Der Talisman, I/1–15

    

 

I/01–15: Dorfplatz
I/16–23: Wohnung der Gärtnerin

II/01–05: Schlossgarten
II/06–27: Saal im Schlosse

III/01–11: Schlossgarten
III/12–21: Gartensaal

Erster Akt

Die Bühne stellt einen Dorfplatz vor. In der Mitte gegen den Hintergrund ein Brunnen mit zwei sich gegenüberstehenden Steinsitzen, links eine Gartenmauer mit einer kleinen offenstehenden Tür, welche in den Herrschaftsgarten führt.

 

Erste Szene

Bauernmädchen, darunter Hannerl (treten während dem Ritornell des folgenden Chores aus dem Hintergrunde links auf); Bauernbursche, unter ihnen Christoph, Seppel und Hans

Chor

Die Mädchen
Au'm Nachkirtag tanzt man schon in aller Fruh',
Dort kommen die Burschen und holen uns dazu.

Die Bauernbursche (von der Seite rechts auftretend)
Wo bleibt's denn? Laßt keine sich sehn, das ist schön,
Au'm Tanzboden tut's drüber und drunter schon gehn.

Die Mädchen
Wir sind schon bereit.

Die Bursche
So kommt's, es is Zeit.

Alle
Es hat jeds sein' Gegenteil, die Wahl is nit schwer,
D' Musikanten, spielt's auf, heut' geht's lustig her.

Christoph (zu einem Bauernmädchen) Wir zwei tanzen miteinand'!

Hans (zu einer anderen) Wir zwei sein schon seit zehn Kirtäg' ein Paar.

Hannerl (zu einem Burschen) Ich tanz' auf der Welt mit kein' andern als mit dir.

Christoph (nach links in den Hintergrund sehend) Da schaut's, da kommt die Salome.

Hannerl Mit die baßgeig'nfarbnen Haar'!

Christoph Was will denn die auf 'm Kirtag?

Hannerl Eure Herzen anbrandeln, das ist doch klar!

 
Zweite Szene

Salome; die Vorigen

Salome (in ärmlich ländlichem Anzug, mit roten Haaren, kommt aus dem Hintergrunde links) Da geht's ja gar lustig zu; wird schon auf 'm Tanzboden gangen, nit wahr?

Christoph (kalt) Is möglich!

Salome Ös werd't's doch nix dagegen haben, wenn ich auch mitgeh'?

Hans No ja – warum nit – hingehn kann jeds.

Christoph (mit Beziehung auf ihre Haare) Aber 's is weg'n der Feuersg'fahr!

Hans (ebenso) 's is der Wachter dort –

Christoph (wie oben) Und der hat ein' starken Verdacht auf dich; du hast deine Gäns' beim Stadl vorbei'trieben, der vorgestern ab'brennt is.

Hannerl Und da glaubt man, du hast'n an'zund'n mit deiner Frisur.

Salome Das is recht abscheulich, was ihr immer habt's über mich; aber freilich, ich bin die einzige im Ort, die solche Haar' hat. Für die Schönste wollt's mich nicht gelten lassen, drum setzt's mich als die Wildeste herab.

Die Mädchen Ah, das is der Müh' wert, die wollt' die Schönste sein!

Christoph (zu Salome) Schau halt, daß d' ein' Tänzer find'st.

Seppel (ein sehr häßlicher Bursch) Ich tanz' mit ihr, was kann mir denn g'schehn?

Christoph Was fallt dir denn ein? Ein Kerl wie du wird doch wohl eine andere kriegen?

Seppel Is auch wahr, man muß sich nit wegwerfen.

Hans Vorwärts! Brodelt's nit so lang herum!

Alle Auf'n Tanzboden! Juhe! Zum Tanz! (Alle rechts im Hintergrunde ab.)

