Johann Nestroy
Häuptling Abendwind
oder Das gräuliche Festmahl

Operette in 1 Act

     

Die Bühne stellt eine Gegend mit australischer Vegetation vor. Links um einen Baumstrunk, der als Tisch dient, Rasenbänke. Rechts eine zwischen Bäumen befestigte Hängematte. Im Hintergrunde ein Käfig, in welchem sich ein weißer Bär eingeschlossen befindet.

 
Erste Szene

ABENDWIND, ATALA, HO-GU,
MEHRERE WILDE vom Stamme der Groß-Lulu

(Man hört in der Ferne den Donner eines sich verziehenden Gewitters rollen.)

ATALA (eine in der Hängematte liegende Puppe schaukelnd) Ach, Papa! Was war das für ein garstiges Wetter!

ABENDWIND Ich g'spür's schon seit drei Täg; d' Sandalen haben mich druckt, daß ich völlig krumm geh'.

ATALA Endlich scheint aber der Donner verstummen zu wollen.

ABENDWIND Die Sonn' tut wieder ihre Schuldigkeit. Ich hab' ihr aber auch durch die Priester meine Meinung kurios sagen lassen; für was brächt' ich ihr denn die schönsten Opfer? Na, aber sie scheint jetzt wieder ganz ordentlich scheinen zu wollen. (Sich zu den Wilden wendend.) Und nun einige Worte zu euch, ihr Großen meines Reiches, die ihr eigentlich die größten seid in meinem ganzen Reich. (Eine Anrede beginnend.) Meine Herrn! – (Mit Mißvergnügen bemerkend, wie alle ihn bewegungslos anglotzen.) Na, werd'ts euch verneigen, oder nit? (Alle verneigen sich.) Das is ja nix Kleins, wenn man zu die Wilden »meine Herrn« sagt. Lernts doch a Art; es is ja a Schand', wenn wir heut' oder morgen entdeckt werd'n; die benachbarten Inseln sein schon entdeckt; die Zivilisationsverbreiter kommen überall hin; wo's noch was Unentdeckts gibt, das stieren s' auf. Also, meine Herrn! Ich, Abendwind der Sanfte, befehle euch, als meinen Vasallen, daß ihr dem schneeblühweißen Bären, der dort in seinem Rohrpalast (den Schluß der Rede suchend) was hab' ich denn eigentlich sagen wollen –?

ATALA (für sich) Wie sich der Papa plagt, bis er eine Rede zusamm'bringt!

ABENDWIND (fortfahrend) Dieser weiße Bär nämlich, der als Sohn der Sonn' mir Glück bringt und gewissermaßen mein Uraundl is – so will ich auch (wieder den Faden der Rede verlierend) Teuxel, jetzt weiß ich nicht, was ich will – (fortfahrend) da er gewissermaßen mein Uraundl is –

ATALA Papa, das sagst du jetzt schon zum zweitenmal – »gewissermaßen mein Uraundl is«.

ABENDWIND Geht's dich was an? Mit dem Madl hab' ich a G'frett! Solang deine Mutter g'lebt hat, hab' ich nicht g'schaut auf dich, und da hab' ich glaubt, ich hab' ein' Engel von einer Tochter; als Witiber aber muß ich schaun auf dich, und da seh' ich a Menge, was mir nicht recht is. Du bist jetzt sechzehn Jahr' –

ATALA Is dir das auch nicht redet, Papa? (Geht an die Hängematte und schaukelt wieder ihre Puppe.)

ABENDWIND O ja! Und da das wilde Jahr um a paar Monat' mehr hat als das zivilisierte, so bist du erwachsen genug, um ein festes Reproment zu ertragen. Is das schön, daß du mich da hofmeisterst vor meine Wilden?

ATALA Wegen denen sollt' ich mich genieren?

ABENDWIND Still! Und wirst hergehn, wenn ich dir gute Lehren gib?!

ATALA Da bin ich ja. (Ist nähergetreten.) Also –?

ABENDWIND (böse werdend) Das sag' ich dir, wenn du nicht bald anders wirst, so riskierst du, daß ich dir gelegentlich droh', daß ich dir vielleicht einmal was tu'. Ich bin zwar der Sanftmütige, aber ich hab' meine grantigen Stunden, und da kann ich so z'wider sein – und du bist jetzt einmal sechzehn Jahr', und drum –

ATALA Papa, das hast du jetzt auch schon zweimal gesagt.

ABENDWIND Zweimal sechzehn Jahr'? Warum nicht gar! Das verschweigst ich g'wiß. Ich bin eigentlich f roh, daß du noch mit der Docken spielst, es gibt dir so einen jugendlichen Anstrich, und man verzeiht dir's eher, daß du so ein indianischer Schnabel bist.

ATALA Ach, Papa, ich möchte so gerne noch eine zweite Puppe haben.

ABENDWIND Woher nehmen? Die is nur per Zufall in einem benachbarten Inselreich gestohlen und an mich verkauft worden; und Niklomarkt kann man auf einer unentdeckten Insel keinen prätendieren. Möglich, daß einmal – (es donnert in der Ferne).

ATALA Ach, es donnert noch immer.

ABENDWIND Das bedeut't weiter nix als ein Wetter, nix weiter als ein Wetter. In meiner Jugend haben uns die Götzenpriester g'lernt, das Donnern bedeut't, das s' im Himmel Kegel scheiben; unsere Gelehrten aber sagen, da müßte man auch dann und wann bei »Alle Neune« das Juchezen hören, da aber das nicht der Fall ist, so ist die alte Theorie durch den Fortschritt in der Wissenschaft geschlagen. – Jetzt aber zu den brennenden Fragen der Gegenwart. Is der Ho-Gu da, mein Koch?

HO-GU (vortretend und sich tief verneigend) Untertänigst, submissest, zu devotestem Befehl.

ABENDWIND Zu was dieser servile Kaschkanat? Solange du keine Speis' verdalkst, kannst du frei und offen zu deinem Herrscher sprechen. (Zu den Groß-Luluerern sich wendend.) Es is nämlich heute, meine Herrn, ein in politischer sowie in astrologischer Bedeutung gleich hochwichtiger Tag. Die Sonne tritt heut' in das Sternbild des Großen Bären, und am selben Tag erhalte ich den Besuch des benachbarten Inselbeherrschers, des großen Biberhahn, Häuptlings der Papatutus. In kalten Ländern könnte dieses Zusammentreffen Schnee bedeuten – in unserm Klima bedeutet es großartigen politischen Um- und Aufschwung. Biberhahn, genannt »der Heftige«, hat auch a wildes Königreich wie ich da; nur mit dem Unterschied, er is schon entdeckt worden und kommt schon seit längerer Zeit mit einem Volk in Berührung – ich weiß nicht gleich, wie's heißt – 's is a Volk, was eine schnoflete Sprach' red't und sich einbild't, an der Spitze der Zivilisation zu stehn – sie sind auch Erfinder der Diplomatie –

DIE WILDEN Zur Genesung!

ABENDWIND Danke! (Lachend, für sich.) Wir haben in unserer Sprache kein Wort, was auf »atzi« ausgeht, drum haben s' glaubt, ich hab' g'niest. Es sind übrigens recht manierliche, höfliche Wildlinge, meine wilden Höflinge. (Laut.) Mit diesem König Biberhahn also hab' ich eine Konferenz. Da gibt es Empfangsfeierlichkeiten, nachher plauschen wir a bissel, erst über dieses und jenes, nacher von allen möglichen, und eh' wir auf den eigentlichen Gegenstand kommen, sitzen wir beim Essen und denken an gar nix mehr; das heißt man Konferenz. (Zum Koch sich wendend.) Alsdann, Ho-Gu!

HO-GU Ich möchte nur untertänigst bemerken –

ABENDWIND Daß in die Speis'- und Vorratskammern wenig oder gar nix zu bemerken is.

HO-GU Früchte lieben Euer Herrlichkeit nicht? –

ABENDWIND Nein! Mein Obstgarten is die Fleischbank. (Zu dem Gefolge.) Das is euere Sach'; warum schafft ihr kein Wildbret herbei? Für was habts denn die Pfitschipfeil'?

ERSTER GROSS-LULUERER Wir schießen fleißig, aber das Wild will sich nicht treffen lassen.

ABENDWIND Fisch' sind auch keine da.

ZWEITER GROSS-LULUERER Wir angeln fleißig, aber wir kriegen zu wenig.

ABENDWIND Ja, ja! ös kriegts z' wenig Fisch'; dem kann abgeholfen werden. Zum Glück is bei uns Südseeinsulanern die Menschenfresserei en vogue.

HO-GU Es sind auch keine Gefangenen in Vorrat.

ABENDWIND (zu dem Gefolge). Wißts ihr, daß ich jetzt einen von euch abstechen lassen könnt'? Ihr seids Groß-Luluerer, g'hörts also alle mein, und es is nur zarte Schonung –

DIE WILDEN Gnade!

