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Theater in der Josefstadt

Mann, Frau, Kind
oder Der Tod am Hochzeitstage

Musik von Gerhard Gruber

Premiere 18. September 2003

Der reiche Herr Dappschädl, ein Schürzenjäger von jeher, bildet sich nach vierzehntägiger Untröstlichkeit wegen des Todes seiner am Hochzeitstage verstorbenen Frau noch nach den folgenden fünfundzwanzig Jahren ein, Trauer um sie beherrsche sein Leben, und gefällt sich nun in der Rolle des Melancholikers. Lunara, die Traumkönigin, beweist ihm durch zwei Träume, daß, wäre seine Frau noch am Leben geblieben, er sie und sein Kind durch seine fortwährenden Liebesabenteuer unglücklich gemacht hätte. Er bessert sich abrupt durch diese Vorführung seiner selbst, hat jetzt „a bissel einen besseren Humor“, gibt seinem Mündel die aus „Grantigkeit“ lang verweigerte Erlaubnis zu heiraten und bietet seiner Nachbarin seine Hand an.

Dieses Stück wurde zum ersten Mal am 18. August 1829 im Theater in der Josefstadt aufgeführt.

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Herr von Dappschädl, ein reicher Gutsbesitzer Erich Schleyer
Henriette, seine Mündel Johanna Arrouas
Frau von Steinbach, Witwe Adelheid Picha
Carl, ihr Neffe Erich Altenkopf
Grund, Dappschädls Kammerdiener Eugen Stark
Sepherl, eine Magd Karin Lischka
Martin, Richter Robert Grass
Steffel, Bauer Ronald Hein
Strohmann, Bauer Heinrich Herki
Ein Räuberhauptmann Sascha Oskar Weis
Erster Räuber Heinrich Herki
Zweiter Räuber Ronald Hein
Matz Stixlmann Siegfried Walther
Lunara, die Traumkönigin Caroline Vasicek/Dagmar Hütl
Eine schwarze Gestalt Toni Slama
Die älteste Hexe Marianne Chappuis
Die zweite Hexe Roswitha Soukup
Hexen, Lunaras Genien, Landvolk Lisa Gray, Konstanze Lack, Melanie Ortner, Izabel Padovani
Räuber, Bauern, Landvolk Christian Burkhardt, Marcelo Cardoso Gama
Sir Punschington, ein Engländer Toni Slama
Miss Lunar, seine Nichte Caroline Vasicek
Madame Point d´Honneur, Witwe Marianne Nentwich
Emilie, ihre Tochter Bernadette Abendstein
Siegwart Point d´Honneur, ihr Sohn Sascha Oskar Weis
Madame Klang, Singmeisterin Christine Jirku
Peppi, Henriettes Kammerjungfer Roswitha Soukup
Joseph Ronald Hein
Johann Heinrich Herki
Ein Grenadier Ronald Hein
Madame Subtile, Marchande des Modes Marianne Chappuis

Regie Hans Gratzer
Bühnenbild Christoph Speich
Kostüme Toni Wiesinger und Esther Geremus
Choreographie Alonso Barros

  

Pressestimmen

Der Standard, 20./21. September 2003

Palatschinkenmond über der Puppenstube
Hans Gratzer inszeniert Nestroys „Mann, Frau, Kind“ im Josefstadt-Theater

Wien – Die Geschichte unter dem Titel Mann, Frau, Kind, über die Johann Nestroy ein paar Kobolde und Feen hingehängt hat, in die Hexen auf reisigen Besen einreiten und aus der sie als Hausbedienstete wieder herausfahren, spielt angeblich im Wald. Auf einer Art Couch, auf der sich ein früh verwitweter Hagestolz und nichtswürdiger Wüstling (Erich Schleyer) zum Schlafen niederlegt, damit er die bessere Einsicht in sein verpfuschtes Leben gewinne.

Nach dem jähen Tod seiner Braut hat sich Herr Dappschädl nämlich in einen Kokon rhetorischer Verzweiflung eingesponnen, der ihn dazu verleitet, kleinen Küchenmamsellen und als Zauberinnen verkleideten Absolventinnen heimischer Musical-Schulen (Caroline Vasicek) im Wiener Josefstadt-Theater tief in den Ausschnitt zu schauen. Er tut dies mit dem honorigen Ernst eines Enzyklopädisten, der von der liebreizenden Anatomie des Busens den Lauf der kalten Gestirne unfehlbar abliest.