 
Dritte Szene

Salome

Salome Ich bleib' halt wieder allein z'ruck! Und warum? Weil ich die rotkopfete Salome bin. Rot ist doch g'wiß a schöne Farb', die schönsten Blumen sein die Rosen, und die Rosen sein rot. Das Schönste in der Natur ist der Morgen, und der kündigt sich an durch das prächtigste Rot. Die Wolken sind doch g'wiß keine schöne Erfindung, und sogar die Wolken sein schön, wann s' in der Abendsonn' brennrot dastehn au'm Himmel; drum sag' ich: wer gegen die rote Farb' was hat, der weiß nit, was schön is. Aber was nutzt mich das alles, ich hab' doch kein', der mich auf'n Kirtag führt! – Ich könnt' allein hingehn – da spotten wieder die Madeln über mich, lachen und schnattern. Ich geh' zu meine Gäns', die schnattern doch nicht aus Bosheit, wann s' mich sehn, und wann ich ihnen 's Futter bring', schaun s' mir auf d' Händ' und nit auf'n Kopf. (Sie geht rechts im Vordergrunde ab.)

 
Vierte Szene

Flora und Plutzerkern (kommen aus dem Hintergrunde links. Plutzerkern trägt einen bepackten Korb)

Flora (ärgerlich) Nein, das is wirklich arg! Das bisserl Weg von der Stadt fünf Viertelstund' herausfahren! Schamen soll sich so ein Stellwagen!

Plutzerkern Warum denn? Er heißt ja deßtwegen Stellwagen, weil er von der Stell' nicht weiterkommt.

Flora Schad', daß du mit deiner Langsamkeit kein Stellwag'n worden bist.

Plutzerkern Dazu fehlet mir die Pfiffigkeit. Ein Stellwagen ist das pfiffigste Wesen auf der Welt, weil er ohne Unterschied des Standes jeden Menschen aufsitzen laßt.

Flora Ich glaub', du hast wieder dein' witzigen Tag, da bist du noch unerträglicher als gewöhnlich.

Plutzerkern Schimpfen S' zu, lassen S' Ihre Gall' aus an mir! Lang wird's so nit mehr dauern.

Flora Willst du etwa aus dem Dienst der gnädigen Frau gehn? Das wär' g'scheit.

Plutzerkern O nein; aber Sie werden gewiß bald heiraten, dann ist Ihrer Sekkatur ein neues Feld eröffnet, und ich bin nicht mehr der Spielraum Ihrer Z'widrigkeit.

Flora Dummer Mensch! Ich werd' mich nie mehr verheiraten, ich bleib' meinem Verstorbenen getreu.

Plutzerkern Vielleicht sieht er's ein nach sein' Tod; bei Lebzeiten hat er's nie recht glauben wollen.

Flora Wenn ich die gnädige Frau wär', ich hätt' Ihn schon lang gejagt.

Plutzerkern (mit Beziehung) Wenn ich die gnädige Frau wär', blieb auch nicht alles im Haus.

Flora Wer weiß, ob Er nicht bald springt! Ich hab' die Erlaubnis, einen flinken, rüstigen Burschen aufzunehmen.

Plutzerkern Das is recht, dann is doch die Plag' nicht mehr so groß! Ich gieß' den Winterradi, mehr Einfluß verlang' ich mir nit.

Flora Geh' Er jetzt zum G'vatter Polz, der will mir einen Gartenknecht rekommandieren.

Plutzerkern Gut, vielleicht wird aus dem Knecht Ihr künftiger Herr.

Flora Warum nicht gar! Von mir bekommt jeder einen Korb.

Plutzerkern Leider, das g'spür' ich! Jetzt müssen Sie ihn aber wieder nehmen, wenn ich zum G'vattern soll. (Gibt ihr den bepackten Korb.)

Flora Mach' Er geschwind, langweiliger Mensch! (Ab in die Gartentüre.)

Plutzerkern (allein) Hm, hm! Der Garten ist doch nicht so verwahrlost, und wie's die treibt um den flinken, rüstigen Gartenknecht – hm, hm! (Geht rechts ab.)

 
Fünfte Szene

Titus Feuerfuchs (tritt während des Ritornells des folgenden Liedes erzürnt von rechts vorne auf)

Lied

1.
            Der hat weiter nit g'schaut,
            Beinah' hätt' ich'n g'haut;
            Der Spitzbub', 's is wahr,
            Lacht mich aus weg'n die Haar'!
            Wen geht's denn was an,
            Ich hoff doch, ich kann
            Haar' hab'n, wie ich will,
            Jetzt wird's mir schon z'viel!
Rote Haar' von ein' falschen Gemüt zeig'n soll'n?
's is's Dümmste, wann d' Leut' nach die Haar' urteil'n woll'n.
's gibt G'schwufen g'nug mit ein' kohlrab'nschwarzen Haupt
Und jede is ang'schmiert, die ihnen was glaubt;
Manch blondg'lockter Jüngling is beim Tag so still
Und schmachtend – warum? Bei der Nacht lumpt er z' viel!
Und mit eisgraue Haar' schaun die Herrn aus so g'scheit
Und sein oft verruckter noch als d' jungen Leut'!
            Drum auf d' Haar' muß man gehn,
            Nachher trifft man's schon schön.