ABENDWIND Na ja, 's is schon gut. Aber bei der nächsten Nachlässigkeit spaziert gleich einer in die Kuchel. (Zu einem mageren Wilden.) Du warst schon vorg'merkt, aber der Koch hat g'sagt, du bist nicht geeignet; das hat dich gerettet. (Für sich): Ich bin zu sanft für das Volk; zu selten, daß ich einen friß. Aber heut' – mein großer Alliierter, der Biberhahn, is auch Menschenfreund, das heißt – er verspeist sie gern. – Ho-Gu!

HO-GU Herrlichkeit –

ABENDWIND Wenn vielleicht ein Paßloser hier herumgeht von einer fremden Insel –

HO-GU Meine Küchenjungen sollen nachforschen.

ABENDWIND Überhaupt, was du halt aus 'n Ausland find'st.

(Deutet pantomimisch das Abfangen.)

HO-GU Sehr wohl, nur die Einheimischen werden g'schont.

ABENDWIND (leiser, nachdem er ihm gewinkt, näherzutreten): Entre nous – wir haben auch im Inland viele, die wegen ihrer Roheit ungenießbar sind, also brat't man s', man kann nix G'scheiters tun. Die Zubereitung – das verstehst du – richtet sich immer nach der Verschiedenheit des Naturells. Is einer zäh, muß er gebeizt werd'n; wennst ein' Aufgeblasenen erwischst, die sind nur zu vertragen, wenn s' in a rechte Soß kommen; und spicken, ordentlich spicken, is bei alle Naturen gut, weil es alle feiner und milder macht. Mit einem Wort: Sapienti pauca!

HO-GU Sehr wohl! (Verneigt sich und geht rechts im Vordergrunde ab.)

ABENDWIND (zu dem Gefolge): Und ihr folgt mir mit meinem weißen Glücksbären in den Tempel der Sonne, ich verlange ja weiter nichts von ihr als ein Bärenglück. (Geht mit dem Gefolge nach rechts ab, zwei Groß-Luluerer haben den Käfig des Bären geöffnet und führen denselben Abendwind nach.)

 
Zweite Szene

ATALA

ATALA (allein): Der Papa sagt immer, ich wär' unartig, während ich doch gewiß eine wohlerzogene Wilde bin. Er hält mich auch für dumm, weil ich so gern mit der Puppe spiele. Ich hör', in dem weit entfernten gebildeten Europa tun sie das auch, nur haben dort die erwachsenen Mädchen ganz andere Puppen, mit denen sie spielen. Ich aber bin mit dieser zufrieden; ich bilde mir ein, sie ist mein Kind, und wünsche nur, daß mir der Papa recht bald ein zweites kauft. (Schaukelt die Puppe in der Hängematte.)

Romanze

1.
Als süße Last,
Geliebtes Kind,
Trägt dich der Ast,
Schlaf ein geschwind!
Mein Kindchen schläft in süßer Stille,
Es ist gar müd',
Ich soll es wiegen, war sein Wille,
Und es geschieht.
Nun schlummert's unter Blumenhülle
In Ruh' und Fried'.
Ihm zirpt sein treuer Freund, die Grille,
Ein Schlummerlied.
Im süßen Traum,
Geliebtes Kind,
Wiegt dich der Baum,
Schlaf ein geschwind!

2.
Wozu wär' mir ein Gatte nötig?
Bin lieber frei;
Man sagt: nicht gut ist's, wenn man ledig,
Mir einerlei!
Mein Kind und ich in dieser Matte
Ruhn unser zwei;
Doch käm' dazu auch noch ein Gatte,
Reißt sie entzwei.
In süßen Traum,
Geliebtes Kind,
Wiegt dich der Baum,
Schlaf ein geschwind.

 
Dritte Szene

ATALA; dazu ARTHUR

ATALA (allein, nach links in den Hintergrund sehend) War mir's doch, als hörte ich dort Schritte.

ARTHUR (tritt aus dem Hintergrunde links auf, ohne Atala zu bemerken. Er ist in eleganten Pariser Anzug gekleidet) Ah, das war ja ein greuliches Unwetter! Auf diesem Meere, welches auf allen Landkarten als »Stiller Ozean« verzeichnet ist, untersteht sich der Sturm, so unverschämt zu wüten! Solche Lügen streuen die Geographen aus! Verdammter »Stiller Ozean«, der du einen der ersten Friseurs der Residenz verschlingen wolltest! Verwünschtes Inselnest! Zwar »Nest« kann man eigentlich nicht sagen, denn beim wiederkehrenden Sonnenschein nimmt sieh das Ganze recht pittoresk, recht jardin-des-Plantes-artig aus. Auch scheint hier ein gewaltiger Luxus zu herrschen. Hier haben sie die Klippen von Korallen, und wir Europäer wissen recht gut, wie teuer die Korallen sind. Und diese Palmen, diese Lianen! Wahre Prachtexemplare! So was kostet ein Heidengeld!

ATALA (welche ihn bereits früher von der Seite neugierig gemustert) Ah, das ist spaßig!

ARTHUR (sie bemerkend, für sich) Eine Wilde –? Charmant!

ATALA (wie oben) Was ist denn das?

ARTHUR (für sich) Statt: »Wer ist denn der?« sagte sie: »Was ist denn das?« Hier müssen die Männer sachlichen Geschlechtes sein. (Sich galant ihr nähernd.) Mein Fräulein –

ATALA (sich artig verneigend) Mein Herr –?

ARTHUR (für sich) Scheint sehr gebildet zu sein, diese Wilde. (Sie genauer mit der Lorgnette betrachtend.) Interessante Insulanerin, das! Ganz karaibischer Typus, vermischt mit otahaitischer Rass', das Haar gehört aber dem malaiischen Stamme an.

ATALA Erlauben Sie, das Haar gehört mir.

ARTHUR Ganz recht; warum kultivieren Sie es aber nicht besser? Das ist alles so wirre, so wild.

ATALA Ich bin ja eine Wilde.

ARTHUR Bei uns verwenden oft die Wildesten die meiste Sorgfalt auf die Frisur. Es scheint, daß man hierzuland gar nicht weiß, was man mit einem schönen Haarwuchs macht.

ATALA O ja! Man nimmt das Skalpiermesser und schneidet denselben samt der Kopfhaut herunter – so machen's unsere Krieger und tragen die Skalpe als Siegestrophäen an den Gürteln.

ARTHUR Daß einer dem andern die Haut über die Ohren zieht, kommt auch bei uns vor, dafür haben wir ein Heer von Wucherern; ebenso wird auch bei uns kein gutes Haar am lieben Nächsten gelassen, aber auch dieses Geschäft wird bei uns nicht von den Kriegern, sondern von dem zarteren Geschlecht besorgt.

ATALA (erstaunt) Nicht möglich –!?

ARTHUR Häufig werden auch unsere Männer durch die Frauen dahingebracht, daß sie sich eigenhändig die Haare ausreißen.

ATALA Merkwürdig!

ARTHUR Noch häufiger aber gehen den Herren die Haare von selber aus.

ATALA Wunderbar!

ARTHUR Da erscheint dann der Friseur, um sie eine Zeitlang mit Haarwuchspomaden in jeder Beziehung anzuschmieren und dann mit den reizendsten Perücken zu versehen. Und gar das weibliche Geschlecht, was wäre das ohne uns! Mein Fräulein, Sie haben noch keinen Begriff von dem hohen Beruf eines Friseurs.

Couplet und Duett

ARTHUR
Es schmückt mein Haupt kein Kronenschimmer,
Und keinen Szepter schwingt die Hand,
Doch mir beugt jeder Kopf sich immer,
Und wär' sein Herr von höchstem Stand.
Vernimm's respektvoll, schöne Wilde,
Mein Adel stammt von Samson her,
Ich führe einen Kamm im Schilde,
Ich bin Friseur!

Mit Schönheit, Geist und Rang und Titel
Nimmt mancher Weiberherzen ein;
Doch ich verschmähe solche Mittel,
Sie sind zu alt und zu gemein.
Ich kann ein Herz im Flug erjagen,
Für mich ist so was gar nicht schwer,
Ich darf zur Stolzesten nur sagen:
Ich bin Friseur!

ATALA
Ach, mein Papa hat recht im Grimm,
Mit meinem Geist steht's wirklich schlimm;
Mein Herr, all das, was ich vernommen,
Ist mir wie spanisch vorgekommen.

ARTHUR
Wie? Was? Mein Lied prallt ab
An edler Dummheit Schilde?
Ein Mittel ich noch hab',
Das macht mir zahm die Wilde.
Versuchen wir's rasch mit der Kunst,
Gewiß erring' ich ihre Gunst.
Als ich – noch Kind – der Heimat mußt' entschweben,
Hat für mich unbekannten Vaters Hand
Die Spieluhr hier samt Kette mitgegeben
Dem, der mich führte aus dem Vaterland.
(Er zieht eine Uhr aus der Tasche.)
Die Sänge meiner Kindheit gibt sie wieder –
So sagt man mir – der Heimat süße Lieder.
(Er drückt an der Uhr, welche zu spielen beginnt.)

Ensemble

ATALA
Welch Melodie,
Welch herrlicher Klang!
Der Heimat Gesang,
Voll Harmonie!

ARTHUR
Ja, die Melodie,
Der uralte Sang,
Das helle Klingklang
Gewinnt mir sie!
(Arthur drückt aufs neue die Feder, läßt die Uhr spielen und tanzt nach deren Weise.)

