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Volkstheater Wien

Freiheit in Krähwinkel

Premiere 13. November 2005

Zum Stück

freiheit in krähwinkel

Wolfram Berger

Krähwinkel ist natürlich nicht Österreich. Es ist allerhöchstens eine Projektion davon. Das ist weniger als gewiss und doch deutlich mehr als eine Vermutung. Krähwinkel ist vielmehr ein erfundenes, real nicht existierendes Land. Sein Territorium ist so unbedeutend klein, dass außerhalb des Bühnengeschehens wohl kein Mensch je von diesem Land gehört hat. Also: Es existiert höchstwahrscheinlich nicht. Obwohl – so sicher kann man sich da auch wieder nicht sein. Denn: Krähwinkel ist natürlich Österreich. Ein schweigendes Kanzlerl. Seine schiefen Ratgeber. Ein bürokratischer Ausweisungsstaat. Schlimmer als bei Doderer, Herzmanovsky-Orlando und Manfred Deix: Zeit für die Donnerstagsdemo.
Den Krähwinklern und all jenen, die restriktive Staatsformen überwunden oder zu überwinden versucht haben, möge durch die Aufführung ihr Mut bedankt und unsere Hochachtung ausgesprochen sein. (Textquelle: Volkstheater)

freiheit in krähwinkel

Katharina Straßer, Maria Bill

Mit Maria Bill, Ivanka Brekalo, Claudia Sabitzer, Katharina Straßer, Doris Weiner; Wolfram Berger, Erwin Ebenbauer, Rainer Frieb, Andy Hallwaxx, Christoph F. Krutzler, Paul Matic, Alfred Rupprecht, Michael Schottenberg, Peter Vilnai, Günther Wiederschwinger

Regie Michael Schottenberg
Bühne Hans Kudlich
Kostüme Erika Navas

Fotos © Lalo Jodlbauer

Die Produktion wird vom 13. Mai bis 1. Juni 2006 vierzehnmal im Stadttheater Klagenfurt gezeigt
  

Pressestimmen

Der Standard, 15. November 2005/Margarete Affenzeller

Das Empire hat die Hosen voll: „Freiheit in Krähwinkel“
In Schottenbergs erster Inszenierung als Volkstheater-Intendant verkommt Nestroy zur Krücke eines beliebigen Revolutionstraums.
„Freiheit in Krähwinkel“ ist kabarettistisches Kunstgewerbe ohne den Funken einer antreibenden Idee.

Im letzten Glutnest des Absolutismus, im stellvertretend für Österreich erfundenen Krähwinkel, soll anno 1848 die Freiheit Einzug halten. Doch im Rahmen der von Michael Schottenberg an seinem eigenen Haus ausgerichteten Kasperliade passt vom Symbol des Aufruhrs, der riesigen roten Fahne, nur deren Stange in die gute Stube der Revolution. Was tun?
Eine vife Kaffeeklatschbase mit gegeltem Mittelscheitel (Günther Wiederschwinger) greift zur Fuchsschwanzsäge. „Freiheit muss sein! / Wir erringen s’, und sperren s’ uns auch leb’nslänglich ein.“
In der von Absichtslosigkeit und schlechten Witzen (z.B. über die Geistlichkeit) gekennzeichneten Volkstheater- Neufassung von Michael Schottenberg und Peter Ahorner wird Johann Nestroys Posse Freiheit in Krähwinkel selbst in diesem einzigen wirklich gefundenen Bild zum absoluten Leergut heruntergespielt. Als wäre in dem Gefäß nie etwas drinnen gewesen!