Im Übrigen spricht er Nestroys funkelnde Sätze mit der Nonchalance eines Wuppertaler SPD-Sprengelvorsitzenden, der seiner Bezirksorganisation mit einer zufällig nach Wien verrutschten Molière-Aufführung aufwartet.

Hinter der Zauberin Lunara (Vasicek) und dem leibhaftigen Teufel (Toni Slama), dessen Schlappohren die famosen Ausstatter (Christoph Speich, Esther Geremus und Toni Wiesinger) aus einem Matthew-Barney-Katalog heruntergepaust haben, geht ein gelber Mond als Buntpapier-Palatschinke auf. Die beiden wetten um nichts Geringeres als um das Heil von Dappschädls Seele. Die Seelen sind in der Josefstadt nur leider ganz betucht und halbseiden: verhängt und zugenäht.

Strumpftheater

Man trägt dazu dottergelbe Strümpfe und ausgebleichte Schottenkaros. Wo Nestroy in seinem mirakulösen Zauberspiel Der Tod am Hochzeitstage (1829) den Frieden einer untröstlichen und darüber zynisch gewordenen Seele aufs Spiel setzt, blättert Regisseur Hans Gratzer in der Vogue.

Er setzt nichts aufs Spiel; er setzt lieber auf: Zylinder, Kapotthüte - und Schweinsnasen. Die neue Josefstadt möchte jene Verhältnisse ganz unsäglich lieb gewinnen, gegen deren Unhaltbarkeit und Übermacht Nestroy die besten Möglichkeiten der Sprache mobilisierte: nichts als ein paar heiße Witze. Nestroy-Witze können nämlich Leben retten. Herr von Dappschädl wäre vielleicht ein leidlicher Tartuffe aus der Hinterbrühl: Sein eckiges Tänzchen mit dem Ölbild der Verblichenen führt hinein in den Abgrund improvisierter Liebesverhältnisse.

Die wahre, inständige Ehe führt dieser Tunichtgut mit seinem Kammerdiener Grund (Alexander Waechter), der als erstarrte Salzsäule dem liberalen Herrn seine ungerührte Schulter als Sorgenpolster bietet: Nestroys vertracktes Zauberpossenspiel handelt auch von vergifteten Loyalitäten - und zeigt das Missraten von Lebensentwürfen als Cartoon-Kino im verlotterten Schnarchkopf.

Schleyer gewinnt jedoch keine Statur: Die Sätze purzeln ihm wie Gummibonbons aus dem Mund. Formidable Volksschauspieler wie Siegfried Walther und die herrlich ungenierte Roswitha Soukup werden sogleich als Karikaturen festgelegt und sorglos an die Pappwände geklatscht.

Das neue Josefstadt-Theater verwahrt sich energisch gegen jede Art von Reflexion. Es tänzelt und scharwenzelt. Es markiert die Emsigkeit eines reizenden Puppensalons. Aber es rührt sich nicht vom Fleck. Der Applaus war freundlich und enden wollend.
Ronald Pohl

 

Kurier, 20. September 2003

„Alles muss heiraten, alles!“

Und wieder ein bunter Abend im Theater in der Josefstadt : Nach „Aline“, einem seichten Singspiel von Adolf Bäuerle, soll nun ein ebenfalls recht vergessenes Stück, in diesem Fall aus der Feder von Johann Nestroy, die Herzen des Publikums erobern. Der neue Hausherr Hans Gratzer hat „Mann, Frau, Kind oder Der Tod am Hochzeitstage“ inszeniert.

Modische Show

Die modische Showbühne, die bei „Aline“ noch in Neonfarben schillerte, ist diesmal vergleichsweise schick gestylt – Theaterraum ist es keiner. Doch danach verlangt diese Aufführung auch nicht. Gegeben wird ein Kammer-Musical, das von Effekten und Blendungen lebt: Beim Film hat man optisch Anleihe für die Traumsequenzen genommen, beim Stummfilm für die musikalische Untermalung: Klavierspiel kündigt einen Auftritt an, Trommelwirbel erzeugt daraufhin Spannung, ein Tusch untermalt die folgende Geste.

