Pressestimmen:
Kurier, 20. Dezember 2002
Lachende, weinende Augen
In einem Separee im ehrwürdigen Hotel Sacher hat er vor mehr als 50 Jahren seine Reifeprüfung bei der Damenwelt abgelegt und seine Annie zum Abschiedssouper gebeten. Mit Freund Max und der einstigen Geliebten stellt Anatol noch einmal die Szene nach. Dank dieses Kunstgriffes schlüpft Theater-Legende Fritz Muliar in den Kammerspielen in die Rolle von Arthur Schnitzlers Frauenheld Anatol und nimmt nach eigenem Bekunden endgültig Abschied von seiner Bühne.
Begnadete Komödianten
Fritz Muliar, Elfriede Ott und Ossy Kolmann diese drei begnadeten Komödianten haben über Jahrzehnte das Theater in der Josefstadt und auch die Nebenspielstätte in der Rotenturmstraße geprägt. In Johann Nestroys Posse Frühere Verhältnisse und Schnitzler Einakter Abschiedssouper werden die Granden des Theaters wieder aufeinander losgelassen. Und wie!
Denn Regisseur Peter Gruber versucht erst gar nicht, die beiden Stücke streng durch zu inszenieren, er vertraut lieber (und mit Recht) auf das Können seiner Protagonisten. So beschwören Muliar, Kolmann und Ott noch einmal ihre gesamte komödiantische Kraft, meistern auch Text-Hänger (sehr hörbar bei der Premiere die Souffleuse) mit Charme und Witz. Ein kleines Zwinkern, eine kurze Handbewegung, ein gellender Aufschrei das Chaos der Gefühle kennt keine humoristischen Grenzen.
Zeitenwende
Ganz trocken und voller Weisheit serviert Muliar als Hausknecht Muffl und als Anatol seine Pointen. Wie ein großes Kind, das den Hintersinn des Spielens verinnerlicht hat und auch an eine persönliche Zeitenwende glaubt. Ein sehr pfiffiges Schlitzohr, das sich Texte und Partner (Gudrun Velisek und Claudio Hiller wirken mit) zurechtbiegt und immer wieder für Lachsalven sorgt.
Daneben ein sehr präzise improvisierender Ossy Kolmann, der seinem Max Größe und Nestroys Scheitermann eine fast wunderbare Hilflosigkeit verleiht. Mit viel Mut zur Selbstironie agiert auch Elfriede Ott, die zwar nur brav soupiert, als zur Köchin mutierte Brettl-Diva Peppi Amsel aber eine sehr bodenständige Nestroy-Figur gibt.
Wehmut
Klamauk und Outrage dürfen neben subtileren Pointen (auch) sein. Und wenn Tempo und Timing einmal nicht ganz stimmen, retten sich die Akteure mit dem ihnen eigenen Charme. Als Gag wacht ein stilisiertes Bildnis von Helmuth Lohner (Bühne: Andrea Bernd) über das turbulente Treiben. Zuletzt aber fällt in den Kammerspielen der Vorhang und in den obligaten Jubel mischt sich diesmal auch ein Hauch von Wehmut.
Fritz Muliar: Ein Querkopf nimmt Abschied
Fritz Muliar kam am 12. Dezember 1919 in Wien zur Welt. Sein Stiefvater Mischa, der aus einer strenggläubigen jüdischen Familie stammt, prägte ihn.
1937 betrat Muliar erstmals eine (Kabarett)-Bühne. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte er an der Front und geriet in Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Rückkehr spielte er im Simpl, im Volkstheater und im Raimundtheater. 1964 kam er dann ans Theater in der Josefstadt, das seine Stamm-Bühne wurde. Von 1974 bis 1990 war er festes Ensemblemitglied des Burgtheaters, 1995 wurde er Ehrenmitglied. 1994 kehrte er an die Josefstadt zurück, die er nun gemeinsam mit Direktor Helmuth Lohner verlässt.
Seine große Popularität verdankt Muliar der ab 1970 ausgestrahlten Fernsehserie Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk. Der Schwejk galt fortan als Muliars Paraderolle. Tatsächlich spielte er in mehr als 120 TV-Produktionen und 80 Filmen mit. Muliar gilt zu Recht als Meister des jiddischen Humors, brachte zahlreiche Bücher heraus und nahm Schallplatten auf.
In den achtziger Jahren machte sein brutal geführter Wortkrieg mit Burg-Direktor Peymann Schlagzeilen. Künstlerisch sorgte er zuletzt mit Felix Mitterers Sibirien für Aufsehen.
Peter Jarolin
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