2.
(Drohend in die Szene blickend, von woher er gekommen.)
            Mir soll einer traun,
            Der wird sich verschaun,
            Auf Ehr', dem geht's schlecht,
            Denn ich beutl' ihn recht;
            Der Kakadu is verlor'n,
            Wenn ich in mein' Zorn
            Über d' Haar' ein' kumm,
            Der geht glatzkopfet um.
Die rothaarig'n Madeln, heißt's, betrüg'n d' Männer sehr;
Wie dumm! Das tun d' Madeln von jeder Couleur.
Die schwarz'n, heißt's, sein feurig, das tut d' Männer locken,
Derweil is a Schwarze oft d' fadeste Nocken.
Die Blonden sein sanft? O! A Blonde is a Pracht!
Ich kenn' eine Blonde, die rauft Tag und Nacht.
Doch mit graue Haar' sein s' treu, na, da stund man dafur,
Nit wahr is, die färb'n sich s' und geb'n auch keine Ruh' –
            Drum auf d' Haar' muß man gehn,
            Nachher trifft man's schon schön.
 
So kopflos urteilt die Welt über die Köpf', und wann man sich auch den Kopf aufsetzt, es nutzt nix. Das Vorurteil is eine Mauer, von der sich noch alle Köpf', die gegen sie ang'rennt sind, mit blutige Köpf' zurückgezogen haben. Ich hab' meinen Wohnsitz mit der weiten Welt vertauscht, und die weite Welt is viel näher, als man glaubt. Aus dem Dorngebüsch z'widrer Erfahrungen einen Wanderstab geschnitzt, die Chiappa-via-Stiefel angezogen und 's Adje-Kappel in aller Still' geschwungen, so is man mit einem Schritt mitten drin in der weiten Welt. – Glück und Verstand gehen selten Hand in Hand – ich wollt', daß mir jetzt ein recht dummer Kerl begegnet', ich sähet das für eine gute Vorbedeutung an.

 
Sechste Szene

Titus, Plutzerkern

Plutzerkern Der Weg war auch wieder umsonst! – (Titus erblickend.) Ein Fremder gestaltet sich vor meinem Blick?

Titus (für sich) Schicksal, ich glaub', du hast mich erhört.

Plutzerkern (Titus musternd) Der B'schreibung nach, die mir der Herr Polz g'macht hat, könnt' das der sein, den er erwart't. Wuchs groß, Mund groß, Augen sehr groß, Ohren verhältnismäßig – nur die Haar' –? (Zu Titus.) Sucht der Herr hier ein Brot?

Titus Ich such' Geld, 's Brot wüßt' ich mir nachher schon z' finden.

Plutzerkern (für sich) Er sucht Geld – und das verdächtige Aussehen – (laut) auf d' Letzt is Er ein Schatzgraber?

Titus Wenn mir der Herr ein' Ort zeigt, wo einer liegt, so nimm ich gleich bei ein' Maulwurf Lektion.

Plutzerkern Oder is Er gar ein Rauber?

Titus Bis jetzt noch nicht, mein Talent ist noch in einer unentwickelten Bildungsperiode begriffen.

Plutzerkern Versteht Er die Gartnerei?

Titus Ich qualifiziere mich zu allem.

Plutzerkern (für sich) Er is es! (Zu Titus.) Er möcht' also bei unserer jungen, saubern Gartnerin-Witwe Gehilfe werden?

Titus Gehilfe der Witwe? – Wie g'sagt, ich qualifizier' mich zu allem.

Plutzerkern Mit so einem G'hilfen wär' ihr schon g'holfen – wie die mich jaget, wann ich ihr das Florianiköpfel brächt'!

Titus (erzürnt) Herr, diese Äußerung empört mein Innerstes.