Menschen, die ins Theater gehen, um sich bei leichter Kost zu amüsieren, sind hier goldrichtig. Gesellschaftskritik, aber einmal anders, mit einem Stück, das zur derzeit vorherrschenden Generationendebatte passt: "Alles muss heiraten, alles!" heißt die Message am Ende aus dem Munde des geläuterten Herrn von Dappschädl.

Wie’s dazu kommt: Herr von Dappschädl, ein reicher Gutsbesitzer, geht 25 Jahre nach dem Tod seiner am Hochzeitstage verstorbenen Frau noch immer mit seiner Trauer spazieren. Er nutzt das Charisma des ewig leidenden Witwers dazu, entweder griesgrämig zu sein oder sich in Frauenherzen einzuschleichen. Dabei verbietet er in seinem Kummer auch jegliche Vermählung in seinem Umkreis.

Gegen eine Schar von Hexen tritt nun die Traumkönigin Lunara an, die ihn davon überzeugen will, dass seine Ehe nicht gut gegangen wäre; er also damit aufhören sollte, mit dem Schicksal zu hadern.

Der zweite Teil der Aufführung besteht aus Träumen, die Dappschädl von Lunara verordnet bekommt: Sie führt ihm vor, dass er als Ehemann ein Weiberheld geblieben wäre, seine Frau und ein mögliches Kind nur unglücklich gemacht hätte. Dabei muss Dappschädl auch in die Rollen der betrogenen Frau und des Kindes schlüpfen.

Erich Schleyer verleiht dem ersten Teil des Abends mit seinem nicht-österreichischen Nestroy-Ton souverän Akzente, als Frau und Kind muss er unweigerlich in der Schmiere landen. Alexander Waechter gibt den Kammerdiener respektabel, Siegfried Walther ist ein Nestroy-Darsteller aus dem Josefstadt-Bilderbuch. Caroline Vasiceks Lunara bringt gleich zu Beginn Musical-Ambiente mit ein, und Sascha Oskar Weis sorgt als Siegwart für Zirkus-Atmosphäre.

„Tadellos – da werden die Kritiker aber schimpfen“, wie ein Premierengast meinte.
Caro Wiesauer

 

Wiener Zeitung, 22. September 2003

Glitzernder Mantel ohne Körper

Am 18. August 1829 wurde „Mann, Frau, Kind oder Der Tod am Hochzeitstage“ von Johann Nestroy am Theater in der Josefstadt uraufgeführt. Detail am Rande: Das Stück blieb damals völlig unreflektiert. Ein Schicksal, das diesem Nestroy-Frühwerk nun zumindest in einer Hinsicht nicht mehr widerfahren dürfte - denn Rezensionen wird es geben, wenn auch keine sonderlich guten (zumindest was das Stück an sich betrifft).

Zum Inhalt: Im Leben des reichen Herrn Dappschädls (Erich Schleyer) gibt es ein elementares Ereignis, das sein Denken und Handeln prägte. Am Tag seiner Hochzeit starb seine Braut, was ihn zwar (vordergründig) ins Reich der Melancholie beförderte, in Wirklichkeit aber nichts an seinem Charakter änderte. Denn Dappschädl ist ein plumper Frauenheld, der im Grunde gar nicht für ein Eheleben geboren ist. Diese Einsicht wird ihm auch von Traumkönigin Lunara (Caroline Vasicek) eingetrichtert, die ihm vor sein (träumendes) Auge führt, dass er seine Frau im Grunde nur unglücklich gemacht hätte, von etwaigen Kindern ganz zu schweigen. Dass in letzter Instanz wieder eine Umkehrung der Werte passiert, ist eine andere Geschichte, die im Rahmen der Josefstadt-Premiere Donnerstagabend zu einem ziemlich abrupten Ende gebracht wurde.

Aus dramaturgischer Sicht schwankt „Mann, Frau, Kind“ zwischen realen und fiktiven Traumwelten. Analog zu Adolf Bäuerles „Aline oder Wien in einem anderen Weltteil“ bringt Neo-Josefstadt-Direktor Hans Gratzer abermals eine Art Zauberposse auf die Bühne. Diesmal allerdings auf etwas höherem Niveau, zumal er selbst für die Regie verantwortlich zeichnet.

