nestroy-news-archiv

Schauspielhaus Graz

Schauspielhaus Graz

Der alte Mann mit der jungen Frau

Volksstück mit Gesang

Premiere: 19. Jänner 2002

Der Ziegelbrennerei-Besitzer Kern hatte einst auch einmal revolutionäre Ideale, wurde aber vom Leben eines besseren belehrt. Doch um seiner Alters-Resignation zu entkommen, heiratet er eine junge Frau... Als die politische Situation sich zuspitzt, erklärt er sich bereit, einen jungen politische Flüchtling bei sich zu verstecken und dessen Verlobte als Angestellte zu beschäftigen. Mit dieser Entscheidung kommt so einiges ins Rollen...

«Der alte Mann mit der jungen Frau» zählt bei allem Humor zu Nestroys dunkelsten und kritischsten Stücken.

Kern Gerhard Balluch
Regine, seine Frau Martina Stilp
Madame Strunk, deren Mutter Ute Radkohl
Gabriel, Diener bei Kern Franz Friedrich
Frau Franker Gerti Pall
Anton, Kanzleischreiber, ihr Sohn Dominik Warta
Theres, dessen Frau Susanne Lichtenberger
Baron Rehfeld Martin Bretschneider
Herr Holler, ein Bauer Dietrich Schlederer
Graf Steinheim/Dr. Berg Otto David
Wetterhahn/Spitz Erik Göller
Hartkopf/Schreyer Helfried Edlinger
Nickler Alexander Weise
Anna/Gräfin Steinheim/Agathe Frauke Steiner
Inszenierung Andreas Vitasek
Bühne und Kostüme Susanne Maier-Staufen

Andreas Vitasek präsentiert mit «Der alte Mann mit der junge Frau» seine siebente Theater-Regiearbeit. Durch seine Laufbahn als Kabarettist ist er mit der nestroy'schen Gratwanderung zwischen Witz und politischer Ernsthaftigkeit sehr vertraut. "Der Umgang mit dem Thema entspricht meiner Art der Realitätsdarstellung. Nestroy verwendet ja eine Art Wiener Kunstsprache, die einerseits Nähe, sowie auch, durch die Fremdheit, Distanz erzeugt."
Momentan arbeitet Vitasek als Schauspieler für Film und Theater, sowie als Kabarettist mit eigenen Programmen. Seine letzten Regiearbeiten waren in Salzburg, St. Gallen und zuletzt am Volkstheater Wien zu sehen.

 

Pressestimmen

Der Standard, 21. Jänner 2002

Revolution und Jugendsehnsucht

Nestroy-Premiere am Schauspielhaus Graz

Graz – Zwischen Postkartenidylle und Designerkühle hat Andreas Vitasek Nestroys «Volksstück mit Gesang» ohne Gesang inszeniert. Der alte Mann mit der jungen Frau ist keine Komödie. In dem 1849 geschriebenen Vierakter hallen eine vergebliche Revolution und viel Jugendsehnsucht nach. Szenen nicht nur einer Ehe fügen sich zu einem Bilderbogen österreichisch-gemütvoller Grausamkeiten, denen der Regisseur einen intelligenten Spritzer Zynismus beimengt.

Mit seiner siebenten Regiearbeit, einem zeitgemäßen, entschlackten Nestroy, geht Vitasek auf Nummer Sicher. Es gibt witzig-gefällige Zwischenaktmusik mit Wiedererkennungswert und durchaus auch sanfte Interpretationshilfen in Form von roten Hosenträgern oder einem Schäferhund aus Porzellan. Der aktuelle politische Bezug ergibt sich hier aus Nestroys genialem Vergleich von Staats- und Ehemisere zwangsläufig und durchaus fein.

Das böse Ende

Nah am behutsam gekürzten und gewürzten Originaltext erweitert der kabaretterprobte Regisseur das bittere Stück um den Prolog Die Neu Regierten von Antonio Fian und einen stummen Epilog, der dem Stück dann aber ein böses neues Ende gibt. Gerhard Balluch bringt für den reichen Philanthropen Kern zweifellos die richtige Mischung aus Sentimentalität, Misstrauen und Tatkraft mit. Der auf sein Alter fixierte Unternehmer hat sich eine um ganze vierzig Jahre jüngere Frau genommen, ein Spielzeug, das er unentwegt mit Entzücken und auch Angst zu beobachten pflegt. In der Rolle dieser Regine ist – das muss man sagen – Martina Stilp die einzige eklatante Fehlbesetzung des Abends.

Jung, impertinent

Neben der bekannten alten Souveränität des Grazer Nestroy-Ensembles zeigen sich auch die Jüngsten des Hauses zweifellos ohne Fehl und Tadel: Susanne Lichtenberger und Dominik Warta als idealistisch verhärmtes Proletarierpaar und – voll jugendlicher Impertinenz – Martin Bretschneider als Playboy Rehfeld.

Mit gewohnter Sicherheit spannt Ausstatterin Susanne Maier-Staufen den Bogen vom Dirndlkleid zur Designerklamotte, deutet mit sparsam verwendeten Paneelen Räume an: eine Wirtsstube, eine Alm, einen nächtlichen Park. Der elegante Kamin im Hause des Unternehmers ist nicht nur eine Projektionsfläche für loderndes Feuer und die Polit-Karikaturen Gerhard Haderers, sondern auch – zur Nachahmung empfohlen! – für einen Abspann mit den Namen der SchauspielerInnen während des herzlichen Beifalls.

