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„Meiner Seel, ’s is a fürchterlich’s G’fühl,
Wenn man selber nicht weiß, was man will.“

nestroy

Georg Reiter, Christoph Kail,
Harald Fröhlich.
 

Fotos J. Bergauer

Der Zerrissene

Posse mit Gesang in drei Akten

Premiere 22. April 2002, 19:30 Uhr

Langeweile und Überdruss plagen den reichen Herrn von Lips als er buchstäblich aus seinem völlig ereignislosen Leben geschleudert wird: vorbei die schale Befriedigung aller Launen durch immer exzentrischere und zynischere Späße. Unverhofft steht Herr von Lips vor einer Zerreißprobe. Vermeintlich als Mörder gesucht, von seinen Freunden verlassen und bar aller Mittel zwingt ihn das Leben, sich neu zu erschaffen. Die größten Schauspieler haben sich an den köstlichen Charakteren dieses gleichermaßen komischen wie geistreichen Spiels des Zufalls und der Temperamente versucht. Dem Welttheater ist eine wunderbare Komödie geschenkt!

Johann Nepomuk Nestroy ist zweifellos der populärste Vertreter des Wiener Volkstheaters im 19. Jahrhundert. In seinen satirischen «Possen mit Gesang» geißelt Nestroy mit beißendem Spott, grandiosen Couplets und virtuoser Sprachkunst die Schwächen des menschlichen Individuums ebenso wie die sozialen und politischen Unzulänglichkeiten seiner Zeit. Von beiden lässt sich mit Fug und Recht behaupten, dass sie über die Jahrhunderte hinweg nichts an Aktualität eingebüßt haben.

Daten und Textbuch

 

Mit
Harald Fröhlich, Elke Hartmann,
Christoph Kail, Ferdinand Kopeinig,
Georg Reiter, Michael Schefts,
Thorsten Schneider, Christian Strasser u. a.
Regie Robert Pienz
Bühne Birgit Remuss
Kostüme Ragna Heiny

Elisabethbühne

Pressestimme

Dar Standard, 30. April 2002

Wer reich ist, der ist nicht zwangsläufig auch glücklich - das ist ebenso eine Plattitüde wie die Kernaussage in Nestroys Komödie vom «Zerrissenen» Baron von Lips. Für den ist ja bekanntlich alles käuflich – Freunde, Ehen, Amüsement – und genau das ekelt ihn bis zum Überdruss. Erst die Armut kann daran etwas ändern.

Robert Pienz hat den Klassiker an der Elisabethbühne in Szene gesetzt (Bühne: Birgit Remuss). Anhänger eines boulevardesken Nestroy werden allerdings enttäuscht: Denn das Unterhaltungsstück, das in der Tat nicht nur witzig ist, wird radikal entrümpelt von allem, was annähernd als verstaubte Komödie missverstanden werden könnte. Stattdessen befördert das Ensemble den Zynismus der Sprache zutage, der Kontrast zwischen verkommenem Stadt- und ach so ehrlichem Landleben wird in die Karikatur verzerrt, die Melancholie des Herrn von Lips (Christoph Kail) auf die Spitze der Abstraktion getrieben.

Und das Ergebnis dieses Nestroy-Verständnisses ist alles andere als übel. Denn die Inszenierung muss dem Werk dabei keine Gewalt antun, sie hält sich eng an den Text und lässt auch der Komik durchaus ihren Raum. Lediglich an Tempo sollte das Spiel noch dazugewinnen. (still)

[Kritikerelend: Dass es eine Plattitüde ist, dass wer reich ist, noch nicht zwangsläufig glücklich sei, hat er (sie?) richtig erkannt, aber wie der Kritiker auf die Idee kommt, dies für die Kernaussage von Nestroys «Zerrissenem» zu halten, bleibt schleierhaft. Aber die ganze Kritik zeugt von grundsätzlichem Missverstehen: denn nichts an diesem Stück ist irgend «boulevardesk» oder käme je in die Gefahr, «verstaubte Komödie» zu sein (was immer das auch sein soll), und auch der «Zynismus der Sprache» sowie der Kontrast zwischen Stadt- und Landleben sind Beobachtungen, die anhand einer Aufführung dieses Stück noch nie jemand gemacht hat. Aber nicht genug: Was um Himmels willen ist denn eine Karikatur, die nicht nur auf die Spitze, sondern auf die «Spitze der Abstraktion» getrieben ist?
Bleibt zu fragen, nicht ob die Aufführung etwa diese Kritik verdient hätte (keine Aufführung verdient eine solche Kritik), sondern wie geschehen kann, dass das doch hochgeschätzte Standard-Feuilleton einen solchen Text tatsächlich veröffentlicht?
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