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Nestroy-Preis 2003

„Nestroy“-Preisträger

nestroy-preisverleihung 2003
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Die „Nestroys“ sind vergeben
Zwei Auszeichnungen für „Chorphantasie“ – Happel und Hering beste Schauspieler – Gusti Wolf erhielt Nestroy für ihr Lebenswerk

Auch heuer politische Akzente bei der Verleihung: Schottenberg verlas eine kurze Grußbotschaft von Dietmar Pflegerl, dem Leiter des Stadttheaters Klagenfurt, in dem dieser sich freute, „das andere Kärnten“ zu repräsentieren und den Preis jenen widmete „die IHN (also Landeshauptmann Jörg Haider, Anm.) am 7. März nicht wählen werden“.
Andrea Breth appellierte mit einem Zitat aus LessingsEmilia Galotti“Verführung ist die wahre Gewalt“ an den Kulturauftrag des ORF.
Hubsi Kramar, der das gesamte Ensemble der Produktion auf die Bühne holte, dankte der Bundesregierung, „dass wir jetzt wissen, wie schön wir es früher gehabt haben.“
 

Wien – Am Samstag wurden im Wiener Etablissement Ronacher zum vierten Mal die österreichischen „Nestroy“-Theaterpreise verliehen. Mit diesen Auszeichnungen werden herausragende Leistungen der Saison 2002/03 gewürdigt. Den „Nestroy“ als „Beste Schauspielerin“ erhielt Maria Happel für ihre Maria in „Die Zeit der Plancks“ von Sergi Belbel im Burgtheater.

Chorphantasie

„Bester Schauspieler“ wurde Markus Hering für seine Rolle als Dirigent in „Chorphantasie“ von Gert Jonke, einer Koproduktion von Graz 2003 und Burgtheater ausgezeichnet. In der Aufführung dirigiert er mit ungeheuer viel Text und bemerkenswerter Disziplin das Publikum als „Horch-Orchester“. Auch der Autorenpreis ging an die „Chorphantasie“ und damit an den 1946 in Klagenfurt geborenen Schriftsteller Gert Jonke.

Nora-Inszenierung ist beste Aufführung

Zur „Besten deutschsprachigen Aufführung“ wurde bei der heutigen Verleihung des „Nestroys 2003“ im Wiener Ronacher die viel bejubelte moderne „Nora“-Inszenierung gekürt, mit der Thomas Ostermeier, der künstlerische Leiter der Schaubühne am Lehniner Platz, in Berlin einen regelrechten Hype auslöste und in der Hauptdarstellerin Anne Tismer brillierte. Ostermeier und Tismer nahmen den Preis gemeinsam entgegen.

Nebenrolle in „Über allen Gipfeln ist Ruh“

Der „Nestroy“ für die „Beste Nebenrolle“ ging an Traute Hoess für ihre Anne in „Über allen Gipfeln ist Ruh“ von Thomas Bernhard und für ihre Frau Muskat in Molnars „Liliom“, beides Produktionen des Theaters in der Josefstadt. Ein Nestroy-Spezialpreis wurde zu gleichen Teilen an die Produktion „Die neue Selbständigkeit“ von und mit Thomas Maurer und an die Anti-Nazi-Satire „Noch ist Polen nicht verloren“ verliehen. In Maurers an den legendären „Herrn Karl“ erinnernden Solo-Stück verwebt der Kabarettist recherchiertes Material und eine fiktive Biografie eines FP-Parteifunktionärs zu einem schlüssig wirkenden Ganzen und füllt seine Rolle perfekt aus. „Noch ist Polen nicht verloren“ ist eine von Michael Schottenberg inszenierte Koproduktion des Wiener Metropol mit dem Stadttheater Klagenfurt, die auf dem Drehbuch des filmischen Meisterwerkes „Sein oder Nichtsein“ von Ernst Lubitsch basiert.

Preis für Regie

Der Nestroy für die „Beste Regie“ ging an Andrea Breth. Für die „Beste Ausstattung“ wurden Bert Neumann und Jan Speckenbach geehrt, „Bester Nachwuchs“ wurde Gertrud Drassl.

„Forever Young“ ausgezeichnet

Der Nestroy für die „Beste Ausstattung“ ging an Bert Neumann und Jan Speckenbach (Videoregie) für die Castorf-Produktion „Forever Young“ nach Tennessee Williams „Süßer Vogel Jugend“, eine Koproduktion Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin mit den Wiener Festwochen.

Nachwuchspreis für Wildente in der Josefstadt

Mit dem Nestroy für den „Besten Nachwuchs“ wurde Gertrud Drassl für ihre Darstellung der Hedwig in Ibsens „Die Wildente“ im Theater in der Josefstadt (Regie: Dietmar Pflegerl) und der Olivia in Shakespeares „Was ihr wollt“ bei den Sommerfestspielen Perchtoldsdorf (Regie: Michael Sturminger) ausgezeichnet.