Wirklich zauberhaft ist allerdings weniger der (dünne) Inhalt, als das geniale Bühnenbild von Christoph Speich. In Sekundenbruchteilen werden neue Raumdimensionen geschaffen, verwandeln sich einfache Zimmer in offene Regionen, erscheint ein sich verkleinerndes Fenster wie ein zwinkerndes Auge in eine andere Welt. Gelungene Effekte, die von einer magischen Lichtregie (Beratung: Philippe Arlaud) und originellen Kostümen (Esther Geremus, Toni Wiesinger) verstärkt werden.

Warum sich Hans Gratzer diese Zauberstimmung abermals von zutiefst peinlichen Tanz- (Choreographie: Alonso Barros) und Gesangseinlagen zerstören lässt, bleibt das Rätsel des Abends. Was wiederum angesichts der musikalischen Untermalung (Gerhard Gruber) schade ist, die jenes ironische Potenzial in sich trägt, das man gerne auf der Bühne verwirklicht gesehen hätte. Dieser Wunsch bleibt aber auch bei der zweiten Josefstadt-Premiere unter der Ära Gratzer unerfüllt.

Von schauspielerischer Seite darf Erich Schleyer gekonnt in diverse Rollen schlüpfen und wird in Sachen Publikumsgunst lediglich von Siegfried Walther übertrumpft, der seinerseits dazu angehalten ist, sich in Nestroy’scher Manier zu produzieren. Ansonsten wird die Bühne von einer Unzahl von grotesken Figuren (u. a. Toni Slama, Sascha Oskar Weis, Christine Jirku, Alexander Waechter und Marianne Chappuis) bevölkert, die allesamt den zuvor angesprochenen Eindruck unterstreichen: Eine ansprechende „Hülle“, ein glitzernder Mantel ohne Körper – nach „Aline“ bereits das zweite Stück ohne Substanz.
Christine Dobretsberger

 

profil, 22. September 2003

Schenkelklopfen
Hans Gratzer positioniert Nestroys „Mann, Frau, Kind“ als argloses Kindertheater

Erich Schleyer als Frau mit hochgesteckter Frisur, Erich Schleyer als Baby mit weißen Pumphosen: Die Camouflage ist der große Brüller in Hans Gratzers Inszenierung von Johann Nestroys Zauberposse „Mann, Frau, Kind“. Die Stimmung im Parkett schaukelt ihrem Höhepunkt entgegen, als Schleyer, der hochgewachsene Mann, zum rachitischen Falsettgesang anhebt: Das Theater in der Josefstadt zieht Nestroys Satire als bunte Nummernrevue durch.
Doch warum müssen die Schauspieler in zweifelhaftem Operettenhumor Gewehre zu Phallus-Symbolen erheben? Warum wird der Text an vielen Stellen rezitiert, als hätte er keine Nuancen? Warum wird der Ästhetik der inszenierten Pose in einem Ausmaß gehuldigt, als wäre sie das einzige Mittel, Nestroys Komik beizukommen? „Wir kämpfen jetzt anders“, verkündete Hans Gratzer vor einem halben Jahr auf seiner Antrittskonferenz als Direktor der Josefstadt: „Wir kämpfen mit Lust, Laune und Vergnügen.“ Schön und gut.
Aber muss dieses fröhliche Credo in der Bühnenrealität zu so viel überdrehtem Klamauk führen?
Eine Woche nach dem desaströsen Josefstadt-Saisonauftakt mit „Aline oder Wien in einem anderen Weltteil“ (Profil 38/03) ist auch die zweite Premiere misslungen. Gratzer erzählt Nestroys höllisches Drama über die Institution Ehe und die Sedativkraft der Selbsttäuschung ohne interpretatorisches Beiwerk; wie Abziehbilder ihrer selbst blödeln sich die Figuren durch das Stück, das auf seine clowneske Oberfläche reduziert wird. Und so lässt Erich Schleyer prompt die Hüften kreisen, wenn Nestroys junger Siegwart (Sascha Oskar Weis) erklärt: „Ich bin von der Reiterei.“ Sehr lustig.
P.S.

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