ATALA (nach beendigter Musik) Ja, aber so schön das alles ist, gibt es mir doch noch immer keinen Aufschluß über Sie und den Zweck Ihres Herkommens.

ARTHUR Vielleicht mögen Sie dies folgender biographischer Skizze entnehmen: Mein Geburtsort sowie meine erste Wickelkindheit sind mir unbekannt. Meine Erinnerung geht wie bei allen ultragescheiten Kindern bis auf ein Alter von zwei Jahren zurück; da befand ich mich in einem Städtlein bei einem Manne, den ich lange für meinen Vater hielt und der, wenn er kein Mann gewesen wäre, für meine Amme hätte gelten können. Später, als ich acht Jahre alt war, schickte mich dieser zur Ausbildung in die Residenz. Spezielle Hinneigung zum Höheren und Feineren ließ mich Haarkünstler werden, und schon als Lehrling wie später als Gehilfe wirkte ich erfolgreich in dieser Sphäre. Da, vor mehreren Wochen, kam meine männliche Bonne wieder und gab mir nebst dieser Familienuhr den mysteriösen Befehl, ich habe mich binnen drei Tagen reisefertig zu machen, Hafenstadt und Dampfschiff wurden mir nominell bezeichnet, ebenso die Inselgruppe in der Südsee, wo ich landen und alsbald nach meiner Hinkunft Auskunft über meine Herkunft erhalten sollte. Ich bin somit zur Mutmaßung berechtigt, daß mein geheimer Vater ein weitläufiger Farmer oder ein bedeutender Hinterwäldler oder ein verschlagener Schiffskapitän sei. Bereits in der Zone der Südseeinseln angelangt, überraschte uns heute vor Tagesanbruch ein Sturm, dessen mehrstündiges Wüten zum Resultat eines Schiffbruches führte. Dampfschiffe sollten doch wohl von so störenden Zufällen ausgenommen sein, wenigstens der »erste Platz«; aber nein – es ist zu indiskret! Kurz, der Schiffbruch ward gebrochen, und ich, als er brach, durch den Bruch so betäubt, daß ich mich nicht einmal bei der Welle bedanken konnte, die so freundlich war, mich ans Land zu werfen, während das Schiff mit Mann und Maus – eigentlich mit Männern und Mäusen, denn es waren beide Korporationen zahlreich vertreten – unterging. Das Schicksal, von welchem man sagt, daß es manchmal, wenn es gut aufgelegt ist, alles zum Besten leitet, ließ mich so lange bewußtlos in der Sonne liegen, bis ich gehörig getrocknet war, um anständig vor den hiesigen Bewohnern – respektive Bewohnerinnen – erscheinen zu können und ihnen Gelegenheit zu geben, die Pflichten der Gastfreundschaft aufs brillanteste zu üben.

ATALA Ach, das ist drollig! Sie gefallen mir.

ARTHUR Ist das Ihr Ernst? – (Für sich). Diese Wilde hat ein prächtiges Haar, dessen Urwüchsigkeit sich noch nie durch trügerische, falsche Zopfismen kompromittierte, und einen Teint von achtunggebietender Klarheit. – (Laut.) Mein wildes Fräulein, sollte meine Erzählung Eindruck auf Ihr Herz –? (Innehaltend und horchend.) Ha – was ist das –? Ist dies das Tiktak meiner Uhr oder kommt dies Tiktak aus meinem Herzen –? Ich höre und fühle offenbar zwei Tiktäke –!

ATALA Auch mir ist so, als wenn – ist es, weil ich zum erstenmal einen Friseur sehe, oder – bei mir kann es unmöglich Ihre Uhr sein, folglich verursacht mein Herz dieses Tiktak.

ARTHUR Wie!? Also dürft' ich mir mit insulanischen Hoffnungen schmeicheln? Kontinent, ich schreibe dir den Scheidebrief und bleibe hier!

ATALA Im Gegenteil! Gerade deshalb müssen Sie schleunigst fort. Sie kennen unser schreckliches Gesetz nicht! Wir haben viele schreckliche Gesetze, aber das ist das ärgste.

ARTHUR Ich bin eben angekommen –

ATALA Jede Insulanerin – das geht mich an – die einen Fremdling liebt – das geht Sie an – muß mit ihm zugleich und allsogleich sterben – das geht uns beide an.

ARTHUR (lächelnd) Nun ja! Meine Empfehlung an die Legislative, und es ist schon gut.

ATALA Wie? Sie sagen das so gelassen?

ARTHUR Derlei Gesetze kommen zu häufig in Komödien und Romanen vor und werden – wie meistens die schrecklichen Gesetze – schrecklich lau vollstreckt.

ATALA Bei uns stirbt man im Ernst, wenn man sterben muß.

ARTHUR Wäre ich ein Berliner, so würde ich sagen: »Bange machen jilt nicht!« Aber – (erblickt die Hängematte) halt –! Was seh' ich –!? Das sieht ja fast aus wie das, was man bei uns ein kleines Kind nennt.

ATALA Das ist mein Kind.

ARTHUR Also auch diese soziale Eventualität kommt nachgeäffterweise hier zum Vorschein?!

ATALA Es ist eine Puppe von Pappendeckl und lackiert, wie gewöhnlich die Puppen sind.

ARTHUR (aufatmend) Ah, das ändert die Sache! Entschuldigen Sie, wenn mich ein wilder Verdacht zu indianischen Mutmaßungen verleitete; der Pappendeckl gibt dem Ganzen die unschuldvollste Basis. (Beiseite.) Man sollte nicht glauben, wie beruhigend der Pappendeckl auf das Gemüt wirkt.

ATALA Nun aber bitt' ich Sie, verbergen Sie sich, bis ich wieder Gelegenheit finde –

ARTHUR Die muß sich bald finden, denn der Sturm, das Inselklima – ich habe greulichen Appetit.

ATALA Was soll ich Ihnen zur Erquickung bringen?

ARTHUR Kakaobohnen wachsen wohl in dieser Zone?

ATALA O, im Überfluß!

ARTHUR Dann werdet ihr auch Schokolade haben? Bringen Sie mir solche, (zärtlich) mit Nachguß! Die Quantität soll mir zum Maßstab deiner Liebe dienen.

ATALA Wir bereiten sie mit Kokosmilch –

ARTHUR Gute, echte, kuhwarme Kokosmilch – charmant! Und was habt ihr zum Eintunken? Kipfeln, Stollen, Strizzeln?

ATALA Wir haben geröstete Frucht vom Brotbaum, auch Bananen.

ARTHUR Pfui, Bananen! Das muß schmecken, als ob man Erdäpfel in Kaffee eintunkte. Wie wär' es denn mit einem karaibischen Guglhupf?

ATALA (befremdet) Guglhupf –?

ARTHUR Ich habe in einem Strauch hier Weinberln entdeckt, welche mich meine Phantasie allsogleich, verschwistert mit Zibeben, im Innern eines Guglhupfs erblicken ließ.

ATALA Ich will keine rechtschaffene Wilde sein, wenn ich ein Wort verstehe. (Ängstlich.) Aber verbergen Sie sich, es ist die höchste Zeit!

ARTHUR Aber wo?

ATALA Gleich dort – (nach links im Vordergrunde zeigend) der Kaktus, die Lianen, die Calcedonia odorifera semperflorens mit ihren breiten Blättern decken Sie vollständig.

ARTHUR Also geht das hier auch, daß man sich hinter die Blätter steckt?

ATALA (nach rechts horchend) Horch –! Götter, es ist mein Vater –! Schnell fort!

ARTHUR Du willst's, ich füge mich, doch nur auf kurze Zeit. (Geht links im Vordergrunde ab.)

 
Vierte Szene

ATALA; dazu ABENDWIND

ABENDWIND (von rechts auftretend) Ach, so ein Malör war noch nicht da, solang die südliche Hemisphäre existiert! Meine Haus- und Hofehre kriegt einen Stoß, die politischen Folgen sind unausbleiblich!

ATALA Du bist ja ganz außer dir, Papa, was ist denn geschehn?

ABENDWIND Das Jagdglück hat uns den Rücken gekehrt; es muß einer ein' Frosch im Sack haben, wir sind verkibitzt, rein verhext! Nicht ein Bissen z' kriegen, von dem man sagen könnt', daß er ein Leckerbissen is! Nix haben wir, kein Wildbret, kein' Fisch (mehr für sich, indem er lamentierend sich unwillkürlich von Atala entfernt, so daß sie das Folgende nicht hört) und nicht einen einzigen Gefangenen außer einem politischen; den kann ich nicht abstechen lassen, weil er so politisch war und ist echappiert.

ATALA 's ist wohl fatal, wenn man einen Gast erwartet und –

ABENDWIND Wenn er ankommt, der große Biberhahn, mein hocherlauchter Gleichgestellter, mit was wart' ich ihm auf?! Der wird sagen: »Das is a sauberer König, lad't ein' ein, und man kriegt nix.« Die Gastfreundschaft der Groß-Luluerer wird zum Bonmot, und die Allianz mit die Papatutuaner geht in die Brüch'.