Plutzerkern Fahrst ab, rote Rub'n? (Geht stolz in die Gartentür ab.)

Siebente Szene

Titus (allein, Plutzerkern mit stummen Ärger nachsehend)

Titus Ich bin entwaffnet! Der Mensch hat so etwas Dezidiertes in seiner Grobheit, daß es einem rein die Red' verschlagt. Recht freundlich, recht liebreich kommt man mir entgegen! In mir organisiert sich aber auch schon Misanthropisches – ja – ich hass' dich, du inhumane Menschheit, ich will dich fliehen, eine Einöde nehme mich auf, ganz eseliert will ich sein! – Halt, kühner Geist, solcher Entschluß ziemt dem Gesättigten, der Hungrige führt ihn nicht aus. Nein, Menschheit, du sollst mich nicht verlieren. Appetit is das zarte Band, welches mich mit der verkettet, welches mich alle Tag' drei-, viermal mahnt, daß ich mich der Gesellschaft nicht entreißen darf. – (Nach rechts sehend.) Dort zeigt sich ein Individuum und treibt andere Individuen in ein Stallerl hinein, Ganseln sind's – Ganseln! – O Hüterin, warum treibst du diese Ganseln nicht als a brat'ner vor dir her, ich hätt' mir eines als Zwangsdarlehen zugeeignet.

 
Achte Szene

Titus, Salome (von rechts auftretend, ohne Titus zu bemerken, hat einen großen halben Laib Brot und ein Messer in der Hand)

Salome Ich muß trinken, mi druckt's im Magen. (Sie geht zum Brunnen und trinkt.)

Titus (für sich) Die druckt's im Magen! O, könnt' ich dieses selige Gefühl mit ihr teilen!

Salome (ihn bemerkend, für sich) Ein fremder junger Mensch – und die schönen Haar', grad wie ich!

Titus (für sich) Bin neugierig, ob die auch »rote Rub'n!« sagt. (Laut) Grüß' dich Gott, wahlverwandtes Wesen!

Salome Gehorsamste Dienerin, schöner Herr!

Titus (halb für sich) Die findt't, daß ich schön bin, das ist die erste unter allen –

Salome O, hören S' auf, ich bin die letzte hier im Ort, ich bin die Ganselhüterin, die arme Salome.

Titus Arm? Ich bedaure dich, sorgsame Erzieherin junger Gänse! Deine Kolleginnen in der Stadt sind viel besser daran, und doch erteilen sie häufig ihren Zöglingen in einer Reihe von Jahren eine nur mangelhafte Bildung, während du die deinigen alle Martini vollkommen ausgebildet für ihren schönen Beruf der Menschheit überlieferst.

Salome Ich versteh' Ihnen nit, aber Sie reden so schön daher wer is denn Ihr Vater?

Titus Er ist gegenwärtig ein verstorbener Schulmeister.

Salome Das ist schön! Und Ihre Frau Mutter?

Titus War vor ihrem Tod längere Zeit verehelichte Gattin ihres angetrauten Gemahls.

Salome Ah, das is schön!

Titus (für sich) Die find't alles schön, ich kann so dumm daherreden, als ich will.

Salome Und darf man Ihren Namen wissen – wenigstens den Taufnamen?

Titus Ich heiß' Titus.

Salome Das is ein schöner Nam'.

Titus Paßt nur für einen Mann von Kopf.

Salome Aber so selten is der Nam'!

Titus Ja, und ich hör', er wird bald ganz abkommen. Die Eltern fürchten alle, sich in Zukunft zu blamieren, wenn sie die Kinder so taufen lassen.

Salome Und lebendige Verwandte haben Sie gar keine?

Titus O ja! Außer den erwähnten Verstorbenen zeigen sich an meinem Stammbaum noch deutliche Spuren eines Herrn Vetters, aber der tut nix für mich.

Salome Vielleicht hat er nix.

Titus Kind, frevele nicht, er ist Bierversilberer, die haben alle was! Das sein gar fleißige Leut'; die versilbern nicht nur das Bier, sie vergolden auch ihre Kassa.

Salome Haben Sie ihm vielleicht was getan, daß er Ihnen nit mag?

Titus Sehr viel, ich hab' ihn auf der empfindlichsten Seite angegriffen. Das Aug' ist der heiklichste Teil am Menschen, und ich beleidige sein Aug', so oft er mich anschaut, denn er kann die roten Haar' nit leiden.

