Die beiden Nachtwandler, I / 112 |
Erster Akt
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(Wohnzimmer in einem Wirtshause, rechts und links ein Tisch mit Lichtern, im Hintergrunde ein großes Fenster, rechts und links eine Türe) |
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Erste Szene |
(Krall, Schnell und Puff sitzen am Tische links, Fint und Kniff am Tische rechts, alle trinken und sind mit den vier Kellnern im heftigsten Wortwechsel begriffen.) |
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Introduktion |
DIE FÜNF GAUNER |
DIE VIER KELLNER |
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KRALL Das ging uns ab, um unser Geld werden wir uns aus dem Zimmer hinausschaffen lassen! |
FRANZ Die Herren können ja aber unten in der Wirtsstuben trinken. |
KRALL s Maul gehalten! |
JAKOB Das Zimmer gehört nur für Passagier, die über Nacht bleiben, ich hätt die Herren gar nicht herauflassen sollen. |
FINT Warum war Er so dumm! |
MICHEL Holen wir den Herrn herauf, der wird Ihnens schon zeigen. |
DIE KELLNER Ja, das tun wir. |
(Alle durch die Türe rechts ab.) |
PUFF (ihnen nachrufend) Wenn mir nur um den Wein nicht leid wär, so flieget euch das Glas an die Köpf! |
Zweite Szene |
(Die Vorigen ohne die Kellner) |
KRALL Ist also alles genau untersucht? |
FINT Das Zimmer (links deutend) geht in Hof vom Nachbarhaus, da ist nichts zu machen. |
KRALL Also von hier durchs Fenster herein! |
PUFF Ich hab die Fensterreiber schon ausgeschraubt, daß man s von auswendig aufdrucken kann. |
SCHNELL (ängstlich) Es kommt auf! |
KRALL Schweig, dummer Bursch! (Zu Fint.) Ist es aber auch gewiß, daß er kommt? |
FINT In Kornberg war er zu Mittag, sein Jäger hat Verschiedenes ausgeplauscht, und von dem weiß ich, daß er hier übernachten will. Da bin ich also geschwind mit unserm Steierwagerl herübergfahrn, das Aviso zu bringen. |
KRALL s ist doch kurios, daß er nicht gleich in sein Schloß fahrt. |
FINT Er hat zu seinem Jäger gsagt, es ist immer gut, wenn ein neuer Gutsherr ein paar Tage früher, als man ihn erwartet, inkognito ankommt, um sich seine Leute anzuschauen. |
KRALL Gut also, der Vogel fliegt uns ins Garn. |
SCHNELL Es kommt auf! |
KRALL Wir kennen also jetzt das Lokale. Eine Leiter in Bereitschaft gehalten! |
SCHNELL Es kommt auf! |
KRALL Und wenn wir merken, daß er sich schlafen legt, der englische Goldmann |
SCHNELL Es kommt auf! |
KRALL (zu Schnell) Daß dich der Satan ! |
PUFF Der Wirt kommt! |
Dritte Szene |
(Wirt; die Vorigen) |
WIRT Meine Herren, Sie machen mir hier Spektakel. |
KRALL Warum nicht gar, wir haben gezecht und gehn jetzt wieder unsere Wege. |
WIRT Ah, das is was anderes! |
KRALL Hier ist Geld! (Gibts hin.) |
WIRT Untertänigsten, Dank - denn sehen Sie, es is nur, wenn Passagiere kämen - |
KRALL Sie haben kein anderes Zimmer für Passagiere als diese zwei? |
WIRT Nein! |
SCHNELL (ängstlich, beiseite) Es kommt auf! |
WIRT (für sich) Mir kommen diese Leut so gwiß verdächtig vor. (Laut.) Darf ich nicht fragen, mit wem ich die Ehre hab? |
KRALL Wir sind Viehhändler. |
WIRT (beiseite) Ich glaub, es is kein Wort wahr, was die sagen. |
KRALL (zum Wirt) Sie scheinen zu zweifeln? |
WIRT O, ich bitte - |
KRALL Es ist wirklich so, wir sind Viehhändler. |
WIRT (beiseite) Da bin ich schon verkauft, wenn ich mich mit die einlasset. |
SCHNELL (beiseite) Es kommt auf! |
KRALL Also auf Wiedersehn, Herr Wirt! (Man hört ein Posthorn.) |
WIRT Reisende sind da! |
KRALL Na, da machen wir grad a tempo Platz. |
KNIFF, FINT, PUFF Adieu! |
SCHNELL (für sich) Es kommt auf! |
(Alle bis auf den Wirt zur Türe rechts ab.) |