Standing Ovations für Gusti Wolf

Zum Abschluss des Abends erhielt Kammerschauspielerin Gusti Wolf (91) den „Nestroy“ für ihr Lebenswerk und wurde vom Publikum mit Standing Ovations bedacht. „Liebe Gusti, du bist ein Wunder, ein Theaterwunder“, meinte Laudator Michael Heltau, der darauf hinwies, dass sie vor über 50 Jahren im Ronacher den „Puck“ gespielt habe – eine Rolle, die sie eigentlich ihr ganzes Leben spiele.

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michael schottenberg, gusti wolf abstand

Michael Schottenberg,
Gusti Wolf

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Das Glück einer Theater- Oscar-Nacht
Die Nestroy-Preis-Gala 2003 übte sich dank Grazer Theaterleihkräften in leiser Subversion – und machte im Ronacher wiederum deutlich, dass nirgendwo anders als in Wien ein kriselnder Kunstzweig sich so gerne feiern lässt.

Von Ronald Pohl

Wien – Man konnte die diesjährige Nestroy-Gala im Etablissement Ronacher sogar als Bekenntnis zu jugendlicher Aufmüpfigkeit auffassen: Nach den trostlosen Moderationsversuchen soignierter Schauspielkünstler in den vergangenen Jahren übergab man die Präsentationsgeschicke diesmal dem Grazer Theater im Bahnhof (TiB).

Eine Gala, die auf die besinnungslose Selbstfeier eines ganzen Genres abzielt, muss indes auf höchstem Niveau Konformismus üben: Ohne die Regierenden allzu unverblümt zu kritisieren – wie Andrea Eckert und André Heller anno 2002 –, durfte dennoch kein Zweifel an der Nachdenklichkeit eines angeblich „aufgeklärten“ Kunstzweiges aufkommen. Die Nöte dieses Spagats kennzeichnen Wortspiele wie folgendes: „Die Welt ist rund – Theater eckert!“

Dass die Nestroy-Gala daher als streckenweise vergnüglicher Kleinkunstabend daherkam, kann man den Grazer Kleintheatermachern hoch anrechnen: Ein Korvettenkapitän mit Sonnenbrillen und nackter Brust (Michael Ostrowski) im Verein mit einer Ergriffenheitsposen übenden Blondfee (Martina Zinner) relativierten die Freudebekundungen, die eine Oscar-Imitation mit Gala-Anspruch so verlässlich wie niederschmetternd hervorruft.

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gert jonke (mitte) abstand

Gert Jonke
(Mitte mit rotem Pullover)

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Um keine Zweifel aufkommen zu lassen: Geehrt wurden hochverdiente Theaterkunstschaffende; Gert Jonke, mit Chorphantasie kaum zu überschätzender Gewinner des Stückepreises, kleidete seine Sprachlosigkeit sogar in eine veritable Gewaltfantasie – Unzucht mit Musen.

Nachwuchsschauspielerin Gertrud Drassl tirolerte ergriffen, Regie-Großmeisterin Andrea Breth, Gewinnerin dank Emilia Galotti, schrieb dem ORF allerlei Denkwürdiges ins Quotenstammbuch: „Die Verführung zur Verblödung ist verantwortungslos!“

Nachhaltiger ins Gedächtnis brannten sich die oftmals himmlischen Längen eines Abends, dessen schaumgebremste Aufmüpfigkeit hervorragend in den Kram passte: Herrn Holender als „Staatsopa“ anzureden kostet keinen übertriebenen Reflexionsaufwand – und erhellt notdürftig die Besonderheiten eines Betriebs, der sich, zumal in Wien, in seiner herzlich zähnefletschenden Feierlaune als welteinmalig vorkommen darf. Oder, um es mit den Preisträgerinnen Traute Hoess (beste Nebenrolle) und Maria Happel (beste Schauspielerin) zu sagen: „Das ist Wien!“

Den Spezialpreis teilten sich Michael Schottenberg (für Noch ist Polen nicht verloren) und Thomas Maurer (für den FPÖ-Kabarettabend Die neue Selbständigkeit). Der Preis für die beste Ausstattung erging an die Castorf-Videowelterbauer Bert Neumann und Jan Speckenbach. Den Off-Produktionspreis nahmen Tina Leisch und Hubsi Kramar für die Meldemannstraßenproduktion Mein Kampf in Empfang. Wobei Peter-Paul Skrepek als Zilk-Imitator die Oberhoheit über den Abend lange Zeit an sich riss.

Markus Hering (als bester Schauspieler) dankte seinen Frauen (Gemahlin plus Töchter), und Aufführungsgewinner Thomas Ostermeier (für Nora an der Schaubühne) erinnerte daran, dass es in Theaterfragen anderswo – in Berlin – weniger herzlich zugehe. Schon wahr: In Wien darf sich eine der schönsten Nebensachen der Welt unter hochmögender Mitwirkung der Erste Bank verlässlich als Haupt-und Staatsaktion feiern. Und einem begnadeten Zauberwesen wie der großen Gusti Wolf (Lebenswerkpreis) zuraunen: Deinetwegen ist es schön, auf der Welt zu sein. Was wiederum stimmt.

Quelle:
APA/Der Standard
November 2003

„Nestroy“-Reformversuch