Salome Der garstige Ding!

Titus Er schließt von meiner Frisur auf einen falschen, heimtückischen Charakter, und wegen diesem Schluß verschließt er mir sein Herz und seine Kassa.

Salome Das ist abscheulich!

Titus Mehr dumm als abscheulich. Die Natur gibt uns hierüber die zarteste Andeutung. Werfen wir einen Blick auf das liebe Tierreich, so werden wir finden, daß die Ochsen einen Abscheu vor der roten Farb' haben, und unter diesen wieder zeigen die totalen Büffeln die heftigste Antipathie – welch ungeheure Blöße also gibt sich der Mensch, wenn er rote Vorurteile gegen die rote Farb' zeigt!

Salome Nein, wie Sie g'scheit daherreden! Das sähet man Ihnen gar nit an.

Titus Schmeichlerin! Daß ich dir also weiter erzähl' über mein Schicksal! Die Zurückstoßung meines Herrn Vetters war nicht das einzige Bittere, was ich hab' schlucken müssen. Ich hab' in dem Heiligtum der Lieb' mein Glück suchen wollen, aber die Grazien haben mich für geschmackswidrig erklärt. Ich hab' in den Tempel der Freundschaft geguckt, aber die Freund' sind alle so witzig, da hat's Bonmots g'regnet auf mein' Kopf, bis ich ihn auf ewige Zeiten zurückgezogen hab'. So ist mir ohne Geld, ohne Lieb', ohne Freundschaft meine Umgebung unerträglich word'n; da hab' ich alle Verhältnisse abg'streift, wie man einen wattierten Kaput auszieht in der Hitz', und jetzt steh' ich in den Hemdärmeln der Freiheit da.

Salome Und g'fallt's Ihnen jetzt?

Titus Wenn ich einen Versorgungsmantel hätt', der mich vor dem Sturm der Nahrungssorgen schützet –

Salome Also handelt es sich um ein Brot? Na, wenn der Herr arbeiten will, da laßt sich Rat schaffen. Mein Bruder is Jodel hier, sein Herr, der Bäck, hat eine große Wirtschaft, und da brauchen s' ein' Knecht –

Titus Was? Ich soll Knecht werden? Ich? Der ich bereits Subjekt gewesen bin?

Salome Subjekt? Da hab'n wir auch ein' g'habt, der das war, der is aber auf 'm Schub fort'kommen.

Titus Warum?

Salome Weil er ein schlechtes Subjekt war, hat der Richter g'sagt.

Titus Ah, das is ja nit so. Um aber wieder auf deinen Brudern zu kommen – (auf den Brotlaib, den Salome trägt, deutend) hat er dieses Brot verfaßt?

Salome G'wiß war er auch dabei, wie der Laib – natürlich als Jodel.

Titus Ich möcht' doch sehen, wie weit es dein Bruder in dem Studium der Brotwissenschaft gebracht hat.

Salome Na, kosten Sie's! Es wird Ihnen aber nicht behagen. (Sie schneidet ein sehr kleines Stück Brot ab und gibt es ihm.)

Titus (essend) Hm – es ist –

Salome Mein' Ganseln schmeckt's wohl, natürlich, 's Vieh hat keine Vernunft.

Titus (für sich) Der Stich tut weh: mir schmeckt's auch.

Salome Na, was sagen S'? Nit wahr, 's is schlecht?

Titus Hm! Ich will deinen Brudern nicht so voreilig verdammen. Um ein Werk zu beurteilen, muß man tiefer eindringen. (Nimmt den Brotlaib und schneidet ein sehr großes Stück ab.) Ich werde prüfen und dir gelegentlich meine Ansichten mitteilen. (Steckt das Stück Brot in die Tasche.)

Salome Also bleiben S' doch noch ein' Zeit da bei uns? Das is recht! Den Stolz muß man ablegen, wenn man nix hat! Und 's wird Ihnen recht gut gehn da, wenn Ihnen nur der Bäck aufnimmt.

Titus Ich hoffe alles vom Jodel seiner Protektion.

Salome Es wird schon gehn. (Nach links in den Hintergrund sehend und erschreckend.) Sie, da schaun S' hin!