Vierte Szene |
(Wirt, dann Franz) |
WIRT Ich bin recht froh. Mir geschieht ordentlich leicht, daß die draußen sind beim Tempel. |
FRANZ (eilig zur Türe rechts herein) Ein vierspänniger Postzug ist da. |
WIRT Nur gschwind heraufleuchten! |
JAKOB (eilig zur Türe herein) Ein Engländer übernachtt bei uns, der Postknecht hat mirs gsagt. |
WIRT Ein Engländer?! O, Glück über Glück! Ein Engländer reißt einen Wirt auf ein Vierteljahr heraus. |
MICHEL und JOSEPH (mit Lichtern zur Türe rechts herein) Der Passagier kommt! |
WIRT (zu Franz und Jakob) Alles abräumen da! |
(Die Kellner nehmen eilig Gläser und Flaschen von den Tischen.) |
Fünfte Szene |
(Howart [im Reiseanzug], John, Jackson; die Vorigen) |
HOWART Hier also werd ich einquartiert? Wo ist der Wirt? |
WIRT Euer Lordischen Gnaden belieben vorlieb zu nehmen. |
JOHN (mit dem Mantelsack) Das übrige bleibt im Wagen, Mylord? |
HOWART Ja. |
JACKSON (mit einer Schatulle) Wo befehlen Mylord, daß ich – |
HOWART (auf den Tisch zeigend) Nur hieher gestellt! |
(Jackson hat die Schatulle auf den Tisch gestellt, John den Mantelsack abgelegt.) |
WIRT Was darf ich untertänigst in Rücksicht des Soupers –? |
HOWART Sicher ist es doch in Ihrem Hause, Herr Wirt? |
WIRT Seit ich hier bin, weiß ich von keinem andern Halunken hier im Haus, außer einem Kellner, den ich schon lang fortgejagt hab. |
HOWART Soupieren werd ich nichts. Ich sehne mich nach Ruhe. |
WIRT Wie es gefällig ist. (Beiseite.) Zahlen muß er doch das nämliche, ob er soupiert oder nicht. (Laut.) Dort ist das Schlafzimmer. (Zeigt zur Türe links.) |
HOWART Ich bin sehr schläfrig. |
WIRT Dafür ist gesorgt. Es sind zwei Betten drin, kann auch noch ein drittes Bett (laufend.) |
HOWART Damit ich noch mehr schlafen kann? |
WIRT Nein, ich hab nur geglaubt, wenn vielleicht dero Kammerdiener |
HOWART Nichts, ich will allein sein. Gute Nacht! |
WIRT (sich verbeugend) Wünsche den besten untertänigsten Schlaf. |
(Winkt den Kellnern und geht mit diesen ab. Jackson und John folgen, alles durch die Türe rechts ab.) |
Sechste Szene |
(Howart) |
HOWART So wär ich denn an dem Ort, den ich, ohne ihn zu kennen, zum künftigen Aufenthalt gewählt. Schön ist es hier, doch das gilt ja gleich, Malvinens Liebe würde mir ja auch eine Einöde zum Paradies schaffen. Geliebte, nur wenige Meilen trennen mich jetzt von dir. Wie schwül doch die Luft in diesem Zimmer ist, ich muß das Fenster öffnen. (Öffnet die Jalousien, man sieht den Vollmond am Himmel.) Nach welcher Weltgegend soll ich jetzt schauen, um die Richtung zu erraten, wo meine Malvina weilt? Ich sehe in den Mond, er ist der Freund der Liebenden, vielleicht blickt sie jetzt auch nach ihm, und unsere Blicke begegnen sich in seinem lieblichen Silberstrahle! (Sieht zum Fenster hinaus und tritt wieder zurück.) Je länger ich in Deutschland bin, desto mehr billige ich des alten Wathfields Geschmack, daß er hier sich ankaufte, und freue mich, daß er mich bewog, ein Gleiches zu tun. Ich bin so müde heute (setzt sich an den Tisch links), die reine Bergluft wirkt sonderbar auf den, der jahrelang in London Steinkohlen- und Nebeldampf geatmet morgen mit dem frühesten wie glücklich Malvina (Schlummert sitzend ein.) |
(Im Orchester beginnt leise Musik und begleitet folgende Szene.) |
Siebente Szene |
(Krall, Puff, Schnell [steigen leise zum Fenster herein]; der Vorige) |
KRALL (ruft zum Fenster hinab) Fint! Kniff! Geht zu die Fenster an den Wirtshausstuben und gebt auf alles gut acht! |
SCHNELL (äußerst ängstlich) Es kommt auf! |
PUFF (Howart erblickend) Da schlaft er! |