 
Fünfte Szene

ARTHUR; DIE VORIGEN

ARTHUR (von links, wo er abgegangen, zurückkommend) Auf dreißig Schritt Distanz kam mir der Mann nicht fürchterlich vor und jetzt schon gar nicht.

ATALA (erschrocken zu Arthur) Sie wagen es –!? Da ist mein Papa –

ARTHUR Ganz recht, Ihr Papa, für den ich den Schwiegerpapa-Titel in petto habe.

ABENDWIND (ohne Arthur zu bemerken, für sich) Mit Kokosnuß, Pisang, Tunkabohnen und Arekafisolen kann ich meinen Alliierten nicht traktieren, das essen bei uns die armen Leut', und selber braten lassen kann ich mich auch nicht.

ARTHUR (zu Atala) Ich rede ihn an!

ATALA Jetzt ist alles aus!

ARTHUR Das werden wir erst sehen.

Terzett

ATALA (zu Arthur)
O Gott, nun rettet Sie nichts mehr.

ABENDWIND (sich umdrehend und Arthur bemerkend)
Was gibt's? Wo kommt der Fremdling her?

ARTHUR (mit Komplimenten)
Geehrter Herr, ich hab' die Ehr'.

ABENDWIND
Ich heiße, Jüngling, dich willkommen
Und grüße dich!

ARTHUR
Daß Sie mich gastlich aufgenommen,
Beglücket mich!

ABENDWIND (Arthur mit heimlichem Behagen musternd, für sich)
Den brauch' ich nicht erst lang zu mästen,
Der wird gleich g'speist!

ARTHUR (für sich)
Ein nobler Wilder, der den Gästen
Viel Art erweist.

Ensemble

ATALA, ABENDWIND und ARTHUR zugleich:

ATALA (für sich)
O welch Glück! Papa scheint zufrieden,
Er zürnet nicht, er lächelt bloß;
Es scheint, daß Arthur mir beschieden
Zum Gatten, ach, mein Glück ist groß.

ABENDWIND (für sich)
's is a Glück, jetzt bin ich zufrieden,
Zum Mittagmahl is der famos,
Mein Koch wird ihn teilweis' absieden,
Teils braten, teils in einer Soß.

ARTHUR
O welch Glück, ich bin zufrieden,
Diese Artigkeit ist famos,
Ein Mittagmahl ist mir beschieden,
Mein Appetit ist riesig groß.

ARTHUR (für sich.)
Den werd' ich ganz für mich gewinnen.

ABENDWIND (für sich)
Der kommt zur Tafel sicherlich.
(Laut.)
Kann ich in etwas Ihnen dienen?

ARTHUR (sehr erfreut)
O, speisen Sie mich gastfreundlich!

ABENDWIND (sehr freundlich)
O, mit Vergnügen, das war mein Plan.

ARTHUR (sehr artig)
O, Sie charmanter, lieber Mann!

ATALA (heimlich zu Arthur)
Erbitten Sie mich doch zur Ehe.

ARTHUR (heimlich zu Atala)
Es scheint, er wünscht, daß dies geschehe.

ABENDWIND (mit lüsternem Behagen für sich)
Im Geist schon auf der Tafel sehe
Ich ihn, in Stücken groß und klein.

ATALA (leise zu Arthur)
Verlangen Sie mich doch zur Ehe.

ARTHUR (leise zu Atala)
Gleich nach Tisch um Ihre Hand ich flehe.

ABENDWIND (für sich)
Er scheint nicht zach und auch nicht zähe,
Das wird ein Schmaus ganz superfein!

(Untersucht Arthurs Waden.)

(Pause.)

ARTHUR
Jetzt zwickt er mich, o Sitte ohnegleichen!
Gewiß ein Freundschaftszeichen!

ABENDWIND (für sich)
Daß ich den erwisch'
Das is ein Glück; den Leckerbissen
Wird Biberhahn zu schätzen wissen
An meinem Tisch.

ARTHUR
Ich hoffe, baldigst speist man doch?

ABENDWIND
Gedulden Sie ein wenig noch!

ARTHUR
Wie liefre ich jemals Beweise,
Daß wert solcher Gnade ich sei,
Sie geben so gütig mir Speise –

ABENDWIND (für sich)
Du selbst gibst mir zwei oder drei!

Ensemble da capo

(Nach dem Terzett.)

ABENDWIND (nach rechts im Vordergrunde in die Sonne sehend) Ah, dort steht er ja, der Mann quaestionis!

ARTHUR Wer?

ABENDWIND Mein Koch.

ARTHUR Wollen Sie ihn gefälligst rufen?

ABENDWIND (freundlich und zuvorkommend) Ach freilich. (Ruft.) Ho-Gu!

ARTHUR Ho-Gu, schon der Name spricht für seine Künstlerschaft.

ABENDWIND O, er wird sich bei Ihnen auszeichnen.

ARTHUR Zu gütig! (Für sich.) Hier bin ich versorgt und aufgehoben.

 
Sechste Szene

HO-GU; DIE VORIGEN

Ho-Gu tritt von rechts auf, Abendwind geht ihm entgegen und spricht, bedeutungsvoll auf Arthur zeigend, leise mit ihm.

ATALA (noch immer über ihres Vaters Freundlichkeit staunend) Sonderbar!

ARTHUR Nun, Atala, siehst du? Wer hatte recht?

ATALA Das hätt' ich nie gedacht.

ABENDWIND (leise zu Ho-Gu) Kopf mit Frikassee, Brust g'füllt.

HO-GU (leise zu Abendwind) Die Koteletts mit Seetrüffeln.

ABENDWIND (wie oben) Und hauptsächlich Beefsteaks! – (Entzückt.) Schau dir 'n an, den Jüngling, ob der nicht prächtige Beefsteaks verspricht!

HO-GU (wie oben) Ganz gewiß.

ABENDWIND (wie oben) A bisserl ein' Bananenschmarrn dazu und südpolische Umurken. Wenn wir nur auch das Geheimnis wüßten, wie man in jenen Ländern den Sardellenbutter macht.

HO-GU (wie oben) Wir haben wohl auch Sardellen –

ABENDWIND (wie oben) Aber bei uns geben s' keine Milich, wie also von die Viecher ein' Butter kriegen!?

ARTHUR (sich Abendwind nähernd) Haben Sie schon angeschafft wegen mir?

ABENDWIND (zu Arthur) Alles bis ins Detail.

ARTHUR Wenn man so grimmigen Appetit hat.

ABENDWIND O, das is ein Genuß!

ARTHUR Sie sollten aber auch dabei sein.

ABENDWIND Na ob ich dabei bin! Aber Sie müssen voraus –

ARTHUR Gut, also auf baldiges Wiedersehn.

ABENDWIND Sehr bald hab' ich das Pläsier! – (Halblaut, beiseite.) Aber in anderer, kurios verschiedener Gestalt.

ARTHUR Wie meinen Sie?

ABENDWIND Ich meine – eigentlich mein' ich gar nix. (Leise zu Ho-Gu.) Ho-Gu! 's Junge kommt in a Soß.

HO-GU Sehr wohl.

ABENDWIND (zu Arthur) Sie müssen mir's nicht übelnehmen, ich bin etwas Gourmand.

ARTHUR Recht haben Sie; wer's hat, kann's tun.

ABENDWIND Freut mich, daß Sie mit mir einverstanden sind. Belieben also mit diesem Herrn (auf Ho-Gu zeigend) zu spazieren.

ARTHUR Es gereicht mir zum besonderen Vergnügen.

HO-GU Mir auch. (Geht mit Arthur ab.)

ABENDWIND (ihnen nachsehend, mit Beziehung auf Arthur für sich) Auf sein Gollasch g'freu' ich mich. (Den Koch zurückrufend.) Ho-Gu!

HO-GU Befehlen –?

ABENDWIND Weh dir, wenn das Geringste anbrennt oder verdalkt wird.

ARTHUR (zu Abendwind) Sie sind zu gütig! (Im Abgehen.) Solches Übermaß von Gastfreundschaft hab' ich wirklich nicht erwartet. (Geht unter gegenseitigem Komplimenten mit Ho-Gu rechts im Vordergrunde ab.)

 
Siebente Szene

ABENDWIND, ATALA;
dazu
BIBERHAHN, MEHRERE PAPATUTUANER

Ensemble

BIBERHAHN
Heil euch, ihr Groß-Lulu!
Denn eure edle Kraft
Und eure Gastfreundschaft,
Auf Erden sondergleichen,
Sie sind ein Friedenszeichen
Für die Papatutu!

ABENDWIND
Heil euch, Papatutu!
Ihr, deren edle Kraft
Beim Festmahl nie erschlafft,
Auch G'sundheit ohnegleichen
Trinkt ihr als Friedenszeichen
Für uns, die Groß-Lulu!

ATALA
Heil euch, Papatutu!
Denn eure edle Kraft
Und eure Gastfreundschaft,
Auf Erden sondergleichen,
Sie sind ein Friedenszeichen
Für uns, die Groß-Lulu!

(Nach dem Gesange.)

ABENDWIND Mich g'freut's, daß Sie mir die Ehr' geben.