Titus (hinsehend) Das Pirutsch? – 's Roß lauft dem Wasser zu – Million, alles is hin! (Rennt im Hintergrund links ab.)

 
Neunte Szene

Salome (allein)

Salome Er wird doch nicht gar? – Er rennt hin – wenn ihm nur nichts g'schicht – er packt 's Pferd – 's reißt ihn nieder! (Aufschreiend.) Ah! 's Pferd steht still – er hat's aufgehalten – das is a Teuxelsmensch! Ein Herr steigt aus 'm Wagen – er kommt daher mit ihm. Ah, das muß ich gleich dem Bäcken erzählen! Wenn er das hört, nimmt er den Menschen g'wiß! (Läuft rechts ab.)

 
Zehnte Szene

Monsieur Marquis, Titus

Marquis Ah! Der Schreck steckt mir noch in allen Gliedern.

Titus Belieben sich da ein wenig niederzusetzen!

Marquis (sich auf eine Steinbank setzend) Verdammter Gaul, ist in seinem Leben noch nicht durchgegangen!

Titus Belieben vielleicht eine Verrenkung zu empfinden?

Marquis Nein, mein Freund.

Titus Oder belieben vielleicht sich einen Arm gebrochen zu haben?

Marquis Gott sei Dank, nein!

Titus Oder belieben vielleicht eine kleine Zerschmetterung der Hirnschale?

Marquis Nicht im geringsten – auch hab' ich mich bereits erholt, und nichts bleibt mir übrig, als Ihnen Beweise meines Dankes –

Titus O, ich bitte

Marquis Drei junge Leute standen da, die mich kennen, die schrien aus vollem Halse. »Monsieur Marquis! Monsieur Marquis! Der Wagen stürzt ins Wasser!«

Titus Was? – Ein' Marquis hab' ich gerettet? – Das is was Großes!

Marquis (in seiner Rede fortfahrend) Aber hilfreiche Hand leistete keiner! Da kamen Sie als Retter herbeigeflogen –

Titus Allgemeine Menschenpflicht!

Marquis Und gerade im entscheidenden Moment –

Titus Besonderer Zufall!

Marquis (aufstehend) Ihr Edelmut setzt mich in Verlegenheit Ich weiß nicht, wie ich meinen Dank – mit Geld läßt sich so eine Tat nicht lohnen –

Titus O, ich bitt', Geld ist eine Sache, die –

Marquis Die einen Mann von solcher Denkungsart nur beleidigen würde!

Titus Na, jetzt, sehen Sie – das heißt –

Marquis Das heißt den Wert Ihrer Tat verkennen, wenn man sie durch eine Summe aufwiegen wollte.

Titus Es kommt halt drauf an –

Marquis Wer eine solche Tat vollführt! Es hat einmal einer – ich weiß nicht, wie er geheißen hat – einem Prinzen – ich weiß nicht, wie er geheißen hat – das Leben gerettet; der wollte ihn mit Diamanten lohnen, da entgegnete der Retter: »Ich finde in meinem Bewußtsein den schönsten Lohn!« Ich bin überzeugt, daß Sie nicht weniger edel denken als der, wo ich nicht weiß, wie er geheißen hat.

Titus Es gibt Umständ, wo der Edelmut –

Marquis Auch durch zu viele Worte unangenehm affiziert wird, wollten Sie sagen? Ganz recht; der wahre Dank ist ohnedies stumm. Drum gänzliches Stillschweigen über die Geschichte!

Titus (für sich) Der Marquis hat ein Zartgefühl – wenn er ein schundiger Kerl wär', hätt' ich grad 's nämliche davon.

Marquis (Titus' Haare scharf betrachtend) Aber, Freund, ich mache da eine Bemerkung – hm, hm – das kann Ihnen in vielem hinderlich sein.

Titus Mir scheint, Euer Gnaden is mein Kopf nicht recht – ich hab' kein' andern und kann mir kein' andern kaufen.

Marquis Vielleicht doch – ich werde – ein kleines Andenken müssen Sie doch von mir – warten Sie einen Augenblick! (Läuft im Hintergrunde links ab.)