Revolte mit Sturmfrisur
Schottenberg verfolgt einen alten auswechselbaren Revolutionstraum, den er sich mit dem roten Stern auch als Trademark auf sein Theater setzen ließ. Wie überdauert dieser ist und wie dringend er neu zu fassen wäre, und wie sehr darin Nestroy zur Krücke verkommt, davon legt seine erste Inszenierung als Volkstheaterintendant ihr bitteres Zeugnis ab.
In drei kunstgewerblichen Stunden (inklusive Pause) läuft ein auf Hallodri mit Sturmfrisur getrimmter Wolfram Berger als Fahnen- und Federschwinger Ultra den auf Nestroy’schem Sprachwitz gebohnerten Weg der spaßigen Selbstbefreiung. Er wettert gegen die Zensur (als sein journalistischer Gevatter tritt Schottenberg selbst in den Ring) und – aktualisiert! – gegen das Mietrecht. Das ist pures Kabarett.
Nicht mehr als kabarettistisch bleiben auch die Verkleidungsauftritte als Don Camillo im Haus des Geheimen Rats und seiner bigotten Gattin (Erwin Ebenbauer, Maria Bill) oder als Feldherr in der Russendelegation, in der Christoph W. Krutzler als Nachtwächter mit einem Iwan-Rebroff-Verschnitt Lacher holt.
In der Metternich-Szene senkt sich das Niveau des Abends in überspannter altösterreichischer Lautmalerei auf den Tiefpunkt: „Besuchen Sie mich in London, bei Madame Tussaud’s!“ (Metternichs Exil war London).
Schottenberg übertüncht die Ausgeträumtheit seines Traums mit bühnentechnischen Lösungen: Das von Erika Navas in historisch verbrieften Kalabresern behütete Volk von Krähwinkel und seine nicht gerade originellen Details (rote Nelken, Bierkrüge) fokussiert er ausschnitthaft in raffinierten Zooms, als wär’s eine Kamerafahrt quer über die Bühnenfront. Das war schlicht schön, das Publikum gab dafür sogar Szenenapplaus.
Wie soll dieser historische Karren aber im Heute ankommen? Ganz einfach: Schottenberg lässt die große, grell-helle Bühnenverhörzelle Hans Kudlichs, die im zweiten Teil als Kleinversion genügt, kurz vor Schluss bis auf die Feuermauern des Hauses abtragen, jagt alle Darsteller (u.a. Rainer Frieb als verknöchertes Kanzlerl, Paul Matic als dichtendes Stadtsekretärerl, Claudia Sabitzer als herrische Frau von Frankenfrey, Andy Hallwaxx als gewitzter Beamter Siegl) in Trenchcoats und weißen Jeans auf die leer gefegte Bühne und ruft das 21. Jahrhundert aus! Das gibt’s!
  

Wiener Zeitung. 15. November 2005/Eva-Maria Klinger

Volkstheater-Direktor Michael Schottenberg inszeniert Nestroys Revolutionsstück mit Witz und Respekt
Faschingsbeginn im Volkstheater

Angesagte Revolutionen finden nicht statt. Zwar leuchtet über dem Dach des Volkstheaters der gerne kritisierte rote Stern, doch unter dem Dach herrscht Posse. Michael Schottenberg entfernte jüngst unter dem Wehgeschrei des Denkmalamtes das Interieur des sogenannten Führerzimmers, aber die Täfelung auf der Bühne ist möglicherweise doch nur eine Kopie.
Das Programmheft verkündet in großen Lettern „Revolution“, schließlich wird „Freiheit in Krähwinkel“ als Revolutionsstück gehandelt und doch ist es nur eine Posse. Freilich, Nestroy schrieb sie hastig im Revolutionsjahr 1848, aber er stürmte nicht die Barrikaden. Sein Herz schlägt nicht mit den Revolutionären, sondern bloß mit den Menschen, die sich in einer Revolution zurechtfinden müssen. Nicht nur reaktionäre Regenten und subalterne Ordnungshüter bekommen ihr Fett ab, auch die Freiheitskämpfer. Arrangieren sie sich doch mit Duckmäusern und Wendehälsen.
„Freiheit in Krähwinkel“ ist eines der schwächeren Nestroy-Stücke, eine zweite „verhängnisvolle Faschingsnacht“, ein Kabarett-Stück.

Prall und witzig
Dieses inszeniert der Hausherr prall und witzig. Er erweist sich wieder einmal als respektvoller Nestroy-Interpret. Er dichtet nichts um, er aktualisiert nur durch den heutigen Blick.
Einzig der „Oberälteste von Krähwinkel“ mutiert zum Mascherl tragenden „Kanzlerl“ von Krähwinkel und der „Stadtsekretär“ bekommt den Vornamen Franz und dichtet Verse. Das Volk (von Erika Navas zeitlos bekleidet und mit schwarzen Homburgs behütet) will mit List das allmächtige „Zopfensystem“ und die Beamtenschaft loswerden, Rede- und Pressefreiheit erkämpfen.
Schottenberg selbst spielt eine Kleincharge als Chef(-Redakteur) und Maria Bill ebenfalls eine Kleincharge als erzkonservative, beschränkte Hofratsgattin. Ein Zeichen wohl, dass für den Prinzipal und seine Frau nicht Hauptrollen bereitstehen müssen, son-dern dass sie gemeinsam ein Ensemble zusammenschweißen möchten, was sich gerade erst gefunden hat.
Zu den Wonnen des Abends tragen der einfache und wirkungsvolle Bühnenraum von Hans Kudlich und das Musikarrangement von Wolfgang Puschnig bei. Welcher Zauber strömt allein aus einer Tuba und einer Mini-Ziehharmonika!