BIBERHAHN Bitte, die Ehre is meinerseits.

ABENDWIND Und wie geht's Ihnen denn immer?

BIBERHAHN Dank' für die Nachfrag', und Ihnen?

ABENDWIND Na, es muß schon gleich gut sein, bis es wieder besser wird.

BIBERHAHN (mit stolzem Selbstgefühl, beiseite) Jetzt sollten uns die Zivilisierten hören.

ABENDWIND (beiseite) Gibt es einen gebildeteren Diskurs!? Ah, wir Wilde haben schon auch unsere Kultur.

BIBERHAHN (beiseite und mit einem unheimlichen Seitenblick auf Abendwind) Diese gentile Freundlichkeit von mir, während der furchtbarste Verdacht gegen ihn mein Inneres durchwühlt.

ABENDWIND (beiseite und mit einem unheimlichen Seitenblick auf Biberhahn) Ich führe Honig auf den Lippen, während ich den grimmigsten Argwohn in meinem Busen nähre.

BIBERHAHN (laut) Wir sehen uns zum erstenmal als Witiber wieder.

ABENDWIND Richtig, 's letztemal, da haben wir noch jeder a Frau g'habt. (Den Seitenblick wiederholend.) Ein Unbekannter hat mir sie geraubt.

BIBERHAHN (dumpf beiseite und auf sich zeigend) Ich kenne den Unbekannten – (mit schlauem Seitenblick auf Abendwind) er aber ahnet nichts. (Laut.) Auch meine ward heimlicherweise entführt.

ABENDWIND (beiseite) Durch meine Leute – (mit schlauem Seitenblick auf Biberhahn) doch er hat keinen Dunst davon.

BIBERHAHN In andern Ländern werden auch öfters Frauen entführt.

ABENDWIND O ja, das schon, aber –

BIBERHAHN (mit heimlichem Ingrimm gegen Abendwind) Hier in die Menschenfressergegenden werden sie gleich – (drückt pantomimisch das Speisen aus).

ABENDWIND Wenn sie nur entführt werden, die Weiber, so kommen s' nach einer Zeit wieder z'ruck und bitten und beschwören und weinen, und »sie sehn's jetzt erst ein« – und auf einmal hat man s' wieder! Wenn aber eine einmal gefressen is, da ist keine Hoffnung mehr.

BIBERHAHN (mit Selbstüberwindung) Lassen wir das! Diese Beziehungen sind zu delikat –

ABENDWIND (für sich, indem er sich mit Behaglichkeit auf den Magen klopft) Ach ja! Delikat war seine Selige.

BIBERHAHN (für sich, indem er sich in behaglicher Erinnerung auf den Magen klopft) Ich habe noch nichts Köstlicheres gespeist als die Abendwindin.

ABENDWIND (laut zu Biberhahn) Wir werden sentimental, und eigentlich wollten wir Regierungsgeschäfte –

BIBERHAHN Ganz recht, es betrifft die fremden Schiffe, auf denen ferne Völker, die sich »die Zivilisierten« nennen, daherschwimmen in mein Inselreich.

ABENDWIND Ich muß auch tagtäglich erwarten, daß meine paar Inseln entdeckt werden, nacher kommen s' mir auch übern Hals mit ihrer Kultur.

BIBERHAHN Mit ihrem Fortschritt, wie sie das Zeugs heißen.

ABENDWIND Ich hör', sie gehn völlig hausieren damit. Na, a bisserl ein' Fortschritt, da halt' ich mich nicht auf dagegen, aber wie s' mir z' dick kommen mit der Zivilisation, schmeiß' ich s' alle ins Miir.

BIBERHAHN Vor Jahren, wie die ersten gekommen sind, hab' ich anders gedacht; jetzt aber hab' ich einen Haß, einen Pick auf alles Gebildete, ich batze ihn aus, den Fortschritt! Kultur, Fortschritt, Zivilisation, alles batz' ich aus.

ABENDWIND Ihre Sprach' soll nicht übel sein, und gelehrt und g'scheit.

BIBERHAHN Aber für uns nicht national.

ABENDWIND Nur fatal, daß sie auswärts kein Wort verstehn von uns.

BIBERHAHN Wenn einen kein Mensch versteht, das ist national.

ABENDWIND Im Ausland können wir mit unserer Sprach' nicht einmal betteln gehn, denn wenn wir auf Insulanisch zu einem sagen: »Bitt' gar schön um a bisserl was« – so glaubt der vielleicht, man hat ihn ein' Esel g'heißen oder sonst eine Grobheit g'sagt.

BIBERHAHN Alles eins! Ich leid' nix Fremdes mehr. Ich spekulier' auf eine Bartholomäusnacht; eh' ich das nicht durchsetz', schmeckt mir der beste Missetäter nicht mehr.

ABENDWIND Wann nur nacher a Ruh' is!

BIBERHAHN O, nur erst den Fortschritt ausgebatzt, dann –!

ABENDWIND Mein Gott, man will ja eh nix, als daß man seine paar Bananen und sein Stückel G'fangenen in Ruh' verzehren kann.

BIBERHAHN Freilich, wir sind ja gemütliche Leut'.

ABENDWIND Recht rare primitive Kerle!

BEIDE (zugleich, aber jeder beiseite) Nur dann und wann fressen wir einer dem anderen die Gattin weg.

BIBERHAHN (zu Abendwind) Doch jetzt nichts mehr von Geschäften! Führen Sie mir Ihre Tochter auf.

ABENDWIND Das kann sie gleich selber tun. (Zu Atala.) Geh, Töchterl, führ' dich auf, aber gut!

ATALA (vortretend und Biberhahn begrüßend) Ich hab' die Ehre –

(Die Wilden präsentieren mit ihren Keulen und Speeren.)

BIBERHAHN Ah, freut mich! Und der werte Name?

ATALA Atala.

ABENDWIND Ja, das is mein Atalalerl.

BIBERHAHN Die is eigentlich der Punkt, der ganz privat ausschaut, aber von unendlich politischer Tragweite is, in betreff unserer etwas gelockerten Allianz. (Gibt seinem Gefolge einen Wink, worauf sich selbes entfernt.)

ABENDWIND Sie soll der Gegenstand unseres Tischgespräches sein.

BIBERHAHN O, da muß ich deprezieren, ich muß nach Haus in mein Inselreich, sie warten mit 'n Essen auf mich.

ABENDWIND Wer wart't? Auf einen Witiber wart't niemand.

BIBERHAHN Jawohl!

ABENDWIND Ich bin ja selber einer! (Seufzend.) O, wie sie mir abgeht!

BIBERHAHN Es ist ein Hundeleben als Garçon. (Beiseite, mit einem giftigen Blick auf Abendwind.) Ich möcht' parieren, er hat die meinige – mein Trost is, daß ich die seinige –

ABENDWIND (mit einem verstohlenen Blick der Schadenfreude auf Biberhahn, für sich) Wenn er wüßte, daß ich – aber ich glaub' immer, er hat auch –

BEIDE (zugleich, aber jeder für sich, indem einer den anderen triumphierend belächelt) Was ein Indianer nicht weiß, das macht ihm nicht heiß.

ABENDWIND (laut zu Biberhahn) Nein, ich tu's nicht anders, Sie müssen bei mir speisen.

BIBERHAHN Aber das bitt' ich mir aus, daß Sie sich keine Unkösten machen wegen mir.

ABENDWIND Durchaus nicht.

BIBERHAHN Denn ich hab' ja meine abonnierte Kost.

ABENDWIND Bei mir wird zu Haus kocht. Ich bin nicht fürs Abonnieren, denn es wird alles kalt, wenn man's holen laßt.

BIBERHAHN (einwilligend) Na also –

(Auf einen Wink Abendwinds wurden schon etwas früher die Speisen in umfangreichen, muschelförmigen Schüsseln aufgetragen.)

ABENDWIND Bitte nur gleich Platz zu nehmen.

BIBERHAHN Damit ich ihnen den Schlaf nicht austrag'. (Setzt sich zu Tisch.) Appetit is da; ich hab' müssen unterwegs auf jeder Insel eine Red' anhören –

ABENDWIND Da vergeht ei'm aber der Appetit.

BIBERHAHN Und selbst auch wieder a Red' halten –

ABENDWIND Da kriegt man ihn wieder. Das Redenhalten is eine alte indianische G'wohnheit, und ich hör', die Zivilisierten machen's uns nach.

BIBERHAHN Ich hasse alle Redner außer die unsrigen, denn die reden national.

ABENDWIND Mir sein die Redner g'spaßig. Erstens glaubt man nicht, daß einer fertig wird mit der Red'-

BIBERHAHN Das is langweilig.

ABENDWIND Und wann er fertig is, nacher glaubt er, jetzt hat er was g'sagt, das is der G'spaß. (Mittlerweile wurden noch ein paar Schüsseln aufgetragen.) Also ang'richt't is, greifen wir zu! (Setzt sich Biberhahn gegenüber.)

(Atala steht zur Seite links in einiger Entfernung.)

Ensemble

BIBERHAHN, ABENDWIND und ATALA zugleich:

BIBERHAHN
Kolossal
Is das Mahl,
Man vergnügt sich sehr
Hier bei Tisch, auf Ehr'!