Beate Frakele

 

Kleine Zeitung, 21. Jänner 2002

Edelmann über Bord

Andreas Vitasek ist ein exzellenter Kabarettist. Als grandiosen Nestroy-Regisseur kann man ihn nun am Grazer Schauspielhaus kennen lernen.

Keinen Jux mehr wollte er sich machen, der geniale Vorstadtspötter Johann Nestroy, als er, ein Jahr nach der fehlgeschlagenen Revolution 1848, an seinem Stück «Der alte Mann mit der jungen Frau» schrieb. Er vollendete das Werk nicht und betrieb, was bei einem Autor, der gestandene Possen reihenweise aus dem Ärmel schüttelte, selten geschieht, Kindesweglegung. Das Fragment wurde zu Lebzeiten Nestroys nie aufgeführt, eine selten gespielte Rarität ist es bis heute geblieben. Dies mag auf den ersten Blick erstaunen, auf den zweiten nicht mehr – denn es ist die persönlichste Hinterlassenschaft aus der Feder von Johann Nepomuk; hier betritt ein Zyniker die Bühne, der durchaus noch blicksicher mit den Augen pfeift, aber er tut es mehr in Moll als in Dur. Melancholischer, resignativer.

Gebückt

Es war ein Wagnis, dass sich der Kabarettist und Schauspieler Andreas Vitasek der heiklen Materie annahm. Das Risiko hat sich gelohnt, für Vitasek, für die famosen Akteure, für die Theaterbesucher im Grazer Schauspielhaus, weil die Aufführung vollauf geprägt ist durch Fingerspitzengefühl und die feinsinnige Kunst, den Nestroy‘schen Prototypen sehr viel Seele einzuhauchen. Auch dies war ein schwieriges Unterfangen, denn von den Grundsubstanzen her verfügt dieses Stück über weitaus weniger erfrischenden Sauerstoff als weithin bekannte Nestroy-Komödien. Gewiss doch, der Wortwitz ist gut wattiert und endlos reich an Kapriolen, aber er führt tiefer, weil er von einem bereits gebückten Dichter kommt.

Im Mittelpunkt der Geschehnisse steht der alternde Ziegelbrennerei-Besitzer Kern, materiell reich, an Illusionen aber arm geworden. Er nimmt nicht nur eine für ihn viel zu junge Gemahlin in seinem tyrannisch geführten Haus auf, sondern auch einen politischen Flüchtling, den eine innige Liebesbeziehung mit dem Dienstmädchen verbindet. Das Schicksal zieht oft seltsamste Fäden, wenn nicht, dann legt eben Nestroy Hand mit an. Der Fabrikant muss erfahren, dass ihn seine Frau mit einem jungen Baron betrügt, die Ehe- und die Sozialtragödie beginnen sich immer härter aneinander zu reiben, aber dem Herrn von Kern gelingt es immerhin, arge persönliche Verwirrungen zu entflechten.

Himself

Nestroys Fragment, von Vitasek durch Zitate aus der «Höllenangst» und ein Dramolett von Antonio Fian ergänzt, nimmt sich aus wie das bedrohliche Wetterleuchten einer erniedrigenden Gewalt, das über einigen wenigen Menschen und vielen Gfrastern schimmert. Und es ist, nicht zuletzt, ein tragikomisches Spiel von einem in die Jahre gekommenen Mann, der aus einem Mädchen eine Dame und Ehefrau machen will, dabei aber das Weib übersieht. Nestroy himself – versiert in der delikaten, aber auch Kräfte raubenden Disziplin des Seitensprungs, in der er es zu hoher Meisterschaft, aber auch zu tiefen Abstürzen brachte. Am Ende lehnt Kern mit dem jungen Paar an der Reeling eines Schiffs, das sie nach Australien bringt. Aber der da steht, ist ein Edel- und Lebemann, eher über als an Bord.

Nestroy hat über Größe und Kleinheit, Dürfen und Nichtdürfen ein fatalistisches Lächeln gesetzt, Vitasek vollzieht dieses versiert bis in den letzten Mundwinkel nach. Seine Inszenierung wechselt häufig die Achsen, es rotiert aus der Vergangenheit mitten hinein in die Gegenwart, von der biederen Bauernstube in ein designreiches «Schöner-Wohnen-Ambiente» (im ideenreichen Bühnenbild von Susanne Maier-Staufen), aber das kann der Austariertheit nichts anhaben. Und wenn beim «Kanzlerfest» ein «Seitenblicke»-TV-Team umherschwirrt, dann ist das kein platter Gag, sondern die Tauglichkeitsprüfung für eine zeitlose Privat- und Politparabel.

Paradetruppe

Das Grazer Schauspielhaus verfügt über ein Parade-Nestroy-Ensemble, das nicht nur in der Wiener Vorstadt Neidkomplexe erweckt. Gerhard Balluch (Kern) als Meister leiser, nuancierter Töne, Franz Friedrich als pointenstarker Diener Gabriel, Helfried Edlinger als Gendarm auf Einstreifdienst – in ihnen pulsiert Nestroy’sches Theaterblut, auch alle anderen Akteure und Akteurinnen, von Martina Stilp (junge Frau) über Dominik Warta und Susanne Lichtenberger (junges Paar) bis hin zur immens wandlungsfreudigen Frauke Steiner, tragen an einem unkonventionellen, aber herausragenden Nestroy-Abend ihr Schauspielerherz am richtigen Fleck. Eine tiefe Verbeugung ist angebracht. Das Premierenpublikum reagierte ähnlich – mit intensivem Beifall.

Werner Krause