KRALL Die Schatulle steht auf dem Tisch, das ist das, was wir brauchen, und dann Schnell fort! (Geht leise zum Tisch und will die Schatulle nehmen.) |
SCHNELL (in der Angst zu laut) Es kommt auf! |
HOWART (erwachend) Was gibts hier? |
PUFF (Howart packend und ein Messer ziehend) Keinen Laut, oder das Messer ! |
(Plötzliche Verwandlung im Charakter der Musik, welche aber immer leise fortfährt.) |
Achte Szene |
(Faden [im ärmlichen Schlafrock und Schlafhaube steigt zum Fenster herein, er wandelt im Schlaf mit offenen Augen und allen eigentümlichen Bewegungen der Nachtwandler]; die Vorigen) |
SCHNELL (plötzlich furchtsam schreiend) Ein Geist! Ein Geist! |
KRALL, PUFF (im ersten Augenblick betroffen) Was ist das? |
SCHNELL (schreit immer ärger) Ein Geist! |
KRALL Still! Du stürzst uns ins Unglück! |
SCHNELL (fast ohnmächtig) Ein Geist! |
KRALL Auf das Geschrei werden Leut kommen. Geschwind fort! (Macht Miene, die Schatulle schnell mitzunehmen.) |
HOWART (hält sie fest) Heda! Leute! |
(Die drei Gauner entfliehen eiligst durch das Fenster.) |
Neunte Szene |
(Howart, Faden) |
HOWART Die Schurken fliehen, Gott sei Dank! Diese sonderbare Erscheinung hat mich gerettet. (Faden ist, ohne von allem, was um ihn her vorging, etwas zu bemerken, in seinem somnambulen Zustande ruhig nach vorne gewandelt.) Das ist - ja, ja, ich täusche mich nicht, ein Nachtwandler. Einer der feigen Schufte hielt ihn für ein Gespenst. |
FADEN (im Schlafe sprechend und so spielend, als ob er wirklich alle die Gegenstände, von denen er spricht, vor sich sähe oder in den Händen hätte) Ich bin ein reicher Mann seine Pfeifen, das is meine Hauptpassion hier hab ich eine wie sich die anraucht, das is eine Pracht! Ein wenig verstopft is s (Tut, als ob er Feuer schlage.) Der Schwamm fängt so schlecht. |
HOWART (für sich) Armer Schelm, du hast es wohl auch in deinem Leben zu keiner Meerschaumpfeife gebracht. |
FADEN (nachdem er immer pantomimisch Feuer schlug) Endlich! (Fängt, ohne etwas in Händen zu haben, zu rauchen an.) Daß ich verheiratet bin, das gfallt mir, wenn einem nur die Kinder nicht so viel Gall macheten! Raufts schon wieder, ihr Bankerten! (Als ob er ein Kind von dem andern abwehrte.) Obs dus gehn lassen wirst! Wart, ich will dich folgen lernen! (Tut, als ob er einem Kinde einen Schilling gäbe.) Du Nickel, du schlimmer! O, Vaterfreude, du bist süß! |
HOWART (für sich) Er belustigt mich in seinem unheimlichen Zustande. |
Zehnte Szene |
(Wirt [rechts hereineilend]; die Vorigen) |
WIRT Euer Gnaden! Der Wächter und ein Kellner haben ein Bandel Spitzbuben gfangt, die da hereinsteigen haben wollen. (Faden erblickend.) Alle guten Gei- (Faden erkennend und sich sammelnd.) Das is ja |
HOWART Wer ist der Mensch? |
WIRT Ein armer Seilerer, der da s dritte Haus von da logiert. |
HOWART Vermutlich zahlreiche Familie und nichts zu leben? |
WIRT Nein, das is das beste, daß er noch Junggsell is. Daß er aber nachtwandelt, das is das ärgste. |
FADEN Bildschöne Madeln das adieu, Peppi adieu, Nettel adieu! Ich muß mein Paraplui aufspannen, es regnet. (Wandelt während leiser Musikbegleitung des Orchesters zum Fenster hinaus.) |
(Mit dem letzten Ton der Musik vernimmt man von außen ein Posthorn.) |
WIRT Noch ein Postzug? Das is mir noch nicht gschehn, solang ich hier Wirt bin. (Eilt rechts ab.) |
HOWART Mit der ersehnten Nachtruhe wird es in diesem Hause Übel aussehen. Nun, was tuts ! |
WIRT (hereinstürzend) Nein, das ist unglaublich! Ganz England kommt heut in meinem Hotel zusammen. |
HOWART Ein Landsmann? |
WIRT Der reiche Lord is es, dem sechs Meilen von hier die Herrschaft Liliental gehört. |