ABENDWIND
Sehr frugal
Is das Mahl,
Doch mich freut es sehr,
Daß S' mir geben die Ehr'!

ATALA
Sehr fatal
Ist das Mahl,
Mich verdrießt es sehr,
Mir wird 's Herz so schwer!

ATALA (beiseite.)
Indes sie sich berauschen,
Seh' ich, was mein Arthur macht,
Will liebend ihn belauschen,
Schnell fort von hier, fein sacht!
O Unruh' im Herzen,
Ihr seligen Schmerzen,
Wer kann widerstehn?
Ich muß ihn ja sehn.

(Ensemble wie oben, dann Atala nach rechts ab.)

 
Achte Szene

DIE VORIGEN ohne ATALA

ABENDWIND
Zwar beim Essen wird ei'm d' Zeit nie lang,
Aber trotzdem bitt' ich, während sich die Speisen setzen,
Stimmen S' an den Papatutu-Kriegsgesang.

BIBERHAHN
Wohlan, ich spreiz' mich nicht, mögt Ihr Euch dran ergötzen!

Couplet

1.
Guter Gatte sein,
Stets galant und fein,
Ohne Eifersucht,
Essen Fleisch und Frucht,
Lieben Fried' und Ruh'
Die Papatutu;
Doch nach altem Brauch
Fressen s' d' Feinde auch;
Das heißt leben frei,
So das Kriegsgeschrei
Der Papatutu!

2.
Meistens gar nichts tun,
Gleich drauf lange ruhn,
Nach der Ruh' zum Fraß
Nach dem Fraß ans Faß!
Nach dem Trinken ruhn,
Wieder gar nichts tun,
Und wenn das getan,
Fangt von vorn man an;
Das heißt leben frei,
So das Kriegsgeschrei
Der Papatutu!

(Nach beendigter Musik.)

ABENDWIND Das is ein charmanter Kriegsgesang.

BIBERHAHN Nicht zu leugnen; aber alles, was man zu oft hört, wird ei'm am End' z'wider. Drum haben diesen Kriegsgesang alle meine Untertanen einstudieren müssen; die singen ihn jetzt von früh bis auf d' Nacht, das is über ein Werkel, und ich hoff', daß wir auf diese Art die Europäer vertreiben.

 
Neunte Szene

ATALA; DIE VORIGEN

ATALA (von rechts zurückkehrend) Das ist sonderbar – er ist verschwunden – er kann nur in die Wälder gegangen sein. Man hat, wie es scheint, meine Abwesenheit nicht bemerkt. (Nähert sich wieder den Speisenden.)

ABENDWIND (zu Biberhahn) Aber ich bitt', Sie lassen ja alles kalt werden.

BIBERHAHN Da haben Sie recht. Ich hab' neulich einen prächtigen kalten Verbrecher g'habt – hat mir nicht gut getan im Magen.

ABENDWIND Mit Essig und Öl sein s' nicht schlecht, und wann s' tüchtig zwiefelt werd'n –

BIBERHAHN Ich iß alles heiß, das is der Heißhunger. (Ißt gierig.)

ATALA (für sich) Ich werd' mich ins Gespräch mischen.

ABENDWIND (zu Biberhahn) Gach abbraten is 's g'sündeste, und nur nix Aufg'warmts – (Atala bemerkend.) Aber, Atala, das g'hört sich nicht, daß man den Leuten beim Essen so ins Maul schaut! Ein Mäderl muß artig sein, sonst is es ja ein unartiges Mäderl.

BIBERHAHN Lassen Sie s' gehn, sie is ja auch lieb zum Fressen.

ABENDWIND Ganz das Ebenbild ihrer Mutter.

BIBERHAHN Jawohl, ich habe die Ehre gehabt – (dumpf beiseite) sie zu fressen. (Ißt noch gieriger.)

ABENDWIND (ihn von der Seite betrachtend, für sich) Wie er hineinbampft in sich, als ob er sich betäuben wollte. – (Laut.) Aber was is denn das? Da liegt was in der Soß –! (Zieht einen Frisierkamm aus der Schüssel.) Das is ja ein Kampl –!

BIBERHAHN Richtig – (ihn mit Wohlgefallen betrachtend) ein ganz schöner elfenbeinerner Kamm.

ABENDWIND Ja, ja – aber in einer Speis' is das doch nicht nötig. Das is eine Nachlässigkeit beim Anrichten; es schaut halt niemand nach in der Kuchel, wie es bei ein' Witiber schon geht.

BIBERHAHN Sie haben früher gesagt: »Nur nichts Aufg'warmts!« – Warum warmen Sie diese Erinnerung immer auf? (Ißt noch gieriger als zuvor.)

ABENDWIND Weil – weil – ich weiß eigentlich selber nicht –

ATALA (welche Biberhahn mit Erstaunen zusah) Ach, sehen Sie, Papa –

ABENDWIND (beiseite, indem er ebenfalls Biberhahns Gierigkeit bewundert) Wenn er die Meinige so wie ich die Seinige – dann soll ihm der Bissen im Hals stecken bleiben.

BIBERHAHN (macht Bewegungen wie jemand, der ein zu großes Stück hinunterwürgt)

ATALA Papa – er würgt so gewaltsam hinunter!

ABENDWIND (ruhig) Es druckt ihn was – (beiseite) sollte das etwa das Gewissen sein –?

ATALA (ängstlich) Er erstickt ja fast

ABENDWIND (ruhig) Er steht in der Götter Hand.

ATALA Uns Kinder hat man in solchen Fällen immer auf den Rücken geklopft.

ABENDWIND Das wäre gegen die Etikette, einen Beherrscher kann man nicht auf den Buckl klopfen.

ATALA (ängstlicher) Wo ist denn unser Hofdoktor?

ABENDWIND Der könnt' ihm allerdings einen Besenstiel verschreiben, um das Ganze abizustoßen.

BIBERHAHN (aufatmend) Es ist schon vorbei. (Sich schnell erholend.) Aber was es nur war? Es muß eine Art Gegenstand gewesen sein. Es war etwas ungeheuer Hartes und Rundes.

ABENDWIND Sie können von Glück reden, daß es nix Viereckigs war. Übrigens, mit einer guten Verdauung kann man viel –

BIBERHAHN Es ist mir auch etwas in den Zähnen steckengeblieben. (Wendet sich ein wenig ab und zieht mittels eines Zahnstochers eine Uhrkette aus dem Munde.)

ABENDWIND (staunend) Nein, was mein Koch heut' alles dazugenommen hat –!

BIBERHAHN Vermutlich als Gegensatz, daß das andere um so saftiger erscheint.

ABENDWIND Möglich, aber a Kampl, a Ketten, das sind keine Ingredienzen, das sind schon mehr Objekte, selbständige Substanzen.

BIBERHAHN Mir is schon wieder ganz wohl.

ABENDWIND Gratulier' Ihnen zu dem Magen.

BIBERHAHN Und somit wird der große Häuptling Biberhahn dem detto großen wie auch sanften Abendwind ungesäumt eine Eröffnung machen.

ATALA Da bin ich neugierig. (Tritt etwas näher.)

BIBERHAHN (zu Abendwind) Ihre Tochter is reizend –

ATALA Jetzt hab' ich geglaubt, ich werde etwas Neues hören. (Tritt, in ihrer Erwartung getäuscht, etwas mehr zur Seite links.)

ABENDWIND Ich schmeichle mir, nichts vernachlässigt zu haben.

BIBERHAHN Und da wir beide so glücklich in unserer Ehe waren – (Beide blicken sich an und weinen.)

BIBERHAHN (in seiner Rede fortfahrend) So wünschte ich, meinen Sohn, dessen Ankunft ich stündlich erwarte, ebenso glücklich zu sehen –

ABENDWIND (zu Atala) Tochter, werd' rot, 's is von ein' Mann die Red'.

ATALA Ist das etwas Neues?

ABENDWIND Wär' mir nicht lieb, wenn dir das nix Neu's wär'! (Für sich.) Die red't oft ein' Stiefel zusamm' in ihrer Unschuld, gar so ein' unschuldigen Stiefel.

BIBERHAHN (zu Abendwind) Mit einem Wort, ich ersuche Ihnen für ihn um die Hand Ihrer Tochter, während ich unter der Hand die ganze Tochter versteh'.

ABENDWIND (leise zu Atala) Tochter, vom Heiraten is die Red', jetzt sollst schon wieder rot werden, und bist es noch nicht 's erste Mal.

ATALA (zu Abendwind) Ich werde gelegentlich –

ABENDWIND (zu Biberhahn) Ich antworte auf Ihren geschätzten Antrag mit einem frischvonderleberwegigen unspomponadischen »Ja«. Melden Sie Ihrem Herrn Sohn unbekannterweis' meine Empfehlung und meine Gratulation, ich sage kühn »Gratulation«, denn mit der (auf Atala zeigend) muß jeder glücklich werd'n, ob's Ihr Sohn is oder ein anderer.

ATALA (für sich) Ein anderer –? Mein Arthur wäre so ein anderer –! (Laut.) Papa, Papa! Ich glaube, jetzt werd' ich rot.