Kluge Revolutionäre
Wolfram Berger spielt den progressiven Redakteur Ultra, die Nestroy-Rolle, klug und liebenswürdig.
„Wir haben eine Menge Rechte … aber kein Recht, jede Menge Freiheiten, aber von Freiheit keine Spur.“
Dieser Freiheitskämpfer ist kein fanatischer Hitzkopf, eher ein gemütlicher Spaßvogel, der sich als Umstürzler erprobt, ein sanfter Revoluzzer, der die Frauen und das Komödienspiel liebt. Er weiß, dass jede Aktion Reaktion hervorruft und dass keine Revolution die letzte ist. Er tritt verkleidet als Fürst Metternich, als Mönch und russischer Unterhändler auf, um es den „Oberen“ heimzuzahlen: Simpl-Nummern von entlarvender Situationskomik.
Ein großes und großartiges Ensemble agiert mit Lust am Spiel: Rainer Frieb, Erwin Ebenbauer, Paul Matic, Alfred Rupprecht überzeichnen köstlich die Regierungsvertreter, Andy Hallwaxx, Stefan Puntigam, Christoph F. Krutzler, Claudia Sabitzer kämpfen an vorderster Front um die neue Freiheit.
Die Mauern, die sie einrennen, sind aus Pappmaschee und der politische Freiheitskampf endet mit privatem Freiheitsentzug, Nestroy-mäßig mit diversen Eheschließungen.
Um ein „Kanzlerl“ zu vertreiben, reicht schließlich ein Revolutionerl.
  

Die Presse, 15. November 2005/Barbara Petsch

Unter der Guillotine des Agitprop
„Freiheit in Krähwinkel“ im Volkstheater, missglücktes Schottenberg-Gesamtkunstwerk

Ein scharfes Messer ist die Freiheit. Sagt Nestroy. Ein köstliches Stück chen ist seine 1848 uraufgeführte Posse „Freiheit in Krähwinkel“. Raffiniert düpierte der Dichter die Zensur. Er schilderte die Revolution in einer deutschen Kleinstadt à la Schilda – und meinte Wien. Ein Redakteur bringt den Krähwinklern das Feuer. Doch die Revolution bleibt vor allem eine Maskerade und ist letztlich ein Rohrkrepierer. Das Stück wurde mit Begeisterung aufgenommen, wurde aber, nach dem echten Aufstand und seiner Niederschlagung, abgesetzt. Realität überrollt die Satire.
„Krähwinkel“ wird selten gespielt. Mit Franz Morak (in der Nestroy-Rolle des Journalisten Ultra), Rudolf Jusits, Erwin Steinhauer, Richard Eybner war die Posse 1985 im Burgtheater zu sehen (Regie: Horst Zankl). Volkstheater-Direktor und Regisseur Michael Schottenberg versuchte den Spagat zwischen Vorweihnachtsunterhaltung und Gesellschaftskritik. Im großen Ensemble mischen sich noch etwas blasse junge und bereits allzu routinierte ältere Kräfte. Was fehlt, sind Charakter-Darsteller, die, ohne viel zu tun, der Aufführung Profil geben.
Der Einzige, der sich rundum wohl zu fühlen scheint und auch dementsprechend wirkt, ist Wolfram Berger. Er spielt den Ultra mit der Grandezza eines mit Soloprogrammen Vertrauten, der weiß, wie man Aufmerksamkeit gewinnt und sie behält. Trotzdem müsste der Ultra, eine Mischung aus Kasperl und Aufrührer, viel schärfer wirken. Schließlich ist er auch ein Intellektueller.
Hans Kudlich gestaltete das Bühnenbild mit beliebig filmisch vergrößerbaren und verkleinerbaren Ausschnitten – und Leichtbau-Elementen. Diese werden immer wieder zerstört, bis sie am Ende verschwunden und alle befreit sind – zumindest, was die Liebe angeht. Ultra bekommt die emanzipierte Witwe Frau von Frankenfrey (Claudia Sabitzer), und mit der Empfehlung, ins Wirtshaus zu gehen, werden die freundlich applaudierenden Besucher entlassen.
Dieser Schluss ist der charmanteste Teil einer Aufführung, die mancherlei Ärgernisse birgt. Vor allem theatralisch: Sie schleppt; sehr witzige Szenen und Einfälle wechseln mit Leerlauf, in dem die Regie abwesend zu sein scheint, die Nebelmaschine betätigt, Graffiti gespritzt und Tohuwabohu zelebriert werden. Und warum hat der sonst souveräne Regisseur Schottenberg derart abgekupfert, was allerorten in Mode ist? Die schwarz gekleideten grauen Mäuse des Volkes, welche Chöre intonieren, und die Bunker-Stimmung wirken wie von Christoph Marthaler inspiriert. Die Traum-Sequenzen kennt man von Andrea Breth. Die Dekonstruktion des Theaters (Einstürzende Bühnenbilder) ist eine alte Sehnsucht der Theatermacher, in der Burg beim Ottokar wurde sie zuletzt praktiziert. Schottenberg selbst spielt die kleine Rolle des Zeitungsherausgebers und sieht aus wie Engelbert Breitfuß (Roland Düringer in der Amts-Soap „MA 2412“).
So viel Wahlwerbung für die linke Reichshälfte im Volkstheater war nie. Das alte Gewerkschaftstheater, der noch ältere Agitprop stehen wieder auf. Da wird die rote Fahne geschwungen und polemisiert gegen Kanzler und Staatssekretär, dass sich die Balken biegen. Der Vergleich zwischen der 1848iger-Revolution und Österreich heute wirkt allerdings höchstens lächerlich. (Das wäre auch der Fall bei einem „roten“ Kanzler.) Vielleicht hat sich Schottenberg selbst überfordert? Bearbeiter, Schauspieler, Regisseur eines zwar effektvollen, aber in der Handlung doch zerfahrenen Nestroy-Stückes. Dazu die Direktion in der ersten Saison. Zwei Premieren wurden abgesagt, davon eine große, statt dessen springt wieder der Chef ein und inszeniert: von Joshua Sobol „Weiningers Nacht“. Das Stück war bereits in der Ära Emmy Werners zu sehen.
Das Volkstheater probt den Aufstand, heraus kommt aber nur, um in Nestroys Diktion zu bleiben, ein Revolterl. Die politische Wirkung des Theaters ist, speziell bei „Krähwinkel“, evident, da braucht es keine Parteipolitik. Auf jeden Fall keine derart platte.
  

