie's denn nicht?

Herr von Platt Mein Witz ist nicht in der Verfassung, um etwas Lustiges damit zu verfassen.

Titus So schreiben Sie eine traurige Posse. Auf einem düsteren Stoff nimmt sich der matteste Witz noch recht gut aus, so wie auf einem schwarzen Samt die matteste Stickerei noch effektuiert.

Herr von Platt Aber was Trauriges kann man doch keine Posse heißen?

Titus Nein! Wenn in einem Stück drei G'spaß und sonst nichts als Tote, Sterbende, Verstorbene, Gräber und Totengräber vorkommen, das heißt man jetzt ein Lebensbild.

Herr von Platt Das hab' ich noch nicht gewußt.

Titus Is auch eine ganz neue Erfindung, gehört in das Fach der Haus– und Wirtschaftspoesie.

Frau von Cypressenburg Also lieben Sie die Rührung nicht?

Titus O ja, aber nur, wenn sie einen würdigen Grund hat, und der find't sich nicht so häufig. Drum kommt auch eine große Seele langmächtig mit ein' Schnupftüchel aus, dagegen brauchen die kleinen, guten Ordinariseelerln a Dutzend Fazinetteln in einer Komödie.

Frau von Cypressenburg (zu ihrer Nachbarin) Was sagen Sie zu meinem Sekretär?

 
Fünfundzwanzigste Szene

Flora; die Vorigen

Flora (kommt weinend zur Mitte herein) Euer Gnaden, ich bitt' um Verzeihung, daß ich –

Alle (erstaunt) Die Gärtnerin?

Titus (betroffen, beiseite) Verdammt!

Flora (zu Frau von Cypressenburg) Ich kann's nicht glauben, daß Sie mich aus dem Dienst geben, ich hab' ja nix getan.

Frau von Cypressenburg Ich bin über die Gründe, die mich dazu veranlassen, keine Rechenschaft schuldig! Übrigens –

Flora (Titus erblickend und erstaunt) Was is denn das? Der hat blonde Haar'?

Frau von Cypressenburg Was gehen Sie die Haare meines Sekretärs an? Hinaus!

 
Sechsundzwanzigste Szene

Constantia, Emma; die Vorigen

Constantia (tritt weinend mit Emma zur Mitte ein) Nein, das kann nicht sein!

Emma Ich habe Ihr gesagt, was die Mama befohlen.

Constantia Ich bin des Dienstes entlassen?

Alle (erstaunt sich zu Frau von Cypressenburg wendend) Im Ernst?

Constantia Euer Gnaden, das hätt' ich mir nie gedacht! Ohne Grund –

Herr von Platt Was hat sie denn verbrochen?

Constantia Die Haare des Herrn Sekretärs sind schuld.

Frau von Cypressenburg Wie lächerlich! Das ist nicht der Grund. (Zur Gesellschaft.) Übrigens, was sagen Sie zu der Närrin? Sie behauptet, er wäre schwarz! Nun frag' ich Sie, ist er blond oder nicht?

Constantia Er ist schwarz.

Flora Das sag' ich auch, er ist schwarz!

 
Siebenundzwanzigste Szene

Marquis, die Vorigen

Marquis (zur Mitte eintretend) Und ich sage, er ist nicht schwarz und ist nicht blond!

Alle Was denn, Herr Friseur?

Marquis Er ist rot!

Alle (erstaunt) Rot?

Titus (für sich) Jetzt nutzt nix mehr! (Aufstehend und die blonde Perücke mitten auf die Bühne werfend.) Ja, ich bin rot!

Alle (erstaunt vom Teetisch aufstehend) Was ist das?

Frau von Cypressenburg Fi donc!

Constantia (zu Titus) Ach, wie abscheulich sieht Er aus!

Flora (zu Titus) Und die rote Ruben hat mich heirat'n woll'n?

Frau von Cypressenburg (zu Titus) Er ist ein Betrüger, der meine treuesten Diener bei mir verleumdete! Fort, hinaus, oder meine Bedienten sollen –

Titus (zu Frau von Cypressenburg) Wozu? Der Zorn überweibt Sie! – Ich gehe –

Alle Hinaus!

Titus Das ist Ottokars Glück und Ende! (Geht langsam mit gesenktem Haupte zur Mitte ab.)

Chor der Gäste
Nein, das ist wirklich der Müh' wert,
Hat man je so was gehört!

(Frau von Cypressenburg affektiert eine Ohnmacht, unter allgemeiner Verwirrung fällt der Vorhang.)

 

I/01–15: Dorfplatz
I/16–23: Wohnung der Gärtnerin

II/01–05: Schlossgarten
II/06–27: Saal im Schlosse

III/01–11: Schlossgarten
III/12–21: Gartensaal