ABENDWIND (für sich) 's Madl folgt, wann ich ihr was schaff', aber immer erst, wann's ihr g'legen is.

BIBERHAHN (zu Abendwind) Jetzt werden Sie gütigst erlauben, daß ich mein eigenes Fleisch und Blut a bisserl übern grünen Klee zum Lobhudeln anfang' und die Vorzüge und Eigenschaften meines Sohnes –

ABENDWIND (zu Atala) Atala, verlaß uns, geh hinaus aus dieser freien Gegend; deine Mutter is auch immer hinausgegangen, wenn von meine Eigenschaften die Red' war.

ATALA Ich geh' schon, Papa! – (Für sich.) Wenn ich nur wüßte, was aus Arthur geworden ist. (Geht nach rechts ab.)

 
Zehnte Szene

ABENDWIND, BIBERHAHN

BIBERHAHN Vor allem muß ich Ihnen sagen, daß mein Sohn Arthur heißt und daß seine Geburt mich um so mehr erfreute, als ich bei der Pechschwärze meiner Haare gar nicht hoffen konnte, je ein so lieblich lichtblondgeschneckeltes Söhnlein zu bekommen. Ein europäischer Schiffskapitän, der zu der Zeit gerad' einige Zeit auf meiner Insel war, gab mir den Rat, das Söhnlein in Europa erziehen zu lassen; bald darauf reiste er ab. Als das Söhnlein ein Jahr alt war, schickte ich es mit einem Mechanikus, der vom Schiff dieses Kapitäns zurückgeblieben war, fort in die Zivilisation hinaus. Dieser Mechanikus hat mir nebst andern ausgezeichneten Sachen auch eine Spieluhr angefertigt, und diese hab' ich ihm für meinen Sohn mitgegeben, damit ich ihn, weil er mir schon einmal nicht so gleichsieht, als er mir von Rechts wegen gleichsehen sollte, an dieser Spieluhr erkenne, wenn er als blonder Jüngling zurück in meine Arme kehrt.

ABENDWIND (stutzend) Blonder Jüngling –!? (Für sich.) Merkwürdig! Grad' wie der junge Fremde –! (Laut.) Und wird er national gekleidet sein, wenn er hier ankommt?

BIBERHAHN Nein, sondern stockeuropäisch in Frack –

ABENDWIND (erschreckend) Frack –!? (Beiseite.) So heißt man wahrscheinlich das Kulturg'wand.

BIBERHAHN Pantalon –

ABENDWIND (mit steigendem Entsetzen) Pantalon –!?

BIBERHAHN Stiefeln.

ABENDWIND (wie oben) Stiefeln –!? (Beiseite.) Ich fall' in eine indianische Fras!

BIBERHAHN Ich weiß das genau, weil mir sein Begleiter seine Photographie g'schickt hat. Da schaun Sie s' an. (Zieht eine photographische Visitkarte hervor und gibt sie Abendwind.)

Duett

ABENDWIND (bei Anblick der Photographie ganz vernichtet)
Uije! Uije! Uije!
Das prackt mich völlig nieder.

BIBERHAHN (Abendwinds Ekstase für Übermaß von Wohlgefallen haltend)
's G'sicht fesch und schlank die Glieder!

ABENDWIND (sich mühsam etwas fassend)
Also wirklich? Das is Ihr Herr Sohn?

BIBERHAHN
Der Erbe von mein' Inselthron.

ABENDWIND
Uije! Uije! Uije! (Sich mit beiden Händen den Kopf haltend.)
Es wirbelt mir der Südseeplutzer –

BIBERHAHN
Was schaun Sie denn gar so verzwickt?

ABENDWIND (für sich)
Sein Sohn war jener Stutzer,
Von dem 'r a paar Pfund hat g'schlickt.

BIBERHAHN
Auf dem Weg, kaum zu bemessen,
Drohn ihm nicht nur Stürme bloß,
s' kann ihn auch ein Haifisch fressen,
Denn sein Rachen is gar groß.

ABENDWIND (für sich)
So nach mein' Privatermessen
Wird er rächen sich heillos,
Weil sein' Thronerb'n er hat g'fressen
Hier in einer sauern Soß.

BIBERHAHN
Doch bin ich nicht allein von Ängsten
Um meinen Sohn Arthur erfüllt,
Mir is noch banger, fast am bängsten
Um meine Uhr, die Stückeln spielt.
Begleit'rin war sie ihm auf Reisen,
Sie ruft ihm jede Stunde zu
Die süßen nationalen Weisen,
Das Kriegslied der Papatutu.
Schad' wär', so wie um meinen Sohn,
Von dieser Uhr um jeden Ton;
Drum, Schicksal, wenn du nicht bist z'wider,
Gib mir den Sohn und d' Spieluhr wieder!

Ensemble da capo

ABENDWIND (beiseite)
Was sag' ich ihm? Wie rett' ich mich?

BIBERHAHN (sich den Bauch frottierend)
Mich druckt's im Magen fürchterlich.

ABENDWIND (für sich, resignierend einen Entschluß fassend)
Ich werd' ihn schön stad vorbereiten. (Laut zu Biberhahn.)
Wir sind Herrscher zwar mit Szepter und Kron',
Doch 's Schicksal hat zu g'wissen Zeiten
Auf unserein' grad' sein' Passion.

BIBERHAHN (etwas unruhig werdend)
Mir bleibt er schon z' lang aus, mein Sohn.

ABENDWIND
Das machet eigentlich noch nix,
Kommt er jetzt nicht, kommt vielleicht er später;
Doch am Horizont unsres Glücks
Da machen oft die Götter a Wetter.

BIBERHAHN (mit wachsender Ungeduld)
Mir bleibt er schon z' lang aus, mein Sohn!

ABENDWIND
Ungeduld steht nicht gut an,
Moderier'n Sie sich ein wenig!
Sich beherrschen dann und wann
Muß ein braver, gescheiter König.

BIBERHAHN
Arthur, mein Sohn, o komm zu mir!

ABENDWIND (dumpf und bedeutungsvoll)
Ich glaub', er is schon hier.

BIBERHAHN
Warum nicht gar! Wo wäre er?

ABENDWIND
Auf Ehr',
Ganz nah' bei Ihnen, fürcht' ich schier.

BIBERHAHN
Wie heißt »ganz nah' bei mir«?

ABENDWIND
Viel näher wohl, als es Ihr Wille!

BIBERHAHN (horchend)
Halt – halt! Ich hör' da was in mir –
Horch! Horch! Ich bitt' Sie, sein S' stille!

(Beide lauschen, man hört plötzlich die Spieluhr sechs Uhr schlagen, Biberhahn hält die Hand erschrocken auf seinen Magen.)

ABENDWIND Sechse, soviel muß's jetzt sein.

BIBERHAHN Hab'n S' g'hört? Es schlagt die akkurate Stund' in mir – bei Ihnen hab' ich g'speist, und das Harte, was mir vorhin in Schlund –'s is klar, ich habe eine Repetieruhr g'schlickt!

ABENDWIND So was kommt doch selten unter a Speis.

BIBERHAHN Die Uhr muß dem g'hört haben, an dem wir uns hier auf gut karaibisch delektiert – halt – (sich den Magen reibend) da rodelt's jetzt – (die Uhr fängt an, in ihm das Schlachtlied der Papatutus zu spielen.) Million Element –! (Nach dem Liede der Spieluhr.) Das ist unser südpolischer Nationalgesang. Den spielt nur eine Uhr auf dieser Welt, und diese Uhr hat nur einer bei sich, und der is mein Sohn – und folglich, wo die Uhr is, da is auch er, die Uhr war in der Schüssel, und folglich – schauderhafte Gewißheit! – das Diner war mein Sohn!

ABENDWIND Man kann wohl nie wissen, was aus die Kinder wird –

BIBERHAHN (grimmig) Antwort! Direkte Antwort!

ABENDWIND Ich hab' nicht die Ehre gehabt, den Herrn Sohn zu kennen – und wann uns ein unterspickter Fremdling in die Händ' lauft –

BIBERHAHN (wie oben) Keine Umschweife! Zur Sache!

ABENDWIND (auf die verschiedenen Schüsseln zeigend) Die Speis' und die Speis' und diese auch, diese aber hingegen ebenfalls – das war alles Ihr Arthur, und es bleibt mir nix zu sagen übrig, als – ich wünsch', daß's wohl bekommt.

BIBERHAHN (desperat) Mein Sohn, mein guter Arthur –! Das kann ich im strengsten Sinn des Wortes sagen –

ABENDWIND (ihn tröstend) Er ist im Schoße seiner Familie, folglich gut aufgehoben.

BIBERHAHN (nachdem er sich wieder gefaßt, im Tone der Courtoisie) Jetzt werden Sie aber entschuldigen – Sie sind selbst Indianer und werden wissen, was in solchen Fällen – ich werde müssen so frei sein, Rache zu nehmen an Ihnen.

ABENDWIND Ich kann es Ihnen nicht verbieten – aber –

BIBERHAHN (ruft nach rechts in die Szene) Heda! Gefolge, Krieger, Suite und Wilde! Was zu mir gehört! Ergreifet die Waffen, schwingt die Speere, Schleudern, Keulen und erhebts ein Rachegeschrei. (Man hört in der Szene rechts im Hintergrunde die Wilden schreien.)