 
Elfte Szene

Titus (allein)

Titus Es hat nix g'fehlt, als daß er aus Dankbarkeit: »Rote Rub'n!« g'sagt hätt'. Das ist ein lieber Marquis! – Was tut er denn? (In die Szene sehend.) Er rennt zum Pirutsch – er sucht drin herum – »Andenken« hat er g'sagt? Auf d' Letzt macht er mir doch ein wertvolles Präsent! – Was is denn das? A Hutschachtel hat er herausg'nommen – er läuft her damit – er wird mir doch nicht für das, daß ich sein junges Leben gerettet hab', einen alten Hut schenken?

 
Zwölfte Szene

Titus, Marquis

Marquis (mit einer Schachtel) So, Freund, nehmen Sie das, Sie werden's brauchen! Die gefällige äußere Form macht viel – beinahe alles – es wird Ihnen nicht fehlen. Hier ist ein Talisman, (gibt ihm die Schachtel) und mich wird's freuen, wenn ich der Gründer Ihres Glücks war. Adieu, Freund! Adieu! (Eilt in den Hintergrund links ab.)

Dreizehnte Szene

Titus (allein, etwas verblüfft die Schachtel in der Hand haltend)

Titus Glück gründen? – Talisman? – Da bin ich doch neugierig, was da drin steckt. (Öffnet die Schachtel und zieht eine schwarze Perücke heraus.) A Perücken –! Nix als eine kohlrabenschwarze Perücken! Ich glaub' gar, der will sich lustig machen über mich –! (Ihm nachrufend.) Wart', du lebendiger Perückenstock, ich verbitte mir alle Witzboldungen und Zielscheibereien! – Aber halt? War denn das nit schon längst mein Wunsch? Haben mich nicht immer nur die unerschwinglichen fünfzig Gulden, die eine täuschende Tour kost't, abgehalten? – Talisman, hat er g'sagt – er hat recht! Wenn ich diese Tour aufsetz', so sinkt der Adonis zum Rastelbinderbub'n herab, und der Narziß wird ausg'strichen aus der Mythologie. Meine Karriere geht an, die Glückspforte öffnet sich –! (Auf die offene Gartentüre blickend.) Schau, die Tür' steht grad offen da, wer weiß –? Ich reskier's; ein' schönen Kerl schlagt's nirgends fehl. (Geht in die Gartentüre ab.)

 
Vierzehnte Szene

Titus, Salome (aus rechts vorne)

Salome (kommend) Ach, mein liebster Mussi Titus, das is ein Unglück!

Titus (sich umsehend) Die Salome –! Was is denn g'schehn?

Salome Der Bäck nimmt Ihnen nicht. Ich kann Ihnen nicht helfen, 's druckt mich völlig zum Weinen.

Titus Und mich kitzelt's zum Lachen. Also is das gar so schwer, bei euch da ein Knecht zu wer'n?

Salome Der Bäck hat g'sagt: er hat erstens Ihre Zeugnisse nicht g'sehn, und dann sind ihm so viele anempfohlen, er ist bei Vergebung dieser Stelle an Rücksichten gebunden –

Titus Schad', daß er keinen Konkurs ausschreiben laßt! Meine liebe Salome, mir sind andere Aussichten eröffnet: ich bin aufs Schloß berufen.

Salome Aufs Schloß? Das kann ja nit sein. O, wann Ihnen die gnädige Frau sieht, jagt sie Ihnen augenblicklich davon! (Mit Beziehung auf ihre Haare.) Darf ja ich mich auch gar nicht blicken lassen vor ihr!

Titus Die Antipathien der Gnädigen sind Nebensache, seitdem sich bei mir die Hauptsachen verändert haben. Ich geh' mit kecker Zuversicht meinem Glück entgegen.

Salome Na, ich wünsch' Ihnen viel Glück zu Ihrem Glück! 's is völlig nit recht, aber 's schmerzt mich halt doch, daß mir wieder a Hoffnung in' Brunn' g'fallen is.

Titus Was denn für a Hoffnung?

Salome Wenn Sie als meinesgleichen da'blieben wären, hätt's g'heißen, das sind die zwei Wildesten im Ort, das is der rote Titus, das is die rote Salome! Den Titus hätt' kein Madel ang'schaut, so wie die Salome keiner von die Burschen.

Titus Der auf einen einzigen Gegenstand reduzierte Titus hätt' müssen eine Nolens-volens-Leidenschaft fassen.