HOWART (freudig überrascht) Wärs möglich?- |
Elfte Szene |
(Wathfield, Malvina; die Vorigen) |
WATHFIELD (etwas altmodisch gekleidet, mit einer Zopfperücke, rasch eintretend) Seh ich recht? Er ists! |
HOWART Lord Wathfield! (Malvina erblickend.) Meine Malvina! (Umarmt sie.) |
MALVINA Eduard! |
WIRT Die kennen sich allerseits! |
HOWART Herr Wirt, Sie sprechen keine Silbe von dem, was Sie hier gesehen, hier im voraus der Lohn Ihrer Verschwiegenheit. |
WIRT O, ich bitte ! |
HOWART Lassen Sie uns allein! |
WIRT Untertänigst! (Geht mit einem tiefen Bückling rechts ab.) |
Zwölfte Szene |
(Wathfield, Malvina, Howart) |
WATHFIELD Jetzt vor allem, lieber Howart, erklären Sie uns Ihr früheres Eintreffen; nach ihrem letzten Schreiben sollten Sie erst in zwei Tagen |
HOWART (mit einem Blick auf Malvina) Die Liebe wird meine Eile auch ohne Erklärung begreiflich finden, Ihnen aber, Mylord, kann ich noch den Grund beifügen, daß ich in meinem neuen Besitztum unerkannt so manches erforschen will. |
WATHFIELD Der Gedanke ist gut. |
HOWART Wäre mir aber bald übel bekommen. Wissen Sie, daß hier vor wenig Minuten meine Geldschatulle, vielleicht auch mein Leben in Gefahr gewesen? |
MALVINA Ists möglich? |
HOWART Spitzbuben stiegen hier ein, das Messer war schon über mich gezückt, da erscheint ein Nachtwandler, die Diebe halten ihn für einen Geist und fliehen. |
WATHFIELD Ein Somnambül? |
HOWART So ists. Ohne es zu wissen, war er mein Lebensretter, dafür sei es aber auch morgen mein erstes Geschäft, ihn glücklich zu machen. |
WATHFIELD Glücklich machen was ist das wieder für ein übertriebener Ausdruck? Sie werden Ihren Retter belohnen, aber glücklich machen wie können Sie wissen, ob Sie das imstande sind? |
HOWART Sehr leicht. Ich bin reich, er ist ein armer Teufel! |
WATHFIELD Das sagt noch nichts. Sie sind noch immer der, der Sie waren, der glaubt, mit seinem Gelde alles auszuführen, der seine Worte nicht mißt, sondern sie unbesonnen in den Tag hineinwirft. |
HOWART Und Sie, Mylord, verzeihen Sie, sind noch immer so pedantisch, so rechthaberisch, als Sie waren. |
WATHFIELD Ich wollte, Sie wären ein Pedant. Unbesonnene Menschen taugen nicht für die Welt, nicht für das Leben, nicht einmal für den Ehstand. |
HOWART Sie reizen mich zum Widerspruche. |
WATHFIELD So versuchen Sies, öffnen Sie der Begierde eines Menschen das Tor der Erfüllung, und Sie werden sehen, welch unabsehbares Heer von Wünschen er hineinsendet, und dann ist es erst noch die Frage, ob er sich dabei glücklich fühlt. |
HOWART Sie halten der menschlichen Genügsamkeit eine schlechte Lobrede. Doch was den Vorwurf der Übereilung anbelangt, den geb ich Ihnen zurück und beharre jetzt erst fest auf meinen Worten: ich will, was mir das Höchste ist, Malvina nicht eher meine Gattin nennen, bis ich meinen Retter vollkommen glücklich gemacht. |
WATHFIELD Unbesonnener Mensch! Hüten Sie sich, daß ich Sie nicht beim Wort nehme. |
HOWART Ich will, Sie sollen es. |
WATHFIELD Malvina, begib dich zur Ruhe, meine Leute bewachen das Haus, du hast nichts zu fürchten. |
MALVINA (mit einem mißbilligenden Blick) Gute Nacht, Eduard! Sie setzen mich sehr leicht aufs Spiel. (Geht mit einem Lichte in die Türe links ab.) |
HOWART (ihr nachrufend) Es ist kein Spiel, Malvina, ich bin meiner Sache gewiß. |
WATHFIELD (zu Howart) Wir haben noch manch Ernstes zu besprechen. Kommen Sie, wir wollen sehen, ob hier die Ingredienzien zu einem ordentlichen Punsche aufzutreiben sind. |
(Beide ab.) |
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