PAPATUTUANER (von innen) Rache! Rache! Rache!

 
Elfte Szene

ATALA; DIE VORIGEN

ATALA (von rechts aus dem Vordergrunde zurückkommend) Er ist verschwunden, als hätte ihn das Meer verschlungen!

BIBERHAHN (wild auslachend) Das Meer!? Hahaha!

ATALA Und was bedeutet dieses Kriegsgeheul?

BIBERHAHN Mein Sohn! Mein Arthur!

ATALA (freudig erstaunt) Wie, Arthur Ihr Sohn –? Er, der Fremde, der uns zu Mittag die Ehre gab – Ihr Sohn?

Terzett

BIBERHAHN
Im blutigen Tanze
Kriegt er sein' Tee,
Schwing' ich die Lanze,
Schreit 'r Ach und Weh!
Statt mich z' traktieren,
Mich z' delektieren,
Tut er als Speis'
Mein' Sohn mir servieren –
's is aus der Weis'!

ABENDWIND
Drohend mit der Lanze
Will er Rache statt Kaffee,
Und es is doch 's Ganze
Nix als ein verdalkts Diner.
Ihn zu traktieren,
Mußt' ich studieren
Auf a gute Speis,
Sein' Arthur z' transchieren
Geschah nicht mit Fleiß.

ATALA
Schwingend die Lanze
Hoch in der Höh',
Im Waffentanze
Rufen sie Weh!
Wo mag er irren?
Das zu entwirren
Streb' ich mit Fleiß.
Ihn zurückführen –
Lohnender Preis!

BIBERHAHN
Den Gastfreund zu spießen, die Pflicht is fatal –
Doch räche ich mich nicht, das wär' ein Skandal!
(Die Papatutuaner treten auf und schleppen Waffen herbei.)

Ensemble da capo

ABENDWIND
Aushalten noch! Mir fallt was ein –
Muß es denn gleich gekämpfet sein?
(Einen Augenblick nachsinnend.)
Der Sohn der Sonne – holt ihn her geschwind!
Unser weißer Bär tut's prächtig als Orakel;
Vermieden sei das Kriegsspektakel!
Zeig'n wir, daß wir Wilde bess'rer Gattung sind!
Wenn er auch nix red't als Bär, so brummt er
Viel gescheiter, als wenn uns'reins spricht,
Ich lass' ihn hol'n, unfehlbar kummt er,
Er orakle, und die Streitigkeit is g'schlicht't.

ABENDWIND (spricht zu den Groß-Luluerern, welche mittlerweile herbeigekommen) Für gewöhnlich tragt er ein' Maulkorb, der Sonnenbär, den nehmt's ihm herab. (Ein paar Groß-Luluerer gehen ab, dann spricht Abendwind für sich.) Vielleicht schnappt er auf mein' königlichen Kollegen und beißt ihn z'samm'- das wäre das einfachste.

BIBERHAHN (für sich) Mir is nicht recht im Magen.

 
Zwölfte Szene

DER BÄR; DIE VORIGEN

Ensemble

BIBERHAHN, ABENDWIND, ATALA
(
Während des Ensembles wird der Bär von den Sonnenpriestern vorgeführt.)
Erleucht' uns, o Bär,
Das dunkle Gehirne
Hier unter der Stirne,
Dir ist das nicht schwer.
O schauerliche Wonne,
Es naht der Sohn der Sonne!

(Der Bär besinnt sich eine Weile schwankend, ob er Abendwind oder Biberhahn umarmen soll, endlich stürzt er brummend auf Atala los und küßt ihr die Hand.)

ATALA (erschreckt) Papa, Papa! – Das garstige Tier!

ABENDWIND Freigeistin! Das is ja der heilige Bär!

ATALA (dem Bären ausweichend) Ein zudringliches Beest ist er –!

BIBERHAHN (zu Abendwind) Glauben S' nicht, daß er s' zerreißt?

ATALA Zurück! (Stößt den Bären von sich, so daß dessen Kopf herabfällt.)

ARTHUR (welcher in der Bärenhaut steckt, sie umarmend) Ich bin's!

ATALA (mit Staunen) Wie, er – mein Arthur, der Fremde – ein Bär!?

ABENDWIND (aufs höchste erstaunt) Der Fremdling –! Wunderbar! Sonderbar! (Zu Biberhahn.) Das is der Herr Sohn!

BIBERHAHN Wer!? Der Bär!? Das geht nicht zusamm'! Wir haben den gegessen mit der Uhr, und der mit der Uhr war mein Sohn; dieser ist noch nicht gegessen, folglich kann er auch mein Sohn nicht sein.

ABENDWIND Das is ein indianisches Labyrinth ohne Faden.

ARTHUR (zu Abendwind) Keineswegs, ich habe Ihren Koch bestochen, und statt meiner wurde der weiße Bär geschlachtet. Nun wissen Sie alles.

ABENDWIND Bestochen? Meinen Koch? Mit was? Und wie?

ARTHUR Ich hab' ihn frisiert, wie Sie hier sehen. (Auf einen Wink Arthurs tritt Ho-Gu auf.)

 
Dreizehnte Szene

HO-GU, MEHRERE GROSS-LULUERER; DIE VORIGEN

HO-GU (tritt mit mehreren Groß-Luluerern, welche ihn alle mit wohlgefälliger Neugierde anstaunen, aus dem Vordergrunde rechts auf; er ist mit hohem Toupet à la Louis XIV. frisiert) Erhabener Gebieter –! (Verneigt sich vor Abendwind.)

ABENDWIND (von Bewunderung ergriffen) Ah, das is eine Schönheit –!!

ARTHUR Gekräuselt, gelockt, gebrannt, tapiert!

ABENDWIND Da is es freilich schwer, zu widerstehn. (Zu Biberhahn.) Also nicht Ihren Sohn, den Sohn der Sonne haben wir gespeist.

ATALA (zu Biberhahn) Ja, ja, mein Arthur ist Ihr Sohn.

BIBERHAHN O, hören Sie auf! Ich glaube so was nicht so leicht.

(Man hört im Magen Biberhahns ein Viertel auf sieben Uhr schlagen und gleich drauf das Kriegslied der Papatutus spielen; er greift sich mit beiden Händen auf den Magen.)

ARTHUR (zu Biberhahn) Was hör' ich –?! Meine Uhr! An der Stell' geben Sie mir sie zurück!

BIBERHAHN Geduld! Geduld! Sie is derweil versetzt in mir. Aber wenn das deine Uhr is, dann bist du ja mein Sohn, und ich bin dein Vater – Sohn! Arthur! (Umarmt ihn.)

ARTHUR Papa –!!

BIBERHAHN (zu Abendwind, auf die Schüssel zeigend) Aber Sie, das Tier war delikat!

ABENDWIND Ja, ein Sonnenbär, ein heiliger Bär –

BIBERHAHN Larifari! Ich parier', es schmeckt einer wie der andere, jedenfalls werd' ich von nun mich ganz auf das Bärenfleisch verlegen.

ABENDWIND (leise zu ihm, mit Wichtigkeit) Hätten Sie diesen Entschluß vor Jahren gefaßt, ich wär' kein Witiber geword'n.

BIBERHAHN (betroffen) Wie meinen Sie das?

ABENDWIND (ihn an der Hand nach vorne führend, leise) Sie werden mich verstehen, wenn ich Ihnen sage, vielleicht wären auch Sie kein Witiber, wenn ich stets nur Bärenfleisch –

BIBERHAHN (leise) O, meine Ahnung! (Zu Abendwind.) Wir haben beide gegenseitig –

ABENDWIND (leise zu ihm) Es war eine schauderhafte Reziprozität.

BIBERHAHN (sich entschuldigend) Karaibisches Naturell –

ABENDWIND Ein gacher Gusto, appetitus spurius.

BIBERHAHN Verzeihn wir uns als edle Männer! –

ABENDWIND Und die Erinnerung an die Affäre sei ausgelöscht!

(Beide reichen sich feierlich und würdevoll die Hand.)

ATALA (zu Arthur) Sie reichen sich die Hände –

ARTHUR (zwischen Abendwind und Biberhahn tretend) Also Einwilligung von beiden Seiten?

BIBERHAHN Is alles abgemacht!

ABENDWIND Sie sei die Ihrige.

ARTHUR Dann jubelt, ihr Völker der Inseln! Nach meinem künftigen Residenzwigwam führ' ich sie heim, die schöne Wilde als Braut!

Finale

ARTHUR
Glück, wie gut bist du,
Führst die Braut mir zu,
Die doch das Bijou
Aller Groß-Lulu.
Friede, Heil und Ruh'
Den Papatutu,
Jubelt immer zu:
Heil den Groß-Lulu
Und Papatutu,
Atala, und du,
Bist jetzt mein Bijou!

(Während die Groß-Luluerer sich zu beiden Seiten gruppieren, defilieren die Papatutuaner, Biberhahn und Arthur mit Atala an Abendwind vorüber.)

Der Vorhang fällt.