Salome Es wär' zwischen uns gewiß die innigste Freundschaft –

Titus Und der Weg von Freundschaft bis zur Liebe is eine blumenreiche Bahn.

Salome Na, jetzt so weit hab' ich no gar nit denkt,

Titus Warum? – Gedanken sind zollfrei.

Salome Ah, nein; es gibt Gedanken, für die man den Zoll mit der Herzensruh' bezahlt. Meine Plan' gehn mir nie aus.

Titus Ja, der Mensch denkt, und – (beiseite) die Parucken lenkt, so heißt's bei mir. Also ades, Salome! (Will ab.)

Salome Nur nit gar so stolz, Mussi Titus, Sie könnten ein' schon ein bißl freundlich bei der Hand nehmen und sagen: Pfürt dich Gott, liebe Salome!

Titus Freilich! (Reicht ihr die Hand.) Wir scheiden ja als die besten Freund'.

Salome (kopfschüttelnd) Leben S' wohl! Vielleicht seh' ich Ihnen bald wieder.

Titus Das is sehr eine ungewisse Sach'!

Salome Wer weiß! Sie gehn so stolz bei der Tür hinein, daß ich immer glaub', ich werd's noch sehn, wie s' Ihnen bei der nämlichen Tür herauswerfen wer'n.

Titus Du prophezeihst eine günstige Katastrophe.

Salome (auf die Steinbank zeigend) Da werd' ich mich hersetzen alle Tag', auf die Tür hinschaun –

Titus Und drauf warten, bis man mich in deine Arme schleudert. Gut, mach' dir diese Privatunterhaltung, pfürt dich Gott! Mein Schicksal ruft: »Schön herein da!« Ich folge diesem Ruf und bringe mich selbst als Apportel. (Geht in die Gartentüre ab.)

 
Fünfzehnte Szene

Salome (allein)

Salome Da geht er, und ich weiß nicht – ich hab' eh' kein Glück g'habt, und mir kommt jetzt vor, als wenn er noch was mitgenommen hätt' davon. Wenn ich mir's nur aus 'm Sinn schlagen könnt'! Aber wie denn? Mit was denn? Wär' ich a Mannsbild, wußt' ich mir schon z' helfen; aber so – die Mannsbilder haben 's halt doch in allen Stücken gut gegen uns.

Lied

1.
Wenn uns einer g'fallt und versteht uns nit glei',
Was soll man da machen, 's is hart, meiner Treu!
A Mann, der hat's leicht, ja, der rennt einer nach,
Und merkt sie's nit heut', so merkt sie's in vierzehn Tag',
Er tut desparat, fahrt mit 'n Kopf geg'n die Wand,
Aber daß er's nit g'spürt, macht er's so mit der Hand!
Und 's Madel gibt nach, daß er sich nur nix tut –
Ja, die Männer hab'n 's gut, hab'n 's gut, hab'n 's gut!

2.
Wenn uns einer kränkt, das is weiter kein Jammer,
Was können wir tun? Nix als wana in der Kammer!
Kränken wir einen Mann, tut's ihn nit stark ergreifen,
Er setzt sich ins Wirtshaus und stopft si sei Pfeifen.
Wir glaub'n, er verzweifelt, derweil ißt er ein' Kas,
Trinkt ein' Heurigen und macht mit der Kellnerin G'spaß,
Schaut im Hamgehn einer andern glei hübsch unter'n Hut –
Ja, die Männer hab'n 's gut, hab'n 's gut, hab'n 's gut!

3.
Hat a Madel die zweite oder dritte Amour,
Is ihr Ruf schon verschandelt, und nachher is zur.
In dem Punkt is a Mann gegen uns rein a Köni,
Wann er fünfzig Madeln anschmiert, verschlagt ihm das weni,
Auf so ein' Halodri hab'n d' Madln erst Schneid,
Und g'schieht es aus Lieb' nit, so g'schieht es aus Neid,
Daß man sich um ein' solchen erst recht reißen tut –
Ja, die Männer hab'n 's gut, hab'n 's gut, hab'n 's gut.
(Geht ab.)

I/01–15: Dorfplatz
I/16–23: Wohnung der Gärtnerin

II/01–05: Schlossgarten
II/06–27: Saal im Schlosse

III/01–11: Schlossgarten
III/12–21: Gartensaal