Neues Volksblatt, 15. November 2005/Renate Wagner

„Freiheit in Krähwinkel“: Nestroy à la Brecht
Michael Schottenberg inszenierte am Wiener Volkstheater das hochaktuelle Zeitstück als müdes politisches Gleichnis

Nestroys mutiges Zeitstück zur Revolution von 1848 erfreut sich allgemeiner Wertschätzung, wenngleich seine Stärke vor allem in der sprachlichen Präzision und der Zeichnung der höchst österreichischen Charaktere besteht. Inhaltlich hat man es allerdings mit einer eher schwachen Posse zu tun, an der die meisten Regisseure gescheitert sind – teilweise nun auch Michael Schottenberg im Volkstheater. – Denn er inszeniert Nestroy à la Brecht, was heute seltsam gestrig anmutet. Ein Lehr-stück zwischen weißen Wänden, exekutiert von optisch gleich geschalteten Figuren — das wirkt auch deshalb nicht so stringent wie er-hofft, weil das Ensemble mit wenigen Ausnahmen nicht höchsten Ansprüchen genügt, weder sprachlich noch darstellerisch. Das Niveau der reaktionären Bürgersfrau, die Maria Bill exakt zwischen Satire und deutlicher Erkennbarkeit auf die Bühne stellt, erreicht sonst niemand. – Schottenberg hat sich um einige deutliche Zeitbezüge des Textes bemüht – der Bürgermeister von Krähwinkel wurde zum „Kanzler“ –, die sich allerdings nicht durch sonderliche Brillanz auszeichnen. In der Hauptrolle des Ultra, der bei Nestroy wie ein offenes Messer durch das Geschehen fegt, ist Wolfram Berger fast gemütlich und wirkt stellen-weise unbeteiligt. Da alle Aktionen der Handlung an ihm hängen, mangelt es hier an Überzeugungskraft. Der Spitzel ist bei Erwin Ebenbauer ebenso solide aufge-hoben wie der Kanzler bei Rainer Frieb und der Staatssekretär bei Paul Matic. Aber Solidität ist ein schlechter Diener am Werk Nestroys und so wollte der Abend nicht so recht zünden. Das Gleichnis von politischem Fortwursteln auf allen Seiten wirkte nicht so bissig und prägnant, wie es leicht hätte sein können.

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